Heute möchte ich gemeinsam mit meiner treuen Community eine ganz besondere Sendung anschalten: Eine Rückschau auf meine letzten 14 Jahre als blinde TV-Frau. Bei MDR-„Selbstbestimmt!“ moderierte ich von 2008-2022, mit euch an meiner Seite, eigene Fernsehformate. Mein aktuelles Portrait im TV ist hier zu finden. Über 90 prominenten Gästen durfte ich meine „SonntagsFragen“ stellen. Diese Marke gab es nicht nur als Interview-Fenster im Magazin, sondern auch als Langfassung mit eigenem Sendeplatz, was aufgrund meiner Blindheit damals eigentlich noch undenkbar war. Später blickte ich in meiner Kolumne „Mit anderen Augen“ auf Inklusion und Teilhabe.
Was ich mir in all den Jahren wünschte, war eine blinde Kollegin im deutschen Fernsehen, die etwas Ähnliches machte wie ich und mit der ich mich austauschen konnte. Ich hätte sie gern gefragt: „Wie machst du das mit deiner Garderobe, deinen Maskenbildnerinnen, deinen Kamera-Teams, deinen Moderationskarten und mit der Recherche optischer Inhalte? Auch fehlten mir, als wir anfingen, weibliche Rollenmodelle, die ebenfalls gerade ihr Sehvermögen verloren hatten und Medienprodukte umsetzten, die man einer erblindeten Frau eben nicht zutraute. Gleichzeitig modelte ich für verschiedene Projekte und arbeitete mit ganz unterschiedlichen Fotograf*innen zusammen, sodass ich in reger Reibung mit meiner Sichtbarkeit blieb. Visuelle Medien faszinierten und schmerzten mich zugleich. Ich erfand viele Tricks und Kniffe, um mich darin zu orientieren und um damit arbeiten zu können. Für blinde Fernsehjournalistinnen gab es kein Studienmaterial, weil man natürlich davon ausging, dass Fernsehen nur Sehende machen. Aber mein Credo war stets: Fernsehen und Nichtsehen widersprechen sich nicht!
Ich lernte im Laufe der Zeit verschiedene Redaktionen, Produktionsfirmen, Gewerke und Arbeitsweisen kennen, was meinen Horizont extrem erweiterte. Da ich zusätzlich Bücher schrieb, nahmen parallel zu meiner Fernseharbeit auch viele Medienschaffende aus dem Bereich Print, Audio und Online Kontakt zu mir auf. Sie führten Interviews mit mir und machten Beiträge über mich. Auf diese Weise begann ich, mich auch für die andere Seite zu interessieren. Neben dem literarischen Schreiben, fing ich selbst an, journalistisch zu denken und zu texten. Das hatte aber nicht nur einen positiven Hintergrund. Neben Journalist*innen, die durchaus zeitgemäß und realistisch über behinderte Menschen berichteten, begegnete ich immer wieder ableistischen Vorstellungen und Formulierungen. Man kam schon mit einer fertigen Schablone auf mich zu und in die sollte ich dann meine Geschichte hineinerzählen. Es reizte mich, nicht nur als Protagonistin, sondern auch als Journalistin aktiver zu werden. Menschen mit Behinderungen, die zunehmend mit ihrer Arbeit in den sozialen Medien sichtbarer wurden, empowerten mich hier immens.
