Die Neue Norm: Eine Sehbehinderung, ein Rollstuhl, eine chronische Erkrankung. Oder: drei Journalist*innen. Jonas Karpa, Raul Krauthausen und Karina Sturm sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.
Folge 67: „Haft“
Jonas: Karina, was ist eigentlich die letzte Straftat, die du begangen hast?
Karina: Das ist schon eine ganze Weile her, aber ich habe mal, als ich sehr jung war, einen Tanga geklaut und wieder zurückgebracht.
Jonas: Benutzt zurückgegeben?
Karina: Oh Gott, natürlich nicht! Und was hast du gemacht?
Jonas: Also jetzt so wirklich mit dem Gesetz in den Konflikt gekommen. Also ich mache ja häufig so Lost-Place-Fotografie und wenn man manchmal so in so Gebäude reingeht, also jetzt nicht irgendwie einbricht, aber manchmal ist ja gar nicht so klar, wem das gehört. Dann kann es mal sein, dass irgendwie ein Ordnungsamt oder Polizei mal vorbeikommt und mal fragt, was machen sie da?
[DNN Intro]
Jonas: Herzlich willkommen zu die Neue Norm, dem Podcast. Wir sind heute unterwegs und das Gute ist an unserem Podcast, egal wo ihr seid, unterwegs, zu Hause, über die Bluetooth-Box, ihr könnt uns jederzeit hören in der ARD Audiothek. Heute sind wir unterwegs, weil es um das Thema Haft bzw. barrierefreie Gefängnisse geht. Bei mir ist Karina Sturm.
Karina: Guten Morgen!
Jonas: Mein Name ist Jonas Karpa und wir sind hier in Hövelhof. Jetzt werden viele vielleicht sagen, Hövel was? Das ist in Ostwestfalen in der Nähe von Paderborn und Bielefeld und in der Nähe von dort, wo ich studiert habe. Also ich kenne mich hier ein bisschen aus und hier in Hövelhof ist eines der wenigen barrierefreien Gefängnisse, die es in Deutschland gibt, weil wir wollen uns mal anschauen, okay, wie ist es denn als Mensch mit Behinderung, der im Gefängnis ist und wir eigentlich in allen unseren Podcasts immer wieder erzählen, ja, wir wollen, dass Mensch mit Behinderung Teilhabe an der Gesellschaft haben und es um Barrierefreiheit geht und Gefängnisse sind ja eigentlich dafür da, dass man eben für einen gewissen Zeitraum nicht teilhaben kann an der Gesellschaft beziehungsweise eben es Barrieren drumherum gibt, wie eine Mauer. Deshalb gucken wir uns gleich mal an, wie es hier in Hövelhof sein wird. Karina, was ist dein Gefühl? Ich meine, gut, du hast jetzt gesagt, dass du jetzt glaube ich noch nicht so, noch nicht auf dem Level strafrechtlich irgendwie in Berührung gekommen bist.
Karina: Nee, aber ich habe schon ganz schön viel Respekt vor Gefängnissen an sich und also ich bin ein bisschen nervös gerade, weil ich nicht weiß, was uns da erwartet und wie beklemmend sich das wirklich anfühlt, wenn da hinter einem irgendwie eine Tür zufällt. Aber vielleicht habe ich auch einfach zu viele Klischees im Kopf und das ist alles ganz anders.
Jonas: Ja, vor allem auch quasi, was gibt es für Möglichkeiten, der trotzdem, dass man ja in Gefängnissen, wird ja manchmal gearbeitet oder es gibt Freizeitangebote oder wie ist man unterwegs, gibt ja auch unterschiedliche Möglichkeiten von, dass man so eine Art, ja, offenen Vollzug hat, beziehungsweise die Türen auf sind und die Gefangenen sich irgendwie frei bewegen können und man da irgendwie, dass es eher ein bisschen lockerer ist und jetzt nicht, jetzt nicht Alcatraz in dem Sinne. Also das jetzt, also das kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es hier in Hövelhof in dem Sinne so ist. Wir müssen uns gleich noch auf den Weg machen. Also wir stehen hier direkt am Bahnhof und machen uns auf den Weg zu dem, zur Justizvollzugsanstalt. Die ist natürlich auch noch mal ein bisschen außerhalb. Also manche werden vielleicht auch sagen, okay, Hövelhof ist per se schon mal ein bisschen außerhalb so von irgendeiner Großstadt. Ja, aber auch diese JVA ist ein bisschen außerhalb. Deshalb müssen wir uns gleich auf den Weg machen. In der Zwischenzeit haben wir ein Interview für euch und zwar hat das Raúl Krauthausen geführt.
Karina: Ja, mit Pamela Pabst, die ist eine Anwältin für Strafrecht und Familienrecht, glaube ich auch. Genau und das hören wir uns jetzt mal an, während wir auf dem Weg sind.
Jonas: Und sie ist, wenn ihr sie vielleicht irgendwie denkt, okay, Pamela Pabst, Pamela Pabst habe ich schon mal gehört, wie gesagt, blinde Rechtsanwältin, die, also ihre Geschichte ist die Vorlage für die Sendung “Die Heiland. Wir sind Anwalt” und das ist quasi dort ihre, ja nicht ihre Geschichte, aber quasi diese Grundlage zwischen okay, blinde Anwältin und Assistenz, die quasi ihr hilft. Raúl hat mit ihr gesprochen und ihr unter anderem auch die Frage gestellt, wie das so ist mit diesem Klischee, dass Menschen mit Behinderung ja gar keine Straftaten begehen können, weil das sind ja klischeehaft gesehen immer so nette Leute, die gerne teilhaben wollen, aber können die auch wirklich Straftaten begehen? Das hat Raúl unter anderem Pamela Pabst gefragt und dieses Interview hören wir jetzt.
Raúl: Wir sitzen hier im Garten der Strafverteidigerin Pamela Papst. Schön, dass wir hier sein dürfen. Warum ist es wichtig, über Behinderungen im Strafvollzug zu sprechen und mit diesem Tabu der angeblich netten Behinderten aufzubrechen?
Pamela Pabst: Wenn wir über Inhaftierungen und Behinderungen sprechen, dann ist halt ganz klar erstmal, was jetzt dem Laien vielleicht gar nicht so klar ist, dass eine Behinderung nicht per se bedeutet, dass man eben nicht inhaftiert werden kann. Das ist so nicht. Also es gibt in der Haftanstalt Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen, sei es Sehbehinderungen, körperliche Behinderungen, kognitive Einschränkungen, Hörbehinderung, also alles, was es draußen auf der Straße gibt, gibt es halt auch drin im Gefängnis. Sicherlich nicht so viele Leute, also die Nichtbehinderten, sind natürlich da in der Überzahl, aber deswegen muss man über Behinderung und Inhaftierung eben sprechen. Einmal eben a) dass man trotzdem inhaftiert werden kann und b) was macht denn die Haftanstalt mit solchen Menschen? Also was gibt es denn überhaupt für Hilfsangebote oder wo stößt man vielleicht auch an seine Grenzen?
Raúl: Jetzt könnte man ja sagen, im Sinn eines Gefängnisses ist es eine Barriere zu sein, damit man nicht abhaut.
Pamela Pabst: Genau, richtig.
Raúl: Aber trotzdem gibt es ja innerhalb der baulichen Gegebenheiten, aber auch organisatorische Barrieren und bauliche Barrieren, die Inhaftierten begegnen, zum Beispiel die Hafträume, die Duschen oder auch Veranstaltungen, die dann für viele vielleicht gar nicht zugänglich sind.
Pamela Pabst: Genau, also die Hauptbarriere eines Gefängnisses ist natürlich logischerweise die Mauer, die es umschließt. Das ist ja quasi so ein Zweck des Gefängnisses, eine Mauer drumherum zu bauen, damit die Leute eben nicht abhauen oder entweichen, wie es ja im Juristendeutsch dann heißt. Wir haben halt einmal alte Gebäude, die eben einfach nicht barrierefrei sind. Als Beispiel, wenn ich ein klassisches Gefängnis habe, dann habe ich zum Beispiel lauter Stufen, die dann nach oben führen und oben in den oberen Etagen, nämlich quasi wie so Galerien, von denen dann die einzelnen Türen zum Beispiel abzweigen, sodass jetzt für einen Inhaftierten, der zum Beispiel eine Gehbehinderung hat, Rolli oder geht an Krücken oder was auch immer, also der kann zum Beispiel ja gar nicht in den oberen Etagen untergebracht werden. Das heißt, den kann ich sowieso nur unten im Erdgeschoss sozusagen unterbringen. Dann sind aber zum Beispiel die Räume von den Sozialarbeitern, die ja auch einen großen Stellenwert in der Behandlung des Inhaftierten haben. Die sollen ja behandelt werden dort, um eben zu lernen, wie sie zukünftig ohne Straftaten leben. Die sind dann aber natürlich nicht im Erdgeschoss, die sind dann zum Beispiel im ersten Stock. Das heißt, dann muss der Sozialarbeiter halt runterkommen zu dem Inhaftierten, weil er eben nicht raufkommt oder irgendwelche Gruppenangebote finden, irgendwelchen Räumen statt, wo man jetzt nicht hinkommt. Dann sind halt auch oft die Inhaftierten sehr höchst bereit, das muss man wirklich so sagen, und tragen dann auch mal jemand, der nicht die Treppe raufkommt, tragen den einfach mal dann da auch hoch. Aber das ist wieder ein Problem, weil wenn die den fallen lassen und es passiert was, die da arbeiten, die Bediensteten, die mit dem Schlüssel, die dürfen halt nicht einfach nur einen Rollifahrer schnappen und dürfen den die Treppe rauf tragen, weil wenn dann was passiert, ist es halt nicht versichert. Oder jeder Gefangene hat ein Recht auf Teilnahme am Gottesdienst, und wenn er halt im Rolli sitzt und kommt nicht in die Kirche, weil die auch im zweiten Stock dann ist, dann bleibt es halt nur, dass Inhaftierte ihn halt einfach mal hochtragen und es geht halt nicht anders.
