Gaming für Alle: Barrierefreie Spiele

Aus der Vogelperspektive blickt man auf Melanie Eilert, eine weiße Frau mit blauen Haaren, die im Rollstuhl sitzt und diverse Gaming-Controller auf ihrem Tisch hat.
Melanie Eilert ist seit Jahren leidenschaftliche Gamerin und testet Spiele auf ihre Barrierefreiheit. | Foto: Anna Spindelndreier I Gesellschaftsbilder.de
Lesezeit ca. 8 Minuten

Wie barrierefrei ist Gaming? Karina Sturm hat mit Gaming-Expertin Melanie Eilert und der Projektleiterin von Gaming ohne Grenzen Saskia Moes, über Repräsentation von Menschen mit Behinderung und Barrierefreiheit in Spielen gesprochen.

Einfache Sprache

In diesem Artikel geht es um Gaming. Gaming ist Englisch und heißt: Spielen. Es geht um Computer-Spiele. Und um Spiele für eine Konsole. Eine Konsole ist zum Beispiel: x-box oder Play-station. Viele Menschen spielen solche Spiele. Auch Menschen mit Behinderung.

Zum Spielen braucht man einen Controller. Das ist die Fern-bedienung.
Mit ihr kann man das Spiel steuern. Das heißt: Die Menschen oder die Dinge im Spiel bewegen. Für Menschen mit Behinderung gibt es auch Controller. Ihre Controller sind manchmal ein bisschen anders. Sie wurden verändert. Warum? Damit sie auch mit der Behinderung alles gut steuern können. Das ist gut. Sie können dann mitspielen.

Welche Spiele kann man mit Behinderung spielen? Das testet Gaming ohne Grenzen. Sie wollen heraus-finden: Mit welcher Behinderung kann man das Spiel gut spielen? Und sie wollen heraus-finden: Wo sind die Grenzen? Zum Beispiel: Wenn man taub ist. Das bedeutet: Man hört nichts. Dann ist wichtig: Gibt es Unter-titel? Unter-titel sind Schrift. Wenn jemand spricht, erscheint sie unten im Bild. Man kann dann unten lesen: Was wird gesagt? Man bracht also keinen Ton. Und wenn es keine Unter-titel gibt? Dann kann eine taube Person das Spiel nicht so gut spielen. Auf ihrer Webseite kann man nach-lesen: Welche Spiele sind für welche Behinderung gut?

Diese Spiele haben gut abgeschnitten: Tilt Pack und The Last of Us II.

Halb Deutschland zockt

Fast jeder zweite Deutsche ist Gamer, bestätigt der Jahresbericht des Verbands der deutschen Game-Branche. Jedes Alter ist vertreten und knapp die Hälfte der Spieler*innen sind weiblich. Insgesamt 4,4 Milliarden Euro wurden 2018 rund um Gaming in Deutschland umgesetzt – ein immens großer Markt. Auch Menschen mit den verschiedensten Behinderungen sind Teil dieser Community und möchten genau wie andere Gamer die neuesten Spiele ausprobieren – mit unterschiedlichem Erfolg.

Unterschiedliche Behinderungen, unterschiedliche Barrieren

Melanie Eilert hat ihre Leidenschaft für das Gaming bereits in der Kindheit entdeckt. Sie lebt mit spinaler Muskelatrophie, eine Behinderung, die hauptsächlich ihre Mobilität betrifft. “Ich war sechs Jahre alt, als ich zu Weihnachten einen Super Nintendo geschenkt bekommen habe. Als Kind habe ich viel gespielt, aber irgendwann ging das nicht mehr so gut, wegen der Kraft in den Händen und der Mobilität”, sagt Melanie. Damals gab es nur wenig Optionen zur Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen, weshalb sie bis 2017 eine Gaming-Zwangspause einlegen musste. “2017 habe ich ein Spiel entdeckt, über das gesagt wurde, dass es Einstellungen anbiete, die es auch mit eingeschränkter motorischer Funktion gut spielbar machten. Das habe ich ausprobiert und das hat ganz gut geklappt”, erinnert sich Melanie. Seitdem testet sie alle möglichen Spiele auf deren Barrierefreiheit und stellt die Ergebnisse auf ihren Blog.

Was eine Person in Bezug auf Barrierefreiheit braucht, ist ganz unterschiedlich und kommt auf die jeweilige Behinderung an. Melanie kann zum Beispiel keine Spiele auf dem Computer spielen, da ihr Tastatureingaben nicht möglich sind.

