“Der durstigste Mann Deutschlands”

Das Logo von die neue Norm auf blass orangenem Grund. Rechts davon steht: Die Neue Kolumne. Unten steht: Von Marc Wübbenhorst.
Lesezeit ca. 3 Minuten

In den Medien wurde ich als der durstigste Mann Deutschlands bekannt. Ein seltsames, nicht sichtbares Leid? Es wird viel gelitten in den bundesdeutschen Medien: “Durch die Krankheit gezwungen” und der dringende Wunsch nach einem “endlich normalen Leben”, so lese ich, “süchtig nach Wasser”! Als ich mich vor Jahren in einer Talkshow wieder fand, wurde ich mit den freundlichen Worten, “das ist Marc, er ist verdammt zu einem Leben mit einer seltenen Krankheit”, anmoderiert. Mein Leben ist also ein Verdammnis. Hab ich mich beschwert? Ich sage einfach nur, wie es ist. 

Wie klischeefrei über Menschen mit Behinderung berichtet werden kann, zeigt das Projekt Leidmedien.

Wenn es den Medien aber darum geht, mich als völlig eingeschränkt zu beschreiben, dann muss wohl das ganze Arsenal visueller Effekte aufgefahren werden: Ich finde mich regelmäßig zwischen Plastikflaschen und Getränkekisten wieder, da sich anscheinend niemand die Menge von 20 Litern vorstellen kann. Ja, ohne Medikamente trinke ich diese Menge wirklich. Niemand kann sich vorstellen, wie viel ich am Tag trinke und das Trinkwasser aus der Leitung nicht genießbar ist, daher die vielen Flaschen. Das Wörtchen “behindert” will zu mir übrigens insgesamt auch nicht so recht passen. Es bleibt “ein seltsames Leid” und ein dickes “Boah, heftig”.

Menschen mit Diabetes insipidus renalis (NDI / DIR), so wie ich, scheiden mehr Wasser aus und brauchen deshalb teilweise über 20 Liter Wasser am Tag, damit sie nicht verdursten. Damit lebe ich recht gut, bis auf den Durst, die dazugehörige Logistik und den kräftezehrenden Schlafmangel. Nach zahlreichen Beiträgen verdichtet sich meine persönliche Heilserzählung neuerdings nur noch auf die Wundererwartung wirksamer Medikamente. Diese erhalte ich, wenn ich nur lange genug in vorgewärmten Wartezimmern das Vorsprechen einübe.

Früher wurde ich gern, zumindest in puncto meiner, sagen wir, Superkraft, ordentlich objektiviert: Da gab es Mütter, Lehrerinnen und Ärzte, die mir umfassend beschrieben, was ich bin. Heute darf ich mitreden und bin selbsterklärend. Damit meine Besonderheit für alle anschaulich bleibt, gerne grob: “Ich bin derjenige, der seinen vollständigen Namen in den Schnee pinkeln konnte”. Haha. Ich bin immer so witzig! Oder eben kurz vor’m Sterben. Die verbale Deutlichkeit muss wohl so sein, denn auf den ersten Blick sieht man mir meine Geschichte nicht an. 

Und ich bin eine Alteritätserfahrung. Nein, schreiben mir die Leute, so wie ich lebe und trinke, das könnten sie nicht. Warum man mich nicht abgetrieben habe, oder neue Nieren besorgt werden konnten, dazu einige Dick-Pics und sonstige Übergriffe und die ewige Frage, was ich wohl in einer Wüste machen würde. Dort, wo der Durst am größten ist. Die Anerkennung, wie ich das denn alles schaffte: Mehrere Sprachen sprechen. Einer Arbeit nachgehen oder selbstständig ein komplettes Buch lesen. Nein – und das war als Kompliment gemeint – “für mich bist du ja gar nicht behindert!”, hörte ich. Den Lebensmut soll ich nicht verloren haben. Vielleicht, und so denke ich, bin ich nicht behindert genug. Ich habe manchmal einen dicken Bauch und Ringe unter den Augen. Und existenziellen Durst. Mehr sieht man erst einmal nicht. Aber wenn ich mich dann mit meiner Wassergeschichte zeige, dann erstaunt es.

‘Tja, selbst Schuld, was zeigst du dich?’, könnte man fragen. Ich sage immer: Aus allem kann man was machen. Unwissenheit und Unachtsamtkeit sind die eigentlichen Hindernisse. Ich möchte Lebensumstände verbessern und Menschen zusammenführen. Ich bitte nicht um eine Bewertung meines Lebens. Früher hat mir oft niemand geglaubt, wenn ich von mir erzählte und das machte mich müde. Heute ist das Internet voll mit freizugänglichem Material zu Diabetes insipidus renalis, viele haben vom “durstigsten Mann Deutschlands” gehört. Das hilft Kindern und Eltern, die damit aufwachsen. Dies ist mein Werk.

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