Manchmal fühle ich mich wie ein Mitglied aus dem Hause Stark, deren Leitspruch „der Winter naht“ lautet. Denn für mich ist der Winter nicht nur eine Jahreszeit.
Schon Ende Juli denke ich mit Schrecken an den ersten Bodenfrost, welcher die Nächte meiner Ortschaft spätestens Ende September heimsucht. Vor ein paar Tagen erst habe ich meine elektrische Heizdecke aus dem Keller geholt, weil mein Körper – kaum dass die Temperaturen unter 25 Grad sinken und die Sonne hinter einer grauen Wolkendecke verschwindet – in den Friermodus wechselt. Ich mag die Kälte nicht nur nicht, ich verabscheue sie! Man könnte deswegen sagen, die Bedrohung der Wintermonate hängt ständig wie eine dunkle Gewitterwolke über mir. Wovor ich mich im Winter so fürchte sind nicht die Weißen Wanderer aus „Game of Thrones“, sondern etwas viel Alltäglicheres: die Grippesaison.
Wenn jeder schnieft und hustet ist es an der Zeit, mich zurückzuziehen, die Öffentlichkeit zu meiden und mich vor dem Fernseher einzukuscheln. Was zunächst gemütlich klingt, fühlt sich jedoch spätestens nach vier Monaten nur noch eintönig und einsam an. Schon seit ich klein bin ist es normal für mich, während der Wintermonate nur selten das Haus verlassen zu können. Ich muss ständig abwägen, ob eine Shoppingtour oder der Besuch im Kino es wirklich wert ist, eine Erkältung zu riskieren, die mich anschließend für Wochen schwächt. Außerdem reduziere ich meine sozialen Kontakte auf ein Minimum und wenn meine Verabredung auch nur minimale Erkältungssymptome hat, sage ich das Treffen ab. Oftmals habe ich deswegen Schuldgefühle oder komme mir furchtbar unhöflich vor, aber gleichzeitig bin ich es auch leid meinem Umfeld immer und immer wieder erklären zu müssen, dass „nur ein kratziger Hals“ in meinem Fall eben bestenfalls als Bronchitis endet. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen einfach nicht verstehen oder keine Vorstellung davon haben, was ihr Verhalten bedeutet. Wie es ist, so krank zu sein, dass dein Körper vor Erschöpfung und Anstrengung zusammenbricht.
Wahrscheinlich haben sich „gesunde“ Personen vor Corona noch nie davor gefürchtet krank zu werden. Was passiert, wenn sie es aber doch tun, haben wir im März gesehen. Stichwort: Klopapier. Plötzlich war ich nicht mehr diejenige, die überreagiert. Würde jeder Risikopatient so ausflippen, sobald er sich Gedanken über eine Ansteckung macht – ein Toilettengang wäre unbezahlbar teuer!
Seit 23 Jahren lebe ich – wie unzählige Behinderte auch – mit meiner ganz persönlichen Quarantäne. Jahr für Jahr.
Isolation ist für uns leider nichts Neues und obwohl ich mir manchmal wünsche, meine Freizeitaktivitäten genauso unbekümmert planen zu können wie andere Menschen, sind meine Erfahrungen im Jahr 2020 doch von Vorteil. Denn meine Behinderung hat mir enorm dabei geholfen, besser mit dem Lockdown klarzukommen. Man könnte sagen, sie hat mich perfekt auf die Pandemie vorbereitet! Während jeder um mich herum nämlich in eine Art Schockstarre verfiel, weil er oder sie plötzlich auf viele Dinge verzichten musste, traf mich Corona weitaus weniger hart. Bekam ich zuvor noch häufiger Sätze wie „ach, ich würde auch gerne mal drei Monate daheim bleiben und nur Serien gucken“ zu hören, scheint man die tatsächliche Eintönigkeit dieser Isolation nach Corona nun nicht mehr so stark romantisieren zu wollen. Zwischendurch ertappe ich mich dabei, wie ich mit Genugtuung denke: „Jetzt wisst ihr, was es bedeutet!“
Zugegeben, ich hätte mir erhofft, dass die Solidarität etwas länger anhält. Auch wenn der Lockdown mittlerweile vorbei ist, dauert die Quarantäne für mich und den Rest der Risikogruppe an. Dabei kommt der Winter erst noch. Aber das Leben mit Behinderung hat mir Geduld beigebracht sowie gezeigt, dass kein Winter ewig dauert. Und in der Zwischenzeit starte ich einfach meinen Rewatch von „Game of Thrones“…
Eine Antwort
Mann o Mann, sind wir unsichtbar. Die Corona-Krise scheint es nicht wirklich zu ändern, nur einen Anflug sichtbarer wird es. Es scheint, man ahnt es, zur Umsetzung der knapp 10 Jahre alten Behindertenkonvention noch ein langer, wohl auch ein beschwerliche Weg. Gut, daß es solche Kolumnen, wie von Carolin Treml gibt.