“Geld aus einer Hand”, so lautet die aktuelle Forderung von vielen Werkstätten für behinderte Menschen, deren Verbänden und vieler Beschäftigter selbst. Aktuell bekommen Werkstattbeschäftigte Sozialleistungen von einer, oder mehreren, Behörden ausgezahlt und ein geringes Entgelt von der Werkstatt. Um das Zahlungssystem übersichtlicher und unbürokratischer zu machen, entstand die Idee, alle Zahlungen nur noch über die Werkstätten zu tätigen. Das klingt erstmal sehr verlockend. Da kann man eigentlich gar nichts dagegen haben. Für die Beschäftigten soll es einfacher werden und weniger Bürokratie bedeuten. Doch was ist, wenn du gar nicht möchtest, dass dir diese eine Hand das Geld gibt? Von Anne Gersdorff
Informationen in Einfacher Sprache
- Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und deren Beschäftigte fördern “Geld aus einer Hand”.
- Damit ist gemeint: Beschäftigte sollen nur noch Geld von der Werkstatt bezahlt bekommen.
- Bisher bekommen die Beschäftigten Sozial-Leistungen vom Amt und ein “Taschen-Geld” von der WfbM.
- Das Geld vom Amt soll in der Zukunft erstmal an die WfbM gehen.
- Das bedeutet weniger Bürokratie. Bürokratie bedeutet weniger Papier-Kram für die Betroffenen. Das ist gut.
- Doch es gibt auch nicht so gute Sachen daran:
- Menschen müssen der Werkstatt sagen, wie viel Miete sie zahlen. Die Werkstatt ist der Arbeit-Geber. Wir finden den Arbeit-Geber geht das nichts an.
- Es ist dann nicht mehr sichtbar, wie wenig Geld Menschen mit Behinderung von den Werkstätten wirklich bekommen. Die Forderung nach einem Mindestlohn wird schwieriger.
- Es fließt mehr Geld in Werkstätten. Mit diesem Geld können Werkstätten arbeiten. Das erhält das System.
- Wir fordern deshalb lieber Mindestlohn für Beschäftigte der Werkstatt. Das ist Inklusion!
Aktuell erhalten Beschäftigte Sozialleistungen wie die Grundsicherung, bzw. eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Das sind existenzsichernde Leistungen. Dieses Geld für den Lebensunterhalt wird teilweise am Bedarf der Beschäftigten gemessen. Die Person muss dafür angeben, wie hoch die Kosten für ihre Unterkunft sind und dann bekommt sie diese – sofern sie angemessen sind – erstattet. Zusätzlich bekommen Beschäftigte von der Werkstatt ein kleines Arbeitsentgelt, das Werkstatt-Entgelt. Da es so gering ist, wird es von kritischen Stimmen oft als Taschengeld bezeichnet. Dieses leistungsabhängige Werkstatt-Entgelt beträgt durchschnittlich nur etwa 180 € pro Monat. Wer viel leisten kann, bekommt mehr als jemand, der nicht so viel Leistung erbringen kann. Da Behörden in Deutschland nicht gut miteinander kommunizieren, muss man häufig mit jedem Kostenträger einzeln verhandeln, was viel Zeit und Nerven kosten kann. Insofern klingt diese Forderung nach Geld aus einer Hand erstmal unterstützenswert.
Bei genauerer Betrachtung ist diese Vereinfachung nicht so gut, wie man zu meinen glaubt. Die Werkstätten möchten, dass das Geld für den Lebensunterhalt vom Staat erstmal an die sie gehen würde. Die Werkstatt selbst legt dann das “Taschengeld” drauf und zahlt alles auf einmal aus. Dagegen sprechen jedoch zwei Punkte:
Zum einen bedeutet das, dass Werkstattbeschäftigte ihrem quasi Arbeitgeber offenlegen müssen, was sie für Kost und Logie an Ausgaben haben. Dabei unterliegt es doch der eigenen Selbstbestimmung was und wie viel der*die Beschäftigte für Essen und Unterkunft ausgeben will. Ob man in einer großen Wohnung lebt und sich nur hochwertig ernährt oder eher sparsam lebt und dafür vielleicht lieber in den Urlaub fährt, geht den Arbeitgeber nichts an.
Oder weiß Ihr Arbeitgeber, wie hoch Ihre Miete ist?
Zum anderen besteht die Gefahr, dass dann noch weniger transparent ist, wie wenig Lohn Werkstätten tatsächlich an ihre Beschäftigten zahlen. Die Forderung nach einem Mindestlohn für Werkstattbeschäftigte könnte somit klammheimlich umschifft und ausgehebelt werden.
Die Forderung “Geld aus einer Hand” bewirkt auch, dass noch mehr Geld in das System der Werkstätten fließt, da sie kurzfristig zu einer Art Bank werden. Auch wenn sie dieses Geld an die Beschäftigten weitergeben müssen, haben sie kurzfristig die Möglichkeit mit diesem Geld zu arbeiten. Geld, mit dem sich Werkstätten weiter erhalten und sogar die Abhängigkeit von ihren Beschäftigten weiter ausbauen können.
Der Weg in eine inklusive Richtung geht eher darüber Werkstätten in die Pflicht zu nehmen, Mindestlohn zu zahlen anstatt unter dem Deckmantel “weniger Bürokratie” bestehende Abhängigkeiten und Strukturen weiter zu festigen. Denn wenn Werkstattbeschäftigte fair bezahlt würden, könnten viele ihren eigenen Lebensunterhalt ganz, oder zum großen Teil, auch ohne Sozialleistungen und der dazugehörenden Bürokratie selber bestreiten. Es kann nicht richtig sein, dass überhaupt jemand Sozialleistungen (existenzsichernde Leistungen) erhalten muss, wenn er*sie in einer Werkstatt arbeitet.
Dieser Artikel ist zuerst bei JOBinklusive erschienen.