Eine Frau sitzt im Rollstuhl. Sie hat einen sidecut und blau gefärbte Haare. Vor Ihr sind verschiedene Spiele-Controller.
Gaming-Expertin Melanie Eilert. Foto: Anna Spindelndreier I Gesellschaftsbilder.de

Außerdem ist für die junge Frau das sogenannte Button-Mashing, bei dem eine Taste über einen längeren Zeitraum in schneller Abfolge, konstant gedrückt werden muss, nicht möglich. “Und generell ist alles schwierig, was eine schnelle Reaktion erfordert”, sagt Melanie. “Außerdem ist für mich wichtig, dass Tasten nicht gedrückt gehalten werden müssen, wenn noch eine andere Taste dazu kommt, zum Beispiel beim Zielen und Schießen.”

Der Xbox Adaptive Controller macht Gaming barrierefreier

Melanie erzählt, dass eine der hilfreichsten Erfindungen in der Gaming-Welt der Xbox Adaptive Controller sei. “Der hat mir viel erleichtert,” sagt sie. Der Xbox Adaptive Controller ist eine Art zentrale Schnittstelle, an die alle möglichen Schalter, Tasten und Joysticks angeschlossen werden können, um die jeweiligen Spiele für verschiedene Nutzer mit eingeschränkter Mobilität spielbar zu machen. Entwickelt wurde das Gerät von Spencer Allen, einem querschnittsgelähmten Ingenieur, in Kooperation mit Organisationen wie der Cerebral Palsy Foundation. Neben dem Adaptive Controller gibt es noch diverse andere Angebote von Microsoft, der Firma, der auch Xbox gehört, wie z. B. einen Controller, der mit den Füßen gesteuert werden kann. Wie Microsoft beziehen viele vor allem größere Firmen heute Menschen mit Behinderungen in die Entwicklung ihrer Spiele mit ein und legen Wert auf Barrierefreiheit.  

Gaming für Alle: PBS macht es vor.

Der internationale Vorreiter zum Thema Barrierefreiheit ist der öffentliche US-Sender PBS, der bereits seit Jahrzehnten daran arbeitet, alle Angebote des Senders möglichst divers and barrierefrei zu gestalten. Mit Kinderserien, die Charaktere mit allen möglichen Behinderungen zeigen – von Autismus, über Angsterkrankung zu körperlichen Behinderungen ist fast alles dabei – und Onlinespielen, die eine Vielfalt an Einstellungen anbieten, um Barrieren zu reduzieren, ist PBS im internationalen Vergleich oft voraus. Doch auch in Deutschland wird Barrierefreiheit im Gaming immer wichtiger.

Das Logo von PBS Kids. Unter dem Schriftzug ist ein grüner, grinsender Smiley. Drumherum sind kreisrunde Ausschnitte der bekannten Figuren des Senders.

Barrierefreiheit und Inklusion: PBS KIDS, ein Vorbild für alle Medien

Seit mehr als 50 Jahren versucht der US TV-Sender PBS (Public Broadcasting Service) alles, um für ein breites Publikum möglichst zugänglich und barrierefrei zu sein und insbesondere Kinder mit Behinderungen einzubeziehen. Karina Sturm sprach für das ABILITY Magazine mit der Vizepräsidentin von PBS KIDSs Digital Sara DeWitt über die Maßnahmen, wie Sendungen und Onlinespiele für Kinder mit unterschiedlichen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden und testete einige der Lernspiele mit großer Freude selbst.

Weiterlesen »

Ein Projekt, das gerade im Bereich Gaming für Kinder mit Behinderungen in Deutschland etwas verändern will, ist Gaming ohne Grenzen, eine Initiative der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW, die sich an Jugendliche zwischen 12 und 27 Jahren richtet. Saskia Moes, die derzeit noch im Masterstudiengang Erziehungswissenschaften steckt, leitet das Projekt Gaming ohne Grenzen. “Das ist unser erstes Inklusionsprojekt. Wir testen mit Jugendlichen mit und ohne Behinderung zusammen digitale Spiele auf Barrierefreiheit”, sagt Saskia. “Wir schauen dabei, welche Hürden es in Spielen gibt und wie wir diese gemeinsam oder mit Technologien und Einstellungsmöglichkeiten überwinden können.” Die Ergebnisse werden auf einer barrierefreien Website festgehalten, die auch vollständig in leichter Sprache verfügbar ist. “Das war uns ein großes Anliegen, damit auch jede*r die Spielebeurteilungen lesen kann. Wir hoffen, dass wir so unsere Zielgruppe besser erreichen können”, erklärt Saskia.

Saskia ist seit ihrer Kindheit selbst Gamerin und hat mit Gaming ohne Grenzen ihr Hobby zum Beruf gemacht. “Unser Ziel mit dem Projekt ist: Wie können alle mitspielen? Wie haben wir alle gemeinsam Spaß? Wir wollen Inklusion leben.”

