Was bleibt, wenn Entscheidungen an einem vorbeigehen, Einladungen nicht ausgesprochen werden und Fürsorge plötzlich wie Bevormundung wirkt? In dieser Kolumne schreibt Natascha Höhn über die leisen Stiche des Nicht-gefragt-Werdens und über die laute Erkenntnis, dass echte Inklusion erst beginnt, wenn Menschen nicht nur mitgedacht, sondern auch mit einbezogen werden.
Die Frage, die zu spät kommt
„Warum werde ich nicht gefragt?“ – Diese Frage kommt bei mir leise, oft hinterher. Wenn Entscheidungen schon gefallen sind. Wenn Gespräche ohne mich stattfinden. Wenn es heißt: „Wir wollten dich nicht belasten“ und ich spüre: Ich war nicht gemeint. Nicht vorgesehen. Und immer die Frage: Wollte man sich nicht mit mir auseinandersetzen?
Aus Rücksichtnahme? Vielleicht. Aber wo verläuft die Grenze zwischen Fürsorge und Bevormundung?
Zwischen Schonung und Ausschluss?
Ich bleibe zurück mit einem miesen Gefühl im Bauch. Habe ich etwas falsch gemacht? War ich zu laut? Zu direkt? Zu viel? Oder einfach nur störend?
Diese Fragen sind Gift. Sie entstehen aus einem alten Reflex: sich selbst infrage zu stellen, wenn andere uns nicht einbeziehen.
Die fehlende Einladung
Neulich erst: Eine Runde von Bekannten plant ein gemeinsames Wochenende. Ich bekomme es durch Zufall mit. Irgendwo zwischen „Hast du den Schlafsack eingepackt?“ und „Wer fährt mit wem?“
Keiner hat mich gefragt. Vielleicht weil ich im Rollstuhl sitze. Vielleicht, weil man „Rücksicht nehmen“ wollte. Weil barrierefreie Unterkünfte schwer zu finden sind und man sich auf Aussagen zur Barrierefreiheit nicht immer verlassen kann?
Aber was wäre gewesen, wenn man mich gefragt hätte?
Vielleicht hätte ich gesagt: „Ja, ich komme gerne mit.“
Vielleicht auch: „Ich schaffe es diesmal nicht, aber danke, dass ihr mich fragt.“
Doch die Einladung kam nicht.
Und das fühlt sich nicht nach Schonung an. Es fühlt sich nach Ausschluss an. Nach: „Sie würde alles nur komplizierter machen.“
Ausschlussmomente
Ein anderes Mal, im Café. Ich sitze mit Freundinnen zusammen, wir sprechen über ein geplantes Event. Ich höre zu, nicke, lächle, bis plötzlich der Satz fällt: „Wir klären das später noch.” Will heißen: ohne Natascha.
Stille. Mein Herz rutscht kurz nach unten.
Ich sage nichts. Nicht aus Zustimmung, sondern weil mir in diesem Moment die Worte fehlen. Weil das nicht ausgesprochene „ohne“ in mir widerhallt wie ein Donnerschlag.
Zu Hause schlagen mir die Worte noch lange gegen die Brust. Ich denke: Bin ich so kompliziert? Und für meinen eigenen Seelenfrieden denke ich: War nicht böse gemeint. Erst später fällt mir ein, was ich hätte sagen solle:
„Ich möchte nicht, dass ihr für mich entscheidet. Fragt mich bitte. Ich kann selbst antworten.“
Ich lerne noch, solche Sätze nicht erst in Gedanken, sondern im Moment auszusprechen. Ich übe … wahrscheinlich ein Leben lang.
Alltägliche Übergriffigkeiten
Und dann gibt es die kleinen Situationen, fast unscheinbar.
Menschen, die mir ungefragt die Jacke überstreifen wollen, weil „es draußen sicher kalt ist“. Fremde, die meinen Rollstuhl schieben, ohne zu fragen – als wäre mein Körper ein Projekt. Oder das gut gemeinte „Hier ist ein schöner Platz für dich“, während ich einen ganz anderen Platz angepeilt hatte.
Es sind keine bösen Gesten. Aber sie sind verletzend. Sie sagen: Man weiß schon, was gut für mich ist.
Und ich sitze dann da, zwischen Dankbarkeit und einem dicken Kloß im Hals.
Wenn Entscheidungen fremdbestimmt werden
Nicht falsch verstehen: manchmal ist es total entspannend, wenn jemand anders die Entscheidung trifft und man sich dankbar fügen kann. Aber wenn es so selbstverständlich wird, als wäre es die natürlichste Sache der Welt – da hab ich Bauchgrummeln.
Und ja, die Enttäuschung sitzt tief.
Warum Ausschluss sichtbar macht, was vorher verdeckt war
Ent-Täuschung. Ein großes Wort. Ein ehrliches. Denn sie nimmt die Täuschung, dass alles gut ist, solange wir still sind und uns fügen.
Aber sie fühlt sich trotzdem nicht gut an. Enttäuschung brennt. Sie macht einsam. Verbittert. Und sie weckt ein starkes Bedürfnis: gesehen zu werden. Gehört. Geachtet.
Auch mit Behinderung. Auch wenn etwas mehr Rücksicht nötig ist. Aber nicht weniger Mitsprache.
Warum Beteiligung entscheidend ist
Denn wer nicht gefragt wird, wird nicht ermächtigt. Und wer nicht gefragt wird, fragt sich irgendwann selbst nicht mehr: Was will ich eigentlich? Was denke ich? Was brauche ich gerade?
Es ist ein schleichender Prozess. Erst wird man übersehen, dann überhört … und irgendwann glaubt man selbst, man sei besser still.
Doch ich habe mir geschworen: Ich bleibe nicht unsichtbar oder still. Ich habe diverse körperliche Einschränkungen, aber ich habe Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche.
„Ich will gefragt werden“
Echte Inklusion ist mehr als Barrierefreiheit.
Inklusion bedeutet Räume, in denen Menschen nicht nur anwesend sind, sondern wirklich beteiligt.
Ich habe gelernt: eine fehlende Frage bedeutet nicht mein fehlender Wert.
Sie bedeutet nur, dass Menschen manchmal vergessen, dass Rücksicht nicht ohne Dialog funktioniert.
Dazu gehört Mut. Und Klarheit. Von allen Beteiligten.
Auch den Mut und die Klarheit zu sagen:
„Ich w i l l gefragt werden. Ich habe eine Stimme. Und sie zählt.“
Selbstbestimmung heißt nicht nur „dazugehören dürfen“, sondern auch „dazugehören wollen … und gefragt werden, bevor entschieden wird.“
Da geht noch was. Und zwar mit uns. Nicht über uns.