Weiblich & behindert – die ewigen Karriereunderdogs?

Logo Die Neue Kolumne von Svenja Hartmann auf lindgrünem Hintergrund
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Eine Karriere zwischen Stärke, Klischees und gesellschaftlichen Barrieren. Mit 32 Jahren steht unsere Kolumnistin Svenja Hartmann da, wo viele nie gedacht hätten, dass sie stehen würde – als Frau, mit sichtbarer Behinderung, aus einem nicht-akademischen Elternhaus. Ein persönlicher Einblick in eine akademische Laufbahn und darüber, was es für sie bedeutet, ihren Weg zu gehen, sichtbar zu sein und sich Gehör zu verschaffen.

Karriere mit Gegenwind

Mit 32 Jahren blicke ich bereits stolz auf meinen bisherigen Lebenslauf zurück. Zwei akademische Abschlüsse, fast jährliche Karrieresprünge bis in die oberste Managementebene, die Arbeit als Hochschuldozentin, das Halten von Fachvorträgen in der gesamten Republik vor breitem Publikum. Dann ein verunsicherter Blick in den Spiegel – wie bist du eigentlich bis hierhergekommen?

Weiblich, eine sichtbare Behinderung, kein reiches Elternhaus, Arbeiterkind. Die Karrierechancen könnten intersektional betrachtet kaum schlechter stehen. „Jeder ist seines eigenes Glückes Schmied“ höre ich dann bereits die ersten Stimmen verlautbaren. Natürlich ist der eigene Lebensweg auch von der eigenen Aktivität abhängig, doch geht es bei diesem Satz doch vielmehr darum, das Vorhandensein gesellschaftlicher Barrieren, die von einzelnen Personen am Ende des Tages eben nicht aufgehoben werden können, abzusprechen und Chancengleichheit als Individualproblem zu etablieren.

Ernsthaft – ohne mich wäre ich logischerweise jetzt nicht hier. Rein physikalisch betrachtet wäre das schon ein Absurdum. Ich habe seit den Teenagerjahren hart arbeiten müssen, um heute dort zu stehen, wo ich bin. Härter als andere?

Intersektional unsichtbar?

Schnell überkommen mich zwei Eindrücke: In vielen Begegnungen, vom Kindesalter bis heute, habe ich häufig gespürt, dass die Erwartungshaltung an mich als Person zuerst deutlich abgesenkt wird. Wie von einem Schleier umgeben, scheinen deutliche Hinweise auf ein Abweichen der Norm durch eine mögliche Behinderung direkt die Synapsen anzufeuern, die nur einen geringen messbaren Output von Menschen wie mir erwarten lassen. Denn das bedeutet doch „behindert“ – oder nicht?

Das Widerlegen dieser Wahrnehmung gelingt meist schnell, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass sich diese Erwartungshaltung verkehrt. Ab dann scheint die Anforderung direkt zu steigen. Vielleicht nur ein Glückstreffer von ihr? Kann das sein? Es reichten nie punktuelle Volltreffer. Um die Rolle des Underdogs zu verlassen, muss schon permanent geliefert werden. Vor allem in der Schule. Ich war schon immer laut, aktiv, aufmüpfig und habe Systeme kritisch hinterfragt und auch bei den entsprechenden Personen diese Dinge angesprochen.

Hinter der Fassade der Erfolge und der scheinbaren Selbstbestimmtheit verbirgt sich eine ständige Gratwanderung zwischen Anerkennung und Vorurteil, zwischen Selbstbehauptung und dem Gefühl, immer wieder gegen eine Mauer aus gesellschaftlichen Erwartungen anzurennen.

Allein unter Alphamännern

Doch je mehr ich mich in der Welt bewege, desto deutlicher wird: Das Bild, das von außen auf mich projiziert wird, ist nur die halbe Wahrheit. Denn hinter der Fassade der Erfolge und der scheinbaren Selbstbestimmtheit verbirgt sich eine ständige Gratwanderung zwischen Anerkennung und Vorurteil, zwischen Selbstbehauptung und dem Gefühl, immer wieder gegen eine Mauer aus gesellschaftlichen Erwartungen anzurennen. Und dann ist es auch noch ziemlich einsam: während Männer weiterhin überall die Führungspositionen dominieren, scheint es fast unmöglich, spannende Personen mit unterschiedlichen Diversitätsmerkmalen in den oberen Etagen ausfindig zu machen.

Ich sehe mich nicht als Opfer, das ist keine Rolle, die mir attraktiv erscheint. Warum auch? Ich habe gelernt, die Karten zu spielen, die mir das Leben ins Deck sortiert hat. Diejenigen, die mit der Underdog-Brille auf uns schauen, sind schließlich leichter umzuhauen. Und wenn sie dann noch feststellen müssen, dass sie einen einfach nicht loswerden, dass man selbstbewusst Dinge einfordert, dann gelingt einem auch ein Standing.

Warum unsere Strahlkraft weiter reicht – und wir sie nutzen sollten.

Außerdem ist da noch die zwischenmenschliche, emotionale Ebene. Ich glaube, dessen Wurzeln entspringen auch Klischees – aber nicht alle Klischees müssen immer nur schlecht sein. Mit dem Sichtbarsein, mit der Verkörperung von starker Präsenz und Karriere gepaart mit einem leichten Hang zum Größenwahn, gelingt es uns schneller, Menschen zu inspirieren, zu berühren. Und zwar unabhängig davon, ob das Gegenüber selbst eine Behinderung hat oder nicht.

Die Momente, in denen Menschen mit Behinderungen aus dem gesellschaftlichen Schatten springen, sind starke und wichtige Momente für alle Menschen, die unsicher sind oder Selbstzweifel haben. Die von sich selbst glauben, nicht genug zu sein, nicht reinzupassen. Ich bin überzeugt, dass unsere Strahlkraft funkelnder ist, als die von Menschen ohne Behinderungen. Und das ist etwas, das ich gerne bediene und weiter ausbauen werde. Und einen nebenbei ganz automatisch vom Underdog zum Topdog werden lässt.

Also – man bringe uns unser Diadem, während wir weiter an unseren Karriere-Rampen arbeiten!

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