Das Logo von "Gaming ohne Grenzen": Schwarze Großbuchstaben auf weißem Hintergrund, bei denen drei durch ein grünes Dreieck, einen orangenen Kreis und ein lila Viereck mit Grinsegesichtern ersetzt wurden.
Foto: Gaming ohne Grenzen

Insgesamt gibt es derzeit fünf Spieletestgruppen in Köln und Umgebung, die sich normalerweise einmal pro Woche in inklusiven Einrichtungen treffen, um Games zu testen. Durch die COVID-Pandemie musste das Projekt vorerst auf virtuelle Treffen reduziert werden. “Die meisten unserer Tester*innen sind Jugendliche mit Lernschwierigkeiten. Wir haben aber auch ein paar Tester*innen mit körperlichen Behinderungen”, sagt Saskia.

Die Testkriterien: Die Tester*innen bewerten die Spiele anhand von vier Kriterien: Hören, Verstehen, Sehen und Steuern.

  • “Beim Hören geht es darum, ob man das Spiel auch spielen kann, wenn man nicht gut hören kann. Das heißt: Sind Untertitel vorhanden und sind diese Titel gut lesbar? Gibt es visuelles Feedback, wenn Geräusche von einer bestimmten Seite kommen?”, erklärt Saskia.
  • Wie verständlich ein Spiel ist, hängt davon ab, ob man zum Beispiel Schwierigkeitsstufen einstellen kann und wie komplex die Story ist. “Kann ich beispielsweise auch im Spiel einstellen, was schwierig sein soll und was nicht? Kann ich einstellen, dass ich nicht so knifflige Rätsel haben möchte?”
  • Beim Kriterium Sehen geht es darum, ob Kontraste einstellbar sind und Dinge größenverstellbar; ob Farben unterschieden werden müssen (z. B. rot und grün).
  • “Das Kriterium Steuern achtet darauf, ob die Sensibilität im Spiel eingestellt werden kann. Kann ich abstellen, dass ein Knopf lang gedrückt werden muss oder kann die Tastenbelegung verändert werden?”, erläutert Saskia.

Saskia hat mit ihren Jugendlichen bereits FIFA21, Animal CrossingMario Kart, Minecraft und Rocket League ausprobiert. Keines der getesteten Spiele hat volle Punktzahl. Jedes Spiel kommt mit seinen eigenen Vor- und Nachteilen. “Ein komplett barrierefreies Spiel wäre schön und sollte das Ziel sein, ist aber noch utopisch”, sagt Saskia. Aufgrund der Pandemie musste sich das Projekt im weiteren Verlauf auf kostenlose Onlinespiele beschränken. “Momentan ganz hoch im Rennen ist Among Us und Gartic Phone”, sagt Saskia. “Among Us hat schon einige Probleme gelöst. Anfangs musste man dort farbliche Drähte miteinander verbinden. Dafür wurden jetzt Icons hinzugefügt – Dreiecke und Vierecke – damit man die Drähte auch dann unterscheiden kann, wenn man Probleme mit den Farben hat”, erklärt Saskia. “Man merkt schon, dass die Entwickler*innen da hinterher sind, aber es sind noch genug Hürden zu finden.”

Positive Beispiele für Barrierefreiheit in Spielen

Ein Spiel für Jugendliche, das laut Saskia gut abgeschnitten hat, ist Tilt Pack, bei dem man bunte Klötzchen von einer Plattform stoßen muss. “Das hat eine One-Button-Steuerung, das heißt ich muss nur den Joystick benutzen”, erklärt Saskia. Negativ aufgefallen ist, dass das Spiel sehr bunt ist und zu viel im Hintergrund passiert. “Sonst ist es leicht zugänglich und verständlich.”

Ein Spiel für Erwachsene, das besonders viele Optionen zur Barrierefreiheit bietet ist The Last of Us Part II. Mit über 60 extra Einstellungen kann das Playstationspiel The Last of Us II so angepasst werden, dass es für viele Menschen mit Behinderungen zugänglich ist. “Die Entwickler haben drei Jahre lang mit Menschen mit Behinderungen zusammengearbeitet, um das Spiel so hinzukriegen”, sagt Melanie. “Das ist sogar von Leuten spielbar, die komplett blind sind, obwohl es Shooter-Elemente hat.” Naughty Dog, die Entwickler des Spiels, die wie Playstation selbst zu Sony gehören, haben mit The Last of Us II gezeigt, was möglich ist, wenn Barrierefreiheit zur Priorität wird.

Wie sieht es aus mit behinderten Charakteren?

