Auf dem rechten Auge taub

Lila Hintergrund, darauf das Logo „Die Neue Kolumne“ von Wille Felix Zante
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Wahlplakate müssen plakativ, vereinfacht, eingängig sein. Aber wo verläuft die Linie zwischen Überzeichnung und Abwertung, zwischen Zuspitzung und Diskriminierung? Unser Kolumnist Wille Felix Zante kritisiert ein Wahlplakat des Bündnis Sahra Wagenknecht, das mit einer ableistischen Aussage auffällt.

Taub-Sein als Symbol für Ignoranz?

„Aber die alten Parteien sind taub“ behauptet das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf seinen Plakaten zur Bundestagswahl 2025. Es ist eine bizarre Aussage, weil: ja, und? Wenn sie taub sind, gibt es Lösungen. Ob so unzureichende, aber im Einzelfall effektive wie das Cochlea Implantat oder eher sinnvollere, aber mit mehr Zeitaufwand verbundene wie die Gebärdensprache. Was hat das aber mit der politischen Arbeit zu tun? Heike Heubach ist taub, oder gehörlos, wie man auch sagen könnte, und macht politische Arbeit wie alle anderen auch, nicht zuletzt, weil der Bundestag sich in diesem Fall ganz vorbildlich um Barrierefreiheit kümmert. Wenn es doch nur für alle Gehörlosen so wäre!

Aber das meint das BSW-Plakat nicht. Gemeint ist: Sie stellen sich taub, also: Sie wissen genau, was gewollt ist, aber tun es nicht, weil sie es nicht wollen. Dass manche Sachen in der Politik nicht gemacht werden, weil die Verantwortlichen es nicht wollen, ist kein Geheimnis. Was „taub“ in dem Zusammenhang problematisch macht, ist die Unterstellung, dass man hören könnte, wenn man denn wollen würde. Das ist tatsächlich oft der Fall: Gehörlosigkeit ist eine von vielen unsichtbaren Behinderungen. 

Links ist ein Porträtfoto von Sahra Wagenknecht, rechts steht: Unser Land wünscht sich Frieden. Aber die alten Parteien sind taub.“
Ableistisches Wahlplakat des Bündnis Sahra Wagenknecht vor der Bundestagswahl 2025. Foto: Privat.

Nicht intendiert = kein Ableismus?

Und sie wird paradoxerweise dadurch unsichtbar, dass man selber spricht. Wenn ich selber – mit meiner Stimme – spreche, dann geht mein Gegenüber fast automatisch davon aus, dass ich Gesprochenes auch verstehe. Vielleicht ist das auch der Grund, warum gehörlosen Kindern auf Biegen und Brechen das Sprechen beigebracht wurde und immer noch wird. Man konnte es dadurch zumindest teilweise schaffen, diese Behinderung noch unsichtbarer zu machen. 

Die lapidare Verwendung des Begriffs „taub“ als Synonym für Ignoranz macht Taubheit lächerlich und noch unsichtbarer. „Bist du taub?“ – „Bist du blind?“ – „Bist du dumm?“ – alles ableistische Sprüche, die Behinderten die Schuld zuschieben und dadurch nicht besser werden, dass man sie nur im übertragenen Sinne meint. Hier schwingt auch mit, dass man nur die Behinderung ausradieren müsste, um alle Probleme zu lösen. 

Es ist eine Grundhaltung, die wenig daran interessiert ist, die Gesellschaft und die Politik zu verändern. Es ist eine menschenfeindliche, hetzerische und populistische Haltung, die sich mit der Haltung des Bündnis Sahra Wagenknecht deckt. Ich bin nicht schockiert oder empört, ich bin auch nicht überrascht. Es ist schlichtweg Populismus von Populist*innen.

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