Die Neue Norm: Eine Sehbehinderung, ein Rollstuhl, eine chronische Erkrankung. Oder: drei Journalist*innen. Jonas Karpa, Raul Krauthausen und Karina Sturm sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.
Folge 70: „Einsamkeit“
Karina: Raúl, ich habe da vor kurzem diesen Einsamkeitstest gemacht, der sagte, ich sei sehr einsam. Hast du den auch gemacht?
Raúl: Ja, du hast mir den Link geschickt und ich dachte, ich hätte irgendwie alles relativ zufriedenstellend beantwortet und der sagt, ich bin stark einsam. Seltsam.
Karina: Jonas, hast du den gemacht?
Jonas: Ich lasse mir das vom Test nicht vorschreiben, ob ich einsam bin oder nicht.
[ARD Jingle]
Jonas: Herzlich willkommen zu Die Neue Norm, dem Podcast. Bevor wir beginnen, ein bisschen Housekeeping, was man ja so häufig macht, wenn es in den Podcast rein startet. Wir haben in der letzten Episode über Disability Studies gesprochen und darüber, dass die so ein bisschen vor dem Aus stehen in Deutschland und es ist tatsächlich auch passiert. Am 3. Dezember, also auch am Tag der Menschen mit Behinderung, hat die Universität Köln verkündet, dass der Arbeitsbereich Disability Studies gestrichen wird aus Spargründen. Und das hat uns natürlich irgendwie sehr traurig und auch betroffen gemacht, denn es ist so ein wichtiges Thema, also wenn ihr die Folge noch nicht gehört habt, hört gerne mal rein in der ARD-Audiothek. In der letzten Episode sprechen wir darüber, was Disability Studies sind und warum sie gerade wichtig sind, weil wir über Inklusion und über Teilhabe reden und über auch die Perspektive von Menschen mit Behinderung.
Gleichzeitig ist es so, dass wir mit unserem Podcast die Neue Norm jetzt ins siebte Jahr rein starten und wir hoffen natürlich nicht, dass es das verflixte siebte Jahr wird, aber das hier ist aktuell die Episode Nummer 70. Und wir freuen uns total, dass es schon inzwischen so lange läuft und dass wir schon so viel in dem Sinne produziert haben. Und wenn euch der Podcast gefällt, dann teilt ihn gerne mit euren Freund*innen. Und wenn ihr das auf irgendeinem anderen Portal hört, wo man eine Bewertung dalassen kann, dann lasst auch dort gerne eine Bewertung da. Heute kümmern wir uns um das Thema Einsamkeit und das ist etwas, was uns der Hörer Martin vorgeschlagen hat, dass wir uns darum mal kümmern sollen. Er hat uns nämlich eine Nachricht geschrieben. Wie ihr uns erreichen könnt. Das sagen wir euch am Ende dieser Podcast-Episode nochmal. Deshalb kümmern wir uns heute, wie gesagt, um das Thema Einsamkeit und fragen uns, was ist das eigentlich überhaupt? Wie äußert sich das und sind Menschen mit Behinderung vielleicht davon häufiger betroffen als Menschen ohne Behinderung? Und was gibt es für Unterstützung und für Hilfe, wenn man sich einsam fühlt? Bei mir sind Karina Sturm und Raúl Krauthausen.
Karina und Raúl: Hallo. Hi.
Jonas: Mein Name ist Jonas Karpa. Wann habt ihr euch das letzte Mal einsam gefühlt bzw. was verbindet ihr mit dem Thema Einsamkeit?
Karina: Ich glaube, das letzte Mal, wo ich mich noch richtig daran erinnere, war, als ich plötzlich chronisch krank geworden bin und sich alles verändert hat. Gleichzeitig, das passiert oft, wenn man chronisch krank wird, verändert sich auch der Freundeskreis sehr. Und man verliert sehr, sehr viele Menschen, die einem wichtig waren und von denen man dachte, das sind so Freunde, mit denen man Leichen begraben kann. Das war sehr, sehr schwierig und das war das erste Mal, wo ich mich wirklich bewusst einsam gefühlt habe. Raúl, bei dir?
Raúl: Ich glaube, bei mir gab es nicht so einen einschneidenden Moment, sondern das sind eher so situative Sachen, wenn ich das Gefühl habe, an meinem Geburtstag hat niemand Zeit. Oder am Wochenende oder abends. Oder die Leute sagen aus gefühlt anderen Gründen ab, als sie eigentlich sagen. Und dann gibt es so eine thematische Einsamkeit. Also wenn ich dann in Gedanken verloren bin und nicht weiß, mit wem ich darüber reden kann, dann macht mich das auch sehr traurig. Aber sonst, glaube ich, würde ich gerne mal unterscheiden zwischen einsam und allein sein. Das ist auch nochmal zwei verschiedene Paar Schuhe wahrscheinlich.
Jonas: Ich finde das, was du sagst, Raúl, sehr spannend, weil es bei mir auch so ähnlich ist, dass es dann eher so in dem Sinne situativ ist. Und es manchmal so Situationen gibt, wo man zu Hause ist und gerade irgendwie das Gefühl hat, okay, ich habe gerade die und die Themen im Kopf oder möchte mich irgendwie ablenken und möchte mit irgendwelchen Personen sprechen. Und irgendwie niemand hat Zeit und alle sind irgendwie beschäftigt und man matcht sozusagen nicht irgendwie zusammen. Also das eigene Bedürfnis nach Austausch kann irgendwie nicht erwidert werden. Es ist gar nicht so dieses per se hafte Einsamsein und sich einsam fühlen, sondern einfach gerade irgendwelche Leute nicht erreichen. Und das eben dann in dem Moment aber nicht sozusagen auf sich zu beziehen, dann zu sagen, okay, niemand will mit mir etwas zu tun haben, sondern dass es eben vielleicht gerade kein Match in dem Sinne gibt. Und das finde ich irgendwie auch nochmal etwas, was so auf der eigenen Gefühlsebene passiert. Aber das, was du gesagt hast, Raúl, ja, dieses Unterschied zwischen alleine sein und einsam sein, weil ich finde dieses alleine sein, also jetzt sozusagen alleine in der Wohnung sein und irgendwie für sich sein, irgendwie sich selber so beschäftigen, irgendwie was machen, aufräumen, irgendwie arbeiten oder was auch immer man irgendwie so tut, finde ich ist auch nochmal etwas, was jetzt irgendwie für mich jetzt gar nicht so schlimm in dem Sinne ist. Und ich mich damit irgendwie auch gut arrangieren kann. Ich kann mich auch etwa, also, aber auch das ist sehr typabhängig, sehr gut, sehr gut langweilen. Also es gibt ja auch Leute, die irgendwie, die müssen immer irgendwas zu tun haben und es muss immer irgendwas abgehen und die können irgendwie nicht damit irgendwie klarkommen, wenn mal irgendwie kein Termin im Kalender steht oder einfach mal, ja, einfach mal so nichts zu tun ist, wo man sich vielleicht mal ertappt, irgendwie auf dem Stuhl zu sitzen oder auf dem Sessel und dann so zu merken, so fünf Minuten, so, was mache ich denn jetzt gerade? Also auch das irgendwie, nochmal dieser persönliche Umgang damit. Könnt ihr das gut?
Karina: Ich habe das Gefühl, du hast gerade mich beschrieben mit der Person, die nicht gelangweilt sein kann auf dem Sofa. Ich muss echt, also ich habe immer dieses Gefühl, irgendwie das sei unproduktiv, wenn man gelangweilt ist. Und dann muss ich zumindest irgendwie sowas machen, wie ein Buch lesen oder einen Film gucken, der irgendwie sich anfühlt, als würde man was bei lernen oder so. Ich tue mich echt schwer, einfach nur irgendeinen Schmarrn zu schauen und nur ums Fernsehen schauen willen. Das ist echt, ich finde aber auch alleine sein ist, also alleine ist ja erstmal irgendwie auch eine neutrale Beschreibung, das hat keine wirkliche Wertung. Einsam, finde ich, ist ja ein richtig, richtig krasses Gefühl von Traurigkeit und niemanden haben, der da ist und mit einem sein will, so ungefähr.
Raúl: Mir fällt ein, ich habe am Wochenende den Newsletter von Theresa Beuerlein gelesen, der heißt “Wie du nicht den Verstand verlierst”. Und da hat sie in einer Ausgabe mit dem Titel “Warum es immer anstrengender wird, andere Menschen zu treffen”, auch ein soziales Phänomen beschrieben. Nämlich, dass durch die Corona-Pandemie beispielsweise wir auch alle gelernt haben, zu Hause zu bleiben und diesen Muskel der sozialen Kontakte weniger trainieren. Und der baut dann halt ab mit der Zeit und dass das wohl auch wahrscheinlich dann auf Dauer Einsamkeit bedingen kann.