Barrieren für blinde Journalist*innen
In journalistischen Fortbildungen stieß ich jedoch häufig auf das bekannte Problem, dass blinde Menschen überwiegend als Protagonist*innen, nicht aber als Journalist*innen vorgesehen waren. Zum Thema barrierefreie Studienmaterialien war noch viel Aufklärungsarbeit nötig. Digital ist leider nicht automatisch auch barrierefrei. Einige Fernakademien, die sich barrierefrei wähnten, hatten dabei eher Mobilitätseinschränkungen im Blick. Ich arbeite aber z.B. am PC mit einem Screenreader, der oft auf hunderte Seiten Lesestoff gar nicht zugreifen kann, wenn sie nicht barrierefrei angelegt sind. Das Material muss also so mitgedacht werden, dass eine lückenlose Navigation mittels Tastenkombinationen möglich ist. Wenn Bilder keinen Alternativtext enthalten, bleiben sie für mich tote Informationen. Von einer Journalistenschule erhielt ich die Rückmeldung, ich solle die Aufgaben, die ich nicht barrierefrei erfüllen kann, mit meinem Partner oder mit Freunden bewältigen. Das fand ich rückschrittlich, da mein Partner voll berufstätig ist und ich die Studienmodule selbstbestimmt absolvieren wollte. Bei einer anderen Akademie biss ich auf Granit, als ich z.B. um eine Alternativaufgabe für blinde Studierende bat. Ich versuchte höflich zu erklären, dass es für mich so sei, als würde ein sehender Mensch bei entscheidenden Studienaufgaben nur Braille-Schrift vorfinden, die er nicht lesen kann. Hin und wieder würde dann ein blinder Bekannter mal etwas daraus vorlesen. So ließe sich kein anspruchsvolles Unterrichtsmaterial mit komplexen Prüfungsaufgaben bewältigen.
Oft fehlte ein grundlegendes Verständnis davon, dass vollblinde Menschen am PC nicht auf Maus und Monitor zugreifen können und die Hilfsmitteltechnik auf Strukturen angewiesen ist, die von den Erstellenden des Weiterbildungsmaterials zuvor definiert werden müssen. Das ist vorher nur eine kleine Fleißaufgabe die mitläuft, im Nachhinein jedoch ein immenser Aufwand. Es gelang mir mal besser und mal schlechter, in Eigeninitiative die nicht barrierefreien Lernhefte in lesbaren Text umzuwandeln. Manchmal gerieten Seiten und Spalten durcheinander, Inhalte wurden chaotisch vermischt und ich musste mir viel im Kopf zusammenreimen, da mein Screenreader wesentliche Informationen nicht aufrufen konnte. Ich finde es wichtig, dass Menschen mit Behinderung die einzelnen Bildungsmodule auch nach Interessensgebiet, nicht nach Zugänglichkeit, auswählen können. So entschied ich mich teilweise für Module, die zwar besser lesbar, für mich aber fachlich weniger relevant waren. Gerade im Journalismus ist es entscheidend, Barrierefreiheit mitzudenken, auch in den Ausbildungsmaterialien. Hier begegneten mir auch noch häufig ableistische Formulierungen, die noch heute an junge Journalist*innen weitergegeben werden. Ich freue mich immer zu erleben, wenn wir gemeinsam an mehr Teilhabe und Inklusion arbeiten können und natürlich wachse ich auch mit meinen Erkenntnissen.
Mein Weg ins Fernsehen
Ich sehe mich aufgrund meines sozialpädagogischen Hintergrundes eher als Fachjournalistin und das ist eine authentische Möglichkeit, meine langjährige Berufserfahrung in meine Medienarbeit integrieren zu können. Anders würde das für mich nicht funktionieren, weil es Bereiche und Akteur*innen im Journalismus gibt, mit denen ich hadere und mit denen ich mich weniger identifizieren kann. Mein Fernseh-Team entdeckte mich damals auch tatsächlich an meinem Arbeitsplatz, an dem ich als Sozialpädagogin aktiv war. Der MDR war zu Besuch in unserer Einrichtung und wollte ursprünglich dort eine Langzeitdoku zur Rehabilitation blinder Menschen drehen, dann kam aber alles anders. Das Team wurde von der damaligen Chefetage auch in mein Büro geschickt. Ich hatte als erblindete junge Frau wohl einen für die Sendung relevanten Blick auf die Dinge und durch meinen Gothic-Style einen selbstbestimmten Look. Das veranlasste die Fernsehmenschen spontan dazu, die Kamera anzuschmeißen und einen Probedreh mit mir zu machen. Kurz darauf begleitete mich die Sendung „Selbstbestimmt!“ dann für ein erstes Portrait in Beruf und Alltag und kam sogar mit aufs Wave-Gotik-Treffen. Danach erhielt ich die Anfrage der Redaktion, ob ich Lust hätte, prominenten Menschen aus Sicht einer blinden Frau unkonventionelle Fragen zu stellen. Kameras und mich verbindet eine tiefe Konträrfaszination. Deshalb war mein erster Gedanke: „Mit Menschen arbeiten kann ich, das ist ja mein Beruf. Promis sind Menschen, ich muss eben nur die Kameras vergessen.“
