Arbeiten mit Tetraplegie, geht das? Ja, in der FES!

An Mann sitzt im Rollstuhl an einem Tisch. Er trägt ein blaues Hemd und schaut in die Kamera.
Foto: Anna Spindelndreier | Gesellschaftsbilder.de
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Wer mich in meinem neuen Büro in der Hiroshimastraße besucht, wird nicht selten mit einem forschen „geh schlafen!“ begrüßt. Freilich gilt dieser Befehl nicht dem Gast, sondern der Software „Dragon Naturally Speaking“, die seit über einem Jahr mein Leben begleitet und die mit diesem Befehl ausgeschaltet wird.

Aber ganz von vorne: als ich Anfang 2018 nach mehr als neun Monaten Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt nach Hause kam, stand fest: ich will wieder arbeiten! Doch da war noch ein kleines Problem. Seit Mai 2017, als ich während einer Dienstreise nach Südasien an einer schweren Form des Gullain-Barre-Syndroms (GBS) erkrankte, bin ich Tetraplegiker, d.h. von schweren Lähmungen an allen vier Gliedmaßen betroffen.

Inklusion now!

Der entscheidende Satz kam von meiner Personalchefin: „Wenn ein Wolfgang Schäuble Finanzminister kann, wirst du auch wieder in der FES arbeiten können.“ Glücklicherweise wurde schnell eine Stelle gefunden, die sowohl meinen Kenntnissen und Interessen als auch den Mobilitätseinschränkungen Rechnung trägt. Gleichwohl gab es einiges zu organisieren. Also machte ich mich auf den Weg, zunächst aber nur im übertragenen Sinne, denn auf der dritten Etage eines Berliner Altbaus ohne Aufzug ist es als Rollstuhlfahrer mit dem Zurücklegen von Wegen so eine Sache. Die leichteste Übung war, mit meinem Arzt einen Fahrplan für die berufliche Wiedereingliederung auszuarbeiten. Es folgte der Gang durch die Institutionen: Krankenkasse, Pflegeversicherung, Versorgungsamt, Integrationsamt, Rentenversicherung etc. Einige Monate und Dutzende Seiten Formulare später war es dann soweit: seit Juli 2018 arbeite ich wieder in Vollzeit!

Wer das alles möglich gemacht hat? Zuallererst meine Familie, die mich in der schwersten Phase meiner Erkrankung, aber auch in meinem neuen Alltag auf fantastische Weise unterstützt hat und dies weiterhin tut. Aber auch ohne den großartigen Zuspruch ganz vieler Kolleginnen und Kollegen, die mich während meines Krankenhausaufenthalts besucht und mir mit Gesprächen, Briefen und vielen lieben Gesten enorm viel Kraft gegeben haben, hätte ich nicht den Mut gefunden, den Weg in den Arbeitsalltag zurückzufinden. Und schließlich ist meine neue Infrastruktur aus Arbeitsassistenz, Fahrdienst, Home Office und einem behindertengerecht eingerichteten Büro in der FES zu erwähnen, ohne die es momentan noch nicht geht. Die Betonung liegt auf „noch nicht“, denn GBS ist eine Erkrankung mit positiver Prognose, wobei der Genesungsprozess viel Geduld erfordert.

Tschüss analoge Welt 

Zu meinem neuen Arbeitsalltag gehört viel IT. Neben dem eingangs erwähnten Programm „Dragon“ nutze ich eine sogenannte Kopfmaus, über die ich den Cursor mit Kopfbewegungen steuere. Sehr hilfreich ist auch die neue Cisco-Anlage der FES, mit der ich mich vom Home Office aus jederzeit an Videokonferenzen beteiligen kann. Gewiss ist es kein Zufall, dass es auch bei meiner neuen Aufgabe um das Thema IT geht. Denn gemeinsam mit anderen Kolleg_innen darf ich mich darum kümmern, die internationale Arbeit der Stiftung fit für das Zeitalter der Digitalisierung zu machen, indem wir u.a. die IT-Infrastruktur der Auslandsbüros auf einen gemeinsamen Standard bringen und mit der Zentrale verbinden. Irgendwie passt dazu auch mein persönlicher Lieblingsbefehl von „Dragon“. Zwar erinnert er ein wenig an die Zeugen Jehovas, aber ich interpretiere ihn eher politisch. Um das Programm einzuschalten, rufe ich: „wach auf!“. 

Jürgen Stetten

Dieser Artikel ist zuerst bei JOBinklusive erschienen.

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