Jonas: Ist das etwas, habe ich mich häufig auch so gefragt, wir sprechen ja häufig in Kombination von Menschen mit Behinderung, von dieser Schonraumfalle, also dass Menschen mit Behinderung in Watte gepackt werden, nicht herausgefordert werden und es ist immer so, dass das Thema ist, Menschen mit Behinderung sind schwach, arm, man darf quasi sie nicht fordern, nicht fördern, sie dürfen auch nicht scheitern in dem Sinne. Und ich mich immer so gefragt habe, ist dieses Corona-Pandemie und dieses auch zu Hause bleiben etwas, was so die persönliche Schonraumfalle ist, im Sinne, dass man das auch vielleicht so als Ausrede für sich selber irgendwie nehmen kann, dann eben auch keine Leute zu treffen und irgendwie nicht rauszugehen.
Raúl: Also ich spring jetzt einfach mal in dieses Fettnäpfchen rein. Ich glaube ja. Also wenn ich mir mein Verhalten anschaue, es ist oft leichter zu sagen, das ist mir zu anstrengend, das passt gerade nicht, die Mobilität ist komplizierter wegen meinem Rollstuhl und es ist kalt draußen. Aber Dinge nicht zu machen, anstatt zu sagen, ja, aber es ist aber auch wichtig für mentale Gesundheit, sich mal auch einer erstmal anstrengenden Situation zu stellen. Was nicht bedeutet, jeder kann es schaffen, man muss sich nur anstrengen, sondern das ist wahrscheinlich wirklich ein schmaler Grad.
Karina: Vielleicht an der Stelle auch, manche Leute sind ja auch nach wie vor ein bisschen vorsichtig, was COVID angeht und für manche ist es ja auch nach wie vor nicht vorbei. Und die können deswegen vielleicht sich auch nicht mit Leuten treffen, ohne dass es als Ausrede genutzt wird oder so. Also ich habe oft das Gefühl, wenn ich zu Leuten irgendwie immer noch sage, ich möchte mich eigentlich lieber irgendwie draußen treffen oder so, weil halt, weil ich trotzdem immer noch aufpasse, was COVID angeht, dann wird das oft so gesehen, als würde ich mich irgendwie rausreden wollen und hätte einfach keinen Bock. Obwohl es halt nicht so ist, aber für die meisten ist es halt quasi einfach ein Thema der Vergangenheit und für manche halt nicht.
Jonas: Das, was ich mich noch gefragt habe, wir hatten ja auch in der vorletzten Episode über Vorbilder gesprochen. Und im Nachgang ist mir auch nochmal so bewusst geworden, dass wenn man sich Follower*innenzahlen anguckt und so rein auf diese Statistik schaut, dann du, Raúl, sowieso explizit, aber auch du, Karina, ihr habt ja Follower*innen bei Instagram, bei den sozialen Netzwerken, bei Facebook und so weiter. Also, dass diese Zahl von Leuten, die einem irgendwie folgen oder kontakten, je nachdem, wie man es auch ja dann definiert, also Freunde, Kontakte, Follower*innen sind, dass auch diese Zahl ja sehr irgendwie darüber hinweg täuschen kann, wie man sich auch selber fühlt. Also im Sinne von, Raúl, wenn man sich die Zahlen bei dir anguckt, dann dürftest du ja eigentlich von der Tatsache, wie viele Leute dich kennen und wie viele bekannte Kontakte und was auch immer du hast, du dürftest ja überhaupt nicht einsam sein. Ja, ich glaube, also aus Bekannten entstehen ja noch lange keine Freunde automatisch. Und wahrscheinlich gibt es dann eher so verschiedene Kreise, die einen umgeben, und der erweiterte Kreis ist dann wahrscheinlich Social-Media-Kontakte. Dann gibt es einen engeren Kreis, das sind dann Bekannte, die man persönlich mal gesehen hat und vielleicht mehr als einmal. Und dann gibt es noch Freunde und dann gibt es noch beste Freunde. Dann gibt es noch Partner*innen, also so würde ich es eher sehen, dass es quasi immer enger wird. Und die Leute, die viele Follower haben oder berühmt sind, die haben dann eher in den äußeren Kreisen viele Menschen. Aber ich kenne auch einige, die berühmt sind, die relativ wenig Freunde haben.
Jonas: Jetzt haben wir ja schon viel über unser persönliches Empfinden gesprochen, was so für uns Einsamkeit irgendwie bedeutet. Und es ist ja sehr individuell und deswegen haben wir auch nochmal geguckt, okay, was kann man denn aus wissenschaftlicher Perspektive zum Thema Einsamkeit sagen, bzw. wie ist Einsamkeit eigentlich auch dort definiert. Und deswegen habe ich im Vorfeld dieses Podcasts mit der Universitätsprofessorin Dr. Susanne Bücker gesprochen. Sie ist Professorin für Entwicklungs- und pädagogische Psychologie und untersucht Einsamkeit über eine gewisse Lebensspanne, besonders eben bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen und ist mit Studien beschäftigt, wie sich Einsamkeit eben auch bei jungen Leuten äußert und wie man frühzeitig auch intervenieren kann, wenn man merkt, okay, ich komme hier in eine Situation, wo ich mich einsam fühle bzw. bin, in dem Sinne von Einsamkeit bedroht. Und ich habe mit ihr gesprochen und sie gefragt, was eigentlich Einsamkeit in dem Sinne ist.
[Interview Susanne Bücker Teil 1]
Jonas: Was verstehen Sie genau unter Einsamkeit, beziehungsweise kann man das pauschal überhaupt irgendwie definieren?
Susanne Bücker: Ja, in der Psychologie arbeiten wir mit einer Definition der Einsamkeit, die beschreibt, dass Einsamkeit eine wahrgenommene Diskrepanz darstellt zwischen den Beziehungen, die ich tatsächlich habe und den Beziehungen, die ich mir wünsche. Das heißt, immer wenn ich den Eindruck habe, meine sozialen Beziehungen sind vielleicht zu oberflächlich oder qualitativ nicht hochwertig genug, dann fühle ich mich einsam oder aber, wenn ich den Eindruck habe, ich habe tatsächlich zu wenig soziale Kontakte, das heißt, wenn die Quantität meiner Beziehungen nicht so ist, wie ich sie mir wünsche, auch dann kann Einsamkeit entstehen.
Jonas: Man kann aber auch sagen, dass dieses Obligatorische, man hat wenige, aber gute Freunde, dass das quasi auch teilweise ausreichen würde, um Einsamkeit entgegenzuwirken. Also wenn ich sage, ich habe einen Freund oder eine Freundin, wo ich weiß, ich kann die Tag und Nacht anrufen und sie wäre für mich da, dass das quasi auch schon dem entgegenwirken würde.
Susanne Bücker: Das ist ein interessanter Gedanke, der darauf anspielt, dass Menschen sich stark darin unterscheiden, wie viele Sozialkontakte sie eigentlich brauchen, um zufrieden zu sein. Es gibt Menschen, die brauchen ständig andere um sie herum und die brauchen auch viel Austausch mit vielen unterschiedlichen Menschen. Denen würde es vielleicht nicht reichen, wenn sie einen engen Freund oder eine enge Freundin hätten, mit der sie so eine ganz vertrauensvolle, enge Beziehung führen. Dann gibt es aber eben auch andere, die sich genau danach sehnen, diesen einen besten Freund, die beste Freundin zu haben, mit der man alles teilt und wo man sich voll und ganz verstanden fühlt. Diesen Menschen reicht es dann auch, wenn es eben diese eine enge Beziehung gibt. Die brauchen dann darüber hinaus gar nicht mehr so viele weitere Kontakte. Aber das ist eben hochgradig individuell, wie viele Menschen man braucht und wie viel intensiven Austausch man sich auch wünscht.
Jonas: Gibt es denn, weil Sie ja Wissenschaftlerin sind und sich mit dem Thema ja nochmal aus dieser Perspektive auseinandersetzen, gibt es Aspekte der Forschung, dass man sagen kann, dass es gewisse Voraussetzungen gibt, die aber auch Einsamkeit fördern? Also Zugänge zu Austausch, Barrieren, vielleicht auch bestimmte Personengruppen, die vielleicht irgendwie mehr betroffen sind?
