Dies ist meine erste Kolumne und ich möchte mich vorstellen mit meinem wohl auffälligsten Merkmal. Ich bin Rollstuhlfahrerin und habe meine Behinderung durch eine Erkrankung erworben. Wie übrigens die allermeisten Menschen ihre Behinderungen erst im Laufe des Lebens erwerben, drei bis fünf Prozent der Behinderungen sind angeboren. Bis zum Eintritt meiner Behinderung konnte ich -sieht man vom Babyalter ab- 27 Jahre laufend, stehend, springend durch diese Welt gehen und an der Gesellschaft teilnehmen. Dies ist ein wichtiger Teil meiner Sozialisation, meines Dabeiseins. Ich war immer und überall willkommen. Meistens bin ich gar nicht besonders aufgefallen, aber war dabei. Außer bei meinem Schulwechsel nach der Grundschule wurde auch nie überlegt, ob ich am jeweiligen gewünschten Ort richtig sei und überhaupt teilnehmen könnte. Ich war im Turnverein, bei Reitstunden, in der Tanzschule, machte einen Führerschein, buchte alleine eine Flugreise, war Trauzeugin auf einer Hochzeit. Meine dafür jeweils nötigen Kompetenzen wurden nie in Frage gestellt.
Dies sind die Erfahrungen meines nichtbehinderten Ichs.
Mit 27 Jahren erwarb ich mit meiner Behinderung noch mehr. Ich bekam noch ein zweites Ich, mein behindertes Ich. Es wuchs langsam. Mein behindertes Ich lernte durch die Reaktionen der anderen Menschen, dass es gar nicht (mehr) selbstverständlich ist, dass ich Auto fahre – „Ach! Das ist ja toll, was es alles gibt“. Es lernte auch, dass es bemerkenswert ist, wenn ich einen Volkshochschulkurs besuche – „Super, dass Sie auch so etwas machen“. Als ich noch einmal Trauzeugin im Rollstuhl sein durfte, suchte die Braut ein barrierefreies Standesamt. Doch gelobt wurde ich.
Bei meinen wenigen Besuchen in der Disco, bei der Begleitung meiner joggenden Freundin, immer bekam ich den „Daumen hoch“ gezeigt und sozusagen Jubelrufe. Mein behindertes Ich fand sich erstmal ziemlich großartig. Es ist super! Fast überall wird ihm bestätigt, wie toll es ist, dass es dabei ist.
Es ist mein nichtbehindertes Ich, welches ihm die Laune versaut und sagt: Ist das so okay? Ich war doch auch früher schon ganz umgänglich, freundlich und hilfsbereit und wurde nicht für bloße Anwesenheit gelobt. So lernte mein behindertes Ich durch diesen überdimensionalen Zuspruch, dass es eben oft nicht normal und schon gar nicht selbstverständlich ist, dabei zu sein. Man muss es betonen, es ist super. Ja, ist es das? Das mag so nett gemeint sein, doch sagt es mir –und auch anderen Menschen mit Behinderungen: ich gehöre nicht selbstverständlich dazu. Teilhabe ist keine Selbstverständlichkeit. Das Kompliment ist eine positive Diskriminierung und weist mich immer wieder darauf hin, wie viel noch zu tun ist bis zur Selbstverständlichkeit. Jedes Mal, wenn erwähnt wird, wie schön es ist, dass ich teilnehme oder -um jetzt auch mal von anderen Menschen zu sprechen- wie toll es ist, dass der Veranstalter für Gebärdensprachdolmetscher*innen gesorgt hat oder es auch Einladungen in Leichter Sprache gab, weiß ich und spüren inzwischen meine beiden Ichs, wie weit wir von Inklusion und der selbstverständlichen Teilhabe noch entfernt sind.
Nicht falsch verstehen: Ich freue mich, wenn mir jemand sagt: „Schön, dass Du da bist!“. Wenn wir uns kennen, wenn wir uns mögen, wenn er/sie mich kompetent findet oder auch andere Gründe hat. Aber bitte nicht, weil ich eine Behinderung habe. Dies ist ein Merkmal von mir, auf das ich nicht reduziert werden möchte. Es ist eines von vielen Merkmalen. Menschen mit Behinderungen sind mehr als nur behindert.
2 Antworten
Liebe Katja, ich finde es sehr schön das Du “DAS” thematisierst , und nicht das DU das thematisierst. Liebe Grüße, Stefan
Deine Kolumne gefällt mir sehr gut! Viele liebe Grüße, Tonia