Raúl: Und das wäre dann versichert oder wie?
Pamela Pabst: Ne, das ist auch nicht versichert, aber das macht man dann eben einfach mal, um dem das halt dann zu ermöglichen und die drumherum schauen halt dann zu die Verantwortlichen und sagen, na gut, wenn es die Gefangenen untereinander machen, dann machen die das halt. Das ist halt dann natürlich ein großes Problem unter die Anwaltsbesuche, die finden dann eben auch an einem Ort statt, wo man eben nicht hinkommen würde, zum Beispiel. Da müsste man dann schauen, dass man vielleicht den Gefangenen dann in ein anderes Gebäude bringt, zu dem Anwaltsbesuch, wo dann eben keine Stufen im Wege sind zum Beispiel, um jetzt mal bei den Körperbehinderten zu bleiben.
Raúl: Und wie ist es mit Pflege und Assistenz? Also angenommen, ich hatte vor der Haft 24 Stunden Assistenz und komme dann ins Gefängnis.
Pamela Pabst: Das wäre dann so, dass da natürlich die normale Inhaftierungssituation an seine Grenzen gelangt. Also man würde dann aus meiner Sicht halt Personen, die so einen hohen Assistenzbedarf haben, die würde man dann ins Haftkrankenhaus stecken, sage ich jetzt mal ganz platt. Berlin hat ein eigenes Krankenhaus für Inhaftierte, sowohl männliche als auch weibliche. Das ist an die JVA Plötzensee angeschlossen. Da sind dann quasi Zellen, die wie Krankenzimmer eingerichtet sind. Und dann würde man halt aus meiner Sicht dann dorthin gebracht werden. Und dann müssten die dort im Krankenhaus halt eben quasi die Assistenz dann übernehmen.
Raúl: Über Jahre.
Pamela Pabst: Genau. Und man hätte aber das Problem, dass halt im Krankenhaus halt keine inhaltliche Behandlung stattfindet. Also das, was ja gemacht werden soll, die sogenannte Straftataufarbeitung nennt man das. Also die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Tat, die ja auch dafür zum Beispiel wichtig ist, um gelockert zu werden, also vor die Mauer gelassen zu werden, Entlassungen vorzubereiten und, und, und. Das würde halt im Haftkrankenhaus nicht stattfinden, weil das Haftkrankenhaus halt eigentlich auf medizinische Behandlung und Rückverlegung halt in den Vollzug spezialisiert ist. Das heißt faktisch würde dann jemand, der aus gesundheitlichen Gründen halt im Haftkrankenhaus halt wäre, würde halt da Nachteile haben, bis hin, dass er vielleicht nicht vorzeitig entlassen werden könnte, weil eben diese inhaltliche Arbeit da gar nicht stattfindet sozusagen.
Raúl: Boah, das ist ja schrecklich.
Pamela Pabst: Das ist wirklich ganz schrecklich. Also ich hatte einen Inhaftierten, den Hasan, der hatte Kinderlähmung als Kind. Der war aus einem arabischen Land, ich glaube aus dem Libanon. Und den haben sie halt dann dauerhaft im Vollzugskrankenhaus halt immer gehabt. Und da hatten wir genau halt dieses Problem halt auch. Das heißt sowas wie medizinische Versorgung, Hilfsmittel und Fachärztinnen. Das gibt es, also das gibt es.
Raúl: Aber dann nur in diesem Plötzensee Krankenhaus.
Pamela Pabst: Richtig, genau, da auch im Vollzugskrankenhaus. Beziehungsweise ist es halt so, wenn man halt inhaftiert ist, dann ruht die Krankenkasse, also die ruht. Ja, man kriegt quasi von denen dann keine Leistung, sondern das Land Berlin als Träger der Haftanstalt ist dann dafür verantwortlich, die Leute mit Hilfsmitteln zu versorgen. Also da muss dann der Arzt zum Beispiel entscheiden, ob jemand jetzt ein E-Rolli kriegt, wenn er einen normalen Rolli hatte oder wenn die Leute jetzt versorgt werden müssen mit Kathetern oder mit was auch immer. Also das muss alles das Land Berlin sozusagen dann machen. Das machen die auch, aber die kommen natürlich auch an ihre Grenzen so. Da gibt es dann vielleicht irgendwie, ich weiß ja nicht, statt irgendwie, wenn einer sagt, ich brauche 30 Katheter am Tag, dann sagen die, nee, du kriegst aber nur 16 oder so. Also da kriegt man jetzt auch nicht alles, was man unbedingt gern haben möchte, sondern das, wo die halt sagen, das ist halt angemessen so. Aber das müssen die dann machen, genau.
Raúl: Das heißt, meine Assistenz, die ich vorher hatte, die darf nicht rein?
Pamela Pabst: Genau, die darf dann nicht rein.
Raúl: Also die muss dann, wie der Hund, wir müssen draußen bleiben, sozusagen.
Pamela Pabst: Genau. Der verliert dann auch seinen Job. Muss sie auch eine Straftat begehen und mit rein.
Raúl: Gibt es besondere Herausforderungen für Menschen mit Behinderung, wie zum Beispiel Lernschwierigkeiten, psychische Erkrankungen oder Sinnesbeeinträchtigung?
Pamela Pabst: Also grundsätzlich, sage ich mal, ist es halt so, dass ja jeder Mensch, der eine kognitive Einschränkung hat, jetzt mal ganz unabhängig davon, ob der einfach nur ein bisschen dumm ist, sage ich jetzt einfach mal so, oder ob er jetzt wirklich einen festgestellten Grad der Behinderung hat, das ist natürlich eine Schwierigkeit, weil, wie gesagt, wenn der normale Vollzug halt darauf angelegt ist, sich mit dem Sozialarbeiter verbal darüber auszutauschen, warum habe ich eine Tat begangen, was sind meine eigenen Anteile daran, was kann ich vielleicht besser machen in der Zukunft, dann gibt es eben auch einfach viele Menschen, die jetzt gar keinen festgestellten Grad der Behinderung haben, die eben einfach aufgrund von mangelnder Schulbildung, aufgrund von sonstigen sprachlichen Defiziten oder so, die halt einfach Schwierigkeiten haben, das einfach hinzubekommen, sage ich jetzt einfach mal so. Und je krasser das ist, desto unwahrscheinlicher wird es natürlich, dass die Leute dann diese sogenannte Straftataufarbeitung halt hinbekommen. Und wenn es dann wirklich zu krass ist, dann sagen die auch irgendwann, also an dem Punkt hier, hier kommen wir nicht mehr weiter, derjenige hat schon irgendwie was verstanden, aber wir können die nicht mit den Maßstäben messen, wie jetzt vielleicht jemand anderes zum Beispiel. Und dann wird das manchmal auch abgebrochen, dann wird gesagt, okay, dann gucken wir jetzt einfach, wie können wir denen ein betreutes Wohnen unterbringen zum Zeitpunkt der Entlassung oder so, wir können jetzt an dem nichts mehr verbessern, quasi der ist an seiner persönlichen Fahnenstange, ist einfach angekommen am Ende.
Raúl: Aber die können dann quasi auch nicht früher entlassen werden?
Pamela Pabst: Genau, also wenn dann halt das Gericht, das Gericht muss ja eine Prognose treffen, wie wahrscheinlich ist es, dass derjenige halt erneut Straftaten begehen wird. Und diese Prognose, die hängt natürlich erheblich auch damit zusammen, wie viel hat derjenige wirklich verstanden und wie viel kann derjenige für sein zukünftiges Leben halt auch umsetzen. Ich hatte, also ich sage mal, die Leute, die jetzt keinen festgestellten Grad der Behinderung haben, die scheitern dann halt da dran. Und wenn ich aber wirklich einen festgestellten Grad der Behinderung habe und jemanden habe, der zum Beispiel dann in irgendeiner Werkeinrichtung oder sowas nur sein kann später als Beispiel, der wird dann aber auch in irgendeinem betreuten Wohnen oder sowas wohnen, wo man dann wieder sagen kann, naja, da hat da quasi rund um die Uhr ja jemand um sich drum rum und das wird ihn dann schon irgendwie davon abhalten. Also der ist dann quasi so massiv am anderen Ende dieser ganzen Klaviatur.
Raúl: Aber die so in der Mitte sind, die fallen halt natürlich irgendwie dann auch durchs Raster. Weil die ja dann auch den Zugang zu den Sozialarbeiter*innen haben.
Pamela Pabst: Genau, so ist es, genau.
Raúl: Krass. Und wenn jemand gehörlos ist, hat er dann Anrecht auf Gebärdensprachdolmetschung?