Susanne Bücker: Ja, dazu gibt es ziemlich viel Forschung und man weiß mittlerweile recht gut, dass es bestimmte vulnerable Gruppen gibt, die ein erhöhtes Risiko dafür haben, sich chronisch einsam zu fühlen. Das sind zum Beispiel Menschen, die ein niedriges Einkommen haben, also von Armut betroffen sind, weil diese häufig Schwierigkeiten haben, gesellschaftlich teilzuhaben. Für viele soziale Angebote braucht man eben dann doch auch zumindest ein bisschen Geld, um da mitmachen zu können. Und auch die Armutsforschung zeigt, dass Menschen, die von Armut betroffen sind, sich häufig aus sozialen Kontexten zurückziehen, weil sie sich für ihre finanzielle Situation schämen. Und das kann dann eben auch wieder zu mehr Einsamkeit führen. Man weiß aber auch, dass beispielsweise alleinerziehende Eltern ein höheres Einsamkeitsrisiko haben. Häufig dadurch begründet, dass sie weniger Zeit haben, ihre sozialen Beziehungen so zu gestalten, wie sie sich das eigentlich wünschen würden. Die alleinerziehenden Eltern sind dann vielleicht ständig im Kontakt, zum Beispiel mit ihrem Kind, sind eigentlich nie objektiv alleine, aber trotzdem fühlen sie sich einsam, weil ihnen eben die Zeit dafür fehlt, sich auch mal ohne das Kind mit Freundinnen und Freunden zu treffen und auf diese Weise Beziehungen zu gestalten. Man weiß auch, dass Menschen in unterschiedlichen Altersgruppen eher von Einsamkeit betroffen sind als in anderen Altersgruppen. Und ein überraschender Befund hier ist, dass gar nicht so sehr die hochaltrigen Menschen die einsamsten sind. Das dachte man sehr lange. Man hat lange angenommen, Einsamkeit ist so ein altes Thema. Die neuere Forschung zeigt aber vielmehr, dass vor allen Dingen Jugendliche und junge Erwachsene die Gruppe sind, die höhere Einsamkeitsprävalenzen aufweisen, also wo das Einsamkeitserleben scheinbar stärker verbreitet ist. Und wenn man sich diese unterschiedlichen Altersgruppen anschaut, dann sind auch hier die Ursachen für die Einsamkeit häufig sehr unterschiedlich. Im hohen Lebensalter sind das vielleicht gesundheitliche Einschränkungen, die dann Teilhabe erschweren, wenn man mobilitätseingeschränkt ist, zum Beispiel oder wenn man aufgrund von einer Erkrankung das Haus nicht mehr so gut verlassen kann. Und im jungen Erwachsenenalter sind das ganz andere Gründe, die dann zu Einsamkeit führen können. Wenn man hier zum Beispiel sehr starken Druck und damit meine ich so etwas wie Leistungsdruck erlebt, dass man sich sehr stark gestresst fühlt und dann in sozialen Beziehungen auch gar nicht so sehr abschalten kann, sondern im Grunde genommen die ganze Zeit sich mit anderen vergleicht und sich dann selbst möglicherweise auch abwertet oder unter Druck setzt, andere soziale Kontakte eher so als Konkurrenzsituation wahrnimmt, dann kann das eben auch zu mehr Einsamkeit führen. In der Einsamkeitsforschung wird auch der Zusammenhang zwischen der Mediennutzung und Einsamkeit recht intensiv untersucht. Und da guckt man eben auch viel auf Jugendliche und junge Erwachsene. Allerdings zeigt sich hier, dass das Zusammenspiel zwischen der Mediennutzung und der Einsamkeit sehr viel komplexer ist, als man so allgemein hin annimmt.
Und man kann nicht pauschal sagen, dass Mediennutzung einen einsamer macht, sondern es scheint sehr stark darauf anzukommen, wie diese sozialen Medien genutzt werden. Also wenn man die dafür verwendet, Kontakte aufrecht zu erhalten über große Distanzen hinweg in einer globalisierten Welt, dann ist das eine sinnvolle Nutzung, die auch vor Einsamkeit schützen kann. Aber wenn man jetzt seine gesamten sozialen Kontakte in Online-Welten verlagert und dieser Medienkonsum auch die echten physischen Beziehungen aus dem Alltag verdrängt, dann ist das eben auch ein potenzielles Einsamkeitsrisiko.
Jonas: Kann man denn irgendwie, also gibt es Anzeichen, die man so selber für sich erkennen kann, wo man sagt, ok, hier, ich sag mal so salopp, jetzt schlittere ich in die Einsamkeit und jetzt kann ich auch dagegen entgegenwirken. Das haben wir ja auch gerade gesagt, das ist ja auf der einen Seite so beides. Also auf der einen Seite kann ich natürlich mich sehr vernetzen in der digitalen Welt, aber das kann natürlich auch zur Folge haben, wenn es ins andere Extrem umschlägt, dass ich dann eben gar nicht mehr vor die Tür gehe. Aber was sind so Anzeichen, die ich für mich erkennen kann, wo ich dadurch wahrnehmen kann, ok, ich bin in Anführungsstrichen einsamkeitsgefährdet?
Susanne Bücker: Die meisten Menschen haben ein ganz gutes Bauchgefühl für diese Situationen, in denen sie sich einsam fühlen. Dann hat man den Eindruck, man gehört irgendwie nicht so richtig dazu oder man ist so eine Außenseiterin in einer sozialen Gruppe. Das kann tatsächlich auch eben in Situationen auftreten, in denen man eigentlich von anderen Menschen umgeben ist und man trotzdem so ein Gespür dafür hat, man kann irgendwie nicht so richtig mitreden. Man ist nicht so wirklich Teil dieser Gruppe. Es gibt da eigentlich nicht so einen Zusammenhalt, wo man dazugehört, sondern man ist da irgendwie ein Stück weit fremd in der Gruppe. Oder man hat eben tatsächlich zu wenig soziale Beziehungen oder Kontakte, wenn man eine ganze Woche lang niemand anderen sieht und mit niemand anderem spricht und man eben damit unzufrieden ist. Dann kann auch das eben so ein Hinweis darauf sein, dass man sich einsam fühlt. Man muss dabei aber eben klar sagen, Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl. Hier geht es stark darum, wie bewerte ich meine eigenen sozialen Beziehungen. Und deshalb ist es schwierig, von außen zu beurteilen, ob sich jemand jetzt gerade einsam fühlt. Denn dieses Einsamkeitserleben kann eben auch in Gesellschaft auftreten. Das kann auch auftreten, obwohl ich eine Paarbeziehung führe. Ich kann mich auch in Anwesenheit meines Partners oder meiner Partnerin einsam fühlen, wenn ich den Eindruck habe, ich werde hier eigentlich gar nicht richtig verstanden. Und irgendwie kennt mich niemand so richtig. Auch das kann eben Einsamkeit bedeuten. Deshalb gibt es schon so verschiedene Anzeichen oder typische Gedankengänge, die Menschen haben, wenn sie sich einsam fühlen. Aber am Ende des Tages ist das so ein den ganzen Körper umfassendes Gefühl, das einen dann so ergreift, dass man vielleicht auch damit vergleichen kann, wenn man sich sehr stark gestresst fühlt oder wenn man sehr, sehr traurig ist oder auch wirklich körperliche Schmerzen verspürt. Und das äußert sich dann bei jedem und jeder auch so ein bisschen anders. Aber man weiß eben auch aus der neurophysiologischen Forschung, dass dieses chronische Einsamkeitserleben nicht nur ein Gefühl ist, nicht nur so etwas Abstraktes, sondern sich wirklich auch körperlich zeigt, dass die Hautleitfähigkeit sich verändert, dass die Hormonausschüttung im Körper sich verändert und dass sich eben die Herzrate zum Beispiel verändert und auf diese Art und Weise dann auch gesundheitliche Konsequenzen aus der Einsamkeit drohen.
Jonas: Genau, also inwieweit kann Einsamkeit in dem Sinne auch krank machen, beziehungsweise Sie haben es eben auch angesprochen, dass ja vielleicht auch zum Beispiel im Alter, insbesondere dann, wenn man dann vielleicht auf Barrierefreiheit angewiesen ist oder aufgrund der, ich sag mal, Gebrechlichkeit im Alter gar nicht mehr so am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, dass es schon fast so ein Henne-Ei-Problem ist, dass man vielleicht aufgrund des eigenen Alters nicht mehr so teilhaben kann und sich einsamer fühlt, aber aufgrund von sehr stark gefühlter Einsamkeit ja auch irgendwie vielleicht krank wird.
