Behinderung und Partnerschaft – Transkript

Lesezeit ca. 17 Minuten

Die neue Norm: Eine Sehbehinderung, zwei Rollstühle oder drei Journalist*innen. Judyta Smykowski, Jonas Karpa und Raul Krauthausen sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft. Ein Podcast von Bayern 2

Judyta: Sag mal, Jonas, du mit deiner Sehbehinderung, kannst du eigentlich Sex haben?

Jonas: Also Judyta, ganz ehrlich, ich sehe diese Frage einfach nicht.  – Ich sehe nicht nur diese Frage nicht. Ich sehe auch Judyta Smykowski und Raul Krauthausen nicht, die normalerweise mir gegenüber am Tisch sitzen. Aber in Zeiten der Corona-Krise sind wir natürlich zuhause geblieben. Wir bleiben zuhause und machen das Ganze aus dem Homeoffice. Hallo ihr beiden!

Raul: Hallo,

Judyta: Hallo!  

Jonas: Mein Name ist Jonas Karpa und damit herzlich willkommen zum Podcast „Die Neue Norm“. Ich hoffe, ihr könnt uns gut verstehen und falls die Qualität mal nicht so sein sollte, wie in den vergangenen Podcast-Folgen bitten wir um Entschuldigung. Wir nehmen das Ganze von zuhause auf. Und obwohl Raul und Judyta nicht Partner*innen an meiner Seite sind, möchten wir heute über Partnerschaft und Behinderung sprechen.

Wir ist es für Menschen mit Behinderung eine Partnerschaft zu führen? Gibt es überhaupt Unterschiede zu Menschen ohne Behinderung? Und wie ist es, wenn man mit Menschen mit Behinderung eine Beziehung führt, wie wird sie von der Umwelt wahrgenommen? Und wir möchten klären, ob Onlinedating das perfekte Tool für Menschen mit Behinderung ist, den Partner, die Partnerin fürs Leben zu finden. Aber erstmal die Frage an euch: wie geht’s euch?

Raul: Ich bin noch fit.

Judyta: Oh Gott, was heißt noch?

Raul: Ich feiere eine Quarantäne Party zuhause, allein.

Judyta: Mit dir selber?

Raul: Mit mir selber und meinen Mitbewohnerinnen.

Judyta: Ja, ich finde, dieses „Bleibt gesund“, bisschen schwierig, weil natürlich hat nicht jeder Mensch irgendwie den Luxus, gesund zu sein. Aber ich weiß natürlich, was damit gemeint ist. Besser ist irgendwie so, „Passt auf euch auf“, finde ich.

Jonas: Ja, das ist auf jeden Fall sehr gut. Ich habe neulich ein Comic gesehen, wo jemand ein Buch liest: „Saufspiele für eine Person“ wäre vielleicht im Sinne für Corona Partys feiern, ganz angemessen. Ja, was bedeutet das Corona Virus für Menschen mit Behinderung? Wir haben in den letzten Tagen ja häufig von dieser sogenannten Risikogruppe gehört. Und, es ist ja auch eine gewisse sonderbare Situation für Menschen mit Behinderung, die in einer Partnerschaft leben, und die zu dieser Risikogruppe gehören. Das ist ja eine sehr, sehr große Verantwortung für Familie, Freunde, Partner, in dieser, ja hoch ansteckenden Zeit.

Judyta: Ja, vor allem, aber auch für jeden, eigentlich also, was mich sehr nervt und, ja auch die letzten Tage beschäftigt hat, ist das viele Menschen sich immer noch in Grüppchen getroffen haben im Park, beim Sport. Ich habe das immer gesehen, als ich einmal pro Tag so ein bisschen rausgegangen bin und die sagen: Ja, sie sind gesund, sie sind fit und sie stecken sich schon nicht an. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass sie auch jemanden anstecken können, auch wenn es bei ihnen nicht die Folgen hat. Und trotzdem das Virus weitergeben können, an andere Leute -darum geht es. Und soweit denken die nicht. Und das regt mich schon sehr auf.

Jonas: Raul du hast ja bei dieser Kampagne, Risikogruppe teilgenommen. Siehst du dich selbst als Person die gewissen größeren Risiken ausgesetzt ist?

