Jedes Jahr findet am 21. März der Internationale Tag gegen Rassismus statt. Wir sprachen mit Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland über Rassismus in der Gesellschaft und welche Schritte Politik und Zivilgesellschaft dagegen tun können.
Die Neue Norm: Am 2. März 2020 fand der elfte Integrationsgipfel statt. Verbände und Teilnehmende kritisierten, dass das Haupthema nur wenige Wochen nach dem rassistischen Anschlag in Hanau die “Vorintegration im Herkunftsland” war und nicht Rassismus in Deutschland. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Tahir Della: Die Integrationsdebatte führt am Ziel vorbei, weil immer wieder gefragt wird, wie die Menschen zu integrieren sind, die in Deutschland bereits in der zweiten und dritten Generation leben. Die Frage sollte eher lauten: Was muss sich verändern und welche Debatten müssen in der Gesellschaft geführt werden, die immer noch von rassistischen Vorbehalten, Diskriminierungen und Ausgrenzungen geprägt ist.
Auch über die Ergebnisse des Gipfels wurde nicht viel berichtet…
Soweit ich weiß müssen die beteiligten Gremien das Protokoll der Sitzung noch veröffentlichen. Spannend war für mich, dass Frau Merkel für ihre Äußerungen auf der Pressekonferenz gefeiert wurde, in der sie fragte, wie lange Schwarze Menschen ihre Herkunft noch erklären müssen. Das war für die Öffentlichkeit und Medien vielleicht erstaunlich, aber die NGOs der Schwarzen Communities haben dies schon seit mehr als 30 Jahre problematisiert und und eine Änderung des Selbstverständnisses in Deutschland gefordert.
Es muss klar werden, dass wir eine Gesellschaft sind, die sowohl eine jahrhunderte lange Präsenz Schwarzer Menschen hat als auch von Migration geprägt ist. Wir müssen also mehr darauf schauen, wo die Probleme insgesamt liegen für Schwarze Menschen, Migrant*innen, People of Color und Zugewanderte in dieser Gesellschaft. Die Mehrheitsgesellschaft tut sich immer noch schwer, deren Existenz zur Kenntnis zu nehmen und zu sehen, dass sie ein Teil der Gesellschaft sind – dies wird immer wieder in Frage gestellt.
Wie lange muss sich eigentlich jemand fragen lassen, ob er oder sie integriert sei? - Kanzlerin #Merkel nach dem 11. #Integrationsgipfel der Bundesregierung mit einer persönlichen Antwort auf diese zentrale Frage. pic.twitter.com/yseUxxq3Jw
— Steffen Seibert (@RegSprecher) March 2, 2020
Was kann die Mehrheitsgesellschaft tun, um den Menschen zu zeigen, dass sie dazugehören?
Zuhören und hinschauen und in einen selbstkritischen Dialog treten. Mit welchen Ausgrenzungsmechanismen und Diskriminierungen sind die genannten Gruppen konfrontiert? Es beginnt bei diskriminierender Sprache und endet bei Gesetzen. Der Diskurs sollte nicht von der Mehrheitsgesellschaft geprägt sein, die sagt, wo es lang geht.
Man muss anerkennen, dass die Gesellschaft eine Gesellschaft der Vielen ist und dies muss positiv besetzt und nicht als Problem dargestellt werden. Horst Seehofer hat vor kurzem gesagt, die Migration sei die Mutter aller Probleme. Diese Äußerung zeigt seine Grundhaltung und nun hat er sich selbst als Rassismusbeauftragter empfohlen. Da frage ich mich schon, ob er sich noch daran erinnert, was er vor einem halben Jahr gesagt hat.
Was können Politiker*innen tun, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken?
In ihren Reden haben die Politiker*innen gesagt, die Anschläge in Halle, Hanau und der Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke wären Zäsuren. Dabei finden diese Taten immer wieder statt, in den 80ern, 90ern, 2000ern und sie werden auch weiter stattfinden, wenn wir uns nicht ernsthaft mit den Ursachen beschäftigen. Jetzt fangen sie erst an, die Rechte und rassistische Gefahr ernst zu nehmen und waren zum ersten Mal bereit, von Rassismus zu sprechen. Bisher wurde immer von Ausländerfeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit gesprochen.