Pamela Pabst: Ich hatte gehörlose Mandanten schon. Ich hatte in Haft bisher noch keine gehörlosen Mandanten. Ich habe mich aber, weil ich mich mit diesem Thema, über das wir jetzt gerade sprechen, beschäftigt, hatte eben auch explizit auch in der Haftanstalt dann mal auch erkundigt. Und die Bediensteten dort haben mir halt erzählt, dass wenn sie halt mal gehörlose Inhaftierte hatten, dass sie halt ein großes Problem hatten eben mit der Kommunikation. Also vom Lippen ablesen ist ja dann auch schwierig oder fehlerträchtig. Oder wenn die Leute auch keine deutsche Herkunft haben und nur gebrochen Deutsch sprechen oder Deutsch verstehen, dann wird es ja mit dem Lippen ablesen auch noch wieder schwierig. Grundsätzlich hätten die einen Anspruch auf Gebärdendolmetscher. Aber die Frage ist halt auch immer so, inwieweit kann es dann tatsächlich halt umgesetzt werden. Also ich glaube jetzt heute, wo das doch sehr auch verbreitet ist mit den Gebärdendolmetschern und man auch weiß, okay, da gibt es auch Geld dann dafür und so weiter. Also kann ich mir schon vorstellen, dass man so eine Straftataufarbeitung, die man deswegen alle 14 Tage, Dienstag stattfindet für zwei Stunden oder so, dass man dann sagen kann, okay, da lasse ich halt einen Gebärdendolmetscher reinkommen. Das halte ich für absolut machbar. Aber zum Beispiel die Bediensteten haben mir auch erzählt, dass sie sich halt eigentlich die größten Sorgen darum gemacht haben, dass der zum Beispiel in seiner Zelle oder Haftraum, wie es ja dann heißt, richtig, dass dem zum Beispiel was passiert, fällt meinetwegen um oder so und kann dann über die Rufanlage zum Beispiel keine Hilfe holen, weil er sich nicht so verständlich machen kann. Also die Bediensteten dort haben ja eigentlich gesagt, dass sie sich darum eigentlich die größten Sorgen gemacht haben. Also quasi um das körperliche Wohl von denen oder dass sie halt gemobbt werden von anderen, dass denen was weggenommen wird oder so und die gar nicht so sich dagegen zur Wehr setzen können, weil sie einfach schwächer dann sind aufgrund dieser Gesamtsituation. Das war für die in der Haft eigentlich so, da haben sich die meisten Sorgen darum gemacht, haben sie mir zumindest so dann auch weiter vermittelt.
Raúl: Und aus der Perspektive der inhaftierten Personen mit Behinderung, wie barrierefrei ist denn der Strafprozess selbst? Also von Dokumenten über Verteidigung bis hin zu Gerichts- und Transportwegen.
Pamela Pabst: Also grundsätzlich ist es so, dass ja die meisten Gerichtsgebäude auch alte Gerichtsgebäude sind, wunderschön, bedingt barrierefrei. Also um es jetzt mal aufs Kriminalgericht zum Beispiel zu beziehen, also dort hat man zum Beispiel auch Fahrstühle extra eingebaut, um von der Straße zum Beispiel über die Eingangsstufen halt auch in das Gebäude zu kommen, was ich sehr gut finde vor ein paar Jahren. Fast alle Säle sind mit dem Rolli erreichbar, zwei Säle glaube ich nicht. Aber da würde dann die Gerichtsverhandlung extra in den Saal verlegt werden, der auch barrierefrei ist. Wir haben ja auch Zeugen im Rollstuhl zum Beispiel und so, wir haben eine Chefin im Rollstuhl. Und die Angeklagten, die werden halt normalerweise mit dem Gefangentransport angeliefert, also von der Haftanstalt mit dem Gefangentransport hingebracht, dort über den Hof in den Keller gebracht und werden dann über Treppen vom Keller halt in den Saal gebracht. Und bei Leuten im Rollstuhl zum Beispiel, die dürfen nicht mit dem Gefangentransport fahren, da muss dann ein Krankentransportunternehmen kommen.
Raúl: Mit einem Polizisten drin?
Pamela Pabst: Na, da kommt dann von der Haftanstalt kommt dann jemand mit, also von den Bediensteten dort kommt dann jemand mit. In so einem normalen Gefangentransport sind halt so Zellen quasi drin, wo die dann in so einer kleinen Zelle auf dem Schemel quasi dann sitzen und dann dahin transportiert werden.
Raúl: Aber man würde mit dem Rolli niemals in dieses Auto kommen,
Pamela Pabst: Man kann den Rolli nicht in so eine Zelle packen, man kann den Rolli drin nicht befestigen. Also deswegen dürfen die halt so nicht, in Anführungsstrichen, ich sag jetzt mal ganz böse, angeliefert werden. Und die gehen dann mit den Inhaftierten im Rollstuhl, gehen die halt dann über einen Flur, weil sie können sie halt gar nicht in diese abgeschotteten Gänge halt reinbringen. Und eigentlich dient es ja dazu quasi die Flucht zu verhindern. Und dann gehen die halt mit denen über den Flur. Und ansonsten ist es halt so, also höherbehinderten Menschen steht natürlich ein Gebärdendolmetscher zu, oder halt auch ein Schriftdolmetscher, es gibt ja auch Leute, die keine Gebärdensprache können. Da wird dann alles aufgeschrieben, habe ich selber auch schon einen Mandanten gehabt. Und sehr sehbehinderte Menschen, die haben halt ein Anrecht drauf, nach der sogenannten Zugänglichkeitsmachungsverordnung, die aus, ich glaube, Anfang der 2000er Jahre ist, dass ihnen halt die prozessualen Schriftstücke, Anklageschriften, Urteile und so weiter, dass die ihnen halt in einer für sie gewünschten Form zugänglich gemacht werden. Also entweder in großer Schrift oder als digitales Dokument. Ich habe auch schon für ältere Leute auf Kassette lesen lassen damals, einfach mal zu probieren, was da alles geht, also um es mal auszutesten. So, wie weit kann ich da gehen, wie sehr kann ich die quälen? Das hat auch funktioniert. Ja, und höherbehinderten und sehbehinderten Menschen steht halt auch ein Pflichtverteidiger zu. Also früher war es halt mal so, dass im Gesetz halt stand, wer halt höherbehindert oder sehbehindert ist, der hat einen Pflichtverteidiger zu bekommen. Und jetzt steht halt drin, ist auf Antrag, einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Also dass der dann vom Staat finanziert wird und man kann sich dann halt selber einen Anwalt aussuchen und der wird dann halt vom Staat dann finanziert zum Beispiel.
Raúl: Aber die Digitalisierung der Gerichtsunterlagen würde ja quasi auch Ihnen die Arbeit erleichtern als Plenarstaatverteidiger.
Pamela Pabst: Das stimmt, aber wir sind halt leider noch nicht so weit. Also seit 2021 müssen wir zwar bei den Zivilgerichten alles digital einreichen, aber die haben bis jetzt dann auch noch immer alles ausgedruckt, weil die gar keine E-Akten hatten. Und im Strafprozess soll jetzt 26 die E-Akte eingeführt werden. Aber ob das dann funktioniert, also dieses digital Hochladen und digital Versenden ist leider überhaupt nicht barrierefrei. Also ich kann es gar nicht bedienen, obwohl digitale Dokumente für mich als sehbehinderte Person eigentlich das Himmelreich sind. Aber wenn ich es nicht bedienen kann, also ich kann normale E-Mails bedienen, aber ich kann dieses beknackte BEA, dieses besondere elektronische Anwaltspostfach, ich kann es einfach nicht bedienen.
Raúl: Aber hätte man das ja wissen können.
Pamela Pabst: Die Anwaltskammer behauptet ja auch, es sei barrierefrei, aber es ist nicht barrierefrei. Ich kann ja nicht mal den Startbutton anklicken.
Raúl: Das schreit nach einer weiteren Podcast-Folge zum Thema.
Pamela Pabst: Auf jeden Fall.
Raúl: Und wenn Sie jetzt als Strafverteidigerin eine Forderung in Bezug auf den Strafverzug stellen könnten, um ihn gerechter und barrierefreier zu machen, was wäre das?
Pamela Pabst: Ja, wie gesagt, schon eben auch dafür zu sorgen, dass eben diese Probleme, die wir gerade angesprochen haben, dass die halt eben möglichst irgendwie behoben werden. Wie gesagt, mit alten Gebäuden ist es halt schwierig. Also man könnte wirklich dann nur sagen, gut, dann müssen die Leute halt wirklich eben in neuere Gebäude, also in andere Gefängnisse verlegt werden, wo die Gebäude einfach neuer sind, wo eben diese strukturellen Probleme halt eben nicht bestehen. Oder halt innerhalb eines Gefängnisses, das gibt es ja mehrere, auch Gebäudekomplexe, dass man halt sagt, gut, dann muss halt der Inhaftierte aus dem einen Gebäudekomplex innerhalb der Haftanstalt in einen anderen Gebäudekomplex verlegt werden. Das halte ich auch durchaus für machbar, sage ich jetzt einfach mal so. Aber trotzdem kann eben dieses Sozialarbeiterproblem halt bleiben. Also ich hatte jemanden in Plötzensee, wo es auch dann eine behindertengerechte Zelle halt gab, auch mit einer entsprechenden Dusche und, und, und, und, und. Und da musste der Sozialarbeiter halt dann eben zum Gefangenen halt kommen. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommen muss, der Berg halt zum Propheten kommen. Aber in der Regel machen die das dann auch. Also da sagt jetzt keiner, na wenn du nicht zu mir kommen kannst, dann geht’s halt nicht. Das machen die nicht.