Sicher ist die Barrierefreiheit erstmal vorrangig, um Menschen mit Behinderungen den Zutritt zur Gamingwelt überhaupt zu ermöglichen, doch die Spieler wollen sich auch von den Charakteren der Games repräsentiert fühlen und gerade in diesem Bereich mangelt es. “Die Repräsentation von Menschen mit Behinderungen in Spielen ist – so wie überall – eher wenig und eher schlecht”, sagt Melanie. Und das, obwohl es so wichtig ist, Behinderung zur Norm werden zu lassen. “Frauen mussten sich in der Vergangenheit immer damit anfreunden, dass es nur männliche Charaktere in Spielen gab, während sich Männer darüber beschweren, dass es heute mehr Frauenrollen gibt. So ähnlich ist das mit Charakteren mit Behinderungen auch. Obwohl es sicherlich auch Spaß macht, einen behinderten Charakter zu spielen.”

Ein Screenshot eines Videocalls mit vier Teilnehmenden: Drei dunkelhaarige, weiße Frauen und ein weißer Mann mit braunen Haaren. In der Mitte ist das Logo von "Gaming ohne Grenzen".
Die Projektmitarbeiter*innen von Gamingohne Grenzen: Karolina Albrich (oben rechts), Julius Ricken (unten links), Saskia Moes (oben links) und Mara Schulze (unten rechts). Foto: Gaming ohne Grenzen

Dennoch gibt es positive Beispiele. Eines davon ist z. B. das Spiel Spider-Man: Miles Morales. “Ein Nebencharakter ist gehörlos und gebärdet und das wird mittels Untertitel übersetzt”, erklärt Melanie. Außerdem zeigt das Spiel Avengers einen Charakter im Rollstuhl. “Dafür wurde eine Person mit motion capturing aufgenommen”, erklärt Melanie. Schlechte Repräsentation gibt es natürlich auch. Ein Beispiel ist Life is Strange, eine Serie von Abenteuerspielen, in denen der Spieler durch bestimmte Entscheidungen verschiedene Handlungsstränge in der Zukunft erzeugen kann. “In einer der Zukünfte ist die beste Freundin des Hauptcharakters in einen Unfall verwickelt gewesen und dadurch querschnittsgelähmt und sie bittet dann ihre Freunde um Hilfe dabei, sich das Leben zu nehmen”, sagt Melanie. Ein klassischer und erschreckender Stereotyp, der das Leben mit einer Behinderung darstellt, als wäre es nicht lebenswert.

Melanie als auch Saskia arbeiten täglich daran, dass Spiele für alle zugänglich werden und dass sich eine wachsende Zahl von Menschen in den Charakteren wiedererkennen kann. Doch nach wie vor muss sich viel verändern, um dieses Ziel zu erreichen. “Ich würde mir mehr und bessere Zusammenarbeit wünschen. Entweder, dass Menschen mit Behinderungen direkt mit ins Team geholt werden oder dass man mehr mit Externen zusammenarbeitet”, schlägt Melanie vor. “Ich würde mir wünschen, dass Barrierefreiheit selbstverständlich wird und man nicht mehr drüber reden muss, dass alle Zugang zu digitalen Spielen haben und gemeinsam spielen und Spaß haben können”, endet Saskia.

Das waren starke Zeilen? Dann gerne teilen!

2 Antworten

  1. Life is strange als Negativbeispiel zu nennen finde ich falsch. Unter behinderten Menschen gibt es genauso depressive oder suizidale Tendenzen. Warum sollte man das unter den Tisch kehren, weil es unangenehm ist? Wer das Spiel gespielt hat weiß wie schrecklich diese Szene war. Trotzdem stellt sie ein individuelles Schicksal dar, generalisiert aber Behinderung nicht. So zu tun als wäre mit Behinderung alles Friede Freude Eierkuchen ist einfach nicht die Realität, es gibt viele Menschen die damit auch nicht klar kommen. Viele Grüße, eine Behinderte

  2. Zugänglichkeit – dieses so wichtige Thema! und selbstverständlich für die Personen vorrangig die “mit Behinderung” leben. Aber es wird oft vergessen wie sehr Zugänglichkeit – die etwa durch Projekte wie Gaming ohne Grenzen und Inklusionsansätze voran getrieben werden – uns allen nützt! Der Senior der auch nicht an Computerspiele traut weil er schlecht hört sieht oder langsamer geworden ist, die absolute Newbie die gern auch das hoch gelobte neuste Spiel probieren will, die Spielerin mit Kindern die nebenbei auf was anderes achten muss, der Spieler dem die gesprochene Sprache fremder ist aber mit Untertitel zurecht käme etc.
    oder auch ganz “simpel” der die Spieler, die einfach mehr Auswahl Variation und Gestaltungsmöglichkeit möchte.
    Ganz zu schweigen von Inhalten und Repräsentation:
    Anti-Held°innen sind so beliebt – und dennoch sind “Behinderungen” meist nur Zeichen um den Bösewicht zu markieren??

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert