Inklusive Bildung in der Krise

In einem Klassenraum sitzen drei Schüler:innen an einem Tisch mit einer Lehrkraft, die mit ihnen etwas bespricht.
Für die Inklusion in der Schule braucht es Schulbegleiter*innen. Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
Lesezeit ca. 5 Minuten

Gesundheitsrisiken, mangelhafte Planung und Gehaltsverzögerungen. Nicole Prehn ermöglicht Kindern mit Krankheit oder Behinderung als Schulbegleiterin bessere Bildungschancen. Schon vor der Pandemie gab es dabei große Probleme. Jetzt ist ihre Arbeit gefährdet, wie sie berichtet.

Informationen in einfacher Sprache:

  • Kinder ohne Behinderung gehen oft auf eine andere Schule als Kinder mit Behinderung.
  • Welche Schule man besucht, macht viel aus. Man hat dadurch andere Chancen, welche Jobs man später machen kann. Ein Kind mit Behinderung, das auf eine allgemeine Schule geht, hat bessere Chancen als ein Kind mit Behinderung, das auf eine Förderschule geht.
  • Nicole Prehn ist eine Schulbegleiterin. Das bedeutet: Sie hilft Kindern mit Behinderung in der allgemeinen Schule. Das ist ein wichtiger Beruf.
  • Seit der Coronakrise hat sie Angst um ihren Job. Sie kann nicht richtig planen. Sie hat Angst, krank zu werden. Außerdem kommt ihr Geld manchmal zu spät an. Sie fordert deshalb mehr Aufmerksamkeit und bessere Lösungen.

Ich bin Schulbegleiterin. Ich kümmere mich also darum, dass Kinder mit verschiedensten Krankheiten oder Behinderungen eine Regelschule besuchen können. Ohne mich könnten sie das nicht oder nur erschwert.
Leider werden wir Schulbegleiter*innen von zum Beispiel der Politik oder Lehrer*innen oft vergessen. Die Politik erschwert uns die Arbeit, indem sie Schulen sowie die dort aktiven Träger unterfinanziert. Und die Lehrer*innen sehen uns oft nicht als gleichwertige Kolleg*innen an. Das sollte sich ändern.

Ohne Schulbegleitung geht es nicht

Schulbegleitung bedeutet: Kinder mit verschiedenen Krankheiten oder Behinderungen bekommen eine persönliche Assistenz. Diese ermöglicht ihnen, Regelschulen zu besuchen. Schulbegleitung wird von den Sorgeberechtigten der Kinder beantragt, also zum Beispiel den Eltern oder Pflegeeltern. Schulbegleiter*innen sind bei verschiedenen Sozialträgern angestellt. Die Stellen werden durch die zuständigen Behörden der Bundesländer finanziert.

Wie wir den Kindern konkret helfen, hängt von der Art der Beeinträchtigung ab. Grundsätzlich achten wir darauf, dass die Kinder (fast) regulär am Unterricht teilnehmen können. Wir helfen den Kindern bei Aufgaben oder Gruppenarbeiten, wir achten auf Medikamentengabe und auch die Zusammenarbeit mit Eltern, Behörden und Therapeut*innen ist ein wesentlicher Teil unserer Arbeit.

Bislang begleitete ich vor allem Kinder mit emotionalen Behinderungen, beispielsweise aufgrund von häuslicher Gewalt, zerrütteten Familienverhältnissen oder Fluchthintergrund. Aber inwiefern die Kinder beeinträchtigt sein können, ist grundsätzlich vielfältig: Es können Kinder mit Diabetes, Down-Syndrom, körperlichen Fehlbildungen usw. sein. Demzufolge ist die Liste der möglichen Qualifikationen von Schulbegleiter*innen auch sehr lang und umfasst Erzieher*innen, Heilerziehungspfleger*innen, Krankenpflegepersonal, Ergotherapeut*innen – oder eben Pädagog*innen wie mich.