Raúl: Sie als diejenige, die jetzt in das System reinguckt, gibt es so was wie eine positive oder negative Diskriminierung von behinderten Menschen bei Gericht? Also nach dem Motto, er oder sie ist behindert, deswegen kriegt er weniger oder mehr Strafe?
Pamela Pabst: Also auf der einen Seite gibt es natürlich, also bei der Strafzumessung, gibt es natürlich das Kriterium auch der Haftempfindlichkeit. Also wie schwer wiegt jetzt für jemanden die Tatsache, dass er inhaftiert ist? Und also auf der Seite der Haftempfindlichkeit an sich, da wird man bei jemandem, der halt schon eine Behinderung hat, halt schon sagen können, der ist schon haftempfindlicher, weil er es in Haft einfach schwerer hat. Weil wenn er nicht gut sieht, kann er sich halt nicht Bücher ausleihen aus der Bibliothek und die lesen, wenn er nicht hört, dann kann er halt schwieriger kommunizieren. Wenn er nicht laufen kann, dann kommt er halt nicht zum Gottesdienst so einfach. Also eine Haftempfindlichkeit als Strafzumessungskriterium ist aus meiner Sicht auf jeden Fall gegeben. Aber das ist dann aus meiner Sicht keine Besserbehandlung oder keine Bevorzugung, sondern nur eine korrekte Anwendung der Maßstäbe, die ja im Prinzip grundsätzlich ja einfach mal für jeden gegeben sind, sage ich jetzt mal so. Es könnte ja auch ein alter Mensch sein, der ist haftempfindlicher oder sowas. Oder sitzt erstmals in Haft, ist man auch haftempfindlicher. Ich glaube, dass man jetzt nicht unbedingt so einen Behindertenbonus hat. Also vielleicht eher so bei den Schöffen, also bei den ehrenamtlichen Richtern. Vielleicht so jetzt sitzt er auch noch im Rollstuhl, jetzt ist er auch noch blind oder so. Aber ich glaube, dass die Richter sich da schon irgendwie auch von frei machen und schon sagen,
Raúl: Oder vielleicht sind die dann besonders hart, weil sie bloß nicht in diese Falle tappen wollen.
Pamela Pabst: Genau, oder sie versuchen vielleicht auch besonders hart zu sein. Also ich hatte eine Ausbilderin im Praktikum und die sagte dann halt, sie wollte keine Praktikantin, eine blinde Praktikantin wollte sie schon erst recht nicht. Und dann war sie auch relativ streng zu mir und sagte dann am Schluss mal, sie möchte sich bei mir dafür entschuldigen, dass sie so hart zu mir war. Aber sie hatte Angst, zu weich zu sein und selber dann irgendwie auch so sich zu sehr so in die Karten gucken zu lassen. Also das habe ich durchaus schon so erlebt. Ich weiß jetzt nicht, inwieweit es einem Richter so geht, der jetzt jemanden auf der Anklagebank sitzen hat, den er verurteilen soll. Aber es könnte schon sein, also dass man da vielleicht dann noch mal, oder denkt, man hat noch mal mehr Erklärungsbedarf, um nochmal zu sagen, passen Sie mal auf, auch bei einer vorzeitigen Entlassung, Ihre Behinderung darf mich jetzt hier quasi nicht beeindrucken, dass ich Sie deswegen vorzeitig rauslasse. Aber wenn Sie alles andere halt gut gemacht haben, dann sind Sie so wie jeder andere und dann lasse ich Sie auch raus. Dass man sich dann vielleicht befleißigt fühlt, das extra noch mal so zu erwähnen oder so, das kann ich mir durchaus vorstellen.
Raúl: Berichten Ihnen Inhaftierte mit Behinderungen irgendetwas im Umgang untereinander mit anderen Inhaftierten?
Pamela Pabst: Also grundsätzlich kann man sagen, dass Inhaftierte untereinander eigentlich sehr sozial sind. Also klar gibt es natürlich eine Hierarchie in der JVA. Also die Betrüger, sage ich mal, die stehen halt weiter oben in der Hierarchie und die Kinderschänder stehen halt ganz unten. Also eigentlich Ebene Minus, Minus Null irgendwie. Ja, also dass es da halt auch so ein soziales Gefüge halt gibt. Aber ich weiß, also dass die sich untereinander auch helfen. Also dass Körperbehinderten, Inhaftierten auch geholfen wird, zum Beispiel ihren eigenen Haftraum halt zu säubern. Oder wenn Essen geholt wird, dass die denen das Essen dann halt mitholen und dann halt hinstellen oder so was. Oder halt, wie gesagt, Huckepack da in die Kirche hochtragen oder so. Also das weiß ich, dass die untereinander durchaus auch sehr sozial sind und sich dann da auch gegenseitig helfen. Aber wenn man dann eine Behinderung hat und man übertreibt es dann und dann irgendwie sich da zu sehr bedienen lässt und die anderen mitbekommen, ja der kann ja doch irgendwie mal kurz aus dem Rolli aufstehen und mal vielleicht sein Pullover aus dem Schrank rausnehmen oben oder so, dann sind die auch ganz schnell dabei und zeigen dem auch mal die Grenzen und sagen, hör mal zu, wir sind hier nicht dein Hiwi, wir helfen dir, aber ausnutzen musst du uns jetzt auch nicht.
Raúl: Das ist auch Inklusion.
Pamela Pabst: Das ist dann auch Inklusion, genau. Also das kriegen die dann auch ganz schnell spitz, wo der dann vielleicht da ein bisschen die zu sehr eingespannt hat und vielleicht doch mehr kann. Nee, aber grundsätzlich sind die schon auch sehr sozial untereinander und wenn jemand da jetzt Probleme hat, dann gehen sie auch und sagen, ey komm, lass den in Ruhe oder so was. Also da, das muss man wirklich so sagen. Das kriege ich auch erzählt von Inhaftierten mit Behinderungen. Ich hatte, wie gesagt, körperbehinderte, ich hatte sehbehinderte Inhaftierte auch und ja, ein Inhaftierter, der sehbehindert war, der wurde dann zum Beispiel, das war eine voranschreitende Sehbehinderung und der wurde dann zum Beispiel noch in offenen Vollzug dann auch verlegt, damit er dann noch im offenen Vollzug noch Mobilitätstraining machen konnte und noch alles lernen konnte, was ihm halt irgendwie, was ihm wichtig war, halt dann so für die Zukunft. Das fand ich dann zum Beispiel auch sehr gut und sehr angemessen.
Raúl: Und sind die Inhaftierten zu Ihnen als Strafverteidigerinnen mit Behinderung offener, ehrlicher oder wie ist der Umgang untereinander denn?
Pamela Pabst: Also ich glaube, also wie soll ich sagen, also ich glaube, dass sie es toll finden, dass da auch mal jemand ist mit einer Behinderung, weil sie halt auch so das Gefühl haben, die kann mich halt besser verstehen, die kann sich auch besser so in meine Lage hineinversetzen, wobei das jetzt relativ egal ist, also ob wir jetzt quasi die gleiche Behinderung haben oder eine andere Behinderung sozusagen. Ich selber finde es auch irgendwie immer mal ganz nett, auch mal einen Mandanten mit einer Behinderung zu haben, weil in gewisser Weise, es ist für mich auch irgendwie nochmal ein Stück näher so, also wenn da jemand ist, man ist halt trotzdem irgendwie so aus derselben Community, sage ich jetzt einfach mal so, also mir gefällt es eigentlich auch, das dann eben mal zu haben oder dann eben auch, weiß ich nicht, einem der im Rolli sitzt, mal die Tür aufzuhalten oder mal einen Stuhl wegzuräumen, damit er den Tisch dann unterfahren kann, also einfach dem anderen mal was Gutes zu tun, ohne dass man jetzt selber immer derjenige ist, dem quasi was Gutes getan wird oder dem dann irgendwie geholfen wird. Also wenn ich dem anderen mal helfen, wenn ich es ihm auch mal so umkehrt oder so, von da ist es glaube ich schon ein bisschen engeres Miteinander so, aber ich lasse mich dann trotzdem da jetzt auch nicht einwickeln, also wenn er Mist gebaut hat, dann sage ich das dem auch oder sage, ey komm, lüg hier nicht rum, du musst jetzt hier mal Butter bei die Fische machen oder so, also da bin ich dann trotzdem auch genauso, wie bei einem anderen auch, aber es ist halt so ein bisschen kumpelhafter, sage ich jetzt mal so vielleicht, aber man sieht sich dann trotzdem oder so, man geht jetzt da nicht sofort dann irgendwie auf so eine, ja wir sind doch aus einem Holz geschnitzt oder so, dann auch nicht.
Raúl: Frau Pabst, vielen Dank für das Gespräch.
Pamela Pabst: Ja sehr gern, vielen Dank für die gegenseitige Einladung, ich bin eingeladen worden zu dem Gespräch und ich habe Sie eingeladen in meinen Garten zu kommen, von da war es schon eine absolute Win-Win-Situation. Wenn zwischendurch gemauzt hat meine Katze, die sitzt da hinten im Beet und die hat mich gesehen und die freut sich, dass ich da bin und finde es glaube ich gerade mega uncool, dass ich sie nicht beachte, aber das ist jetzt einfach mal so, alles zu seiner Zeit.