Susanne Bücker: Ja, tatsächlich gibt es hier so eine wechselseitige Beziehung zwischen der Gesundheit oder der Krankheit und der Einsamkeit. Die Forschung zeigt hier recht deutlich, dass Einsamkeit sowohl die körperliche als auch die mentale Gesundheit negativ beeinflussen und das untersucht man in der Regel in großen Längsschnittstudien. Das bedeutet, dass Menschen wiederholt befragt werden zu ihrem Einsamkeitserleben und man auch wiederholt ihren Gesundheitszustand erfasst. Und in diesen Studien findet man dann, dass wenn Menschen im jungen oder im mittleren Erwachsenenalter sich schon chronisch einsam fühlen, sie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür haben, im weiteren Lebensverlauf mehr gesundheitliche Einschränkungen oder Symptome zu berichten. Das heißt, hier wäre dann die Einsamkeit der Risikofaktor für eine schlechtere Gesundheit und im Bereich der körperlichen Gesundheit findet man hier zum Beispiel eine erhöhte Anfälligkeit für verschiedene Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die schlussendlich auch dazu führen, dass die Lebenserwartung von chronisch einsamen Menschen verringert ist. Also chronisch einsame Menschen versterben dann tatsächlich früher. Man findet auch Zusammenhänge mit verschiedenen entzündlichen, zum Beispiel rheumatischen Erkrankungen, aber eben auch mit verschiedenen psychischen Störungen, wie zum Beispiel der Depression oder der Angststörung. Und gleichzeitig weiß man aber auch, dass wiederum diese Erkrankungen, seien sie jetzt körperlich oder mental, die Wahrscheinlichkeit für Einsamkeitsgefühle erhöhen können. Wenn Sie sich eine Person vorstellen, die chronisch depressiv ist, dann gehört es zu ihrem Störungsbild dazu oder zu ihrer Symptombelastung, dass sie sich vermehrt auch zurückzieht und dass sie antriebslos ist und traurig oder stark auch an dem Lebenssinn zweifeln könnte. Und diese Symptome wiederum, die bedingen dann eben auch, dass man nicht mehr so gut in der Lage ist, sich mit anderen Menschen zu treffen, auf soziale Kontakte einzulassen und das führt dann eben in der Folge oft auch zu vermehrter Einsamkeit und das wiederum dann verstärkt die depressiven Symptome und so hat man dann einen Teufelskreis, wo sich die Einsamkeit und die Gesundheit eben gegenseitig aufschaukeln.
Jonas: Universitätsprofessorin Dr. Susanne Bücker von der Universität Witten-Herdecke zum Thema Einsamkeit. Ich fand es auch nochmal spannend zu hören, dass Einsamkeit wirklich eben auch krank machen kann.
Karina: Ja, und andersrum. Und Krankheiten einsam machen können.
Jonas: Naja, also wie Sie ja schon gesagt haben, es ist so eine Wechselwirkung. Also die Frage ist, wo fängt man da an?
Karina: Ich finde das auch total schwierig. Ich habe gerade auch überlegt, mein Freundeskreis hat sich immens verkleinert, als ich plötzlich chronisch krank war. Was auch daran liegt, dass ich, also Beziehungen aufzubauen mit Menschen braucht ja auch ganz viel Zeit und irgendwie auch Energie. Also man muss ja auch in Kontakt bleiben, man muss den Leuten ordentlich zuhören. Und all das ist anstrengend und zieht mir Energie und deswegen kann ich das auch nur bedingt häufig. Und dadurch, ich würde es überhaupt nicht schaffen, irgendwie Dutzende von engen Freunden zu haben, weil ich das energietechnisch überhaupt nicht hinkriegen würde. Ich schaffe es teilweise nicht, Raúl innerhalb von drei Tagen zurückzurufen, wenn er mich angerufen hat. Deswegen, das ist ja auch irgendwie, das limitiert sich auch selber. Was wäre denn jetzt, wenn ich eine Person wäre, die das bräuchte? Also die einfach von der Persönlichkeit her jemand ist, der ganz, ganz viel Sozialkontakt braucht, aber ich das halt schlichtweg einfach energiemäßig nicht schaffe. Wie wirkt sich das denn dann aus?
Jonas: Wie ging es dir, Raúl? Als du die Definition und die Folgen von Einsamkeit jetzt gerade noch mal gehört hast?
Raúl: Also ich glaube, was wichtig ist, noch mal festzuhalten, dass das ja alles Wechselwirkungen sind, oder auch Wechselspiele. Also Einsamkeit kann krank machen und krank sein kann einsam machen und das ist gegenseitig bedingt. Und wenn man jetzt krank ist und dadurch vielleicht weniger aktiv sein kann, setzt das die Wechselwirkung voraus, dass man die Freundschaften, die man hat, das dann auch verstehen und dann, wenn man drei Tage nicht zurückgerufen wird, dann ich zum Beispiel nicht wütend werde oder traurig, wenn ich einfach Verständnis habe und das nicht persönlich nehme. Oder vielleicht doch, aber dann man darüber reden kann. Ich glaube, das sind ja dann auch noch mal Wechselwirkungen. Mir fällt ein, ich hatte mal ein Gespräch mit Monika Young in einem Podcast und da ging es auch um das Thema Einsamkeit, weil sie auch Einsamkeitsforscherin ist und sie erzählte, dass es auch kulturelle Unterschiede gibt. Also in eher ostasiatischen Räumen, die ja eher gesellig sind, kann man auch einsam werden, dadurch, dass zum Beispiel man vielleicht seine Individualität verliert und dann, wenn man jetzt bestimmte Dinge zum Ausdruck bringen möchte, die aber gesellschaftlich nicht so gerne gesehen sind, das auch eine Art von Einsamkeit erzeugen kann. Und sie erzählte auch, dass die digitale Welt auch oft eine Illusion von Nähe erzeugt.
Jonas: Also das, was ja auch Frau Bücker sagt, dass es schon gut ist, wenn man Videokontakt hält zu jemandem, der in Übersee wohnt.
Raúl: Ja, das ist besser als gar nichts, aber diese Nähe ist halt auch ein bisschen eine Illusion, weil sie eben nicht wirklich nah ist. Und weil, also ich erlebe das auch wirklich in meinem Freundeskreis, dass Leute anfangen mit KI-Bots, Therapeutengespräche zu führen, das ja auch eine Art von kurzer Linderung wahrscheinlich sein kann, von Leid. Aber wenn wir auf Dauer nur noch mit Maschinen reden, das vielleicht auch eher ein kurzfristiger Gewinn ist und langfristig ein großer Schaden sein kann. Und sie erzählte, dass gleichzeitig aber auch kleine Gesten im sozialen Alltag hilfreich sein können. Also jemanden im Aufzug zu grüßen, ist schon eine Geste und kann auch Verbindung erzeugen, jedenfalls eher, als wenn wir es nicht tun.
Du hast gerade auch noch einmal gesagt, diese Wechselwirkung. Das, was bei mir noch mal hängen geblieben ist, ist also auch die Tatsache der Individualität. Also dieses Gefühl von Einsamkeit, wie auch du, Raúl, gerade gesagt hast, sehr individuell sein kann, aber gleichzeitig es eben auch ja trotzdem bestimmte Personengruppen gibt, die davon mehr betroffen sind. Dieses Beispiel von Personen, die alleinerziehend sind, noch mal auch so stark im Sinne von, eigentlich ist es jetzt nicht so, wie wir es eben hatten, dass du irgendwie zu Hause rumsitzt und dir ist irgendwie langweilig und weißt irgendwie nichts mit deinem Leben anzufangen und hast irgendwie nichts zu tun, keinen Kontakt und so, sondern eher, du bist alleinerziehend und hast eigentlich viel Jubeltrubel um dich herum, viele Termine, eigentlich viel zu viel zu tun und bist aber trotzdem einsam, weil du gar nicht mehr so sehr bei dir bist und bei deinen eigenen Bedürfnissen, vielleicht bei deinem Freundeskreis, der über Care-Arbeit, die zu Hause zu tun ist, hinausgeht. Also auch das noch mal als Beispiel, plus eben auch die Tatsache, dass sich Treffen und Begegnung schaffen, das, was wir ja auch seit mehreren Folgen in diesem Podcast hier immer wieder erzählen, also dieses Begegnung und Teilhabe, der auch dann häufig sich hindert, wenn man irgendwie auf Barrierefreiheit angewiesen ist beziehungsweise eine Behinderung hat. Also ich finde dieses typische, ja, lass mal irgendwie spontan irgendwo treffen, so wird, glaube ich, schon mal rausfallen und auch, finde ich, und das finde ich auch nochmal irgendwie so spannend, wie es sich dann bei euch entwickelt hat, weil natürlich die eigene Behinderung, je nachdem, ob man sie jetzt seit der Geburt hat oder ob man sie im Laufe des Lebens erwirbt, natürlich auch Auswirkungen hat auf, sag ich mal, Hobbys oder Tätigkeiten, die man macht. Und wenn man jetzt irgendwie vielleicht einen Freundeskreis hat, der jetzt irgendwie aus Menschen besteht, die keine Behinderung haben und die würden jetzt, sag ich mal, Raúl, alle deine Freunde würden jetzt irgendwie bouldern gehen und so. Und dann wärst du halt vielleicht irgendwie nicht dabei oder würdest halt vielleicht mitkommen, aber könntest dann irgendwie nur zugucken. Aber ich weiß nicht, wie erfüllend das irgendwie für dich ist. Also auch natürlich irgendwie da, dass so gewisse Bedarfe oder gewisse, ja, Barrierefreiheitsbedarfe und Behinderungsarten dann einen auch trotzdem wieder irgendwie ausschließen und das auch in dem Sinne einen einsam macht.
