Wie vielfältig sind Deutschlands Redaktionen? Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen wollten das herausfinden und haben gemeinsam mit der TH Köln die Vielfalt in den Chefetagen der 122 reichweitenstärksten Medien untersucht. Judyta Smykowski sprach mit der Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz über vernachlässigte Zielgruppen und Pflichten von Journalist*innen.
Die Neue Norm: Wie und warum habt ihr die Studie zur Vielfalt in den Redaktionen und Führungsetagen gemacht?
Konstantina Vassiliou-Enz: Es gibt ganz wenige und schon gar keine aktuellen belastbaren Zahlen, wie divers deutsche Redaktionen besetzt sind. Und wir wissen: Ohne Zahlen ändert sich einfach nichts. Ein schöner Slogan von „Citizens for Europe“ lautet: „Wer nicht gezählt wird, zählt nicht.“ Wir können nicht nur fordern, dass es mehr Menschen mit Migrationshintergrund braucht, sondern sollten auch die Zahlen dazu liefern. Sonst bekommt man nur zu hören, dass „Migranten“ schon überall vertreten seien. „Ich sehe sie doch überall. Da sitzen oft mehr Migranten im Studio, als vor dem Bildschirm.” Deshalb brauchten wir belastbare Zahlen.
Wir haben im ersten Schritt die Chefredakteur*innen der 122 reichweitenstärksten Medien angeschrieben und sie zur Besetzung ihrer Redaktionen befragt. Sie sitzen an einer entscheidenden Stelle. Es ist die Ebene, auf der Entscheidungen getroffen werden, Strategien beschlossen werden und wo auch tatsächlich über das Personal entschieden wird. Und zum anderen wollten wir wissen, wie weiß die Chefredaktionen selbst besetzt sind. Es war für uns auch rein praktisch gut möglich, das zu erfassen. Zu Chefredakteur*innen gibt es biografische Daten, die man recherchieren kann. Das heißt, selbst wenn sie uns auf die Frage nach ihrem eigenen Migrationshintergrund nicht geantwortet hätten, hätten wir einigermaßen sicher feststellen können, ob sie einen haben oder nicht.
Und zusätzlich haben wir die Chefredakteur*innen gefragt, wie sie die Resolution des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) zum Thema Vielfalt in den Redaktionen beurteilen. Der DJV hatte gefordert, dass sich die Vielfalt der Zusammensetzung in der Gesellschaft auch in den Redaktionen widerspiegeln muss und dementsprechend die Personalpolitik ausgerichtet werden sollte.
Was als eine ehrenamtliche E-Mail-Umfrage begann, wurde immer größer, wir hatten eine Rücklaufquote von mehr als 70%, das ist ungewöhnlich hoch. Und weil wir nicht nur die Antworten auswerten, sondern tiefer gehen wollten, habe ich dann die Google News Initiative angesprochen, ob sie das Vorhaben sponsern. Sie haben das getan und so konnten wir eine wissenschaftliche Begleitung der Studie sicherstellen. Wir haben auch qualitative Interviews machen können mit einigen der Chefredakteur*innen, vier Männer und eine Integrationsbeauftragte von einem öffentlich-rechtlichen Sender. Um noch tiefer nach den Denkmustern, Handlungsweisen und Einstellungen auf der Chefebene fragen zu können.
Konstantina Vassiliou-Enz
hat mehr als 25 Jahre Rundfunkjournalimus gemacht, hauptsächlich im Hörfunk bei Radio 7, rbb-Fritz, rbb radiomultikulti, radioeins und auch im rbb-Fernsehen, bei der Deutschen Welle, ProSieben, SAT1. Sie war leitende Dozentin der bikulturellen crossmedialen Journalismusausbildung am Berliner BWK und ehrenamtlich im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) aktiv. Seit 2013 ist sie Geschäftsführerin des Vereins, konzipiert und leitet die Projekte der NdM für diskriminierungsarme Berichterstattung und für mehr vielfältiges Medienpersonal oder gibt Seminare für Journalist*innen.
Bild: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
Welche Ergebnisse gab es bei der qualitativen Umfrage?
