Der Kampf gegen meine Behinderung

Das Logo von Die Neue Norm auf orangem Grund. Rechts davon steht: Die Neue Kolumne. Unten steht: Von Sophie Kappmeyer.
Lesezeit ca. 3 Minuten

Ich habe so viele Themen, zu denen ich eine ungefragte Meinung habe, zum Beispiel darüber, wie Menschen mit mir als Mensch mit Behinderung umgehen, wie es ist in einer Welt aufzuwachsen, die nicht auf die Bedürfnisse behinderter Menschen eingeht, und wie anstrengend es ist, die Deutsche Bahn und deren Mobilitätsservice zu nutzen. Besonders über den letzten Punkt kann ich Romane schreiben.
Ich dachte mir aber, bevor ich alle anderen durch den Kakao ziehe, fange ich bei der wichtigsten Person an, wenn es um den Umgang mit meiner Behinderung geht: bei mir. Und damit, wie mein eigenes ableistisches Verhalten mich davon abhielt, mir schon viel früher einen Rollstuhl zuzulegen.

Ich bin seit meiner Geburt behindert, ich habe eine Cerebralparese und in meiner frühen Kindheit ist mir mein räumliches Sehen flöten gegangen.
Mir war meine Behinderung sehr lange unangenehm. Ich habe mich regelrecht geschämt, anders zu sein. Ich bin lieber jahrelang mit Schmerzen gelaufen, als mir einzugestehen, dass ich einen Rollstuhl brauche. Mein Umfeld gab mir zu verstehen, dass ich immer ein bisschen stärker sein musste, immer ein bisschen mehr kämpfen musste als die “Normalen”. Das hat mich schon früh geprägt.

Zu oft wurde mir in der Schule und auch im privaten Umfeld das Gefühl vermittelt, dass es mit mir schwerer sei und dass ich zu oft eine Extrawurst bräuchte. Ich habe Witze über mich gerissen, mich selbst darüber lustig gemacht, dass ich aussehe wie ein Pinguin beim Laufen, mich immer zurückgenommen und fand es sogar okay, wenn Leute mich beim Laufen nachgemacht haben. Ich bin lieber mit Schmerzen gelaufen, als das Risiko einzugehen, dass mich jemand als schwach sehen könnte. Ich wollte auf keinen Fall in den Rollstuhl. Dass ich ein tolle Persönlichkeit habe und ein wertvoller Mensch bin, ist dadurch in mir total verloren gegangen.

Mein Kartenhaus fiel das erste Mal zusammen, als ich mit Anfang 20 in der Ausbildung war. Die Ausbildung in der Bibliothek machte mir sehr viel Spaß und ich fühlte mich dort hervorragend aufgehoben. Dadurch dass es eine kleine Bibliothek war, konnte man oft auf meine Bedürfnisse aufgrund der Behinderung eingehen. Dies war leider im Schulgebäude, das Hogwarts an Treppen Konkurrenz machte, nicht der Fall. Ich wurde irgendwann müde, immer und immer wieder ein Klassenzimmer im Erdgeschoss einzufordern. Ich bekam Depressionen und kämpfte sehr mit mir. Über die Jahre kamen die Depressionen immer und immer wieder. Dieses Gefühl, anders zu sein. Immer im Weg zu sein. Leute aufgrund meiner Behinderung aufzuhalten. Der Kampf gegen den Rollstuhl. Das ganze Mitleid von Menschen zu ertragen und darin nicht zu versinken. Dabei merkte ich gar nicht wie mein eigenes Verhalten mich mehr fesselte, als ein Rollstuhl es jemals tun würde.

Im Januar 2020 habe ich dann meinen ersten Rollstuhl erhalten und war innerhalb von Sekunden in “sie” verliebt. Heute kann ich mir mein neues, freies Leben nicht mehr ohne Rollstuhl vorstellen. Meine Angst war so verdammt unbegründet. Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, was ich durch mein eigenes ableistisches Verhalten verpasst habe, sondern genieße meine neugewonnene Freiheit in meiner neuen Gefährtin namens Cleopatra.

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