Karina: Ja, und vielleicht auch ein bisschen abhängig davon, wann man seine Behinderung erwirbt. So ist ja auch, wie man seinen Freundeskreis so vielleicht von Anfang an schon aufbaut. Also ich habe immer das Gefühl gehabt, ich tue mich total schwer mit über 30 noch irgendwie neue Freundschaften zu finden. Okay, das klingt jetzt, als wäre ich steinalt, aber es ist halt schon irgendwie schwieriger, in Kontakt zu kommen, finde ich. Also früher gab es mehr Gründe für Kontakt, wie irgendwie da war ich noch in der Schule oder … Ja, Studium. Genau, oder eine Ausbildung. Also da waren so oder so immer Menschen da und irgendeinen mochte man schon. Aber jetzt ist es ja irgendwie, also jetzt muss man aktiv quasi Kontakt suchen und das finde ich total schwierig. Also auch so ohne zu wissen, ob ich mit dieser Person eigentlich wirklich irgendwas gemeinsam habe und weiß ich nicht.
Jonas: Du musst dir einen Hund anschaffen. Einen Hund anschaffen und mit dem Gassi gehen, dann trifft man immer wieder Leute. Also nicht, dass ich jetzt quasi aus Erfahrung spreche, ich habe keinen Hund, aber könnte ich mir vorstellen, dass das so ein Grund ist. Also ja, wie du sagst, also quasi Schule, Ausbildung, Kinder, ist ja auch nochmal das, was dann da der Spielplatzkontakte und so weiter sind, wenn man sich dann irgendwie Eltern austauschen und so. Aber aktuell, also sonst ist es schwierig, glaube ich, ja.
Karina: Ja, weil irgendwie fühlt man sich manchmal auch, also wenn es eine Gruppe Menschen ist, die einfach zusammengewürfelt ist und die man sich vielleicht auch nicht selber ausgesucht hat, fühlt man sich auch teilweise einfach irgendwie einsam in dieser Gruppe. Und das hat total mit mir resoniert in dem Interview, als sie gesagt hat, dass man quasi dann sich einsam fühlt, weil man nicht das Gefühl hat, Teil von dieser sozialen Gruppe zu sein, zum Beispiel aufgrund von chronischer Krankheit, die keiner versteht. Und plötzlich fühlt man sich irgendwie, obwohl man umringt ist von Menschen, die mit einem reden, fühlt man sich total einsam in dieser Riesengruppe. Das passiert mir überraschend häufig, dass ist mir nur erst irgendwie aufgefallen, als ich das in dem Interview gehört habe.
Jonas: Hast du denn, sag ich mal, auch als Person, die dann so ihre Behinderung im Laufe des Lebens erworben hat, hast du dann nach dem Motto “Kill your darlings” dann aber auch deinen Freundeskreis gewechselt oder ist das quasi geblieben?
Karina: Teils, teils. Also ich glaube, das passiert ja von selber. Da waren super viele Leute dabei, die konnten da halt nicht mit umgehen mit der Tatsache, dass ich plötzlich nicht irgendwie jedes Wochenende bis in die Puppen mit irgendwie feiern gegangen bin oder spontan irgendwelche Geburtstagsfeiern absagen musste, weil es mir halt einfach irgendwie an dem Tag nicht gut ging und so. Und irgendwann hören die Leute einfach von selber auf, mit dir zu sprechen und dann sind sie halt einfach weg. Manche ein bisschen mit einem härteren Cut und andere halt eher so langsam. Und dann gleichzeitig fügt man sich ja irgendwie so ein bisschen auch in eine andere Community, fängt an mit Leuten zu sprechen, die irgendwie vielleicht eine ähnliche Erkrankung haben. Dann auch so irgendwie über Arbeitskontexte habe ich sehr viele Menschen kennengelernt, die halt auch irgendwie Behinderungen haben. Und so ist das dann automatisch, hat sich halt einfach ein bisschen verschoben. Aber jetzt habe ich einen bunt gemischten Freundeskreis aus allen erdenklichen Menschen, so von damals bis heute, behindert, nicht behindert, alles dabei.
Raúl: Ich muss zur Ehrenrettung der nichtbehinderten, nichtbetroffenen Freund*innen auch sagen, dass es mir manchmal sogar aber auch ganz gut tut, herausgefordert zu werden. Also wenn ich jetzt in einem Umfeld leben würde, das die ganze Zeit Verständnis zeigt für mein “Ich kann gerade nicht”, dann würde es wahrscheinlich auch so eine Spirale nach unten bei mir geben. Und so Freunde, die einem sagen, ich habe jetzt nicht über Barrierefreiheit nachgedacht, aber lass uns doch mal in den Park gehen. Oder ins Kino und dann suchen wir halt ein barrierefreies Kino. Also erst die Initiative zu starten und dann zu schauen, wie es geht, als vorher alles zu bedenken und dann bleiben noch drei langweilige Aktivitäten übrig.
Jonas: Fand ich auch, also erst jetzt durch das Gespräch fällt mir das auf, dass mir das auch wichtig ist. Was wäre das Nächste, zu dem du gerne herausgefordert werden wollen würdest?
Raúl: Zu einem Urlaub.
Karina: Ich habe das Gefühl, jetzt willst du das wir dich einladen auf eine Urlaub.
Raúl: Nee, einfach mal so zu sagen, wir fahren jetzt mal wohin, in die Berge, was auch immer, wo man erstmal 100 Fragen hat zum Thema Barrierefreiheit. Aber einfach mal sagen, wir machen das jetzt einfach mal vier Tage.
Jonas: Oder Strandurlaub im Sinne von, wo jetzt nicht irgendwie der Strand zu betoniert ist, dass du da quasi mit dem Rollstuhl ganz nah ans Wasser irgendwie kannst, sondern einfach mal drei Wochen Bahamas.
Raúl: Ja, bzw. die Strandzugänge und Orte, wo alles barrierefrei ist, oft dann auch so eine Krankenhausästhetik bekommen, wo ich dann denke, ja, aber ich würde dann auch gerne mal klubben in Madrid oder so. Und das ist wahrscheinlich in keinem barrierefreien Reiseführer drin.
Jonas: Aber wie betroffen macht euch das, wenn ihr hört, dass Menschen mit Behinderung da nochmal mehr betroffen sind von dem Thema Einsamkeit, bzw. ihr hattet ganz am Anfang ja auch davon erzählt, dass ihr diesen Test gemacht habt und in dem Sinne auch irgendwie rauskam, dass ihr einsam seid. Also wie nah geht euch das?
Karina: Ich meine, klar, das tut einem schon ein bisschen weh, weil man sich ja auch selber in der Rolle sieht. Und ich glaube, ich fühle mich jetzt überhaupt nicht einsam so. Aber was mir zum Beispiel total viel Angst macht, ist, einsam zu sein, wenn ich alt bin. Also halt einfach, wenn meine Eltern vielleicht mal nicht mehr sind oder so, oder ich sonst nicht so viel Familie habe und keine Kinder und sonst wie. Ja, wen habe ich denn, wenn ich dann irgendwie älter werde? Das ist was, was mich ganz viel bewegt. Also weil ich einfach, ich glaube schon, dass man relativ schnell einsam ist, wenn man irgendwie älter ist, dann wird behinderungsbedingt werden, dann sind Dinge wahrscheinlich für mich eher schwieriger als einfacher.
Jonas: Aber gibt es denn jetzt von diesem Gefühl, sage ich mal, oder ich weiß nicht, ob es ein Gefühl ist, aber diese Tatsache, dass eben Menschen mit Behinderung mehr von Einsamkeit betroffen sind? Und ich finde diese Tatsache, die du gerade gesagt hast, Karina, was passiert im Alter, wenn dann quasi nochmal die anderen Faktoren dazukommen? Dass man vielleicht auch aufgrund des Alters nicht mehr so mobil ist, dass man dann irgendwie auch Sorgen hat vor, wie geht es dann mit allem weiter? Ist man dann nochmal mehr von Einsamkeit betroffen? Aber von diesem Gefühl aus, gibt es denn da auch belegbare Zahlen zu?
Karina: Ja, also es gibt relativ viele Studien, die sich mit Faktoren, also warum Menschen mit Behinderung häufiger einsam sind, beschäftigen. Eine Studie, die ich spannend fand, war, die herausgefunden hat, dass zwischen 2003 und 2020, also die haben verglichen behinderte Menschen mit nichtbehinderten Menschen, und behinderte Menschen waren zwischen 1,5 und 1,9 Mal so oft einsam wie nichtbehinderte, also fast doppelt so viel. Und was ich spannend fand, war, dass die Zahl abgenommen hat zwischen 2003 und 2020 für die nichtbehinderten Menschen, aber zugenommen hat für die behinderten Menschen. Und da war irgendwie am meisten betroffen, waren Menschen entweder zum Beispiel mit kognitiven Behinderungen oder Lernschwierigkeiten, Menschen mit psychologischen Erkrankungen, Behinderungen, psychischen, ich habe das gerade übersetzt, das ist ja Englisch, Leute, die zum Beispiel ein Schädel-Hirn-Trauma hatten, oder Leute mit Schlaganfall.
