Wenn ich mit meinem Rollstuhl unterwegs bin, passiert es mir relativ häufig, dass mir wildfremde Menschen mit Mitleid begegnen. Mittlerweile bin ich bei solchen Begegnungen selbstbewusst und versuche dann, den Blick der mich bemitleidenden Person zu weiten, indem ich darauf aufmerksam mache, wo in unserer Gesellschaft nach wie vor Ausgrenzungen und Diskriminierungen vorliegen, die mich persönlich mehr einschränken als meine Behinderung es tut. Mitleid verortet das Problem alleine im Individuum, das eine Behinderung hat. Die behindernden Strukturen und Einstellungen in unserer deutschen Gesellschaft werden dabei grob vernachlässigt. Doch gerade diese Perspektive könnte Veränderungen hin zu einer inklusiveren Gesellschaft bewirken. So sind es gerade die Barrieren im Umfeld und im Denken, die abgebaut werden können, die verändert werden können. Leider gibt es aber noch viel zu viele Missstände in Deutschland, die die Gleichberechtigung behinderter Menschen untergraben und damit die Rechte, die in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verankert sind, verletzen.
Die UN-BRK ist keine Empfehlung, also kein „Kann man mal machen“, sondern für Deutschland seit 2009 rechtlich bindend. Sie ist geltendes Recht, das nach wie vor in vielerlei Hinsicht nicht umgesetzt wird. Das, was diesem Fakt aber die Krone aufsetzt, ist die fehlende Empörung darüber in unserer Gesellschaft. Empörung und Solidarisierung kann man heute – glücklicherweise – zumindest zu einem großen Maß erkennen, wenn es beispielsweise um die Diskriminierung homosexueller Menschen geht. Auch die Black-Lives-Matter-Bewegung zeigt auf, dass das Bewusstsein für Rassismus und die Solidarisierung mit den Betroffenen in großen Teilen der Welt gewachsen ist, was ich begrüße. Bei Diskriminierungen und Ausgrenzungen, die behinderte Menschen betreffen, ist Derartiges leider noch nicht zu verzeichnen. Dies mag mehrere Gründe haben, wobei fehlende Begegnungsmöglichkeiten wohl am meisten dazu beitragen: So kommt es in Deutschland auf institutioneller Ebene nach wie zu einer strikten Trennung zwischen behinderten und nicht-behinderten Menschen. Die Exklusion ist damit in Deutschland weiterhin stark ausgeprägt, auch wenn das Wort Inklusion in aller Munde ist. Dadurch gibt es zu wenig Kontakt untereinander und in der Folge eine große Unwissenheit bei den nicht-behinderten Menschen über die Lebenswirklichkeiten und erfahrenen Diskriminierungen behinderter Menschen. Sicherlich trägt dazu auch bei, dass sich unsere Gesellschaft grundsätzlich mit den Themen Tod, Krankheit und Behinderung schwer tut, weswegen solche Themen gesellschaftlich und privat gerne einmal verdrängt werden: Die Solidarisierung heterosexueller und weißer Menschen mit Homosexuellen und von Rassismus betroffenen Menschen erschüttert einen nicht notwendigerweise in seiner eigenen Identität. Das gilt vielleicht nicht in gleichem Maße bei der Solidarisierung mit behinderten Menschen, denn schließlich kann jeder jederzeit von einer Behinderung betroffen sein. Eine Solidarisierung erfordert also die aktive und möglicherweise schmerzliche Auseinandersetzung mit seiner eigenen Verwundbarkeit. Aber gerade deshalb wäre es für jeden Einzelnen, rational gesehen, sinnvoll, wenn die Rechte behinderter Menschen umgesetzt würden. Und nicht nur behinderte Menschen profitieren davon, sondern genauso Eltern mit Kinderwagen, Senior:innen und nur zeitweise durch einen Unfall auf zum Beispiel Krücken oder Rollstühle angewiesene Personen. Eine inklusive Gesellschaft wäre letztlich für alle lebenswerter.
Daher: Solidarisiert Euch jetzt mit uns! Seid empört über die mangelnde Umsetzung der UN-BRK! Macht Druck auf die Politik! Eine Möglichkeit dazu bietet nun unsere kürzlich gestartete Petition, die die umfassende und ernsthafte Umsetzung der UN-BRK einfordert, zu finden auf change.org/UNBRKumsetzen oder unter den Hashtags: #UNBRKjetzt und #UNBeschRänKt. Hier besteht auch noch einmal die Möglichkeit, sich näher mit der UN-BRK zu befassen.
Ich brauche Eure Empörung! Jetzt!
2 Antworten
Moechte diesen wichtigen Text gerne weiter verbreiten.
Bitte nochmal drüber schauen, da manche Passagen doppelt erscheinen.
Vielen Dank für den Hinweis, wir haben den Text aktualisiert.
Liebe Grüße