Raul: Also dadurch, dass ja viele Menschen mit Behinderung, wenn sie sitzen, weil sie ja im Rollstuhl sitzen, ein kleineres Lungenvolumen haben, ist natürlich die Gefahr groß, dass sie dann bei einer, ja erscheinenden oder auftauchenden Lungenentzündung dann wirklich massiver Lebensgefahr ausgesetzt sind. Insofern würde ich mich als Risikogruppe zählen, weil meine Lungen auch nicht die größten sind. Aber eigentlich habe ich ein relativ gutes Immunsystem, so dass ich nicht so oft krank werde und würde jetzt sagen andere Gruppen sind wahrscheinlich wesentlich gefährdeter als ich. Aber auch für mich ist eine Lungenentzündung etwas, was man nicht bekommen sollte.

Jonas: Bei dem Thema Corona-Krise geht es ja die ganze Zeit um Social Distancing. Wie schwierig ist es nochmal für Menschen mit Behinderungen dort wirklich auf den Großteil ihrer sozialen Kontakte zu verzichten und eben auch sich von Partner*innen zu entfernen oder wenn sie mit Assistenz leben auch dort noch einmal eine gewisse Vorsicht zu leben, damit sie sich nicht anstecken?

Raul: Also erst mal sind Menschen mit Behinderungen genauso vielfältig wie Menschen ohne Behinderung auch, dass kann man jetzt nicht pauschal sagen. Aber bei mir ist es zum Beispiel konkret so, dass seit ein paar Tagen meine Assistenten Mundschutz tragen, weil sie ja zum Beispiel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gekommen sind und einfach selber nicht wissen, ob sie vielleicht das Virus in sich tragen und dann einfach Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Es gibt auch schon Überlegungen, dass meine Partnerin und ich, was wir zunehmend notfalls alleine machen, ohne Assistenz. Wir versuchen auch draußen möglichst wenig zu sein, oder auf andere Leute zu treffen. Das ist alles nicht so einfach.

Judyta: Aber Raul ist es bei dir denn auch so, – also du kannst ja deine Assistenten nicht kontrollieren. Kontrollieren ist auch so ein blödes Wort. Aber hast du da auch nicht die Sorge, dass dir da etwas entgleitet, das du da kein Wissen darüber hast, was sie den ganzen Tag machen und mit wem sie in Verbindung sind?

 

Raul: Nee, also, ich glaub, wenn ich da anfange, jetzt Paranoia zu schieben, dann werde ich in meinem Leben nicht mehr froh.

Jonas: So, wir möchten aber natürlich heute nicht nur ausschließlich, auch wenn es natürlich so in dieser, ja, sonderbaren Zeit passt ausschließlich über die Corona Krise reden, sondern unser Thema ist Partnerschaft und Behinderung. Wie habt ihr den Eindruck, wie schwer es ist, für Menschen mit Behinderungen in eine Partnerschaft zu kommen beziehungsweise den Partner, die Partnerin des Lebens zu finden? 

Judyta: Also, Verlieben ist ja schon mal möglich, oder? (lacht)

Jonas: Ja, das hoffe ich schon.

Judyta: Nee, also, ich möchte damit sagen, es ist ja für jeden irgendwie, also findet er, oder sie mich auch toll, oder wie kommen wir zusammen? Haben wir einen zu großen Altersunterschied? Es sind ja alles Gedanken, die man sich auch macht.

Raul: Aber ich hatte schon in meiner Jugend beziehungsweise in meiner Pubertätszeit und die Zeit danach, würde ich sagen, in der Hinsicht sogar einen Spätzünder. Schon irgendwie das Gefühl, dass ich als Menschen mit Behinderung nicht zum Beutelschema gehöre und tendenziell mehr Körbe kassieren musste, um überhaupt eine Beziehung ergattern zu können, sage ich jetzt mal, als viele meiner Klassenkameradinnen oder Kommilitoninnen ohne Behinderung.

Jonas: Warst du quasi eher so der beste Freund?