Jonas: Finde ich auch nochmal, dieser Zeitraum, wo dann, ich glaube auch nochmal, dieses Gefühl, dieses Einsamkeitsgefühl in Kombination mit der Corona-Pandemie und der Tatsache, dass man vielleicht sich verstanden, also mehr verstanden fühlt, beziehungsweise gar nicht diesen Vergleich hat zu anderen Leuten, die halt sehr viel unternehmen, sondern quasi alle sind zu Hause und alle machen in Anführungsstrichen nichts oder weniger, oder alle sind irgendwie in irgendwelchen Calls, dass man in diesem Vergleich sich vielleicht gar nicht so mehr einsam fühlt, dass das irgendwie da auch noch mit rein spielt. Aber wie gerade die Tatsache, so viel mehr betroffen zu sein, ist schon, finde ich, in dem Sinne erschreckend. Ich habe mit Frau Dr. Böcker auch nochmal gesprochen über die Tatsache, was man machen kann gegen Einsamkeit, also auch nochmal, wie man selber irgendwie dagegen vorgehen kann, gerade eben in einer sehr digitalen Zeit, in der wir aktuell leben.
[Interview Susanne Bücker, Teil 2]
Jonas: Wir haben eben schon so ein bisschen über die sehr moderne Welt gesprochen, über Digitalisierung und auch um Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene. Ich kann mich noch erinnern, als gerade die sozialen Netzwerke sehr aufkamen und es dann, egal ob es damals StudiVZ oder sowas war oder dann Facebook, wo ja auch so ein bisschen, ja man sich immer wieder verglichen hat im Sinne von “Wie viele Freunde hast du? Wie viele Freunde hast du?” Das war eigentlich nur ein Aufzählen von wie viel Kontakt man in dem Sinne hat. Es ist deswegen auch so verrückt, dass man auf der einen Seite diese digitalen Chancen hat, eigentlich ständig und mit allen vernetzt zu sein und die theoretische Möglichkeit zu haben, in Kontakt zu treten. Es aber trotzdem auf der Gegenseite dazu führt, dass man eigentlich, obwohl man diese Zahl da irgendwie stehen hat von “Ich habe 500 Freunde” oder “1000 Kontakte” oder “Follower*innen”, sich aber trotzdem irgendwie einsam zu fühlen.
Susanne Bücker: Ja, das spiegelt so ein Stück weit wieder, dass die psychologische Forschung deutlich macht, dass die Qualität der Beziehungen sehr viel wichtiger zu sein scheint, als die Quantität der Beziehungen im Kontext der Einsamkeit. Es geht also wirklich eher darum, tiefgreifende, vertrauensvolle Beziehungen zu gestalten und nicht nur darum, eine große Anzahl an Kontakten zu haben. Und typischerweise sind ja diese ganzen Follower*innen oder Freundinnen und Freunde, die man so als numerischen Wert in sozialen Netzwerken sieht, nicht alles Menschen, mit denen man tiefe, vertrauensvolle Beziehungen gestaltet. Tatsächlich ist es auch so, dass wenn man stark dazu tendiert, sich mit anderen zu vergleichen, und auch hier unterscheiden sich Menschen wieder recht stark darin, wie sehr sie dazu tendieren, dann sind auch diese Personen eher einsamkeitsgefährdet. Das hat etwas damit zu tun, dass man dann eben sein eigenes Leben mit dem vergleicht, was einem da auf Social Media präsentiert wird. Und nun ist es so, dass auf Social Media ja häufig eine sehr geschönte Sicht des Lebens präsentiert wird. Und dann entsteht sehr schnell der Eindruck, dass bei allen anderen das Leben so viel bunter und sozial integrierter ist als bei mir selbst. Und dann werte ich möglicherweise mein eigenes Leben oder mich als Person eher ab, weil ich den Eindruck habe, allen anderen gelingt das so viel besser als mir selbst. Und da muss man sich eben sehr klar machen, dass das, was ich da auf Social Media präsentiert bekomme, in der Regel eine sehr gefilterte Sicht des Lebens ist. Und ja, das eben nicht zwangsläufig bedeutet, dass es bei all diesen anderen Menschen nicht auch mal Phasen gibt, in denen sie sich einsam fühlen. Unsere Studien zeigen nämlich ziemlich deutlich, dass sich die Mehrheit der Menschen irgendwann im Leben einmal einsam gefühlt hat und trotzdem wird darüber sehr wenig geredet. Also dieses Einsamkeitsgefühl ist nach wie vor eher tabuisiert. Den meisten Menschen fällt es sehr schwer zu sagen, ich fühle mich einsam. Da schwingt immer direkt so etwas, so ein Makel mit. Das möchte man eigentlich nicht so sehr nach außen zeigen.
Jonas: Ja, und da sehe ich eben dann schon auch eine Gefahr, wenn man eben stark dazu tendiert, sich mit anderen Menschen zu vergleichen und man soziale Medien sehr viel nutzt, dass das am Ende eher dazu führt, dass es einem nur noch schlechter geht. Und da macht es sicherlich Sinn, dann auch mal darüber nachzudenken, wie möchte ich denn meine Beziehungen eigentlich gestalten und wer tut mir gut, was tut mir vielleicht auch nicht so gut und dafür sich dann vielleicht auch mal eine Auszeit der intensiven Mediennutzung zu überlegen.
Jonas: Das wäre so die Frage, also Sie haben ja gesagt, dass das Gefühl von Einsamkeit wahnsinnig individuell ist, aber gibt es denn irgendwelche Tipps oder Handwerkszeugs, wo man quasi dem entgegentreten kann, was für alle gilt? Oder kann man gar keine individuellen Tipps geben, sondern man braucht irgendwas Strukturelles?
Susanne Bücker: Ich denke, um Einsamkeit zu bekämpfen, brauchen wir sowohl individuelle Maßnahmen als auch Maßnahmen auf eher struktureller Ebene. Ich hatte eben gesagt, dass zum Beispiel armutsbetroffene Menschen ein erhöhtes Einsamkeitsrisiko haben. Das wäre jetzt eher so etwas auf einer strukturellen Ebene. Wenn wir Armut bekämpfen, dann bekämpfen wir gleichzeitig auch ein Stück weit das Einsamkeitsrisiko. Oder wenn wir auf einer strukturellen Ebene dafür sorgen, dass weniger Ausschluss von Menschen passiert, weniger Diskriminierung zum Beispiel, dann wäre auch das etwas, was Einsamkeit vorbeugen kann. Gleichzeitig braucht es aber auch individuelle Ansätze. Und hier zeigen groß angelegte Meta-Analysen, die sich mit der Effektivität von Einsamkeitsinterventionen beschäftigen, dass vor allen Dingen die Interventionen wirksam sind, die an den Wahrnehmungen von Menschen ansetzen. Menschen, die sich einsam fühlen, haben häufig eine negativ verzerrte Wahrnehmung ihrer sozialen Umwelt. Sie nehmen andere Menschen verstärkt auch als Gefahr wahr und haben den Eindruck, das ist jetzt eine Situation, in der könnte ich wieder zurückgewiesen werden, deshalb vermeide ich die vielleicht lieber direkt. Oder sie tendieren dazu, das Verhalten einer anderen Person tendenziell als negativ und als abwertend wahrzunehmen, obwohl die Person vielleicht einfach nur gerade im Zeitdruck war und deshalb vielleicht kurz angebunden. Da gibt es dann ganz viele verschiedene Erklärungsansätze dafür, warum sich eine Person so verhalten hat, wie sie sich verhalten hat. Wenn ich jetzt aber zur Einsamkeit tendiere, dann würde ich dieses Verhalten der anderen Person stark auf mich selbst beziehen und würde vielleicht den Eindruck gewinnen, die Person mag mich nicht und deshalb hat sie sich so verhalten. Und an diesen verzerrten Wahrnehmungen auf individueller Ebene anzusetzen, das scheint recht wirksam zu sein, um Einsamkeit zu bekämpfen. Nun ist das aber etwas, was man in der Regel nur in sehr intensiven, auch therapeutischen 1-zu-1-Settings mit Menschen erarbeiten kann. Etwas niederschwelliger kann es aber auch schon ausreichen, wenn man versucht, mit seiner eigenen Wahrnehmung ein bisschen zu spielen und zum Beispiel mal ganz gezielt in sozialen Kontexten darauf zu achten, was habe ich denn gemeinsam mit den anderen Menschen hier um mich herum. Denn wenn ich zur Einsamkeit tendiere, dann nehme ich mehr Unterschiedlichkeit wahr. Dann habe ich eher den Eindruck, ich bin so ganz anders als die anderen Menschen um mich herum. Und mit dieser Wahrnehmung kann man ja mal auch alleine arbeiten, indem man sich jetzt mal gezielt die Aufgabe stellt, nach Gemeinsamkeiten Ausschau zu halten. Das sind so oberflächliche Gemeinsamkeiten wie “Wir tragen beide weiße Sneaker” oder “Wir haben irgendwie offensichtlich einen ähnlichen Musikgeschmack, weil die andere Person ein Band-T-Shirt trägt von einer Band, die ich auch cool finde”. Also sowas in die Richtung. Oder die Person hat irgendetwas geäußert, was darauf hindeutet, dass sie vielleicht ähnliche Werte oder Einstellungen hat wie ich selbst. Und diese Gemeinsamkeiten mehr im sozialen Umfeld wahrzunehmen, kann eben auch dazu führen, dass ich hier Sympathien mit anderen Menschen entwickle. Und aus Sympathie entsteht dann auch am ehesten Freundschaft. Das könnte eine Mini-Übung sein, die man mal so in seinen Alltag integrieren kann, um seine eigene Wahrnehmung auch wieder mehr dafür zu schulen, was habe ich eigentlich hier gemeinsam mit meinem Umfeld und wo könnte ich zugehörig sein.