Styling und “Blindenbrille”
Wenn ich heute gefragt werde, was ich an meiner Fernseharbeit als besonders herausfordernd empfand, dann war es sicher die Kontroverse an sich, als blinde Frau überhaupt für ein visuelles Medium zu arbeiten. Aber diese Aufgabe habe ich gern angenommen. Es gehörte zum Konzept, dass ich für meine Looks selbst verantwortlich war. Das bedeutete, dass ich mich, ohne prüfend in den Spiegel schauen zu können, immer wieder eigenen Kleiderschrankfragen stellte. Ich kam ja schon fernsehfertig angezogen zum Drehort und wenn wir mehrere Themen produzierten, hatte ich zwei oder drei Outfits dabei, die auf den Punkt sein mussten. Das war aufwändig für mich, denn ich plante das alles eigenständig zuhause und stellte mir im Kopf vor, was wie vor der Kamera wirken könnte. Ein Fauxpas passierte mir nur einmal, als ich in der Eile zwei verschiedenfarbige High Heels einpackte, die sich auf den ersten Griff relativ gleich anfühlten. Ein kleiner Schmerz ist, dass mich das Publikum im Laufe der Jahre erwachsener werden sah, während ich meine Beiträge ja selbst nie anschauen konnte. Das bedeutete auch Kontrollverlust. Sollte ich irgendwann mal sehen können, wäre ich sicher schwer überrascht, wie sich das alles visuell so darstellte.
Zu meinen Visagistinnen hatte ich einen engen Dialog. Make-up und Haare stimmten wir passend zu meinen Looks ab. Manchmal hatte ich Freude an diesem optischen Aufwand, hielt er mich doch in Verbindung mit der sehenden Welt, manchmal wurde er mir zur Last, ging es mir doch um den Inhalt. Und warum mussten Moderatorinnen sich überhaupt so viele Gedanken um Ihre Optik machen, sogar ich als Blinde, während das bei Männern in der Maske viel schneller erledigt war? Heute reibe ich mich zunehmend an diesem Klischee. Eine intensive Zeit in meinem Leben ging es mir aber eben gerade darum zu zeigen, dass mir meine Optik nicht egal ist, nur weil ich nicht sehen kann. Diese Hintergrundprogramme liefen bei mir immer mit. Anfangs wehrte ich mich auch dagegen, meine Augen hinter einer dunklen Brille zu verstecken, besonders, wenn es andere von mir erwarteten. Die Idee, eine „Blindenbrille“ aufzusetzen, wurde immer mal wieder an mich herangetragen, um dem Publikum besser vermitteln zu können, dass ich nicht sehen kann. Inzwischen trage ich die Brille selbstbestimmt, das war aber ein Prozess.
Herausforderungen und Lösungen
Herausfordernd waren für mich auch zu optisch gedachte Ideen, die ich zwar immer gern ausprobierte, die aber oft blind nicht funktionierten. Hier mussten meine Teams und ich experimentieren, um herauszufinden, was für eine blinde Moderatorin authentisch ist. Für unser erstes Intro sollte ich z.B. auf einer großen Freitreppe, wie auf einem Schwebebalken, eine lange Stufe quer entlang balancieren. Das sah zwar interessant aus, mir wurde dabei aber ziemlich schwindlig. Inzwischen bin ich etwa genauso lange blind, wie ich sehen konnte. Damals war ich frisch erblindet und entsprach innerlich oft eher der Sehenden in mir, als der Blinden. Jetzt ist es umgekehrt. Sehendes Verhalten künstlich zu imitieren ist mir inzwischen fremd geworden. Das Fixieren der Kamera ist z.B. ohne Sehrest auf Dauer extrem mühsam, weil es unnatürlich für blinde Augen ist. Mir wurde von dieser Konzentration regelrecht übel. Wir lernten, dass die Kameras meinen Blick einfangen müssen, nicht mein Blick die Kameras. Mein Team gewöhnte sich ab, mir gegenüber mit Handzeichen zu kommunizieren und verbalisierte für mich relevante Abläufe. Außerhalb unserer Sendung arbeitete ich nur sehr ausgesucht für andere Formate und blieb bei meinen bewährten Produktionsfirmen.
Manchmal nahmen meine prominenten Gäste hilfesuchend Blickkontakt zum Kamera-Team auf, statt zu mir. Sie mussten sich erst daran gewöhnen, mit einer blinden Moderatorin zu sprechen, die ihre Mimik und Gestik nicht sah. Der größte Teil meiner Gesprächspartner*innen konnte sich aber sehr gut in die Interview-Situation fallen lassen. Oft wurde mir sogar rückgemeldet, dass meine Art dazu einlud, sich auch tiefsinnigeren Fragen zu stellen. Unsere Sendung hatte damals noch keine Audiodeskription. Ich bat meine Gäste in meinen „SonntagsFragen“ deshalb immer, sich selbst optisch zu beschreiben. Das fiel sogar Menschen, die sehr visuell arbeiteten, oft nicht leicht. Ich war manchmal ein bisschen traurig, wenn so eine Antwort kam wie: „Ich habe zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf“. Ob man einen sehenden Menschen nach seinem Aussehen fragen darf, wird in der Blindenszene kontrovers diskutiert. Ich fand die Frage für meine Arbeit wichtig, denn gerade bei Personen des öffentlichen Lebens fühlte ich ein Informationsdefizit mangels optischer Beschreibung. Manchmal kannte ich Prominente auch noch aus meiner sehenden Zeit und sie hatten sich inzwischen visuell extrem verändert. Hier wollte ich nicht auf etwas Bezug nehmen, was gar nicht mehr dem aktuellen Bild entsprach. Ironische Antworten irritierten mich, weil ich sie für bare Münze nahm. Mein verbales Herantasten an meinen Gesprächsgast und meine etwas anderen Fragen waren bewusster Teil des Konzepts. Egal ob Schauspieler*innen, Musiker*innen, Sportler*innen oder Politiker*innen, im Vorfeld hatte ich oft viel Bild- und Videomaterial für meine Interviews zu „sichten“. Die Recherche war gerade in den Anfangsjahren noch wenig barrierefrei. Damals konnte ich mit meiner Hilfsmitteltechnik auf viele Webseiten nur eingeschränkt zugreifen. Filme und Bücher meiner prominenten Gäste, die mir zugearbeitet wurden, lagen nicht in blindengerechten Formaten vor. Was ich in meinem 14. Jahr aber endlich noch erleben durfte und wofür ich mich in meiner gesamten Zeit beim MDR gemeinsam mit unseren blinden Zuschauer*innen eingesetzt habe: Die Sendung „Selbstbestimmt!“ hat nun endlich eine Audiodeskription.
Oft versteht man den eigenen Werdegang erst im Rückblick. Als kleines Mädchen hatte ich kein Interesse daran, einmal Prinzessin oder Prima Ballerina zu werden, aber ich stellte mir manchmal vor wie es wäre, eine Fernsehansagerin zu sein. So nannte man das früher. Ich bestaunte die Frauen auf dem Bildschirm, die so versiert auf ihr Blatt und mir dann wieder direkt ins Gesicht blickten. Ich war schon stark sehbehindert und meine Mutter sagte, dass man für diesen Beruf gesunde Augen brauche. Die hatte ich nun wirklich nicht und vergaß diesen Kindheitswunsch, als die Milchzähne ausgefallen waren, über eine sehr lange Zeit. Ich sah mich nicht im Fernsehen und fokussierte mich später, mit einsetzendem Erblindungsprozess, darauf, Sozialpädagogik zu studieren. Heute bereitet es mir großes Vergnügen, dem kleinen Mädchen von damals ein „High Five“ zu geben.