Ich mache das mit dem Behindertsein nun schon viele Jahre. Für eine sehr lange Zeit war ich überall die Erste. Ich war alleine unter Menschen ohne Behinderung im Kindergarten, in der Grundschule, beim Abitur und an der Uni. Auch als ich beim Fernsehen eine Ausbildung zur Cutterin anfing, hatte es zuvor noch niemanden wie mich gegeben, die oder der dort ein Volontariat absolviert hatte. Für mich war das nichts Besonderes, die Unsicherheit der Anderen, das Abstimmen des Ausbildungsplans auf meine Bedürfnisse. Ehrlich gesagt kann ich mich nicht mehr daran erinnern, ob mir das überhaupt aufgefallen ist. Für mich war es schlicht Alltag mich permanent zu erklären, zu artikulieren, was ich kann und was ich nicht kann. Ich hatte mich daran gewöhnt, wieder und wieder die gleichen Fragen zu beantworten. „Was hast du eigentlich?“ Aber auch daran, dass ich unglaublich toll und stark sein musste, um es bis dorthin geschafft zu haben. Es wurde mir schließlich oft genug gesagt. „Ich bewundere dich.“ Beinahe täglich. Heute denke ich, dieses vermeintliche Lob hat auch dazu geführt, dass ich Dinge tat, die ich eigentlich nicht wirklich wollte. Und, dass ich mich im Grunde genommen ständig selbst überforderte. Über die Stränge schlug. Von allem ein bisschen zu viel. Irgendwann ging das dann nicht mehr. Ich war müde und hatte das Gefühl, nichts wirklich zu tun. An allem immer vorbei zu rasen, was mir wichtig war, vor lauter Kampf um meinen Platz.
Ich brauchte eine Auszeit, einen Ort mit viel Abstand zu meinem bisherigen Leben. Für ein paar Jahre ging ich ins Ausland. Soweit weg wie möglich. Nach Neuseeland. Dort kannte mich niemand. Ich hatte keine Aufgabe, keine Rolle, von der ich unterbewusst glaubte sie erfüllen zu müssen. Wie ein weißes Blatt Papier lagen die Tage vor mir und ich konnte sie so füllen, wie ich es mir vorstellte. Oder sie weiß lassen. Niemand wunderte sich über meine Anwesenheit. Warum sollte ich nicht da sein, wo ich war. Andere waren ja auch da. Ganz allmählich begann ich mir Fragen zu stellen und mich in der Rolle der ewigen Einzelkämpferin unwohl zu fühlen. Das war viel zu anstrengend und ließ keinen Platz und keine Kraft für die Dinge, die ich tatsächlich für mich wollte. Für mein eigenes Leben.
Inzwischen bin ich lange von meinen Reisen zurückgekehrt und arbeite als Malerin und Illustratorin. Und als Autorin. Ich schreibe und spreche auch über mein Leben mit einer Behinderung, allerdings nur wenn ich es möchte oder wenn es mir sinnvoll erscheint. Bemerkungen anderer Menschen versetzen mir, an manchen Tagen, auch heute noch einen Stich. Vermutlich wird das so bleiben. Aber inzwischen bin ich lange nicht mehr die Einzige, dort wo ich bin oder wo ich hinkomme. In vielen Bereichen habe ich über die Zeit andere Menschen mit Behinderungen getroffen. Auch in der Kunstwelt.
Ob jetzt alles gut ist? Mit Sicherheit nicht. Menschen mit Behinderung gehören noch immer viel zu wenig zum Alltag, wir als Gesellschaft sind nicht einmal im Ansatz so inklusiv, wie wir behaupten und Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen gehört noch immer zum Alltag.
Aber es hat sich etwas Grundlegendes geändert. Ich betrachte es nicht mehr als meinen Job an diesen Missständen etwas zu ändern. Es ist nicht mehr mein Job, als es der von Menschen ohne Behinderung ist. Informiert euch selbständig, macht euch mit Barrieren und mit eurer eigenen Verantwortung vertraut.
Ich werde nämlich nicht mehr kämpfen. Mich nicht verausgaben für einen Platz in der Gesellschaft, der mir zusteht. Der jedem Menschen zusteht. Ich werde mein Leben weiterleben und da sein. Sichtbar.
Eine Antwort
Starke Zeilen und zur Autorin fällt mir noch auf: coole Vornamen-Kombi, die mir glücklicherweise weiblich und männlich scheint; bringt mich zur Frage an DIE NEUE NORM: Könntet ihr hin und wieder etwas aus & zu intergeschlechtlichen Perspektiven schreiben lassen? Ich z. B. bin gespannt, diese mehr kennen zu lernen. Denn jeweils “rein” weibliche/männliche Denkweisen oder Körpermerkmale wirken (auf mich) zu oft konkurrierend.
Liebe Grüße
Caroline, auf die als älteste Tochter in einer Familie das häufige Merkmal zutrifft,
ihrem Vater vom Typ Mensch her sehr ähnlich zu sein