Jonas: Raúl Krauthausen im Gespräch mit Pamela Pabst, ganz idyllisch im Garten. Idyllisch ist es auch hier, Karina. Wir sind gerade unterwegs, man hört deinen Rollkoffer. Du hast inzwischen eine Rolle verloren auch auf dem Weg.
Karina: Ja, leider. Die Böden sind nicht so eben und mir ist eine Rolle geplatzt und jetzt habe ich nur noch eine an meinem Koffer.
Jonas: Wir haben es aber auch nicht mehr weit. Wir sind auf den letzten Metern zur JVA Hövelhof. Also wie gesagt, im Grünen liegt es. Mitten idyllisch im Wald. Ja, genau. Sehr idyllisch. Da es nochmal beim Interview mit Pamela Pabst, das Raúl geführt hat, was ich nochmal interessant fand, einfach dieser Aspekt, dass viele Anwendungen sozusagen, also wenn es darum geht, die Leute wieder zu resozialisieren oder irgendwelche Pflegesachen, dass sowas ja teilweise, also wenn Leute von externen vorbeikommen, die einem dann quasi nochmal helfen, sich wieder rezuintrigieren, dass das dann eben teilweise ja eben nicht an barrierefreien Orten stattfindet und dann teilweise ja die Personen vielleicht auch gar nicht irgendwie daran teilhaben können. Also es eben nicht nur um die klassische Unterbringung geht in einer JVA, sondern es eben auch darum geht, okay, was hat man denn sonst noch eben für andere Möglichkeiten, um da an Dingen teilzunehmen, Freizeitsachen oder quasi auch an solchen Arbeitsdingen. Ja und das werden wir jetzt gleich einen Inhaftierten in der JVA Hövelhof fragen.
Wir stehen jetzt direkt vor dem Eingang. Es ist einfach nur ein Tor, auf dem steht Anmeldung und ich bin gespannt, was uns gleich erwartet und nervös. Genau, wir dürfen euch nicht sagen, wer die Person ist, also Name und so dürfen wir nicht sagen. Wir dürfen auch nicht sagen, was genau die Person gemacht hat. Wir wissen nur, dass sie eine Behinderung hat und hier in der JVA Hövelhof einsitzt. Was sie genau erzählen wird, wissen wir noch nicht, weil im Gegensatz zu vielen anderen Interviews, die wir bislang geführt haben, so das Thema schon mal so ein Vorgespräch zu führen, war halt eher schwierig. Und im Nachgang zu diesem Interview werden wir dann auch noch mal mit der Pflegeleitung der JVA sprechen. Ja, freue ich mich schon drauf. Ich bin gespannt. Gut, dann gehen wir mal rein und wir hören uns gleich wieder.
Karina: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, mit uns heute zu sprechen. Können Sie sagen, seit wann sind Sie hier inhaftiert, beziehungsweise hatten Sie Ihre Behinderung schon vorher oder ist das erst im Laufe der Zeit hier entstanden?
Inhaftierter: Ja, inhaftiert wurde ich ’23. Und meine Krankheiten habe ich viel zu lange. Viel länger als Inhaftierung. Das fing an 2009. Okay. Also, es wird immer schlimmer. Und ich glaube nicht an eine Besserung, aber mir geht es gut.
Jonas: Sie sind mit dem Rollator hier unterwegs. Wie schätzen Sie hier quasi in der JVA Hövelhof so die Barrierefreiheit ein? Also quasi wie funktioniert das alles für Sie hier?
Inhaftierter: Ja, wie es funktionieren soll. Ich kann nun das teilnehmen, was die Dinge mit meinen Krankheiten ermöglichen. Das rumlaufen ist nicht mehr so fit und toll. Aber ich schaffe das, was ich schaffen kann. Und bin einfach zufrieden mit dem, was hier abgeht. Weil Barrierefreiheit ist an und für sich ziemlich gut. Die erlauben, dass ich hier rein… Also ich habe überall kein Problem mit rauskommen, reinkommen. Ich bin in eine Selle jetzt gelandet mit Sauerstoff. Durch eine verschlechterte Krankheit. Aber so, ja, ich muss sagen, das ist ziemlich gut. Durch Sport ist nichts mehr drin. Arbeit ist nichts mehr drin. Aber an die anderen Sachen so teilnehmen… Wir haben ja die Ergotherapie, kann ich teilnehmen. Und Physiotherapie natürlich, wenn die junge Dame da ist. Die ist in Urlaub. Aber ja, da kann ich an die Sachen teilnehmen. Das ist die einzige Sache, was für mich so möglich ist.
Karina: Wenn Sie das vergleichen mit vorher, würden Sie sagen, die Barrierefreiheit hier ist besser als draußen?
Inhaftierter: Nein. Entschuldigung. Das ist besser, ja. Weil hier kann man was machen. Draußen, da sollen die Städte mal gucken, wie die Leute sind mit Rollstuhl und Rollator, wie die mal bewegen müssen. Aber die Barrierefreiheit nennen, das ist nichts. Weil man die Straße überqueren, da muss man gucken, wie man überqueren kann, wo man überqueren kann. Und das ist an Kreuzungen nicht mehr möglich. Die müssen alle neu gemacht werden.
Karina: Und den Rollator hatten Sie auch schon draußen noch?
Inhaftierter: Ich habe den Rollator draußen gehabt, ja. Ich bin seit ein paar Jahren auf Pflegestufe 3. Das heißt, da ist nichts mehr für mich. Wo man laufen kann, ne?
Jonas: Wie sieht es so quasi, wenn Sie sagen, hier ist Sport machen, ist nichts, arbeiten ist nichts. Aber wie sieht so quasi Ihr Tagesablauf dann hier aus? Also gibt es etwas, wo Sie sagen würden, hiermit kann ich mir die Zeit vertreiben?
Inhaftierter: Ja, was man machen kann, sind Rätselhefte holen und jede Menge Rätsel machen. Oder wie gesagt, an die Ergotherapie teilnehmen. Das sind Beschäftigungen durch eine junge Dame, mit Spielen usw. Aber sonst ist es ein Tagesablauf. Das ist mehr einfach sitzen. Weil viel kann man nicht tun.
Jonas: Wir sind ja hier gerade in so einem Mehrzweckraum, wo ja quasi auch anscheinend Gottesdienste stattfinden. Da hängt ja auch ein großes Kreuz an der Wand. Aber das wäre jetzt nicht der Raum, den Sie hier häufiger betreten?
Inhaftierter: Diesen Raum betrete ich nie. Aus Grund, ich glaube nicht an die Lügen, die in diesem Buch geschrieben sind. Das ist von A bis Z nur Lügen. Wenn man die Freiheit hat, hier zu entscheiden, was man eben machen möchte. Adam und Eva waren die ersten Menschen auf der Erde. Haben 2 Söhne, Kain und Abel. Kain schlug Abel, ging raus und nahm sich eine Frau. Woher kam diese Frau?
Jonas: Eine gute Frage.
Inhaftierter: Woher kam diese Frau?
Karina: Neben Gottesdienst und sowas, was gibt es denn hier sonst noch an Freizeit?
Inhaftierter: Wir haben eine Stunde jeden Tag. Früher war das besser, wir hatten 2 Freistunden. Durch irgendwelche Fehler, wurden irgendwelche Genehmigungen nicht richtig reingeholt. Und haben wir dann jetzt gecancelt gekriegt, die 2. Und jetzt haben wir nur die eine. Aber trotzdem, wir kommen alle zusammen und quatschen ein bisschen draußen. Und ja, finde ich top.
Jonas: Wie ist so der Zusammenhalt unter den Inhaftierten? Man redet ja manchmal davon, dass die Community oder die Gruppe der Menschen mit Behinderung, dass man sich aufgrund der persönlichen Einschränkungen irgendwie näher ist. Tauscht man sich so aus?
Inhaftierter: Wir quatschen manchmal über unsere Probleme und Krankheiten. Aber wir behalten uns wie eine ganz normale Gruppe von Leuten. Jeder andere ist anders behindert. Jeder andere ist anders behindert als ein anderer. Aber wie eine ganz normale Gruppe von Leuten auf der Straße.
Karina: Wie läuft das denn hier im Pflegealltag? Beziehungsweise wie war das denn für Sie, als Sie noch draußen waren? Hatten Sie da Pflege?
Inhaftierter: Ich habe häusliche Pflege gehabt. Ich bin auf Pflegegrad 3 gestuft. Da hatte ich morgens Hilfe mit Waschen und Anziehen. Und hier, wenn die Leute nicht hier wären, wäre ich Freitag in Krankenhaus gelandet. Weil, wie gesagt, ich hatte fast einen Blackout. Ich war in einem Blackout, ich wusste gar nicht mehr, was los war. Ich bin fast zu Boden gegangen. Ja, und das war dann für mich für die Wochenende. Aber wenn die Pflege nicht hier wäre, die haben schnell reagiert. Sehr schnell. Mit dem Pflegepersonal hier, da bin ich mehr als zufrieden.
Jonas: Und wenn Sie jetzt eben gesagt haben, Barrierefreiheit draußen, das ist hier viel besser. Wie ist denn so das Gefühl, dann irgendwann vielleicht nochmal draußen in Freiheit zu leben? Ist das überhaupt ein Wunsch?