Jonas: Ja spannend, gibt es denn, aber gleichzeitig, weil wir uns ja auch in diesem Podcast ja viel mit dem Thema Behinderung und Inklusion auseinandersetzen. Es ist ja teilweise so, dass zum Beispiel Menschen mit Behinderung ja nur auf ihre Behinderung reduziert werden und immer wieder ihnen ja auch gezeigt wird von der Gesellschaft rein strukturell, dass sie anders sind, dass sie ausgeschlossen werden, dass sie eben nicht dazugehören. Sie haben eben ja auch angesprochen, Personen, die von Armut betroffen sind, also dass es ja einen großen Zusammenhang gibt zwischen Menschen, die vielleicht nicht der Norm der von der Mehrheitsgesellschaft festgelegten Norm nicht dazugehören. Gibt es ja Personengruppen, die nochmal mehr eigentlich aus dem Raster rausfallen bei dem Thema Einsamkeit, beziehungsweise wie kann man eben da so entgegenwirken, dass wir ja auch als Gesellschaft eher dann die Gemeinsamkeiten suchen, als quasi immer wieder ja Menschen zu sagen, ihr seid anders, ihr gehört nicht dazu und sozusagen einfach damit strukturell auszugrenzen.
Susanne Bücker: Ja eine Gruppe, die ich eben bei den vulnerablen Gruppen nicht angesprochen habe, sind natürlich auch Menschen, die aufgrund von Behinderungen oder Beeinträchtigungen eben auch Schwierigkeiten haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wenn dieses gesellschaftliche Leben so gestaltet ist, dass hier bestimmte Ausschlusskriterien existieren. Also wenn eben eine Umgebung, wo Menschen zusammenkommen, voller Barrieren ist, dann ermöglicht das ja bestimmten Menschen gar nicht erst, Zugang zu finden zu dieser sozialen Gruppe. Und das kann natürlich auch wieder stärker einsamkeitsfördernd sein. Es gibt durchaus auch Forschung, die zeigt, dass grundsätzlich jetzt mal ganz unabhängig von welchem individuellen Aspekt wir hier sprechen, diejenigen, die von einer gesellschaftlichen Norm abweichen, eher Einsamkeit erleben. Und diese Abweichung, die kann sich jetzt hinsichtlich der sexuellen Orientierung, hinsichtlich der Gesundheit oder der Beeinträchtigung oder auch hinsichtlich der ethnischen Zugehörigkeit zeigen. Wann immer ich hier im Grunde genommen eine Diskrepanz habe zwischen dem, was die Mehrheit macht oder wie die Mehrheit ist und wie ich selber bin oder mich sehe, dann kann hier eben möglicherweise eher Einsamkeit entstehen. Also wenn diese Normabweichung besonders groß ist. Häufig hat man dann in dieser Debatte um Einsamkeitsinterventionen einen, wie ich finde, schwierigen Ansatz, der sagt, naja, die Einsamen selbst, die müssen doch was tun, um aus ihrer Einsamkeit herauszukommen. Und natürlich ist da auch ein Stück weit jede und jeder mitverantwortlich dafür, etwas gegen das eigene Einsamkeitserleben zu tun. Aber es geht eben auch sehr viel darum, dass das soziale Umfeld eigentlich was tun muss. Denn Einsamkeit entsteht eben nicht in einem Vakuum, sondern typischerweise in einem sozialen Kontext, wo die vielen anderen um einen herum vielleicht nicht genug soziale Fähigkeiten haben, dafür zu sorgen, dass es hier eine offene Gemeinschaft ist, in der sich jede und jeder akzeptiert fühlt, so wie er oder sie ist und wo man eben auch eher auf Stärken und Gemeinsamkeiten von Menschen schaut und nicht die Unterschiedlichkeit als etwas herauskehrt, was hier das Hauptmerkmal im Grunde genommen ist. Und ich glaube, das ist so vielleicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, mehr darauf zu achten, dass jede und jeder bestimmte Fähigkeiten und Ressourcen mitbringt, die für ein gemeinschaftliches Zusammenleben förderlich sein können. Und dass man das zum interessanten Aspekt des sozialen Gefüges macht und eben gar nicht so sehr die Andersartigkeit zu dem macht, auf das man besonders fokussieren sollte.
Jonas: Eben von der Einsamkeit her trotzdem auch so ein tabuisiertes Thema ist und sich mit dem Thema auseinanderzusetzen ist ja auch kein leichtes Thema in dem Sinne. Gibt es denn, sag ich mal, auch aus Ihrer forschenden Perspektive irgendwie Lichtblicke, wo man sagen kann, okay, hier entwickelt sich unsere Gesellschaft oder hier entwickelt sich unsere Auseinandersetzung mit dem Thema Einsamkeit? Weil ich persönlich das Gefühl habe, dass es vermehrt in den letzten Jahren immer mehr auch in den Fokus gekommen ist. Also auch dieses “Ich lebe und arbeite in Berlin” und auch diese Tatsache von Einsamsein in einer Großstadt, wo man wohnt in einem Haus mit 20, 30, 40 anderen Parteien und man kennt sich nicht. Man fühlt dort irgendwie die Einsamkeit. Ich merke schon, dass es irgendwie mehr Sichtbarkeit für Einsamkeit gibt. Aber gibt es trotzdem auch aus Ihrer wissenschaftlichen Perspektive etwas, wo man sagt, okay, hier geht es in eine richtige Richtung. Das kann man so als Positives irgendwie noch mitnehmen?
Susanne Bücker: Ja, ich glaube, die größere Aufmerksamkeit für das Thema ist erst mal etwas sehr Gutes, denn das führt eben dazu, dass Menschen auch mehr über das Thema ins Gespräch kommen und dann auf diese Weise herausfinden, sie sind gar nicht so alleine mit ihrer Einsamkeit, sondern es gibt ganz viele andere, die dieses Gefühl auch kennen. Und man nimmt damit die Einsamkeit so aus dieser Tabu-Ecke heraus und bringt sie eben mehr in die Mitte der Gesellschaft und macht vielleicht auch deutlich, dass Einsamkeit jetzt nicht per se etwas Schlechtes ist, sich einsam zu fühlen, bedeutet ja zunächst mal, ich nehme wahr, dass ein ganz wesentliches menschliches Grundbedürfnis nicht ausreichend befriedigt ist, nämlich das nach sozialer Einbindung. Und wir würden ja jetzt auch nicht sagen, dass Hunger oder Durst per se etwas Schlechtes ist. Auch das sind im Grunde genommen Warnsignale unseres Körpers, die uns anzeigen, wir haben zu wenig gegessen oder wir haben zu wenig getrunken. Und so ist die Einsamkeit auch so ein Warnsignal unseres Körpers, was sagt, ja, mir fehlt es an Einbindung, ich muss wieder was tun, um in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen, weil das für meine Gesundheit wichtig ist. Und da mehr über das Thema Einsamkeit zu reden, das hilft sicherlich auch, denn wenn auch Fachkräfte, zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer oder Pflegekräfte, mehr über das Thema Einsamkeit Bescheid wissen, dann sind sie auch stärker dafür sensibilisiert, diese Einsamkeitsthemen in den Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten, wahrzunehmen und ihnen dann möglicherweise Unterstützung anzubieten. Also ich glaube, hier spielt die Sensibilisierung schon eine ganz große Rolle. Mittlerweile wird ja auch politisch viel mehr rund um das Thema Einsamkeit gearbeitet. Es findet viel Vernetzung statt von Akteurinnen und Akteuren, die sich mit dem Thema Einsamkeit beschäftigen. Es gibt beispielsweise in Deutschland das sogenannte Kompetenznetz-Einsamkeit, wenn man da auf die Website geht, dann findet man eine Angebotslandkarte, wo man seine Postleitzahl eingeben kann und sehen kann, was gibt es denn in meiner Region für Angebote, die explizit sich mit dem Thema Einsamkeit beschäftigen. Und diese Vernetzung von unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren ist ganz wichtig, damit Betroffene eben auch die Möglichkeit haben, gezielt da, wo sie leben, herauszufinden, was könnte es denn für Wege geben, für mich raus aus diesem Einsamkeitserleben. Also das finde ich, ist in jedem Fall ein Lichtblick, dass mehr darüber gesprochen wird und dass auch viel, viel mehr dazu geforscht wird, auch interdisziplinär dazu geforscht wird und man jetzt eben auch nicht nur in der Psychologie sich mit der Einsamkeit beschäftigt, sondern ich hatte Kontakt mit Stadtplanerinnen und Stadtplanern, die sich Gedanken darum gemacht haben, wie müssen eigentlich unsere Städte und Kommunen geplant werden, damit es mehr öffentliche Räume für sozialen Austausch gibt oder wie sollte eine neue Wohnanlage gestaltet werden, damit hier auch der Austausch zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern eher möglich wird. Und das finde ich einen interessanten Gedanken, dass hier eben auch die verschiedenen Fachdisziplinen, die Gesellschaft gestalten, sich Gedanken darum machen, die sozialen Beziehungen etwas ganz, ganz Wesentliches für Menschen darstellen und wir bei verschiedenen politischen Entscheidungen mit überlegen sollten, wenn das jetzt kommt, diese gesetzliche Änderung, wie wirkt sich das denn auf die Möglichkeiten aus, Beziehungen zu gestalten.