Von der Antragstellung bis zum ersten Arbeitstag der Schulbegleiter*innen können Jahre vergehen, weil es nicht viele Leute gibt, die diesen Job machen können oder wollen. Für den Fall, dass der*die Schulbegleiter*in und das Kind sich nicht miteinander verstehen, kann zwar gewechselt werden, solche Wechsel sind aber immer sehr umständlich und im Extremfall kann es auch hier wieder Monate dauern, bis ein*e geeignete*r Mitarbeiter*in zur Verfügung steht.

Zwei Kinder sitzen an einem Tisch und machen Hausaufgaben. Eine Frau mit langen schwarzen Haaren beut sich zu dem Mädchen mit Behinderung herunter.

„Behinderte Schüler*innen haben das gleiche Recht auf Bildung”

Während einige Schüler*innen mittlerweile das Home-Schooling wieder gegen den richtigen Schulunterricht eintauschen, haben andere seit sechs Wochen gar keinen Unterricht. Zum Beispiel einige Kinder und Jugendliche mit Behinderung, deren Förderschulen komplett geschlossen bleiben. Ein Interview mit Tina Sander vom mittendrin e.V. aus Köln über Sorgen von Eltern und Erwartungen an die Politik.

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Förderschulen bieten keine gleichwertige Bildung

Inklusion ist seit einigen Jahren in aller Munde. Es liegt mir fern, Förderschulen oder ähnlichen Einrichtungen ihre Berechtigung abzusprechen. Allerdings ist eben auch bekannt, dass Kinder und Jugendliche vor allem dann gute Bildungschancen bzw. Chancen auf eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, wenn sie Regelschulen besuchen. Dies beweist zum Beispiel eine Studie des bayrischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, laut der nur 14 der über 1000 Absolventen des Förderschwerpunktes geistige Entwicklung eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt fanden. Und der zu Unrecht für geistig behindert erklärte Nenad Mihailovic konnte erfolgreich das Land Nordrhein-Westfalen verklagen, da ihm durch den Besuch von Förderschulen Bildungschancen sowie sein Wunsch-Ausbildungsplatz entgangen waren. Die Bildung an Förderschulen ist also nicht gleichwertig. Damit alle Kinder an Regelschulen unterrichtet werden können, braucht es die Schulbegleitung.

Schulbegleitung in der Krise

Im Umfeld Schule arbeiten derzeit alle Beteiligten am Limit. Schüler*innen werden nicht getestet und das Gesundheitsamt des Stadtstaates, in dem ich arbeite, ist gnadenlos überlastet, das erschwert alles zusätzlich. Ständig werden die Stundenpläne oder Hygiene-Vorschriften umgeworfen – und das zusätzlich zum ganz normalen Schulwahnsinn. Das macht das Arbeiten sehr unangenehm. Krankheitsausfälle, die kritische Situation von Kitas und Schulen und die Angst, dass die Sozialträger monatelange Shutdowns und Quarantänen nicht überstehen, plagen mich besonders. Gelegentlich verzögern sich sogar meine monatlichen Gehaltszahlungen, weil sehr viele verschiedene Akteure beteiligt sind. Viele von uns Schulbegleiter*innen haben Kinder. Wir brauchen Planungssicherheit.

Bildungschancen gefährdet

Die Öffentlichkeit muss uns und das gesamte nicht-verbeamtete Schulpersonal endlich mit auf dem Schirm haben. Wir leisten wichtige Arbeit, die derzeit sehr gefährdet ist – genauso wie unsere Gesundheit. Wichtig sind also Ausgleichszahlungen für uns bzw. unsere Trägerfirmen für die Zeit in der wegen der Shutdowns nicht gearbeitet werden kann. Wichtig ist außerdem, dass Politiker*innen sich dafür engagieren, dass es unsere Jobs weiterhin gibt.