Inhaftierter: Wer diesen Wunsch nicht hat, der ist bekloppt. Weil jeder will draußen in Freiheit wieder. Aber draußen in Freiheit, was habe ich da jetzt? Meine Krankheiten sind schlimmer geworden. Da werde ich wahrscheinlich in ein Pflegeheim enden. Und da bin ich hier besser aufgenommen als draußen im Pflegeheim. Was man da hört und was man sieht, ich bin im Pflegeheim gewesen mit Bekannten besuchen. Und da war nicht die Welt. Was die da Leistungen nenne, möchte ich nicht sagen. Weil mein Kumpel, der war ja lange genug drin, der hat einen Besuch vielleicht morgens für fünf Minuten. Und das war der Pfleger.
Jonas: Wie sieht dann quasi jetzt für Sie Ihre Perspektive aus? Also wenn Sie sagen, okay, es ist so.
Inhaftierter: Wenn ich rauskomme, dann werde ich häusliche Pflege wieder beantragen. Aber dann kommen wegen ein paar… die Frauen, die rauskommen, die machen ihre Arbeit aus einem leichten Gefühl. Die ist nicht so wie, ja, da kriegst ein bisschen Geld für. Die Leute, die da rumkommen, die machen wirklich…
[Sauerstoffgerät piepst plötzlich.]
Karina: Huch
Inhaftierter: Ach, fang nicht an zu piepsen, du. Das ist, was ich meine. Wenn ich zu lange spreche ohne eine Atmenpause, dann kommt das Ding am Piepsen. Ja, aber wirklich, häusliche Pflege ist besser als ein Pflegeheim.
Karina: Wenn Sie sagen, das ist die eine Sache, die Leute draußen über das Leben hier in der JVA wissen sollten, als eine behinderte Person, was wäre das? Die JVA wissen sollte? Die Leute draußen wissen sollten.
Inhaftierter: Die sollen lieber draußen bleiben. Die sollen lieber draußen bleiben. Das ist kein Spaß, in der JVA zu sein. Aber hier ist wenigstens ein Pflegeheim sozusagen, eine Pflegeabteilung. Und hier haben wir das besser als in einer Normalanstalt. Da haben die keine Pflege in dem Sinn. Die haben nur einen Arzt und ein paar Pflegemannen rumlaufen. Und da ist nicht viel für die Leute zu erwarten. Ich bin hier von der Anstalt geschickt worden. Wie Sie sehen und hören, ich habe mir fast… Ich war sehr schlecht. Und da war ja von dem ganzen Personal in der Anstalt, wo ich war, in Gelsenkirchen, der Mann gehört nicht hier, der gehört in Pflege. Und dann bin ich hier geschickt worden. Und ich bin sehr froh darüber.
Karina: Wenn Sie eine Forderung hätten, was hier noch anders sein könnte oder besser sein könnte, was wäre das?
Inhaftierter: Also hier persönlich würde ich sagen, zurückgehen auf den Stand von 2024, bevor ich hierhin kam. Die hatten besser, die hatten, wie gesagt, eine Doppelfreistunde morgens und nachmittags. Und was mir gesagt wurde, was ich leider nicht mitgekriegt habe, die Zellen wurden um 17 Uhr geöffnet. Und jeder konnte rumlaufen, hingehen, wo man wollte, also die Küche, andere Häftlinge besuchen. Da musste ich immer fragen, darf ich, darf ich. Da war alles so frei und offen. Das fand ich besser, als was wir jetzt haben.
Jonas: Ja. Dann vielen, vielen Dank, dass Sie uns quasi einen kleinen Einblick gegeben haben.
Inhaftierter: Ja, das ist mein Einblick und das ist, man muss die Wahrheit sagen, ne?
Karina: Genau. Ja, vielen Dank.
Inhaftierter: Ja, ich bedanke mich auch für die Möglichkeit.
Jonas: Das war das Interview mit dem Inhaftierten. Wir sind gerade noch mal ein bisschen rausgegangen hier in das Gelände. Es ist wirklich ein weitläufiges Gelände mit vielen Häusern. Es wirkt ein bisschen wie Jugendherberge, so von manchen Gebäuden her. Aber irgendwie hat auch trotzdem innen drin schon so ein bisschen Gefängnischarm. Oder wie hast du das empfunden?
Karina: Ich fand auch, dass es eine Mischung aus irgendwie Klinik, aber dann mit so dicken Stahltüren, die man mit Schlüssel aufsperrt. Das ist irgendwie so klischee-mäßig, wie man das sich vorstellt oder wie ich mir das vorgestellt habe.
Jonas: Und trotz alledem, dass es so ist, dass hier viel Trubel ist. Also es kommen LKWs rein, die natürlich schleusen müssen. Und du hast trotz alledem Zäune, aber dadurch, dass es eben auch teilweise ein offener Vollzug ist, wirkt es eben nicht so als quasi kompletter Hochsicherheitstrakt mit irgendwie vier Meter hohen Mauern und Wachtürmen, die irgendwie hier schauen, dass das niemand ausbricht. Weil es schon teilweise ein Kommen und Gehen ist. Apropos Kommen und Gehen. Wir wurden kurz, als wir gewartet haben, von einer Person gefragt, ob wir Selbststeller sind. Wir waren erstmal überhaupt nicht bewusst, was das für ein Begriff ist. Und dann habe ich ein bisschen sacken lassen. Und dann ist es im Endeffekt klar gewesen, was es bedeutet.
Karina: Ja, ich habe auch gar nicht realisiert, was das eigentlich für ein Begriff ist. Habe ich noch nie gehört. Aber das ist wohl der Begriff für Menschen, die zu einer Strafe verurteilt worden sind und die aber freiwillig antreten, ohne eben, dass jemand kommt und den Vollzug verpflichtend macht. Genau. Und wir standen da vor dem Tor und dann kam so ein junger Mann vorbei, der uns gefragt hat, weil wir auch Koffer dabei hatten, ob wir Selbststeller sind. Das fand ich ganz spannend und habe ich mir gleich überlegt, was er sich wohl gedacht hat, was wir angestellt haben.
Jonas: Ich weiß nicht, vielleicht hat er die Anmoderation von uns gehört, ganz am Anfang. Aber nein, wir sind dick bepackt und freuen uns jetzt auf das Interview mit der Pflegekraftleitung der Anstalt. Und hören uns mal an, was jetzt quasi auch diese Perspektive sagen wird.
Karina: Wollen Sie sich kurz vorstellen und kurz erzählen, was Sie hier machen und wer Sie sind?
Dirk Rautenberg: Mein Name ist Dirk Rautenberg, ich bin der Leiter des Krankenpflegedienstes hier in der JVA in Hövelhof. Dann kommt man vielleicht schon gleich dazu, dass wir hier die Pflegeabteilung für ganz Nordrhein-Westfalen sind. Also die einzige Pflegeabteilung in NRW, die seit 1991 eigentlich umgebaut worden ist vom TBC-Krankenhaus, weil das nicht mehr so benötigt wurde, zu einer Pflegeabteilung.
Jonas: Ist das quasi das Alleinstellungsmerkmal hier von Hövelhof, wenn Sie gesagt haben, dass das quasi in ganz NRW sozusagen die einzige Einrichtung ist?
Dirk Rautenberg: Ja, das ist richtig. Es gab früher auch schon mal im Justizkrankenhaus eine Pflegeabteilung. Die wurde geschlossen, weil die Plätze anderweitig benötigt wurden. Und seitdem machen wir das für das ganze Land alleine.
Karina: Und was macht das hier denn so besonders? Also was ist das Alleinstellungsmerkmal quasi von hier?
Dirk Rautenberg: Naja, dass tatsächlich eben Gefängnispflege stattfindet. Normalerweise, medizinische Versorgung im Gefängnis sieht eigentlich eher so aus, dass gesunde Gefangene, die Strafe absitzen, zur Arbeit verpflichtet sind. Die gehen zum Krankenpflegedienst oder zum ärztlichen Dienst, um sich ihre Medikamente abzuholen oder vielleicht für eine Krankschreibung oder mal den Blutdruck messen zu lassen. Oder vielleicht auch Ersatzpräparate wie Methadon. Solche Geschichten. Aber das ist dann so ein rein ambulanter Dienst. Und wir versorgen die Gefangenen halt eben stationär. Man kann es sich vielleicht so vorstellen wie so ein kleines Altenheim. Nur halt eben, dass dann dort Strafgefangene, auch Untersuchungsgefangene und Sicherheitsverwahrte einsitzen. Und dass dann die Türen verschlossen sind.
Jonas: Wie kann man das, wenn man immer darüber nachdenkt, quasi Menschen mit Behinderung oder Menschen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, so Teilhabe zu ermöglichen? Das ist ja eigentlich nicht das Konzept von Gefängnis. Wie ist da dieser schmale Grad von wie viel kann man ermöglichen und wie viel darf man überhaupt auch? Weil die haben ja was gemacht.
Dirk Rautenberg: Also wir sind schon bemüht, diese größtenteils älteren Leute, aber auch jüngere Körperbehinderte soweit wieder zu mobilisieren und anzuregen, dass sie am normalen Leben teilhaben können. Dass sie also nicht schlechter werden. Zum Beispiel so was man an geriatrischer Abteilung so im Krankenhaus kennt vielleicht, dass wir solche unterstützenden Maßnahmen machen. Wir haben eine Ergotherapeutin, wir haben eine Physiotherapeutin, psychologischen Dienst, Sozialarbeiter, die uns hier unterstützen. Und neben der rein pflegerischen Versorgung müssen solche Sachen auch gemacht werden. Also der Sozialarbeiter, der sich zum Beispiel vielleicht um ein Pflegeheim kümmert, wo der Gefangene dann nach seiner Entlassung hin kann. Oder überhaupt um eine Unterkunft sich zu kümmern für diese Menschen. Also Personalausweis und solche Sachen, alles was denen gerade zur Zeit fehlen könnte. Und Ergotherapie und Physio ist ja klar, was die dann versuchen die Leute zu mobilisieren und all solche Geschichten halt.
