Als ich im April 2017 das Abschlusszertifikat meines erfolgreich abgeschlossenen Fernstudiums in der Tasche hatte, war ich nicht nur stolz darauf, mich offiziell Grafikdesignerin nennen zu dürfen. Ich war auch mehr als motiviert und konnte es kaum erwarten endlich unter Beweis zu stellen, was ich während der Ausbildung alles gelernt hatte. Da ich ein Zeugnis mit Bestnoten vorweisen konnte, war ich davon überzeugt, dass mich jede Firma, bei der ich mich bewarb, mit Handkuss aufnehmen würde. Ein unerschütterliches Selbstvertrauen hatte ich eben schon immer!
Was ich allerdings nicht ahnte, war, dass es ganze zwei Jahre dauern würde, bis ich tatsächlich in meinem Traumberuf arbeite.
Die erste Absage nahm ich noch mit einem Schulterzucken hin, auch wenn sich eine gewisse Enttäuschung nicht abstreiten ließ. Doch mit jeder weiteren Bewerbung, jeder Absage, jeder geheuchelten Entschuldigung wuchs meine Wut. Es machte mich wütend, wenn ich gesagt bekam, dass meine Arbeiten zwar ausgesprochen gut wären und mein Engagement bewundernswert sei, aber die Arbeitsabläufe der Firma einen Job im Homeoffice nicht zuließen. Warum nicht? Sollte man nicht denken, im 21. Jahrhundert wäre es kein Problem mehr, über Videochat an wichtigen Meetings teilzunehmen oder Projekte über die Cloud mit dem Rest des Teams zu teilen – ganz besonders in einer medienorientierten Branche?
Die Corona-Krise hat gezeigt, dass es durchaus funktioniert. Plötzlich wurde etwas möglich gemacht, wofür Menschen mit Behinderung schon seit Jahren kämpfen. Und warum? Weil es funktionieren musste, damit unsere Gesellschaft nicht vollkommen zusammenbricht. Ein Unternehmen ist nicht darauf angewiesen, eine behinderte Person zu beschäftigen – auch wenn ihre Fähigkeiten vielleicht eine Bereicherung für den Arbeitsalltag darstellen würden. Wenn aber die gesamte Belegschaft nicht physisch anwesend sein kann oder darf müssen plötzlich neue Wege gefunden werden, wie ein produktives Arbeiten dennoch möglich ist. In manchen Bereichen funktioniert dies besser, in anderen schlechter. Am wichtigsten ist dabei jedoch ein guter Wille und die Eigenschaft, nicht vor dem Unbekannten zurück zu schrecken!
Leider übersteigt die Anzahl der Bewerber, für die keine besonderen Bedingungen geschaffen werden müssen, die mit Behinderung und so besteht meist auch nicht die Notwendigkeit, sich für Neues zu öffnen. Es ist schade, dass viele Arbeitgeber große Berührungsängste gegenüber Behinderten haben und sich aus Bequemlichkeit nicht mit dem Thema Inklusion auseinandersetzen, ohne zu merken, welche Chancen sie dadurch verpassen.
Für mein jüngeres Ich war es eine äußerst frustrierende Erfahrung immer und immer wieder vor den Kopf gestoßen zu werden, ohne so genau zu wissen, was ich falsch machte. Bereits meine schulische Laufbahn war nicht immer einfach gewesen, doch nach dem Abschluss wurde mir plötzlich klar, dass es ab nun niemanden mehr interessierte, wie es mit mir weiterging. Der Staat hatte seine Pflicht erfüllt. Mehr war für jemanden wie mich nicht vorgesehen. Ich hatte deswegen immer das Gefühl, mich alleine durchkämpfen zu müssen. Um neben all den anderen Mitbewerber*innen bestehen zu können, reichte es nicht aus, ein gutes Portfolio zu haben. Es musste außergewöhnlich sein. Es musste meine Behinderung ausgleichen.
Als mir selbst die Arbeitsagentur nach Monaten keinen geförderten Arbeitsplatz vermitteln konnte, begriff ich, dass ich mich noch so sehr anstrengen konnte – es war nie ausreichend. Anscheinend war nicht mal eine Geldprämie Ansporn genug, einen Schritt aus der Komfortzone zu wagen. Natürlich konnte ich niemanden dazu zwingen, mir einen Job zu geben. Doch ich konnte mich dafür entscheiden, auf eigene Faust etwas aus meinem Talent zu machen! Nach zwei Jahren erfolgloser Jobsuche habe ich deswegen schließlich mein eigenes Business gegründet. Rückblickend betrachtet war es eine gute Entscheidung. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wäre ich nicht die dickköpfige Persönlichkeit, die diese Zeilen tippt. Vielleicht hätte ich aufgegeben. Aber ist es nicht unfair, den Ehrgeiz und Tatendrang eines jungen Menschen zu dämpfen, nur weil er oder sie nicht in die Norm passt? Dieser Aspekt macht mich bis heute sehr traurig.
Ich bin mittlerweile glücklich mit meiner Arbeit als selbstständige Designerin. Trotzdem bedauere ich es hin und wieder, nie die Möglichkeit erhalten zu haben, mich in einem Team zu beweisen. Und manchmal komme ich nicht umhin, mich zu fragen, wie die Ausrede wohl heute lauten würde, nun da das Homeoffice als Begründung für eine Absage wegfällt.
Eine Antwort
Die pure Realität.
Ich bin während meiner Berufstätigkeit in einem Großunternehmen an MS erkrankt.
Hoffte auf Verständnis und Integration. Chronische Verschlechterung , Gangprobleme, Stürze.
Der Betrieb hat versucht, mich trotz anerkanntem Behindungsgrad loszuwerden.
Habe mich via Dauerkrankschreibung vor Entlassung gerettet.
War eine treue, fleißige und gute Mitarbeiterin.
Bin mit 43 in EU-Rente.
Was ist man dann???
Es interessiert niemanden, warum auch?
Behinderung ist doch nur ein Minderheitenproblem.
Man lebt im sog. Sozialstaat und gut ist das !
Woanders geht es Behinderten ja eh viel schlechter. So einfach ist das nicht, leider.
Also? Schnauze halten?
Genau da hört es sich auf .
Richtig, Frau Treml, Schluß mit den Ausreden.
Wenn es unseren Politikern und der Wirtschaft nur ums Kapital geht, man nicht an den neuen Arbeitsformen In Sachen Digitalität weiterarbeitet, säuft gerade die Mehrheit ab und das reißt alle mit runter.
Das bringt diese Herrschaften an den Entscheiderstellen hoffentlich mal zum nachdenken.