Raul: Ich würde sagen, so wie der schwule beste Freund, genau, der keine Gefahr darstellt, dem man alles anvertrauen kann. Aber letztendlich, wenn ich dann Frauen in meinem Zusammenhang meine Liebe gestand, dann sind die aus allen Wolken gefallen und konnten es gar nicht glauben und sagten dann sehr schnell: „Aber es liegt nicht an deiner Behinderung.“

Jonas: Ja, aber was für Vorbehalte könnten das denn theoretisch sein, also wenn’s wirklich nicht an der Behinderung liegt? Was sind Vorbehalte von nichtbehinderten Menschen gegenüber Menschen mit Behinderung?

Judyta: Sie werden halt nicht als attraktive Menschen gesehen. Frauen mit Behinderung haben sogar das Problem, dass sie auch nicht als weiblich gesehen werden, als irgendwie potenzielle, ja Partnerinnen, also auf der romantischen Ebene. Bei mir war es auch so, dass ich so sehr in dieser Kumpelfalle feststeckte und dass man, wenn man diese ganzen weiblichen Faktoren, die man so anlegen kann, aus den Zeitschriften, aus diesen toxischen, ja oberflächlichen Diskussionen, mit Körpern, wie der auszusehen hat und so – Da sind ja die Frauen mit Behinderung oder mit körperlichen Behinderung erstmal nicht dabei. Daran liegt es schon.

Raul: Ich glaube auch, es ist schon ein bisschen die Liebe auf den zweiten Blick wahrscheinlich, die bei Menschen mit Behinderungen benötigt wird, und nicht auf den ersten Blick.

Judyta: Ja, das ist auch beim Thema Online Dating so. Also ich bin da eher die Expertin in dem Bereich, glaube ich, ich habe das ziemlich viel gemacht.

Raul: Aha.

Judyta: Ja, und da war immer die Frage – für mich war also dieser, erste Milestone quasi, wann erzähle ich das mit der Behinderung? Steht das in meinem Profil? Drücke ich demjenigen das gleich rein oder erst irgendwie beim Treffen oder so?

Joans: Muss es so als Disclaimer so quasi: „Achtung, das folgenden Profil hat ein Rollstuhl beinhaltet.“

Judyta: Ja, ja, genau so ist es, und das ist krass. Also, ich hab‘s gemacht, weil ich fand es irgendwie fair. Aber an diesem Wort ‚fair‘ merkt ihr ja vielleicht schon, dass es irgendwie so, dass man sich mehr Sorgen um die anderen macht als um sich selber. Und man würde gerne…

Raul: Aber wie hast du’s dann gemacht?

Judyta: Also ich hab‘s im Profil offen gelegt quasi, irgendwo konnte man da immer was schreiben über sich. Dann habe ich das geschrieben, dass ich eine Gehbehinderung habe und mehr auch nicht, also keine Details, keine Romane. Und dann war das schon sozusagender natürliche Filter. Also die Leute, die dann trotzdem noch angeschrieben haben, wussten das schon und man kam dann trotzdem auch ins Gespräch. Aber das war schon eine krasse Sache.

Jonas: Im letzten Jahr gab es, glaube ich, bei Vox auch so eine Dating Show, wo eben eine Frau im Rollstuhl auch teilgenommen hat. Das war auch quasi so ein Blind-Date und wo dann der Mann…

Raul: (Lacht)

Jonas: Nein, sie war nicht blind, sie war im Rollstuhl. Wo der Mann dann auch sehr, ja erschrocken reagiert hat und gesagt hat: „Damit hätte er jetzt nicht gerechnet.“ Was auch nochmal, für mich gezeigt hat, wie wenig selbstverständlich es anscheinend ist, eine Partnerschaft zwischen einer Person mit und einer Person ohne Behinderung zu haben.

Raul: In Großbritannien gibt es sogar eine Datingshow, die heißt „The Undateables“ also die Undatebaren, wo Menschen mit Behinderung verkuppelt werden.

Judyta: Ja, nur miteinander?

Raul: Das weiß ich gar nicht, ob da auch Menschen ohne Behinderung dann mitmachen, aber es handelt dann also es blickt aus der Perspektive von behinderten Menschen.

Jonas: Es gibt ja, wenn wir eben schon über Dating-Portale gesprochen haben, gibt es ja auch Extra Onlineplattformen für Menschen mit Behinderungen, damit sie in ihrer eigenen Bubble sind und sich untereinander Daten können, was ich auch etwas, ja etwas verrückt finde. Wenn das so ja, wenn man so unter sich bleibt.