Karina: Wie viele Menschen haben Sie hier gerade inhaftiert? Also wir haben 16 Einzelhaftplätze hier in der Pflegeabteilung. Zurzeit sind 15 belegt und morgen kommt der 16. wieder. Also wir haben eine ziemlich große Nachfrage. Es ist also ganz selten, dass da mal ein Haftraum leer steht. Und dann gibt es auch noch so Verurteilte, die auf freiem Fuß sind, für die gar keine Kapazitäten da sind. Also da gibt es die Anmeldung der Staatsanwaltschaften, aber wir können die nicht einbestellen in der Regel, weil wir keinen Platz haben. Selten mal, dass wir einen Platz frei dafür haben.
Karina: Wo kommen die denn dann hin?
Dirk Rautenberg: Die sind dort auf freiem Fuß da, wo sie leben, in ihrer Familie oder in ihrer Pflegeeinrichtung draußen. Das hat man ja, wenn einer vielleicht nicht so ein ganz schweres Verbrechen begangen hat, dass der dann auf freiem Fuß ist. Und was die Behinderung angeht, ist es häufig auch so, dass Menschen, die normalerweise inhaftiert werden würden, dort trotzdem noch auf freiem Fuß bleiben, weil ja keine Pflegeplätze in Haft frei sind.
Karina: Spannend. Das heißt, teilweise haben die schlimme Dinge irgendwie angestellt, aber werden nicht inhaftiert. Und wird das dann nachgeholt, wenn ein Platz frei ist?
Dirk Rautenberg: Ja, bis es verjährt ist, ja. Also ich sag mal, ein Mord verjährt ja nicht, aber andere Straftaten, die verjähren dann. Und solange wir das dann immer versuchen, die Staatsanwaltschaften fragen immer an und sagen, habt ihr einen Platz frei? Und wir versuchen dann, wenn mal ein Platz frei ist, dann jemanden einzubestellen. Die Warteliste ist lang, also da sind 100 Verurteilte auf dieser Liste.
Jonas: Also können Sie das Klischee, in Anführungsstrichen, dass Menschen mit Behinderung jetzt nicht unbedingt Straftäter sind oder werden, eigentlich auch damit widerlegen, wenn Sie sagen, dass die Warteliste so lang ist?
Dirk Rautenberg: Ja, es gibt schon durchaus einige Menschen, die trotz ihrer körperlichen Behinderung und Einschränkung straffällig werden. Zum Beispiel jemand, der im Rollstuhl sitzt, querschnittsgelähmt ist, kann ja trotzdem zu Douglas fahren und Parfum klauen. Und wenn er das 30 Mal gemacht hat, dann sagt irgendwann der Richter, jetzt gibt es eine Haftstrafe. Und solche Leute kommen dann halt auch mal zu uns. Und dann gibt es natürlich, was einen großen Anteil unserer Gefangenen ausmacht, dass das ältere Männer sind, die aufgrund der Länge ihrer Haftstrafe alt und gebrechlich werden und dann im normalen Gefängnis nicht mehr zu versorgen sind. Einmal Barrierefreiheit, wobei solche Plätze gibt es in anderen Gefängnissen auch. Allerdings sind die auch sehr rar und auf keinen Fall ausreichend. Und darüber hinaus gehend halt eben bei uns die Pflegebedürftigkeit, das heißt, dass die Hilfe brauchen beim Waschen, beim Anziehen, beim Nahrungsaufnahme, Verbände, solche Geschichten, Strümpfe anziehen, Windeln und solche Geschichten, das gibt es ja im normalen Gefängnis, wird das ja so nicht angewandt.
Jonas: Also muss sich eigentlich das Justizsystem eigentlich auch darauf anpassen, dass quasi unsere Gesellschaft immer älter wird?
Dirk Rautenberg: Richtig, das versucht man ja auch seit Jahren. Es gibt ja sogenannte Lebensälterenabteilungen in verschiedenen Gefängnissen in NRW. Aber die sind alle nicht so barrierefrei und haben auch nicht diese pflegerische Ausstattung. Dass sie da die pflegerische Versorgung vornehmen können. Das heißt, jeder der auf der Lebensälterenabteilung ist, sage ich mal über 50, über 60 Leute, die auch nicht mehr zur Arbeit verpflichtet sind, müssen aber trotzdem in der Lage sein, sich selbst zu versorgen und oftmals auch Treppen zu steigen. Ist das nicht mehr der Fall, dann wären sie dann ein Fall für uns.
Karina: Wie werden denn hier die Mitarbeitenden vorbereitet auf diese doch besondere Situation und das Arbeitsumfeld?
Dirk Rautenberg: Unsere Mitarbeiter sind alle examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger und haben fast alle eine Zusatzausbildung im Strafvollzug, zwei Jahre. Die meisten sind Strafvollzugsbeamte. Weil das halt auch so ein kleines Gefängnis ist, muss man immer so zwei Rollen spielen. Einmal den Krankenpfleger, die Krankenschwester und auch den Strafvollzug nicht außer Acht lassen. Unsere Männer sind sicherlich nicht in der Lage, über den Zaun zu klettern und zu springen. Aber es gibt durchaus Situationen, wo auch jemand von denen abhauen könnte, flüchten könnte. Ansonsten versuchen wir, uns intern ein bisschen zu orientieren, was es für Möglichkeiten gibt durch Supervision und so, dass wir im Team uns selber ein bisschen stärken. Ansonsten so richtige Fortbildungsprogramme gibt es tatsächlich nicht. Was man machen kann mit dem Hospizverein palliativ, wenn es ums Sterben geht, da bekommen wir ganz gut Unterstützung, wenn wir nachfragen, ob die Möglichkeit besteht. Aber ansonsten reicht eigentlich eine Pflegeausbildung schon ganz gut dafür.
Jonas: Wir sind hier in Hövelhof, weil Sie ja gesagt haben, es gibt nicht viele Plätze, es gibt ja auch nicht hier viele Plätze. Ich habe eine große Nachfrage, ist es denn so, dass hier auch quasi viele Leute einsitzen mit unterschiedlichen Haftlängen? Ich habe immer von meinem Gefühl, so wie ich es mir immer vorgestellt habe, dass man ja auch dann gewisse JVAs hat, wo dann nochmal “Schwerverbrecher*innen” sind oder dann eher die, die auf offenen Vollzug ausgelegt sind. Ist es hier eher gemischt, dass man sagt, hier hat man Leute, die vielleicht kurzzeitig einsitzen und hier hat man auch gleichzeitig Leute, die vielleicht auch lebenslänglich sind? Was ist hier so der Schnitt der Leute, die hier untergebracht sind?
Dirk Rautenberg: Ja, so einen Schnitt kann man eigentlich nicht sagen. Wir haben schon alle Straflängen tatsächlich. Es wird schon mal jemand inhaftiert, der noch ein halbes Jahr bleiben muss oder kommt aus einer JVA, der für noch ein halbes Jahr hierher kommt. Aber halt auch, wie gesagt, lebenslängliche. Und wenn da nicht entschieden wird, dass die freikommen oder wenn die auch nicht freikommen möchten mehr, das hat man auch schon mal, wenn die nach 40 Jahren im Gefängnis sagen, sie möchten lieber im Gefängnis sterben, dann bleiben die bis zu ihrem letzten Tag hier bei uns.
Karina: Und das machen Leute? Also, dass die sagen, ich mag jetzt nicht mehr raus?
Dirk Rautenberg: Ja, das gibt es schon. Die haben ja dann vielleicht draußen auch keine Perspektive mehr. Die sind vielleicht 78 oder 81 oder älter. Aber genauso gut gibt es dann vielleicht auch jemanden, der zwei oder drei Jahre zu uns kommt, weil er einen Totschlag begangen hat und mit seinen 92 Jahren hier halt in drei Jahren in der JVA Hövelhof verbleibt und dann anschließend wieder in Freiheit entlassen wird, allerdings dann schon in eine Pflegeeinrichtung.
Karina: Gibt es da denn, also was ist denn so die Kriterien an Schwerbehinderung und Pflege, die man haben muss, um quasi hier einen Platz zu kriegen?
Dirk Rautenberg: Ja, für uns ist in der Regel erstmal so ein Faktor, dass sie in einem normalen Gefängnis nicht zurechtkommen. Das heißt also, dass sie so viel Hilfe brauchen, die man ihnen im normalen Gefängnis nicht zur Verfügung stellen kann. Also man versucht dann schon teilweise von externen Pflegediensten da Unterstützung einzukaufen in den JVA. Allerdings ist das nicht immer ganz einfach. Das funktioniert also manchmal mehr, manchmal weniger. Und insofern ist die Pflegeabteilung Justiz intern sicherlich schon eine gute Geschichte. Und mein Wissensstand ist auch, dass angedacht ist, neue Plätze zu schaffen. Allerdings ist das ja immer bei angespannter Haushaltslage, kann das ein bisschen dauern.