Zwei Drittel der Redaktionen, deren Antworten wir auswerten konnten, finden, die Zusammensetzung der Gesellschaft müsse sich in Redaktionen widerspiegeln, dass Vielfalt ein wichtiger Wert sei und auch inhaltlich wichtig ist. Auch die Chefredakteur*innen waren positiv dazu eingestellt. Das war nicht immer so, das wissen wir aus früheren Studien. Gleichzeitig gibt es aber einen großen Mangel an Aktionen und Maßnahmen für mehr Vielfalt bei Inhalten und beim Medienpersonal.
Also bleibt es nur bei Worten?
Das, was getan wird, ist relativ wenig. Es ist beschränkt auf einzelne Akteur*innen oder Sender wie den WDR, die sich zum Beispiel schon länger darum bemühen. Das ZDF hat auch immer wieder einzelne Anstrengungen unternommen. Bei den Ausschreibungen für das Volontariat für den Hessischen Rundfunk war ebenfalls ganz klar zu erkennen, dass sie sehen, dass sie ihre Redaktion diversifizieren müssen. Das sind aber alles einzelne Aktionen, es gibt nirgends eine wirklich umfassende Strategie, die tatsächlich mit Zahlen arbeitet, wo man ganz klare Zielvorgaben hat, die auch verfolgt werden müssen, die transparent sind und die auch für alle im Unternehmen gelten. Echte Strategien, wie zum Beispiel bei der BBC oder anderen international aufgestellten Rundfunkanstalten, gibt es in Deutschland nicht.
Zahlen sind wichtig – aber inwieweit gibt die reine Zählung der Personen ihnen bereits einen Stempel? Man möchte vielleicht nicht als die eine behinderte Person gesehen werden, sondern beispielsweise Wirtschaftsjournalist*in, die*der eine Behinderung hat…
Das stimmt. Das ist ein sensibles Thema. Wer möchte schon gerne der Quotenmensch mit Migrationsgeschichte oder Behinderung sein? Die Leiterin der „Creative Diversity Unit“ der BBC hat uns beispielsweise berichtet, dass sie deshalb anonym zählen und dass man das Vertrauen der Belegschaft gewinnen muss, damit die Menschen dabei offen und ehrlich antworten. Das zu schaffen ist eine Herausforderung.
Wir kennen das von vielen Journalist*innen mit dem berühmten Migrationshintergrund oder Journalist*innen of Color. Wir wollen ja nicht qua Geburt zu Expert*innen für Migration nur wegen unserer Familiengeschichten werden. Natürlich gibt es welche, die das durchaus sinnvoll finden, und das kann ich auch verstehen. Da denkt man sich, bevor ein Hans Wurst das Thema übernimmt, bearbeite ich die Geschichte mit meiner Erfahrung und meinem Hintergrund lieber selbst. Nicht nur habe ich die Zugänge, sondern ich habe auch eine Lebenswelt, die andere Perspektiven erlaubt. Aber natürlich ist es überhaupt nicht die Absicht aller, deshalb nur über diese Themen zu berichten.
Fast alle alltäglichen Themen betreffen ja alle Menschen. Wenn nur bestimmte Leute Journalist*innen werden, dann fehlen Perspektiven in den Redaktionen. Es gehen ganz viele Geschichten verloren, weil sie in einem Leben der Mittelschicht oder im Bildungsbürgertum einfach nicht stattfinden. Dabei geht es nicht nur um Repräsentation oder Teilhabe, sondern eben auch um journalistische Relevanz und Reichweite. Allein demographisch wird das weiße Mittelstands- und Bildungsbürgertum als Publikum immer kleiner, weil die junge Zielgruppe noch nie so divers war wie heute.
Es gibt bereits Redaktionen, wie bei FUNK, ze.tt oder bento, die bereits diese neue junge Zielgruppe bedienen. Die Diversität der Perspektiven spielt hier scheinbar eine große Rolle.
Absolut! Und diese jungen Menschen bleiben nicht für immer 16 bis 24 Jahre alt. Es ist eine gute Investition in die Zukunft die Redaktionen divers zu gestalten.
Was kann man nun den weißen Mittelstandsmenschen mitgeben, die sich durch die Veränderungen in den Perspektiven nun nicht mitgemeint fühlen könnten?