Judyta: Das ist echt creepy.

Raul: Na ja, es hat aber auch, glaube ich, auf der einen Seite und einer Art Safe Zone, wo man dann eben unter sich ist. Was ich aber problematisch finde, dass auch viel Fetisch mit dabei ist, also auch viele Menschen ohne Behinderung, die einfach als Fetisch, das ausleben, Menschen mit Behinderung zu daten. Und das ist dann, glaube ich, gefährlich und creepy.

Judyta: Ja, oder auch das Thema, inwieweit man da auch Unterschiede macht. Also, es werden so viele Unterschiede gemacht, auch durch Fragen, die einem gestellt werden. Wenn ich gefragt werde: Ist das dein erster Freund ohne Behinderung? Als wäre das irgendwie so eine Medaille wert oder so eine Errungenschaft, dass ich jetzt jemandem habe ohne Behinderung. Das sind manchmal solche Fragen, die vielleicht gar nicht so böse gemeint sind, aber so wirklich seltsam bei mir ankommen nach dem Motto: Hast du es jetzt auch geschafft, jemanden ohne Behinderung irgendwie dir zu angeln? Oder so?

Raul: Oder als Kennenlern-Frage: Kannst du Sex haben?

Judyta: Ja, wobei das ja auch von vielen anderen Menschen kommt, also einfach so. Auch von Journalist*innen.

Jonas: Manchmal kommt es wie du sagst auch von Journalist*innen. Dann frage ich mich gleich Ist es das Hauptthema? Also wir haben zum Beispiel vor einiger Zeit eine Anfrage bekommen von einer Fernsehredaktion, die zum Jahrestag der UN- Behindertenrechtskonvention, der jetzt – wenn ihr den Podcast hört – schon gewesen ist, gerne ein Fernsehbeitrag machen wollten zu dem Thema Sexualassistenz und, wie es ist für Menschen mit Behinderungen Sex zu haben. Wo ich mich dann immer gefragt habe: Wir hier in Deutschland haben noch immer nicht alle Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt und es gibt noch immer so viele Barrieren und Diskriminierung die Menschen mit Behinderungen betreffen. Und das einzige Thema, worüber es sich anscheinend zu berichten lohnt, ist: Wie haben Menschen mit Behinderung Sex? Da bin ich mal wieder aus allen Wolken gefallen. 

Raul: Vor allem ist dann die journalistische Antwort oft: Ja, wir haben hier mit einer Sexualbegleiterin gesprochen, die dann zu einem Mann geht. Und dann wird darüber berichtet. Und das ist wieder so ein typisch männlich dominiertes Thema über Sex. Und wir erfahren wenig darüber, wie eigentlich Frauen mit Behinderung diese Situation erleben, weil da blicken dann Journalist*innen, wenn sie wirklich interessiert sind, in der Regel nicht so gerne hin. 

Judyta: Ja, vor allem was ist das für eine Frage: Wie haben Menschen mit Behinderung Sex? Wer sind diese Menschen? Das ist ja auch nicht eine einheitliche Gruppe. Wir haben verschiedene Vorleben, sind irgendwie homosexuell oder trans oder was auch immer, haben verschiedene Behinderungen. Also diese Frage ist schon sehr, sehr unsinnig. Und eine Journalistin hat auch mal gesagt zu mir, als ich sie gefragt habe, warum möchtest du das wissen? Hat sie gesagt: „Ja, bei mir kann ich es mir ja vorstellen, wie ich Sex habe, aber bei dir nicht.“ Und dann denk ich mir also ich möchte mir nicht ausmalen, wie irgendwie jeder von uns oder von allen Menschen irgendwie Sex hat. Und es ist ja bei jedem anders.

Jonas: Machst du dir nicht sofort bei jedem Menschen, auf den du triffst, die Gedanken, wie diese Person Sex haben kann?

Judyta: Nein!

Jonas: OK

 Raul: Aber der Bruder, die Schwester von der Frage, ob das dein erster Freund oder Freundin ohne Behinderung ist, ist die Frage hat er oder sie auch eine Behinderung?

Judyta: Ja.

