Armut trifft viele – Menschen mit Behinderungen trifft es besonders hart. Schlechtere Löhne, keine Möglichkeiten, eine Altersvorsorge zu schaffen, prekäre Jobs und niedrige Renten machen Teilhabe fast unmöglich. Werkstätten sichern kaum ein Einkommen, Alternativen bleiben oft ebenfalls armutsgefährdet. Sarah Schank von JOBinklusive beschreibt, warum das kein individuelles Schicksal ist, sondern ein strukturelles Problem. Sie fordert politische Lösungen, die ein gutes Leben für alle ermöglichen – unabhängig von Leistungsfähigkeit oder Erwerbsstatus.
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Urlaub machen, in einer geräumigen Wohnung wohnen, ein Leben ohne Sorgen und Nöte führen – das wünschen sich viele Menschen. Doch eine Sache haben diese drei Wünsche gemeinsam: Dafür braucht es Geld. Und genau das fehlt vielen (immer mehr). Das gilt insbesondere für Menschen mit Behinderungen, denn sie haben meist weniger Geld und ein höheres Risiko von Armut betroffen zu sein.
Im Teilhabebericht des Bundesministeriums für Arbeit steht dazu: Menschen mit Behinderungen verdienen durchschnittlich 1,38 € brutto pro Stunde weniger als Menschen ohne Behinderungen. Sie besitzen zudem durchschnittlich weniger Vermögen und machen sich häufiger große Sorgen über ihre wirtschaftliche Situation. Zudem sind sie häufiger prekär beschäftigt. Die Lage ist für Frauen besonders schlecht: Frauen mit Behinderungen verdienen weniger als Männer mit Behinderungen und haben es schwerer, beruflich aufzusteigen.
Besonders schwierig ist die Situation für Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen. Dass man von einem durchschnittlichen Entgelt von ca. 225€ im Monat nicht leben kann, versteht sich von selbst. Deshalb erhalten die meisten Werkstattbeschäftigten zusätzlich Grundsicherung und/oder eine Erwerbsminderungsrente. Im Jahr 2019 hatten Werkstattbeschäftigte mit Grundsicherungsbezug in Privathaushalten durchschnittlich 973€ zur Verfügung. Werkstattbeschäftigte, die im selben Jahr eine Erwerbsminderungsrente erhalten haben und ebenfalls in einem Privathaushalt gelebt haben, hatten durchschnittlich 1051€ monatlich zur Verfügung. Zieht man von diesen rund 1000€ die Kosten für Miete, Essen, Telefon, Internet und andere Fixkosten ab, bleibt nicht mehr viel übrig. Das behindert die Teilnahme enorm: Kino, Ausflüge oder mal zu einem Konzert gehen – das bleiben Ausnahmen.
Armut kann langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen haben.
Diese prekäre Lage verhindert nicht nur die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, sondern hat auch schwerwiegende Folgen für die langfristige Lebensplanung. Das verdeutlicht eine Schweizer Studie zum Kinderwunsch von jungen Menschen mit Behinderungen: Für viele Befragte ist ein ausreichendes Einkommen entscheidend, um sich ein Kind vorstellen zu können. Die finanzielle Situation ist für die besonders dann eine Barriere, wenn sie nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten und deshalb wenig Geld verdienen. Der Kinderwunsch könne durch die schwierige finanzielle Situation nur äußerst schwer verwirklicht werden.
Hinzu kommt, dass Armut langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen haben kann. „Armut wirkt sich oft negativ auf die Qualität der Ernährung, die Möglichkeiten zur Regeneration, die Wohnsituation und die medizinische Versorgung aus. Dadurch erhöht Armut das Risiko sowohl für körperliche als auch psychische, insbesondere für chronische Erkrankungen“, heißt es im Schattenbericht von 2025 der Nationalen Armutskonferenz.
Die Unterstützte Beschäftigung punktet mit Inklusion und Selbstbestimmung – zwei grundlegend wichtigen Aspekten.
Alternativen zur WfbM bedeuten nicht automatisch ein Leben ohne Armut.
Menschen mit Behinderungen, die sich für eine Alternative zur Werkstatt für behinderte Menschen entscheiden, können ebenfalls von Armut betroffen sein.
