Ich werd’ mal meine Frau stehen

Das Logo von Die Neue Norm auf grauem Grund. Rechts davon steht: Die Neue Kolumne. Unten steht: Von Katrin Bittl.
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Heute habe ich ein Date.

Aufregung – eh vorprogrammiert – sollte man sich an dieser Stelle zusätzlich einmal ausmalen, welches Maß an Überwindung dazu kommt, wenn man seine Assistentin darum bittet die schönste Unterwäsche aus dem Schrank zu kramen. Ja, das Haar muss sitzen und der Lippenstift bitte ohne zitternde Hand aufgetragen werden. Die Anspannung wird also zweigeteilt und ist trotzdem nicht halb so schlimm. Denn alles, was mir durch den Kopf geht, steht mir fett auf die Stirn geschrieben. Und weshalb der ganze Tag zum Theater mit Schminken, Kochen und Trallala wird, muss schließlich auch irgendwie kommuniziert werden. Meine Assistentin ist involviert und eingeweiht und bekommt fast alles mit, etwas anderes bleibt mir nicht übrig!

Ich liebe die Freiheit, die mir meine Assistentinnen geben, ich kann mich um mich kümmern. Und dennoch geht es nicht unbeobachtet. Ich kann nicht heimlich die fünfte Farbe auf den Lippen testen oder den besonders aufregenden Schlüpfer mit Rüschen wählen und mir meinen Teil über mich selbst denken. Nein, da findet noch jemand mein irres Verhalten mächtig fragwürdig!

Ich habe also einen grandiosen Tag vor mir, ich fühle mich gut und frei und tue genau das, was eine junge Frau eben so macht. 
Auch wenn ich mir dabei immer wieder mein Rückgrat zurechtbiegen muss. Ja, ich brauche Unterstützung. Aber ja, ich bin auch eine selbstbewusste und vor allem eine selbstständige Frau, genau in diesem Moment!

Ich bin eine Frau. Wie das noch dazu klingt… in den meisten Fällen extrem ungewohnt. Außerordentlich. Irgendwas hüpft in meinem Körper, wenn ich daran denke, dass ich eine Frau bin. Es macht mich geradezu verlegen. Es verunsichert mich. Dabei sind die Dinge in meinem Alltag absolut erwachsen. Mein Rückgrat ist geradezu gezwungen auf 12 Uhr zu stehen, wenn ich mit meinen Assistentinnen spreche, wohlgemerkt als Arbeitgeberin. Geschweige denn dieses Date, bei dem ich keinesfalls als kleines Mädchen wahrgenommen werde.

Ganz im Gegenteil. Solange mein Körper nicht in Aktion treten kann, muss ich verbalisieren, was ich von meinem geliebten Gegenüber möchte. Dazu noch ein Gedankenspiel – was ist wohl einfacher: Sich überwinden und seine große Liebe mal eben verstohlen küssen, in der Hoffnung, dass ein Korb in einem kurzen verlegenen Lachen untergehen würde? Oder laut aussprechen „ich möchte Dich jetzt gerne küssen!“ und auf die Reaktion des Gegenübers warten? Diese schier endlosen Sekunden der Ungewissheit aushalten? Richtig – Zweiteres erscheint ziemlich unangenehm.

Es verlangt also ein Menge Courage seine Frau zu stehen, wenn man sein ganzes bisheriges Leben im Sitzen verbracht hat. Und das liegt mitunter nicht nur an der Beobachtung von außen, durch Assistenz, die das Leben wie in einer „Truemanshow“ verfolgt. Nein, es liegt vor allem daran, welchen Verurteilungen man bereits von Kindheit an ausgesetzt ist.


Menschen mit Behinderungen wird nichts zugetraut, weder ein eigenständiges Leben, noch ein Geschlecht. Kein Wille, keine Regung.
 Und diese Sozialisation beginnt extrem früh. Ich kann mich erinnern, dass ich dieses Bild, das Andere von mir hatten, als Kind selbst ausgenutzt hatte. Ich hatte bei großen Familientreffen keine Lust mich mit meiner Tante 10. Grades zu unterhalten. Denn ich wollte nur das Essen und meine Ruhe! Deshalb tat ich so, als wäre Smalltalk mit mir ein Ding der Unmöglichkeit. Ich antwortete spärlich oder so, dass eine erneute Frage schwierig wurde. Ich hatte, was ich wollte: Schweinebraten mit Knödel und meine zwanzig Tanten Mitleid mit meinem Schicksal! Ich war zufrieden.

Es bedeutet harte Arbeit sich aus diesem Selbstbild zu befreien und nach Außen auszustrahlen, wer man eigentlich wirklich ist. Eine selbstbewusste Frau, eine Geliebte, eine Schwiegertochter.
 Fühlt man sich ein in diese Rollen und beginnt sich selbst als erwachsen und mündig zu betrachten, so ist der erste große Schritt getan!

Ich bleibe cool, wenn ich am Date Abend mein Filet-Steak an der Fleischtheke bestelle und die Fleischwarenfachverkäuferin meine Assistentin mit fragendem Blick ansieht: „Mag das junge Fräulein vielleicht eine Scheibe ‘Gelbwurst‘ oder eine ‘Wiener‘ auf die Hand?“

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