Jonas: Sagt Universitätsprofessorin Dr. Susanne Bücker von der Universität Witten-Herdecke und sie hat das Kompetenznetzwerk Einsamkeit angesprochen mit dieser Angebotskarte. Die haben wir auf jeden Fall für euch auch nochmal in unseren Shownotes auf www.die-neue-norm.de hinterlegt. Genauso wie Telefonnummern, die jederzeit eben erreichbar sind, falls ihr das Gefühl habt, mit Leuten sprechen zu wollen, die sich mit dem Thema irgendwie auseinandersetzen, beziehungsweise vielleicht auch keine anderen Leute gerade erreichbar sind. Zum Beispiel die Telefonseelsorge, die ihr erreichen könnt, oder auch gerade für Kinder und Jugendliche die Nummer gegen Kummer. Auch diese Telefonnummern haben wir auf jeden Fall für euch in unseren Shownotes bereitgestellt. Einsamkeit eher bekämpfen, auch durch Gemeinsamkeiten, die zu fördern. Weiße Sneaker wurden angesprochen, trage ich auch sehr gerne. Und ich mache gerne Podcasts. Wie sieht es mit euch aus?
Karina: Das war irgendwie auch das, was bei mir am meisten Impact hatte.
Jonas: Die Sneaker.
Karina: Die Sneaker, dieses einfach Umdenken, auch mal Gemeinsamkeiten suchen und nicht immer nur die Sachen, die nicht gemeinsam sind. Es ist schon so, wenn man in einer Gruppe ist, klar, man fühlt sich einsam, weil man denkt, die haben alle nicht meine Interessen. Aber vielleicht kann man auch einfach explizit nach dieser einen Sache suchen, die man gemeinsam hat. Das finde ich ein cooles Umdenken.
Raúl: Ich habe mich gefragt, inwieweit auch Klassismus ein Thema ist. Man kann sich vielleicht bestimmte Dinge ja auch nicht leisten, ins Kino gehen, ins Theater mit Freunden oder in die Bar. Und dass es immer weniger Orte gibt, sogenannte Dritte Orte, an denen wir uns treffen, austauschen können, ohne konsumieren zu müssen. Die Kirche war früher, glaube ich, so ein Ort. Vielleicht auch der Sport oder eben die Parkbank. Aber ich habe schon auch das Gefühl, dass gesamtgesellschaftlich auch die Politik sich vielleicht einen schmalen Fuß macht, wenn sie sagt, Einsamkeit ist eine individuelle Sache. Wenn sie auf der anderen Seite ganz viele Dinge auch abbaut oder die Gelder kürzt, wo wir einander kostenfrei begegnen können.
Jonas: Könntest du ad hoc einen konkreten Wunsch äußern? Im Sinne von, was sollte gemacht werden?
Raúl: Ich war ja Anfang des Jahres in Barcelona. Und natürlich kann man jetzt sagen, die haben klimatisch bessere Voraussetzungen. Aber es ist sehr interessant, wie an jeder Ecke Bänke waren, wo die Leute einfach saßen und sich unterhalten haben, ohne konsumieren zu müssen. Bei uns sind es höchstens Cafés, wo man sich hinsetzt. Ich sehe selten Menschen auf irgendwelchen Parkbänken sitzen und sich unterhalten, weil es auch wenig Parkbänke gibt oder wenig schöne Plätze. Und wenn wir sagen, das ist klimatisch ein Problem, warum gibt es so etwas nicht überdacht? Auch da gibt es Konzepte, zum Beispiel in Singapur, wo man eben ganz versucht, darauf zu achten, dass es Orte der Begegnung gibt. Manchmal reichen zwei Stühle und ein Tisch.
Jonas: Das, was ich fand, was so fast hinten runtergefallen ist, aber dieser Aspekt dieser interdisziplinären Forschung, womit wir wieder fast beim Anfang wären, also im Sinne von, über Einsamkeit zu forschen, das wäre doch total super für Disability Studies, oder?
Karina: Ja, total.
Raúl: Einfach ja.
Jonas: Mehr braucht man dazu nicht sagen, weil es eben auch so ein Querschnittsthema ist und alle betrifft, beziehungsweise eben dann Menschen mit Behinderung noch mal umso mehr. Es ist auf jeden Fall ein Thema, was wichtig ist, auch in den Fokus zu rücken. Auch die ARD hat das jetzt im vergangenen Herbst noch mal gemacht und sich ein bisschen intensiver damit auseinandergesetzt. Auch dort noch mal, wenn ihr Interesse habt, euch noch mal mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es gibt die schöne Dokuserie “Exit Einsamkeit” in der ARD Mediathek, die wir euch auch noch mal in unseren Shownotes verlinken, wo es auch noch mal gerade um das Thema Einsamkeit bei Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen geht. Das war ja auch noch mal heute so, dass rauskam, dass eigentlich die Gruppe, wo man sagt, die sind eigentlich am besten vernetzt und haben am meisten Kontakte und dass die trotzdem mit auch am meisten betroffen sind, die dort noch mal in dieser Doku begleitet werden. Also schaut euch das gerne an. Ansonsten finde ich das, was du eben, Karina, auch gesagt hast, also dieses Fokus auf Gemeinsamkeiten suchen, auch selber auf die eigenen Ressourcen schauen, auf die eigenen Fähigkeiten zu gucken. Also was kann man, dass die eigenen Eigenschaften ja auch in der Gesellschaft gebraucht werden und Teilhabe ermöglichen. Weil ich finde auch, das, was unsere Expertin da noch mal gesagt hat, dieses, dass häufig dann die Verantwortung einfach auch umgemünzt wird auf die Personengruppen, die dann gesagt wird, die müssen sich quasi irgendwie ja selber darum kümmern beziehungsweise die müssen halt in die Offensive gehen und sich sozusagen am eigenen Schopf da irgendwie herausziehen. Auch das ist in dem Sinne schwierig, weil es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die uns irgendwie dort alle betrifft. Wenn ihr selbst noch Ideen habt für Themen, die wir uns hier quasi in unserem Podcast “Die neue Norm” widmen können, so wie es zum Beispiel auch heute passiert ist, wie gesagt, Martin hatte das eingereicht, per uns über WhatsApp, dann macht das gerne. Entweder könnt ihr uns eine Mail schreiben an [email protected] oder ihr schickt eine WhatsApp oder im besten Fall sogar auch eine Sprachnachricht, wo ihr uns erklärt, warum wir uns diesem Thema widmen sollen, und zwar an die 0155 66194907. Auch diese Nummer findet ihr in unseren Shownotes auf www.dieneuenorm.de. Und ja, wir freuen uns auf Themenideen, die wir vielleicht auch selber noch gar nicht so auf dem Schirm haben. Das war “Die neue Norm”, der Podcast für dieses Jahr. Wir wünschen euch alles Gute, kommt gut rüber ins nächste Jahr und wir freuen uns, wenn ihr auch dann wieder mit dabei seid. Bis dahin, tschüss.
Raúl und Karina: Tschüss. Tschüss.