Die Unterstütze Beschäftigung (UB) richtet sich an Menschen mit Behinderungen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten möchten, aber für die sowohl eine Ausbildung als auch eine Werkstatt für behinderte Menschen nicht der richtige Weg ist. Die Teilnehmenden werden zwei Jahre lang in einem Betrieb qualifiziert und unterstützt. Die unterstützte Beschäftigung hat gegenüber der WfbM viele Vorteile: Beispielsweise lernen Teilnehmende inklusiv auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und sie haben eine größere Auswahl an Berufen, weil sie sich nicht auf das Angebot der WfbM beschränken müssen. Die UB punktet also mit Inklusion und Selbstbestimmung – zwei grundlegend wichtigen Aspekten.
Finanziell jedoch bleibt die Lage schwierig. Nur sechs Prozent der ehemaligen UB-Teilnehmenden verdienen später mehr als 14€ pro Stunde. Auch theoriereduzierte Fachpraktiker*innen-Ausbildungen, die speziell für Menschen mit Behinderungen geschaffen wurden, erhöhen das Risiko, von Armut betroffen zu sein. Sie führen häufig in eher gering entlohnte Bereiche wie Land- und Hauswirtschaft, wie der wissenschaftliche Beirat zum Dritten Teilhabebericht der Bundesregierung feststellte. Und wenn Menschen mit Behinderungen mehr Geld haben als es die Vermögens- und Einkommensgrenzen zulassen, müssen sie sich an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligen, wenn sie diese in Anspruch nehmen. Das erschwert es beispielsweise, sich Geld für die Altersvorsorge zurückzulegen und stellt eine Benachteiligung gegenüber Menschen ohne Behinderungen dar.
Also was tun?
Armut ist ein tiefgreifendes gesellschaftliches Problem für Menschen mit und ohne Behinderungen, das die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert. Es braucht politische Lösungen, die ein gutes Leben für alle ermöglichen. Dabei muss es egal sein, ob Menschen arbeiten oder nicht. Ein gutes Leben, Respekt und Anerkennung dürfen nicht an Leistungsfähigkeit oder Erwerbsstatus geknüpft werden. Die aktuelle Debatte ums Bürgergeld geht dabei in die falsche Richtung.
Es widerspricht außerdem den Grundsätzen einer gerechten und inklusiven Gesellschaft, wenn Menschen mit Behinderungen aufgrund der Barrieren, denen sie begegnen, ein höheres Risiko haben, von Armut betroffen zu sein. Deshalb braucht es eine konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Es gilt: Wir müssen gemeinsam und solidarisch für eine bessere Welt kämpfen. Das Recht auf Arbeit und Ausbildung muss immer mit guten Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutz, fairen Löhnen und einer gerechten sozialen Absicherung einhergehen.
Im Beitrag erwähnte Links:
1. Der Paritätische Teilhabebericht 2021 der Paritätischen Forschungsstelle, hier online verfügbar.
2. Der Dritte Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen, S. 216, hier online verfügbar.
3. Die Studie zur Situation von Frauen mit Schwerbehinderung am Arbeitsmarkt im Auftrag der Aktion Mensch, hier online verfügbar.
4. Die Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, S. 55ff. hier online verfügbar.
5. Fachartikel „Um ein Kind zu ernähren, musst du einfach auch einen angepassten Lohn haben.“ von Lisa Schwab und Jana Zurbriggen (Studie über Kinderwunsch von Menschen mit Behinderungen) hier online verfügbar.
6. Schattenbericht 2025: Armut in Deutschland der Nationalen Armutskonferenz, hier online verfügbar.
7. Die Unterstützte Beschäftigung ist unter §55 im Neunten Gesetzbuch geregelt. Den Gesetzestext dazu findet man online hier.
8. Ergebnisse der 11. bundesweiten Umfrage der BAG UB zur Umsetzung der Maßnahme „Unterstützte Beschäftigung“ nach § 55 SGB IX für das Jahr 2022, hier online verfügbar.
9. Die Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, S. 209ff. hier online verfügbar.
10. „Die Leute haben Angst“ von Tobias Schulze am 05.09.2025 Artikel der TAZ, hier online verfügbar.