Diese Begriffe legen fälschlicherweise nah, die Ursache der Anschläge läge bei Migrant*innen, Schwarzen Menschen und People of Color und nicht bei der Mehrheitsgesellschaft, die sich mit den rassistischen Verhältnissen umfassend beschäftigen sollte. Nach Hanau wurde zum ersten Mal ziemlich schnell von rassistischer Gewalt gesprochen wurde und auch das ist ein Ergebnis einer zivilgesellschaftlichen Debatte. Vor fünf Jahren hätte man die Tat noch als ausländerfeindliche Tat abgetan. Die Menschen in Hanau waren nicht nur faktisch keine Ausländer, es waren Menschen, die dort geboren und aufgewachsen sind. Aber nicht nur das, sie waren Teil der Gesellschaft.
Wie gegen #Rassismus vorgehen? Farhad @DilmaghaniF, Vorsitzender DeutschPlus e.V, fordert ein Kabinett gegen Rassismus. Die pol. Gegenmaßnahmen sollten zur Chefinnensache erklärt werden, da es keine Zäsur, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. #Hanau pic.twitter.com/rKDT41lqyE
— phoenix (@phoenix_de) February 27, 2020
Brauchen wir die Benennungen wie Migrant*innen, People of Color, Einwanderer noch?
Die Gesellschaft der Vielen geht davon aus, man brauche diese Markierungen nicht mehr, um Menschen zu beschreiben. In ihren Augen sollten solche Kategorien abgeschafft werden. Aber: solange diese Begriffe zum Ausdruck bringen, welche Erfahrungen Menschen machen, fürchte ich, brauchen wir sie noch.
Ein Ergebnis des Integrationsgipfels ist ein Kabinettsausschuss gegen Rassismus. Doch in diesem befinden sich nur nicht betroffene, weiße Minister*innen…
Und deshalb bringt das nichts, solange die Betroffenen nicht maßgeblich eingebunden werden. Damit meine ich keine Runden-Tisch-Formate, bei denen sie mal ihre Meinung sagen können und dann ziehen sie die Entscheidungsträger*innen zurück und treffen Entscheidungen. Es muss um die Erfahrungen und Perspektiven der Betroffenen gehen. Diese müssen Grundlage sein von gesetzlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen. Wir brauchen verbindliche Strukturen, in denen Betroffene mitbestimmen. Ohne die Erfahrung von Betroffenen gibt es keine Veränderung der Verhältnisse. Es ist fatal, wenn man die Erfahrungen nicht hat und trotzdem Entscheidungen fällt. Diese gehen dann an den Bedürfnissen vorbei.
Den guten Willen dabei möchte ich ihnen gar nicht absprechen. Es geht aber trotzdem darum, dass jahrzehntelange Forderungen der Betroffenen nicht ernst genommen wurden. Jetzt fallen uns die nicht geführten Debatten auf die Füße und die Entscheidungsträger*innen erhoffen sich trotzdem, schnelle Entscheidungen herbeizuführen. Es geht nicht ohne die Menschen, die bislang nicht gesehen und nicht gehört werden, damit muss Schluss sein.
Können Gesetze helfen?
Die Erfahrungen der Menschen müssen einklagbar sein. Sie müssten klagen dürfen, wenn sie rassistisch beleidigt werden. Gerade wurde ein Urteil gefällt, dass das N-Wort unter bestimmten Umständen benutzt werden darf.
Beim Racial Profiling also rassistischen Polizeikontrollen wird immer nur geprüft, ob sie gemäß Polizeiaufgabengesetz rechtens sind. Es ist in Deutschland ganz schwer gegen rassistische Diskriminierung auch gerichtlich vorzugehen, weil es nirgends wirklich reingeschrieben ist.
Antisemitismus ist z.B. sehr gut verfolgbar – das hat aber leider in Deutschland auch nicht zum Verschwinden von Antisemitismus geführt, aber zumindest habe ich da die Handhabe.
Im Artikel drei des Grundgesetzes steht nicht, dass niemand diskriminiert werden darf sondern nur “nicht benachteiligt”…
Das führt dazu, dass Rassismus auch immer noch als eine individuelle Erfahrung abgetan wird. Institutionen und Strukturen wie Polizei, Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, Bildung werden außen vorgelassen und nicht als Teil des Problems wahrgenommen. Rassismus sei immer nur ein Problem der Rechten heißt es oft, aber es ist nicht nur die AfD und das spiegelt das immer noch sehr verengte Rassismusverständnis wider.