Raul: Das ist eine Frage, die mir oft gestellt wird, wo ich dann denke: Okay, was für eine Annahme trifft denn da eigentlich die Person, die diese Frage stellt? Geht sie davon aus, dass ich nur mit Menschen mit Behinderung eine Beziehung führen kann? Es gab eine witzige Begegnung mit einer Millionärin auf einer Veranstaltung, und sie fragte mich, ob ich verheiratet sei. Und ich sagte: „Nein.“ Und da meinte sie: „Na, wir finden schon eine kleine Frau für Sie.“

Jonas: (lacht)

Judyta: Ich habe eine andere Frage: Warum ist es jetzt wichtig, dass sie Millionärin war? (lacht)

Raul: Na sagen wir, weil es war so super schräg, also so awkward. Die ganze Situation war so awkward, das ich dachte: Was ist denn da gerade passiert?

Jonas: Ja, ja. 

Raul: Aber die war fest davon überzeugt, dass ich eigentlich nur mit einer kleinen Frau eine Beziehung führen kann.

Jonas: Eine Beziehung auf Augenhöhe…

Judyta: (lacht)

Raul: Öhöh (lacht) 

Judyta: Bei mir war es mal so, dass mein Kumpel Kinokarten bestellt hatte, für einen Kinoabend, und ich wollte mein Freund mitnehmen. Die hatten sich noch nicht kennengelernt. Und er hat einfach mal zwei Rollstuhl Karten für das Kino bestellt, weil er einfach angenommen hat, dass mein Partner auch im Rollstuhl ist. Und ich wundere mich dann auch immer. Wie kommt das zustande? Und aber ohne da auch sowas vielleicht Böses zu unterstellen . Es verletzt einen, es macht so ein zwei Zweiklassen-Ding auf, dass die nicht behinderten Partner*innen, das sind die tollen. Da hat man es dann irgendwie geschafft. Und die behinderten Partner*innen das ist ja dann: Ja, klar, die sind einfach alle unter sich oder so. Und was das halt auch für eine Sicht auf Menschen ist, ist eigentlich wirklich unfassbar, wenn man das so sich überlegt.

Jonas: Ach, ich bin gerade eher erstaunt, dass es, ein Kino gibt, wo es auch zwei Rollstuhlplätze gibt.  

Raul: Das klingt eher nach einem ein Paradies. Wo ist dieser Ort?

Jonas: (lacht)

Raul: Aber die andere Seite der Medaille, erst mal aus meiner Perspektive als behinderter Mensch gesprochen, war es die ganze Zeit meine Idealvorstellung, dass meine Partnerin keine Behinderung haben sollte. Also ich kämpfe seit über 15, 16 Jahren für Inklusion und dachte, Menschen mit Behinderungen sollen alles genauso machen und dürfen wie Menschen ohne Behinderung auch. Und ich war fest davon überzeugt, dass meine Partnerin keine Behinderung haben sollte. Und hielt es dann auch manchmal wie so eine Trophäe, vor allem als Jugendlicher oder jüngerer Mensch, hoch. Und dann irgendwann, als ich dann anfing, mich auch mit Partnerinnen mit Behinderungen irgendwie anzufreunden oder kennenzulernen oder zu daten, merkte ich: Da gibt es auch eine ganz andere Ebene dahinter, eine Ebene der gemeinsamen Erfahrungen, zum Beispiel, eine Ebene der Wertschätzung, der Situation, in der man sich befindet. Wenn deine Partnerin auch auf einen Rollstuhl angewiesen ist oder auch klein ist oder so, dann ist die Frage der Barrierefreiheit selbstverständlich, als wenn dein Partner oder Partnerin ohne Behinderung immer Rücksicht nehmen muss und du dich dann als Partner mit Behinderung schuldig fühlst. Versteht ihr, was ich meine?

Jonas: Mhm

Judyta: Ja, total, ich war auch so. Also ich dachte auch für mich, das ist das Ideal, sozusagen, was man erreichen muss, einen nichtbehinderten Partner zu haben, weil ich das auch sehr viel in meinem Umfeld gehört habe. Und da muss man wieder sagen, dass die Gesellschaft oder auch unsere Mitmenschen, also unmittelbaren Mitmenschen, auch Familien, vielleicht irgendwo so eine Art Behindertenfeindlichkeit – tut mir leid, wenn ich das so drastisch ausdrücke – auch haben, dass das sie sagen: „Gib dich lieber mit nichtbehinderten Menschen ab, weil  sonst schaffst du es irgendwie nicht.“ Also das sind Sätze, die ich gehört habe in meinem Umfeld, die wirklich krass sind. Aber so ist man dann auch einfach aufgewachsen und hat das übernommen.

