Gute und authentische Repräsentation von Menschen mit Behinderung in den Medien ist Mangelware. Darüber hinaus fehlt oft der Zugang zu Kinos, Theatern oder Orten der Kulturlandschaft. Doch warum ist das so, wer kann was dagegen tun und welche Rolle spielen behinderte Medienmacher*innen dabei? Karina Sturm begibt sich auf die Suche nach Antworten.
Sam ist 40 Jahre alt und Rollstuhlfahrerin. Heute will sie zum ersten Mal seit Jahren ins Kino gehen, denn gerade wird ein Film ausgestrahlt, in dem die Hauptfigur dieselbe Behinderung hat wie Sam.
Ins Kino geht sie generell nur selten, denn die meisten haben nur begrenzte Plätze für Rollstuhlfahrer*innen. In der Regel sind das auch nicht die besten Plätze. Viele Einrichtungen haben Stufen oder die Toilette ist nicht barrierefrei. Nichts davon ist auf der Website gelistet, sodass Sam erst einmal das Kino kontaktieren muss, um all diese Details zu erfragen. Da kann einem schon die Lust vergehen. Sie ruft im Kino an. Der Fahrstuhl ist defekt. Kein barrierefreier Zugang zum Saal. Sie bieten an, Sam die Stufen nach oben zu tragen. Murrend nimmt sie das Angebot an. Nach rund 20 Minuten im Film verlässt Sam das Kino. Der Hauptcharakter strotzt nur so von Klischees und spiegelt Sams Realität so gar nicht wider.
So oder so ähnlich geht es vielen Menschen mit Behinderungen. Gute Repräsentation in den Medien ist Mangelware und überhaupt fehlt oft der Zugang zu Kinos, Theatern oder Orten der Kulturlandschaft. Doch warum ist das so, wer kann was dagegen tun und welche Rolle spielen behinderte Medienmacher*innen dabei?
Stereotypen & Repräsentation
„Du bist ja so inspirierend“ oder „Sie leidet unter…“ – das sind die zwei beliebtesten Stereotypen in den Medien, die alle behinderten Menschen kennen. Personen mit Behinderungen werden bevorzugt entweder als Übermenschen/Held*innen oder als arme, leidende Opfer beschrieben, um ihre Leben für nicht behinderten Konsument*innen interessant zu machen. Diese Narrative sind ausgelutscht und für Betroffene frustrierend, doch trotz Gegenwehr werden sie immer wieder verwendet.
Gerade eben erst kritisierten deutsche Aktivist*innen Schauspieler Wotan Wilke Möhring, der als Hauptdarsteller in der „inklusiven“ Komödie „Weil wir Champions sind“ einen Basketballtrainer eines Teams von Menschen mit Lernschwierigkeiten spielte. Nicht nur unterstrich der Film die typischen Stereotypen, sondern gleichzeitig sprach Möhring in einem Interview mit der Berliner Zeitung davon, dass er behinderte Menschen nicht „behindert“ nennt, sondern lieber von „inklusiven Gemeinschaften“ spricht. Sie forderten Möhring auf, anstatt für sie, mit ihnen zu sprechen, was mit dem Slogan „Nothing about us without us“ (Nichts über uns, ohne uns) seit vielen Jahren kritisiert wird.
Behinderte Medienmacher*innen
Wären Menschen mit Behinderungen in allen Medienbereichen beteiligt – sei es als Schauspieler*innen vor der Kamera oder hinter den Kulissen – dann gäbe es viele der Beispiele für schlechte Repräsentation nicht. „Gelebte Erfahrung verbessert Repräsentation. Wenn eine nicht behinderte Person eine behinderte Person darstellt, wird meist die Meinung der Gesellschaft über behinderte Menschen wiedergegeben. Das entspricht nie der Realität. Nichtbehinderte Schauspieler*innen spielen nur die Behinderung, nicht den eigentlichen Charakter“, sagt die britische Schauspielerin Cherylee Houston, die für ihre Rollen als Izzy Armstrong in „Coronation Street“ und als Maz in der BBC Radio 4-Comedyserie „Tinsel Girl“, bekannt ist. Houston lebt mit dem Ehlers-Danlos-Syndrom und ist Rollstuhlfahrerin. „Die Meinung der Gesellschaft über Behinderung und insbesondere über bestimmte Behinderungen ist so weit von der Wahrheit entfernt. Und genau hier liegt der Unterschied darin, ob eine Schauspieler*in mit der gleichen Behinderung eine Rolle spielt oder nicht. Denn nur wenn behinderte Schauspieler*innen auf der Leinwand auftauchen, können wir die typischen Klischees ausräumen und dafür sorgen, dass sich nicht-behinderte Menschen mit behinderten Menschen identifizieren können“, fügt die Schauspielerin hinzu.