Bei Menschen, die keinen Rassismus erfahren, herrscht noch die Vorstellung vor, bei Rassist*innen handele es sich immer um Nazis, die Menschen angreifen…
Als Betroffene muss man den Handelnden eine Intention nachweisen, dass sie rassistisch gehandelt haben, das ist fatal. Denn es lässt außer Acht, dass Menschen auch ohne Intention rassistisch handeln können. Der Grund hierfür ist einfach und dennoch so schwer zu akzeptieren; wir werden unser Leben lang mit rassistischen Konzepten, Vorstellungen und Annahmen gefüttert und diese Prägungen sind maßgeblich für unseren Umgang mit Schwarzen Menschen. Sie bestimmen die Sprache, die Vorstellungen und die Strukturen und müssen alle auf den Prüfstand. Wir müssen verlernen und neu lernen, wie die Gesellschaft ist und wie sie sein soll. Der Umgang mit Menschen mit Rassimuserfahrung ist vergleichbar mit anderen diskriminierten Gruppen.
Wenn zum Beispiel Frauen sexistische Verhältnisse kritisieren, dann wird gesagt, sie seien zu empfindlich oder hätten es falsch verstanden. Es wird nicht ernst genommen, weil man sich in seiner gesellschaftlichen Struktur angegriffen fühlt. Es einzugestehen, dass man diskriminierend handelt, ist für viele schwer. Daran scheitert auch die Debatte.
Wie bekämpfen wir den institutionellen Rassismus?
Durch den NSU wurde deutlich, wie umfassend Ermittlungsbehörden und Verfassungsbehörden in ihrer Arbeit von rassistischen Grundvorstellung geprägt sind. Naiv wie ich bin, hatte ich geglaubt, dass das eine Debatte über institutionellen Rassismus eröffnet. Stattdessen wurden weder Verfassungsschutz, Polizei, Kriminalämter, Staatsschutz, noch Staatsanwält*innen, die diese Taten ermöglicht haben, zur Rechenschaft gezogen. Als Ergebnis ist faktisch nichts aufgearbeitet worden. Akten wurden für über 100 Jahre weggeschlossen, Täter wurden freigelassen oder erst gar nicht angeklagt und das Netzwerk bleibt bestehen und mordet weiter, wie wir in jüngster Zeit gesehen haben.
Nach Hanau haben viele Politiker*innen die gleichen Reden gehalten wie nach dem Auffliegen des NSU. Es wurden die gleichen Versprechungen gemacht und Aufklärung angekündigt. Aber all das passiert nicht, es scheitert am Widerstand der Strukturen, am Unwillen die Debatten umfassend zu führen. Eine Aufarbeitung findet nicht statt.
Nach der Selbstenttarnung des NSU wäre eine umfassende Auseinandersetzung möglich gewesen. Diese Chance wurde verhindert und durch das Verfahren in München begraben. Besonders deutlich wird dies, wenn wir uns anschauen wie ein Volker Bouffier sein Mitleid über den Anschlag beteuert und gleichzeitig Akten, die zur Aufklärung der NSU Taten führen könnten, für 120 Jahren wegsperren lässt.
Was gibt Ihnen trotzdem Anlass zur Hoffnung?
Bei der Benachteiligung von Frauen ist es schon durchgesickert, dass man die Diskussionen nicht ohne sie führen kann, obwohl es in Teilen immer noch stattfindet. Bei anderen Gruppen ist es leider noch anders. Es gab beispielsweise ein Kongress zur Kolonialgeschichte, bei der keine Schwarzen Wissenschaftler*innen oder Personen aus den betreffenden Staaten da waren. Das geht nicht. Die Ausrede “niemand hatte Zeit” darf nicht mehr gelten.