Raul: Oder ich habe mal den Satz gehört: „Wie hast du so eine schöne Freundin abbekommen? Die sieht aus wie Heike Makatsch.“ Wo ja schon angenommen wurde, das es gar nicht möglich ist mit dieser Frage. Oder umgekehrt, dass meine Partnerin ohne Behinderung damals gefragt wurde, ob sie nichts Besseres verdient hätte als einen behinderten Freund.

Jonas: Genau, das wollte ich, nämlich gerade fragen. Wenn man es jetzt mal umdreht, wenn es wirklich eine Beziehung gibt zwischen einer Person mit Behinderung und einer ohne Behinderung, dann auf der einen Seite wird gesagt: „Oh, der Mensch mit Behinderung hat es geschafft, eine Beziehung zu einem Menschen ohne Behinderung zu führen.“ Das ist ja, Judyta, wie du es eben gesagt hast, so der Jackpot schlechthin, wie das dann manchmal dargestellt wird. Und wie ist das Ansehen für eine nichtbehinderte Person, wenn sie eine Beziehung zu einem behinderten Menschen führt, so nach dem Motto, Raul wie du gesagt: Hat keine andere Person abbekommen. Oder möchte sie sich da gerne drum kümmern, ist es sogar ein Fetisch oder …

Judyta: Ja, das Helfersyndrom.  

Jonas: Ja, das Helfersyndrom. Eine Geschichte, die mir und meiner Frau mal passiert ist, wo meiner Frau nachgesagt wurde, dass für sie es leichter ist, eine Beziehung mit mir zu führen, weil sie ja selber auch in einem sozialen Beruf arbeitet. Und deswegen vielleicht irgendwie Anpassungsschwierigkeiten nicht so groß wären, so zum Beispiel.

Judyta: Ja also, wie viele Fragen da gestellt werden und nur die Spitze des Eisbergs an Fragen kriegt man eigentlich selber nur mit, und der Rest spielt sich ja zum Glück in den Köpfen von den Menschen ab, wenn sie mich und meinen Freund zum Beispiel irgendwie beäugen. Und wir kriegen dann nur ein paar Fragen mit, aber da wird natürlich auch gefragt: Warum hat er sich sie ausgesucht? Und das ist wirklich eine krasse Feindlichkeit, ein krasses Unwohlsein, muss ich sagen. Ich möchte darüber nicht nachdenken. Ich bin froh, dass wir eine Beziehung haben und dass wir uns so diese Fragen nicht stellen müssen, diese Unterhaltung nicht führen müssen und dass es an uns abprallt. Aber vielleicht haben andere, jüngere Leute mit Behinderungen das nicht. Und da würde ich auf jeden Fall sagen: Bitte, bitte achtet da auf euch selber und achtet nicht so drauf, was die anderen Leute sagen. Ein großes Vorbild ist zum Beispiel Nina Tame, die gibt es auf Instagram. Das werden wir bei unseren Shownotes mit reinnehmen auf dieneuenorm.de. Die kann ich echt empfehlen. Die schreibt dazu immer sehr gut.

Raul: Genau da wollte ich auch gerade nochmal drauf eingehen, dass gerade die jüngere Generation auf Social Media total tolle auch YouTube-Kanäle oder Instagram-Channels hat. Es gibt zum Beispiel den YouTube Kanal mit über 500.000 Followern, der heißt Squirmy and Grubs – verlinken wir auch in unseren Shownotes. Und der handelt von einem jungen Mann und seiner Freundin, die zusammenleben. Er hat eine Behinderung und sie nicht, und die posten jeden Tag auf YouTube Videos über ihre Beziehung und auch über die Herausforderungen. Dann gibt es den Instagram-Kanal auf Deutsch, der von Max und Christina „brittlebonesking“, werden wir sicherlich auch verlinken, wo auch über Beziehung und Partnerschaft ab und zu mal gesprochen wird. Und dann für die Zuhörer*innen, die das Thema vielleicht jetzt erwartet haben, Sexualität und so weiter, mussten wir sie ja heute in der Folge ein bisschen enttäuschen. Aber da gibt es Kinofilme beziehungsweise Filme im Internet zu. Der eine Film nennt sich „Yes, we fuck“. Er ist von einem spanischen Regisseur, der Menschen mit Behinderungen porträtiert beim Ausleben ihrer Sexualität. Und dann gibt es einen Kinofilm, der heißt „The Last Taboo“, der bei Vimeo zu sehen ist und sicherlich auch viele, viele Fragen der neugierigen Zuhörer*innen beantworten kann, sodass wir das nicht tun müssen.

