Barrieren machen fett

Das Logo von Die Neue Norm auf orangem Grund. Rechts davon steht: Die Neue Kolumne. Unten steht: Von Désirée Pekaou.
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Es piept, ich wache auf. Ein kurzer, automatisierter Blick aufs Handy verrät mir neben der Uhrzeit – 7:12 Uhr und damit für Studentinnen wie mich quasi tiefe Nacht – den Grund meines Erwachens. Eine WhatsApp Nachricht von Claudia: „Du, sorry, aber ich kann heute nicht kommen, fühle mich echt nicht gut.“ Na super, denke ich mir, die Woche fängt ja schon mal toll an. Auf den Stress am Morgen brauch ich erst mal Nervennahrung: Schokolade. Während ich ein Toffifee esse, schreibe ich in die WhatsApp Gruppe meines Assistenten-Teams: „Claudia fällt heute aus, ich brauche dringend einen Springer für 10:00 Uhr. Bitte meldet euch“. Anders als erhofft, aber durchaus wie erwartet, meldet sich niemand. Klar, meine Assistentinnen sind selbst fast alle Studentinnen und genau wie ich in diesem Punkt klischeebedienend: Sie schlafen noch. Also telefoniere ich sie einzeln ab. 4 Anrufe, 2 Toffifee und 30 Minuten später: Endlich erfolgreich, Katharina springt ein. Der Tag ist gerettet!

Nach dem üblichen Morgenprogramm sitzen Katharina und ich in der S-Bahn Richtung Uni – heute ist Montag, Modul 8 bei Herrn Kaufmann. Uns gegenüber sitzt eine ältere Frau, sie guckt mitleidig, setzt zum Sprechen an, und ich ahne, was jetzt kommt – oh Gott, schnell die Stecker in die Ohren, denke ich, doch zu spät, da kommt es schon: „Wissen Sie, ich hatte mal den Oberschenkel gebrochen, und da war ich auch 3 Wochen im Rollstuhl, ich weiß genau wie das ist.“ „Aaaja“, entgegne ich und versuche sichtlich angestrengt, freundlich zu bleiben. 2 Haltestellen, 3 Toffifee – Gott sei Dank gibt’s Tupper – und eine Lebensgeschichte weiter sind wir endlich da. Jetzt aber erstmal zu Rewe gegenüber, Toffifee-Nachschub besorgen, den ich jetzt dringend brauche. Zurück in der Uni. Heute hat Herr Kaufmann den Tisch sogar schon hingestellt – ja, wir sind im Hörsaal und ja, die Reihen sind terrassenförmig gestaffelt, links und rechts Treppen. Ergo ein Extra-Tisch, für mich direkt vor dem Pult. Folge: 40 Leute starren mir in den Nacken und einem (dem Prof) sitz ich quasi auf dem Schoß. Frust, Toffifee.

Nach dem Seminar. Ich checke mein Handy. Eine WhatsApp Nachricht von Louis, meinem Sanitätshaus-Mann: „Es tut mir leid, ich weiß ich hab‘ vorgestern gesagt, dein Rolli liegt in den letzten Zügen. Deine Krankenkasse ist da leider anderer Meinung, es gibt keinen Neuen. Wir sollen ihn reparieren. Problem ist nur, ich weiß nicht wie. Er ist zu alt, es gibt keine Ersatzteile mehr.“ Diese Nachricht braucht drei Toffifee auf einmal. „Okay, auf in den K(r)ampf. Widerspruch an die Krankenkasse, wird gemacht.“, antworte ich in der Bahn, auf dem Heimweg. Kaum runtergeschluckt kommt die nächste Hiobsbotschaft, eine Durchsage der Bahn: „Aufgrund von technischen Störungen im S-Bahntunnel fahren wir außerplanmäßig überirdisch von hier aus direkt zum Südbahnhof.“ Der Südbahnhof hat keinen Fahrstuhl – 2 Toffifee. Das bedeutet eine unvorhergesehene Abenteuerreise. Wer weiß, wie viele Stationen wir noch abfahren müssen, bis ich an einen Fahrstuhl komme. Abgesehen davon brauche ich so langsam aber sicher eine Behindertentoilette. Ich frage mich, ob mein Toffifee-Vorrat ausreicht. Rationierung ist angesagt. Katharina, mit diesen Situationen vertraut, ist bereits auf bahn.de. „Wir haben Glück, es sind nur 2 Stationen Umweg bis zum nächsten Fahrstuhl“, verkündet sie mit leicht gequältem Grinsen. Ein Toffifee. Gefrustet fahren wir, Katharinas Plan folgend, also in die für uns falsche Richtung. Angekommen stellen wir fest: Der Fahrstuhl ist defekt, und ein Behindertenklo gibt es auch nicht. Wieder nur ein Toffifee, ich muss ja haushalten, denn der Weg scheint länger zu werden. Während ich noch kaue, checkt Katharina weiter bahn.de – es folgt ein trauriges Gesicht und die Verkündung: „Wir tuckeln mit dem Bus.“ Am Busbahnhof endlich ein Behindertenklo. Demoliert, daher nicht abschließbar, aber immerhin. Katharina steht Schmiere. 3 Umstiege, 22 Stationen, 4 Stunden und 6 Toffifee später. Endlich zu Hause angekommen, mache ich mich an den Widerspruch für die Krankenkasse. In meinen Adern fließt Nougat. Heute, Montag. Morgen wird alles anders! Dienstag ist Chips-Tag.

Die Situationen begaben sich vor Corona. Alle Namen sind frei erfunden, Ähnlichkeit mit lebenden Personen sind allerdings nicht zu verweigern.

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