Ich verstehe, dass sich das teilweise so anfühlt. Doch es geht, wie gesagt, auch darum handwerklich professioneller zu arbeiten. Dazu gehören die vielen neuen Perspektiven und daraus abgeleitet auch die Aufgabe für die ganze Gesellschaft zu berichten – nicht wie bisher nur für einen Teil. Davon abgesehen können alle interkulturelle Kompetenzen erlernen. Die sind nicht angeboren, man kann sie sich erarbeiten.
Es ist schon immer ein Teil des journalistischen Handwerks, über den Tellerrand zu gucken. Trotzdem wird eher über Menschen berichtet, die einem ähneln…
Genau. Man stellt auch Leute für die Redaktion ein, die so ähnlich sind wie man selbst. Das zu erkennen und zu verstehen darf man von Journalist*innen verlangen – das gehört, wie du sagst, zum Beruf dazu und ich glaube, dass auch niemand Angst davor haben muss. Im Gegenteil: Es ist doch eine gute Sache, dass es so viel mehr neue Themen und Geschichten gibt, mit denen man arbeiten, über die man berichten kann. Das ist doch vor allem eine positive Entwicklung.
Was macht ihr mit den Ergebnissen eurer Forschung? Was sind die nächsten Schritte?
Wir sondieren gerade alle möglichen Ideen, wie wir weiter verfahren können. Eine konkrete Idee zum Bespiel ist, sich mit anderen Organisationen zusammenzuschließen, die sich mit Vielfalt in journalistischen Genres auseinandersetzen. Wir wollen uns darüber austauschen, was den anderen wichtig ist. Wir haben sicherlich einige Dinge nicht auf dem Radar, die für andere Organisationen im Fokus stehen. Ein großer Traum wäre, dass wir eine gemeinsame Untersuchung machen können, die alle Diversity-Dimensionen abdeckt. Und wir würden gern eine praxisbezogene Strategie für mehr Diversität entwickeln, die wir für ein ganz konkretes Medienhaus erarbeiten und zusammen umsetzen können.
Wie macht man das konkret?
Die Medien stecken in einer Krise und wir sagen, dass sie sich um die Zielgruppen bemühen sollten, die bisher vernachlässigt werden. Neue, vielfältige Publikumsgruppen können die Auflage oder die Quoten erhöhen. Ein Beispiel hierfür ist die Vogue, die seit einiger Zeit richtig viele PoC-Themen behandelt und das echt gut macht. Und sie haben dadurch ihre Auflage steigern können. Das funktioniert.
Die Studie “Diversity im deutschen Journalismus” gibt es hier zum Download: neuemedienmacher.de.
Eine Antwort
Hallo, sehr geehrte Frau Smykowski, mit Interesse habe ich den Bericht der Frankfurter Rundschau gelesen. Ich selbst bin zu 60 % GdB Schwerbehindert. Meine Beeinträchtigungen liegen im physisch-seelischen Gebiet. Seit vielen Jahren betreibe ich mit Behinderung eine eigene Gitarrenschule. Diese Arbeit half mir sehr, mich im Bereich der Gesunden zurecht zu finden. Die Sparte der Kultur- und Kreativwirtschaft ist mir vertraut. Aber dennoch ist es bei aller Anbindung an ein BW (Betreutes Wohnen) und Haushaltsunterstützung prekär, insofern meine Teilselbstständigkeit ohne “Höchstleistung” (subjektiv betrachtet) zu wahren. Ich stimme mit Ihnen überein, dass das Wort “trotz” Behinderung eine schwierige Zuschreibung ist und wäre, weil es nicht mein Ziel sein kann und eigentlich nur historischen Wert haben kann. Vieles mehr spricht mich in dem Bericht an. Ich würde mich freuen, dass Ihre Initiative und Einbringung desweiteren den Erfolg hat, der einfach sein soll. Ich selbst kann mir vorstellen, mehr noch über die Kommunikation zu lesen, die im allseitigen Umgang nötig ist. Mit recht herzlichen Grüßen Christoph-Alexander Kriefall aus Bad Hersfeld/ Hessen !