Es ist für viele Menschen wahrscheinlich schwierig, Fehler einzugestehen…
Es geht nicht um Beschuldigungen, sondern die Übernahme der Verantwortung für unser eigenes Handeln und für die gesellschaftlichen Zustände. Ich muss mit meinen 58 Jahren immer wieder überprüfen, ob mein Verhalten gegenüber Frauen problematisch ist. Wenn Frauen mich darauf hinweisen, dass mein Verhalten nicht in Ordnung war, geht es nicht darum, welches meine Gefühle dabei sind, sondern darum, dass durch mein Verhalten sich jemand diskriminiert fühlt. Ich bin derjenige, der sich fragen muss, woran das liegt. Es ist also keine Schuldfrage, sondern eine Frage der Verantwortung.
Wollen wir in einer Gesellschaft leben in der Diskriminierung stattfindet oder nicht? Wenn nein, müssen wir bei uns selbst anfangen, bei unserer persönlichen Haltung, die wir auch in die gesellschaftlichen Strukturen reintragen. Denn die Strukturen haben auch beim NSU gezeigt, dass bis auf eine Person niemand gesagt hat ‘Bei den Ermittlungen stimmt etwas nicht, wir müssen schauen, ob die Taten doch von rechts kommen, so wie die betroffenen Verwandten und Freund*innen es von Anfang an gesagt haben.’ Es kann nicht sein, dass es dort kaum jemanden gab, der diese Frage stellte. Vielen ist auch nicht bewusst, dass es auch um Sprache geht, mit der man sensibel sein und Haltung zeigen sollte.
Der Anschlag in Hanau ist einen Monat her, wie kann man das in Erinnerung behalten?
Die Sonntagsreden, die nach Hanau stattfanden, haben mich eins zu eins erinnert an die Reden nach dem Auffliegen des NSUs. Es waren zum Teil die gleichen Worte, die gleichen Versprechungen. Wenn das nicht in den Medien präsent bleibt und aufgeklärt wird, dass das keine einzelne Taten sind und dann zu den Akten gelegt wird, dann fürchte ich wird es in Vergessenheit geraten.
Über den NSU spricht auch kein Mensch mehr, außer die Betroffenen und diejenigen, die es nicht in Ordnung fanden, wie es gelaufen ist. Die Medien spielen eine große Rolle, dass das nicht in Vergessenheit gerät: Was hat die Zäsur des NSU gebracht? Der Fokus auf Rechtsextreme ist nicht falsch, ich bin froh, wenn es da weitergeht. Die Überwachung der AfD vom Verfassungsschutz genügt nicht, es muss weiter gehen. Die Nazistrukturen und Netzwerke müssen zerschlagen werden, Nazis müssen entwaffnet und umfassend verfolgt werden. Die NGOs versuchen seit 30 Jahren Aufklärungsarbeit zu leisten, mit Gesetzesgebern ins Gespräch zu kommen und organisieren Kampagnen um es in Erinnerung zu halten.
Aber sind dann nicht immer die betroffenen Menschen in der Bringschuld, Andere aufzuklären?
Klar, aber die Betroffenen sollten nicht immer den Erklärbär spielen müssen. Die Erfahrungen, die mit Schmerz verbunden sind, immer und immer wieder auf den Tisch zu legen um zum Nachdenken anzuregen, muss Grenzen haben. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die von Rassismus oder Diskriminierung betroffen sind, anhand ihrer eigenen Erfahrung immer wieder erklären müssen, wie schmerzvoll das Ganze ist, das muss auch ohne gehen. Es muss reichen, wenn man auf eine Diskriminierung hinweist. Dann darf es keine Diskussionen á la ‘das kann man so oder so sehen’ geben.
Ganz konkret: Wie kann man mit Menschen sprechen, die uneinsichtig weiter das N-Wort benutzen?
Ich antworte dann immer: das ist auch meine Sprache. Eine weiße Person verbindet damit keine Diskriminierung, das kann ich gelten lassen, aber eigentlich hat sich das doch schon rumgesprochen, dass man dieses Wort nicht mehr benutzt. Außerdem muss man verstehen, dass sich Sprache auch verändert. Wir müssen diskriminierende und rassistische Begriffe entnormalisieren und deutlich machen, dass sie auch früher diskriminierend waren, weil sie Fremdbezeichnungen sind. Jede Person muss sich fragen, will ich mit meiner Sprache diskriminieren oder will ich dazu beitragen das unsere Gesellschaft vorn Rassismus befreit wird?
Tahir Della, 58, ist Mitglied der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland – ISD Bund e.V.“ und Trainer bei glokal e.V.