Die Kinder in den Klassen, in denen wir Schulbegleiter*innen eingesetzt werden, sind sehr froh über unsere Hilfe. Wir sind eine Art Mentor*in für sie und bauen zu jedem einzelnen Kind eine Beziehung auf. Selbst die Kinder der Klassen, in die ich nicht mehr gehe, stürmen in den großen Pausen auf mich zu und wollen mich umarmen, weil sie froh sind, mich zu sehen. Bei meinen Kolleg*innen ist das genauso. Die Schüler*innen mit Behinderung sind froh, dass wir ihnen Mathe, Deutsch und all die anderen Fächer erklären. Natürlich ist das Ziel, dass sie irgendwann alles oder zumindest fast alles selbst schaffen. Aber bis es soweit ist, brauchen die Schulen Schulbegleiter*innen.

Inklusion in Schulen voranbringen

Damit Inklusion funktioniert, muss die Politik Geld in die Hand nehmen. Nur so kann qualifiziertes Personal gefunden und eingestellt werden. Schulbegleiter*innen brauchen unbefristete und gut bezahlte Arbeitsverhältnisse, um nicht auszubrennen.
Zusätzlich ist für die Förderung körperlich eingeschränkter Kinder eine bundesweite Entlastung der Pflegedienste essentiell, um zu verhindern, dass diese Kinder von der Schule genommen werden müssen, weil für den Aufenthalt dort keine Pflegekapazitäten vorhanden sind. Gerade bei Kindern mit Diabetes passiert das leider viel zu häufig.
Darüber hinaus sollte die Bürokratie, mit der alle an Schulbegleitung beteiligten Akteure zu kämpfen haben, endlich abgebaut werden. Es ist nicht zu verantworten, dass Kinder teilweise dreieinhalb Jahre auf eine unterstützende Kraft warten müssen. Oder dass – wie an meiner derzeitigen Schule – die Mitarbeiter*innen ständig hin- und hergeschoben werden, weil Behörden sich querstellen.

Liebe Politiker*innen, liebe Beamte, liebe Eltern, liebe Lehrer*innen, bitte beachtet uns! Hört uns zu! Wir Schulbegleiter*innen leisten wichtige Arbeit.

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2 Antworten

  1. …genauso läuft es zum Teil…. Die Begleitungen sind erschwert bzw. gehen besondere Risiken ein, da sie auch u.U. Hausbesuche machen, um den Kontakt zu halten.
    Erst jetzt können sie geimpft werden…
    und manche Kostenträger bezahlen nicht alles oder verzögern die Rechnungszahlung…
    keine Anerkennung für die geleistet Arbeit,
    während die “Amtsmitarbeiter*Innen” teilweise im Homeoffice sind und nicht mehr
    aus den Ämtern kommen, Aber die Schulbegleitungen sollen alles leisten – face to face-…
    respektlos…

  2. Genau so ist es, erschwerend kommt dazu, das unsere Arbeit weder ( ich habe keine pädagogische Ausbildung, bin aber selbst Mutter eines behinderten Kindes und begleite seit über 3 Jahren Autisten in Regelschulen) in den Schulen, noch von der Politik, oder den Behörden wertgeschätzt wird,ganz im Gegenteil, man empfindet uns als störend und überflüssig. Seit Beginn der Pandemie wurde mir das Ausmaß der Akzeptanz unseres Berufsstandes erst richtig bewusst, es begann mit Kurzarbeitergeld, weil die Behörden den Unterricht zu Hause nicht unterstützen wollten, dann stellten sich Arbeitgeber,Schulen und Eltern quer, das eine Betreuung im Homeschooling nicht für notwendig angesehen wurde. Es kam zum Kurzarbeitergeld =60-67% vom gesetzlichen Mindestlohn ! Sogar das Landesjugendamt erkennt unserer Arbeit nicht als offene Jugendhilfe an, so das wir keinen Anspruch auf Corona Selbsttests haben ! Kurz gesagt ,in der Gesellschaft der Bürokratie ,sind wir weniger Wert, als das schwarze unterm Fingernagel . Da muss sich etwas ändern ,nicht nur für uns,sondern auch für kommende Kollegen und Kolleginnen, um den Beruf attraktiver zu machen, aber vor allem um die Anerkennung, die jeder von uns Integrationshilfen verdient hat, auch finanziellen Sinne,denn dieser Beruf ist weiß Gott nicht einfach! Wir müssen dringend etwas tun,aber Gemeinsam!

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