Jonas: Genau, wie gesagt, das könnt ihr alles finden auf www.dieneuenorm.de. Da werden wir die ganzen Links haben. „Yes we fuck“ schöner Titel, also allein des Namens wegens bestimmt sehenswert. Wie ist es, Raul, du sagst häufig, dass man eine Behinderung als Eigenschaft sehen kann, eigentlich wie eine Haarfarbe, das ist ja dein Vergleich, den du sagst. Gilt das auch für eine Partnerschaft?

Raul: Also, ich hoffe das, dass es auch so in einer Partnerschaft ist  wenn sie lange anhalten soll, ja der Charakter zählt und nicht nur das, was eine Person auf den ersten Blick wie sie aussieht oder so. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass wenn man die Person wirklich liebt und ihren Charakter, Unterstützung auch nicht wirklich die Probleme sind, wenn man sie geben kann, weil man kriegt ja auch in dieser Partnerschaft oft viel, viel mehr zurück, als man das überhaupt aufwiegen kann mit Unterstützung. Aber man muss natürlich auch immer gucken in dieser Partnerschaft, dass nicht einer von beiden sich mehr opfert als – er oder sie – der andere, sodass es auch ausgewogen sein muss.

Judyta: Ja vor allem auch weil nichtbehinderte Partner*innen vielleicht im Fall von körperlichen Behinderungen mehr im Haushalt tun, heißt das nicht, dass die behinderten Partner*innen nicht auch den Mental Load haben, also sich vielleicht mehr um Emotionen kümmern, um Gespräche. Das sollte man auch nicht so vergleichen. 

Jonas: Also könnte man festhalten, , dass man sich ja quasi in den Menschen verliebt und nicht in die Behinderung. Und dass es okay ist, wenn ein Mensch mit Behinderung einen anderen Menschen mit Behinderung liebt oder auch einen Menschen ohne Behinderung. Und dass das gar nicht so das Hauptaugenmerk sein sollte, sondern einfach darum geht, dass die Menschen glücklich sind und jemanden gefunden haben.

Judyta: Ja 

Raul: Hast du schön gesagt.  

Jonas: Ein schöner Schlusssatz für unser Podcast dieses Mal, wo es um Partnerschaft und Behinderung ging. Wie gesagt, wenn euch der Podcast gefällt, könnt ihr ihn gerne abonnieren auf der Seite des Bayerischen Rundfunks. Und wir sind seit kurzem auch bei Apple Podcast und bei Spotify zu finden, wo ihr uns gerne abonnieren könnt und, alle weiteren Informationen zu dem, was wir heute gesagt haben, findet ihr auf www.dieneuenorm.de. Ich hoffe einfach, dass wir beim nächsten Mal wieder an einem Tisch gemeinsam sitzen und den Podcast machen.

Judyta: Ja  

Raul: Unbedingt.

Jonas: Und dass wir uns dann auch mal wieder von Angesicht zu Angesicht sehen. Es hat dieses Mal relativ gut geklappt. Ich hoffe, dass die Qualität nicht allzu schlecht ist und freue mich dann, wenn ihr auch beim nächsten Mal wieder dabei seid. Bis dahin. Auf Wiedersehen 

Judyta: Tschüss 

Raul: Tschüss

Ich bilde Heilpädagogen aus und halte sehr viel davon, Behinderungen erlebbar zu machen. Sie gehen dann vollkommen anders an alles heran.

Im Beitrag erwähnte Links:

1. “I’m not your inspiration, thank you very much” – Tedtalk von Stella Young über das Phänomen Inspiration Porn

2. Lehrer, der Schülern auf dem Rücken trägt – die ganze Geschichte

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