Jonas: Wo stößt denn quasi auch, ich nenne es mal Inklusion in der Haft, wo stößt das auch an Grenzen? Weil ich meine, wenn wir über die Arbeitssituation von Menschen mit Behinderung sprechen, dass viele häufig dann vielleicht in einer Werkstatt untergebracht sind und einfach Teilhabe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sage ich mal draußen in Freiheit, schon irgendwie nicht da ist. Wie kriegt man das hin, dass man irgendwie unter in anfangsgesprächen besonderen Bedingungen hier trotzdem ein inklusives Miteinander irgendwie hinbekommt? Gibt es da auch Punkte, wo man sagt, die müssen hier im Gefängnis arbeiten und wir können das jetzt nicht irgendwie umsetzen?
Dirk Rautenberg: Also unsere Pflegegefangenen müssen nicht arbeiten im Gefängnis. Das funktioniert auch nicht, weil es ist einfach keine Arbeit da, die diese Menschen noch verrichten können. Entweder sind sie so eingeschränkt, dass sie trotz ihrer Jugend nicht arbeiten können oder eben so alt, dass sie auch schon nicht mehr arbeiten müssen und auch wegen des Alters nicht mehr können. Also wir versuchen die einfach nur so gut wie möglich zu beschäftigen. Es gibt auch noch eine Spielegruppe und eine Kochgruppe zusätzlich zu der Ergotherapie und solchen Geschichten. Und dann, ja gut, man macht dann halt, sie haben eine Freistunde, wo sie sich hier in unserem parkähnlichen Freistundenhof so ein bisschen beschäftigen können, vielleicht mit Spazieren gehen, wer das kann, oder ein großes Schachbrett draußen. Wer es könnte, wir haben auch eine ganz alte Minigolfanlage, die aber auch noch bespielbar ist.
Karina: Ja, die habe ich vorhin schon bewundert. Die sieht ganz nett aus.
Dirk Rautenberg: Die ist auch eigentlich nur noch da, weil das Geld für den Abriss gefehlt hat. Aber die würde halt noch funktionieren und so einmal im Jahr, vielleicht zweimal im Jahr, findet sich einer, der das mal benutzt. Das ist immer schon recht witzig anzusehen.
Jonas: Aber wenn Sie sagen, Sie haben diese ganzen Freizeitangebote und so, wie viele Mitarbeitende brauchen Sie denn, um quasi das alles zu realisieren?
Dirk Rautenberg: Also wir brauchen 16 Krankenpflegepersonen insgesamt, inklusive einer medizinischen Fachangestellten.
Karina: Also tatsächlich eine Person auf einen Inhaftierten…
Dirk Rautenberg: So könnte man das sehen, ja. Also wir sind ja 24/7 besetzt. Das heißt, zwei Fachkräfte im Frühdienst, zwei Fachkräfte im Spätdienst. Dann ist einer immer nachts vor Ort, dann muss das Wochenende abgedeckt werden. Dann so bestimmte Sachen wie der sogenannte Funktionspfleger, der sich dann um die Medizinprodukte kümmert. Also wir haben ja eine ganze Menge an Gerätschaften, die unterhalten werden müssen. Wir haben einen Zahnarztraum, wo der Zahnarzt in die Anstalt kommt und die zahnärztliche Versorgung vornimmt. Da hängt eine Menge dran, was dann alles so zu realisieren ist. Außerdem wird von unserem Personalstamm auch der offene Jugendvollzug hier in Hövelhof medizinisch mitversorgt. Das heißt, dass ein Krankenpfleger morgens immer in dem Jugendlager drüben im offenen Vollzug eine Sprechstunde hat. Also klassische, wie sie im Gefängnis ist. Die kommen und wollen sich krankschreiben lassen. Also die Jugendlichen wollen sich immer krankschreiben lassen. Von einem erwachsenen Strafvollzug her kenne ich das nicht. Die wollen immer alle arbeiten, die möchten gerne Kopfschmerztablette und dann möchten die schnell wieder an die Arbeit, weil sie davon ihren Tabak und ihren Kaffee kaufen. Die jungen Männer hier, ich habe immer das Gefühl, die werden von ihren älteren Herren und Herrschaften gesponsert. Die haben irgendwie keine Lust zu arbeiten. Das war für mich echt ein Kulturschock, als ich hierher kam.
Karina: Das klingt ein bisschen wie das Leben draußen auch.
Jonas: Was muss ich denn, wenn sie jetzt noch irgendwie abschließenden Wunsch haben, wo sie sagen, hier müsste man nochmal ein bisschen nachjustieren, damit es noch besser wird? Oder sagen sie schon, so wie wir es hier in Hövelhof machen, ist das das Optimum, was man herausholen kann an einem Strafvollzug, der in Teilen barrierefrei ist?
Dirk Rautenberg: Also ich glaube, wir sind da ganz gut ausgestattet. Das ist jetzt keine Sache, die uns die Arbeit erleichtern würde oder was es jetzt noch so bringen würde. Ich glaube, im Großen und Ganzen sind wir ganz gut aufgestellt. Manchmal könnte die Personaldecke ein bisschen dicker sein, aber ansonsten kriegen wir das eigentlich ganz gut hin.
Karina: Ja, schön. Vielen Dank.
Dirk Rautenberg: Ja, ich bedanke mich.
Jonas: Wir sind wieder rausgekommen. Es war nicht leicht.
Karina: Nein, ich stand gerade vor einer verschlossenen Tür, die so eine Art Schleuse ist und man quasi nur durch die eine Tür kommt, wenn außerhalb nicht eine andere Person noch durch die quasi ganz Ausgangstür will. Und deswegen gingen die erst mal nicht auf und dann bin ich kurzes mir ein bisschen mulmig geworden.
Jonas: Du willst da… ich meine, es ist ein Gefängnis. Also ich meine, man kommt nicht einfach so raus. Das ist schon klar. Was ist dir hängen geblieben aus den beiden Gesprächen, die wir geführt haben?
Karina: Ich fand es echt… also die waren beide super sympathisch und ich habe mir das irgendwie ganz anders vorgestellt. Und habe auch festgestellt, dass ich die falsche Person wäre, da zu arbeiten, weil ich mich glaube ich total einfach um den Finger wickeln lassen würde. Das war so nett irgendwie mit dem Inhaftierten und ja, ich habe schnell vergessen, wo wir eigentlich sind. Und dir?
Jonas: Ich fand es auch nochmal irgendwie wichtig, dass man schon gemerkt hat, dass es in der JVA Hövelhof hier einen guten Standard an Barrierefreiheit gibt, dass sie viel ermöglichen, aber dass es eben trotz alledem eben nicht dieses Paradies sein soll. Also dass der Gefangene gesagt hat, okay, nee, also der Wunsch ist trotz alledem rauszukommen, aber auch mit dem Wissen, dass es vielleicht draußen nicht so barrierefrei ist, wenn man quasi unterwegs ist, und dass es hier dann in der JVA viel gemacht wird, aber dass es trotzdem natürlich der Wunsch da sein muss, wieder rauszukommen und eben nicht zu sagen, okay, oh nö, ist schön, ich richte mich häuslich ein und dann bleibt es dabei.
Karina: Ja, das kann man schon kurz mal irgendwie aus dem Blick verlieren, wenn man hört, wie hoch der Personalschlüssel da ist pro Person. Und was es da sonst so für Pflege gibt, die es vielleicht draußen nicht für alle Menschen so einfach gibt. Aber dann, ja, wenn man sich wieder bewusst macht, dass es halt ein Gefängnis ist, dann klar, dann will man da natürlich auch wieder raus.
Jonas: Genau, das könnte man irgendwie so zusammenfassen, also quasi, ja, draußen, also lieber draußen bleiben. Also das wäre so ein Schluss, was so ein schönes Motto war, was der Gefangene oder der Häftling ja auch quasi gesagt hat, im Sinne von, ja, JVA Hövelhof, bleib lieber draußen. Das ist das Fazit. Das war unser kleiner Ausflug hier ins Ostwestfälische. Wir machen uns wieder auf den Weg. Und auf dem Weg dorthin, ja, was macht man so während der Bahnfahrt? Vielleicht andere Podcasts hören. Und da habe ich an dieser Stelle noch einen kleinen Podcast-Tipp für euch, nämlich “Feuer und Flamme – der Feuerwehr-Talk”. Das ist der Podcast zur gleichnamigen Doku-Reihe in der ARD Mediathek. In jeder Staffel wird eine Wache der Berufsfeuerwehr begleitet. Dieses Mal ist es die Feuerwehr in Heidelberg. Im Deep Talk gibt es noch mehr Hintergründe zu den Einsätzen. Zum Beispiel erzählen die Feuerwehrleute, wie sie Sanitätern helfen, wenn sie zum Beispiel Menschen im Rollstuhl nicht transportieren können. Oder wie sie bei Einsätzen mit psychisch erkrankten Personen vorgehen. Seid hautnah dabei und hört rein bei “Feuer und Flamme – der Feuerwehr-Talk”. Jetzt in der ARD Audiothek und überall da, wo es Podcasts gibt. Und wer mag, kann den Podcast auch als Video über YouTube im SWR-Doku-Kanal anschauen. Den werde ich mir auf jeden Fall jetzt gleich noch auf der Zugrückfahrt anhören. Wie gerade viel sagt, dass ihr mit dabei wart. Vielen Dank, Karina, dass wir hier diesen kleinen Ausflug gemacht haben und auch wieder frei raus sind. Und wir hoffen, dass ihr auch das nächste Mal wieder mit dabei seid. Bis dahin. Tschüss.