Teil 2: Keine „richtige“ Frau? Abrechnung mit dem Helferkomplex

Logo Die Neue Kolumne von Jennifer Sonntag mit einem mintgrünen Hintergrund
Lesezeit ca. 4 Minuten

Was macht eine gleichberechtigte Beziehung aus – und warum wird ausgerechnet behinderten Frauen oft abgesprochen, „Gebende“ zu sein? In Teil 2/3 ihrer Kolumne berichtet Autorin Jennifer Sonntag von stereotypen Zuschreibungen, ungleichen Maßstäben und dem Kampf um Selbstermächtigung.

Helferkomplex, wirklich?

Ich hatte meinen Partner kennengelernt, als er Keyboarder meiner damaligen Lieblingsband war. Ungern erinnere ich mich daran, dass nach einem Konzert eine Psychologiestudentin aus seinem Dunstkreis an ihn herangetreten war, um ihn über seinen Helferkomplex zu unterrichten. Mich hatte das sehr verletzt, denn Menschen gingen oft davon aus, mein Freund style mich für Events, käme für mich auf und versorge mich. Dabei hatte ich erfolgreich ein damals noch alles andere als barrierefreies Studium absolviert und arbeitete inzwischen bereits seit einigen Jahren in meinem Beruf als Sozialpädagogin, die ihr eigenes Geld verdiente. Für meinen Stil war ich auch selbst verantwortlich und wenn wir ausgingen, schenkte mir mein Freund maximal einen kurzen Lippenstiftkontrollblick. Ich war subkulturell umtriebig und vielbeschäftigt. Die gemeinsame Leidenschaft für die Gothic-Szene, für Musik und Literatur, unsere Werte und Haltungen hatten uns zusammengeführt und sie waren Triebfedern unseres Wirkens.

Geld und Vorurteile

Auch wenn Geld ein Thema war, über das wir uns eben nicht definierten, möchte ich es an dieser Stelle aus dem Portemonnaie holen, gerade weil ich als behinderte Frau immer wieder in ein Rollenmuster gepresst wurde, was mir nicht entsprach. Ich habe das oft einfach so hingenommen, weil ich selbst ja wusste, wer ich bin und was ich kann, litt aber unter den reproduzierten Vorurteilen, die sich lange nicht von selbst auflösten. Die Menschen, die meinen Partnern einen Helferkomplex unterstellten, sahen nicht, welchen Teil ich in Beziehungen übernahm, nicht den finanziellen und nicht den sozialen Support. Auch die Männer an meiner Seite brachten ihre Herausforderungen mit, die ihnen nicht, wie in meinem Fall der Blindenstock, anzusehen waren. Oft war ich es, die im Lokal die Rechnung übernahm und manchmal schob ich dem anderen heimlich das Geld zu, damit es so aussah, als ob er zahlte. In monetär schwächeren Zeiten meiner Partner hatte ich den überwiegenden Teil unserer Ausgaben und Anschaffungen gestemmt. Hilfestellungen meines Partners im Haushalt glich ich ebenfalls finanziell aus. Und das spätere Auto, was der Mann an meiner Seite fuhr, war meines. Damit ging ich stets diskret um, finde es aber heute für die Selbststärkung behinderter Frauen wichtig, diese Investitionen transparent zu machen. Außenstehende können sich oft nicht vorstellen, dass auch eine behinderte Frau eine Unterstützung sein kann. Was die finanzielle Seite angeht, darf man mich nicht falsch verstehen und gar glauben, ich sei besonders privilegiert gewesen. Ich wuchs im Plattenbau auf und entsprang keinem Akademiker*innenhaushalt. Als sehbehinderte Studentin durfte ich wegen der Eingliederungshilfe nichts ansparen. Da ich zwischen hochgradiger Sehbehinderung und Erblindung schwebte, bekam ich jedoch noch keine blindentechnischen Hilfen erstattet und musste viele Ausgleiche von meinem wenigen Geld selbst zahlen. Sozialpädagogik hatte ich auch nicht studiert, weil ich in diesem Beruf richtig viel Schotter machen würde. Nachdem ich diesem Tätigkeitsfeld viele Jahre die Treue gehalten hatte, war ich in den letzten Jahren durch einen neuen Abteilungsleiter so erheblich durch Bossing betroffen, dass ich schwer erkrankte. Und meine Fernseharbeit? Mit einer Vorstellung kann ich auch aufräumen: Ich habe beim Fernsehen kleine Honorare bekommen und nie so viel verdient, wie Menschen in dieser Branche normalerweise verdienen. Obwohl ich am längsten dabei war, habe ich im Vergleich zu männlichen Mitstreitern mit Behinderung, am Ende am wenigsten erhalten. 

Ungleiche Maßstäbe

Ich bin froh, nie von einem Mann finanziell abhängig gewesen zu sein und mir fällt es heute noch schwer, Geschenke anzunehmen, da ich mich gegen die Rolle der Nehmenden wehre. Aber es fühlt sich schon fair an, dass mein Partner und ich uns nun seit einigen Jahren unbelasteter in unsere Ausgaben hinein teilen können und ich lerne zu genießen, auch mal die Eingeladene zu sein. Was mich wundert ist jedoch, dass mir im Laufe meines Lebens immer wieder Männer begegneten, die ihre nicht behinderten Frauen tatsächlich unterhielten, hier von außen aber kein Helferkomplex unterstellt wurde. Das funktioniert sogar im großen Stil und ist eher positiv konnotiert: der Mann finanziert das Haus, den Urlaub, das Hobby, die Beauty-Behandlungen etc.
Auch hatten mich einige Reaktionen auf mein Buch „Hinter Aphrodites Augen“ nachhaltig irritiert. „Mann“ wunderte sich, dass ein großer Teil der blinden Frauen, die darin zu Wort kamen, Ausbildungen durchlaufen hatten, sich in vielseitigen Projekten engagierten, berufstätig und sogar verpartnert oder verheiratet waren. Gerade weil Frauen mit Behinderungen noch immer in vielen Bereichen der Teilhabe benachteiligt sind, in der Bildung, auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheitssystem, in der Altersvorsorge, beim Schutz vor sexualisierter Gewalt, gilt ihnen aus meiner Sicht Respekt dafür, dass sie diese  Hürden ganz selbstverständlich parallel zu ihren Alltagsanforderungen stets mitnehmen müssen. Statt das anzuerkennen, wurde auch hier unverblümt gefragt, ob ein Mann, der sich auf eine solche Frau einließ, wohl einen Helferkomplex habe. Selbst wenn sich eine behinderte Frau zehnmal mehr bemüht, um sich aus sämtlichen Rollenklischees freizuschwimmen, wird es immer Menschen geben, die sie nicht als vollwertig akzeptieren. Ich bin inzwischen auch dagegen, dass sie diesen Kampf kämpfen muss. Ich frage mich mit einem Augenzwinkern: Dürfte sich eigentlich auch eine blinde Beauty-Queen von Mister Big in seinem Haus auf Teneriffa das Leben versüßen lassen und ist das dann kein Helferkomplex? Ich jedenfalls bin nicht auf der Suche nach Mister Big, aber manchmal eine kleine Beauty-Queen, wovon ich u.a. im dritten Teil meiner Kolumnenreihe erzähle.  

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