Fehlende Zugänge
Die Repräsentation vor der Kamera hat sich in vielen Bereichen bereits verbessert. Zum Beispiel gibt es deutlich mehr Taube Charaktere in Filmen und TV, die auch von Tauben Menschen gespielt werden. Doch einfach wird es den Medienschaffenden selten gemacht. „Wenn ich heute auf einige der Dinge zurückblicke, die ich am Anfang meiner Karriere erlebt habe, frage ich mich oft: ,Wie konnte das überhaupt passieren?´ Zum Beispiel erinnere ich mich an den Tag, an dem ich am Set aufgetaucht bin und mir gesagt wurde, dass man meine*n Dolmetscher*in weggeschickt hat, weil sie angeblich jemanden am Set hätten, der fließend gebärdet. Als die Person dann bei mir im Trailer aufgetaucht ist, konnte sie kaum das Alphabet“, erzählt Schauspielerin Shoshannah Stern, bekannt für ihre Rollen in „Weeds“ und „Supernatural“. „Außerdem wollte das Studio einmal, dass ich mit einer/m Logopäd*in arbeite, um meinen „tauben Akzent“ loszuwerden. Da hatten die Produzent*innen wohl nicht verstanden, dass eine taube Person, die einen tauben Charakter spielt, anders spricht, als eine hörende Schauspielerin.“
Houston teilt Erfahrung wie diese. „Zu Beginn meiner Karriere habe ich mehrere Jobs nicht bekommen, als sie gemerkt haben, dass ich behindert bin. Ich habe auch schon auf Parkplätzen vorgesprochen, weil das Set nicht barrierefrei war oder habe mich draußen in einem Zelt im Regen geschminkt, weil der Green Room (Aufenthaltsraum für Schauspieler*innen am Theater oder Filmset, Anm. d. Red.) im Obergeschoss war. Alle haben versucht zu unterstützen, aber immer so getan, als würden sie mir damit einen Gefallen tun, anstatt mich als gleichwertig anzusehen und die Barrieren abzubauen“, erzählt Houston.
Denn nur wenn behinderte Schauspieler*innen auf der Leinwand auftauchen, können wir die typischen Klischees ausräumen und dafür sorgen, dass sich nicht-behinderte Menschen mit behinderten Menschen identifizieren können.
Untertitel, Audiodeskription & Leichte Sprache
Und selbst, wenn mal alles vor der Kamera richtig gemacht wurde, gibt es noch eine weitere Hürde: die fehlende Barrierefreiheit für die Konsument*innen. Wie in Sams Beispiel haben viele Rollstuhlfahrer*innen nur begrenzten Zugang zu Veranstaltungen, Kinos und Theatern. Gleichermaßen gibt es für Filme im Kino nur selten Untertitel für taube Menschen und noch seltener Audiodeskription für Blinde. Kinobetreiber*innen hingegen denken, dass sie keine blinden oder tauben Kund*innen haben, weil die nie im Kino auftauchen. Warum auch? Wenn sie doch wissen, dass es nicht barrierefrei zugänglich ist. Ohne ein Angebot auch keine Nachfrage. Auf Streaming-Plattformen wie Netflix sieht es mittlerweile besser aus. Nach langem Kampf stimmte Netflix zu, alle Serien mit Untertitel zu versehen. Viele haben allerdings noch keine Audiodeskription.
Das deutsche Privatfernsehen schneidet im Bereich Untertitel und Audiodeskription noch schlechter ab. Laut einer Erfassung der Medienanstalten im Jahr 2020 sind im Durchschnitt täglich nur vier Stunden des Programms des Senders RTL untertitelt, im Speziellen betrifft das Spielfilme und Fußballspiele. Auch Nachrichten sind oft nicht barrierefrei. Bei ProSieben/Sat.1 waren im selben Jahr 27 % der Inhalte untertitelt. Auch im Bereich Audiodeskription sieht es eher mau aus. Nur wenige bis gar keine Sendung der beiden Mediengruppen bieten Audiodeskription an. Die öffentlich-rechtlichen Sender stehen da schon ein bisschen besser da. Bei der ARD ist die Untertitelung fast lückenlos. Wirklich verpflichtet, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten, sind jedoch weder öffentlich-rechtliche noch private Medienanbieter, denn der Medienstaatsvertrag fordert lediglich die Verbesserung der Barrierefreiheit im Rahmen der Möglichkeiten der Anbieter.
Auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten ist es schwierig sich über aktuelle Geschehnisse zu informieren, denn nur wenige TV-Sender bzw. Zeitungen bieten Nachrichten in Leichter Sprache an. Angebote wie die Website Nachrichten Leicht vom Deutschlandfunk, auf dem die wichtigsten Nachrichten der Woche in Einfacher Sprache veröffentlicht werden, sind die Ausnahme.
Doch es geht vorwärts: auf der ganzen Welt und auch in Deutschland!
Sicher gibt es viel Raum für Verbesserungen, doch immer häufiger wird behinderten Medienschaffenden zugehört, was Schauspielerin Houston während der Pandemie überraschend feststellen durfte. Als Person, die wegen ihrer chronischen Erkrankungen zur Risikogruppe gehörte, war es für die Britin unmöglich, weiterhin mit ihren Kolleg*innen zu drehen. Deshalb beschlossen die Produzent*innen von Coronation Street, das Set einfach zu ihr nach Hause zu bringen und die Storyline dementsprechend anzupassen. „Das Team beschloss meine eigene Isolation und die Tatsache, dass behinderte Menschen nicht am Leben teilnehmen konnten, obwohl die ganze Welt wieder zurück zur Normalität ging, in meinen Charakter zu integrieren. Sie haben zusätzlich sogar meinen Partner als ,Nachbarn’ gecastet. Das Team schickte uns Anleitungsvideos, eine Kamera und die gesamte Tonausrüstung zu mir ins Apartment. Wir hatten einen Regisseur via Zoom, der uns beibrachte, wie man die Technik bedient. Sie haben uns angeleitet, wir haben es gedreht und ihnen dann das Filmmaterial geschickt“, sagt Houston.
Houstons Erfahrung ist sicher eine Ausnahme, was die Barrierefreiheit angeht. Doch auch in Deutschland kommt langsam die Idee an, dass Menschen mit Behinderungen nicht weiterhin benachteiligt werden dürfen. Das deutsche KLAPPE AUF Kurzfilmfestival hat sich darauf spezialisiert, tauben und blinden Personen ein vollumfassendes Kinoerlebnis zu ermöglichen. Alle Filme werden mit Untertitel, Audiodeskription, Gebärdensprachdolmetscher*innen, Schriftdolmetscher*innen und Induktionsschleifen angeboten.
Bottomline: #RepresentationMatters, aber nicht ohne Barrierefreiheit
Keine Frage, Repräsentation ist wichtig – als behinderte Person sieht man sich einfach viel zu selten selbst in den Medien. Fügt man noch andere Identitätsmerkmale hinzu, wäre Sam beispielsweise eine trans oder nicht binäre Person, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich irgendwo wiedererkennt. Genauso zentral ist es, dass Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen der Medienlandschaft eingebunden sind. „Denn es kommt nicht nur auf das Casting an, sondern auch auf die kreativen Entscheidungen: das Schreiben, die Regie und Produktion. Mir ist schnell klar geworden, dass man es als Schauspieler*in alleine wirklich nicht schaffen kann, denn der Cast steht ganz am Ende des Prozesses. Es braucht ein Team, dem man vertraut. Während ich ein großer Fan von behinderten und tauben Schauspieler*innen bin, hoffe ich gleichermaßen in der Zukunft mehr taube oder behinderte Menschen in kreative Positionen um sie herum platziert zu sehen“, erklärt Shoshannah Stern. Und wenn wir endlich an dem Punkt angekommen sind, an dem Menschen mit Behinderungen natürlicherweise in allen Medienbereichen zu finden sind und die Repräsentation der vielen diversen behinderten Personen vor der Kamera akkurat ist, dann fehlt nur noch ein Puzzleteil: barrierefreie Zugänge für ALLE Menschen. Denn schließlich wollen wir, wenn schon mal alles richtig gemacht wurde, auch Zeug*innen der Gleichberechtigung sein, für die wir jahrzehntelang hart gekämpft haben. Eigentlich doch ganz einfach, oder?!
Dieser Artikel ist zuerst in unserem Print-Magazin (18. Mai 2023) erschienen.