BFSG – Transkript

Lesezeit ca. 41 Minuten

Die Neue Norm: Eine Sehbehinderung, ein Rollstuhl, eine chronische Erkrankung. Oder: drei Journalist*innen. Jonas Karpa, Raul Krauthausen und Karina Sturm sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.

Folge 65: „BFSG“

Jonas: Raúl und Karina, was müsste eigentlich umgesetzt werden, damit ihr sagt, endlich ist Barrierefreiheit erreicht?

Karina: Ich will nicht immer die Bahn bashen, aber ich glaube, wenn jede behinderte Person zu jeder Zeit Bahn fahren kann, dann haben wir es geschafft.

Raúl: Ich würde einen Schritt weiter gehen, wenn auch die Privatwirtschaft nicht nur im Digitalen, sondern auch im physischen und in eigener Dienstleistung barrierefrei wird und verpflichtet wird. Dann wären wir einen großen Schritt weiter.

Jonas: Herzlich willkommen zu Die Neue Norm, dem Podcast. In den inzwischen mehr als 60 Episoden, die ihr übrigens alle auch in der ARD-Audiothek hören könnt, lief es thematisch oft auf Barrierefreiheit hinaus. Urlaub mit Behinderung? Barrierefreiheit. Heiraten mit Behinderung? Barrierefreiheit. Bundestagswahl? Barrierefreiheit. Klimawandel? Ihr habt es richtig gedacht. Barrierefreiheit. Heute sprechen wir über Barrierefreiheit und zwar über das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Wir schauen, was steht drin, was muss umgesetzt werden nun und geht es betroffenen Personen weit genug. Bei mir sind Karina Sturm und Raúl Krauthausen.

Karina: Hallo.

Raúl: Hi.

Jonas: Mein Name ist Jonas Karpa und wir sind heute nicht alleine hier, denn wir haben einen Experten zu diesem Thema eingeladen, nämlich Michael Wahl. Hallo, grüß dich.

Michael: Hallo, hallo ihr drei.

Jonas: Du bist Leiter der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik. Was das genau ist, werden wir auch noch mal im Laufe des Podcasts klären. Du hast Gesundheitsökonomie studiert und einen Magister in Politikwissenschaften und Philosophie und bist quasi als Mensch mit Behinderung, du bist auch selber quasi ja auf Barrierefreiheit angewiesen. Was ist denn für dich Barrierefreiheit oder was macht für dich Barrierefreiheit aus?

Michael: Grundsätzlich das, was auch in den Gesetzen steht, ist schon gar nicht so schlecht. Also, dass eben jeder und jede unabhängig von irgendwelchen Beeinträchtigungen oder Behinderungen eben teilhaben kann an der Gesellschaft und speziell bei uns im Digitalen natürlich dann an, ich sag immer, an selbstbestimmter Information und Kommunikation über digitale Wege. Das wäre wichtig und da haben wir noch einiges zu tun.

Jonas: Es ist ja immer so, dass ich das Gefühl habe, dass häufig man über Barrierefreiheit spricht, auch manchmal so, ja, auch versucht irgendwie Umschreibung irgendwie hinzubekommen. Also, dieses, weil es eben schwer ist, diese absolute Barrierefreiheit umzusetzen, wird dann häufig quasi ja so Barrierearmut gesagt. Also, dass man sagt, ja, ganz barrierefrei geht es eh nicht, aber wir versuchen es so weit wie möglich zu machen. Ich habe manchmal so ein bisschen das Gefühl, dass es dann ja auch so als Entschuldigung gesehen wird, so nach dem Motto, wenn man ja etwas umsetzen möchte, dass man sich so ein bisschen auch damit selber den Druck irgendwie nehmen kann, so nach dem Motto, dass es, ja, alles kann man ja eh nicht umsetzen und deswegen investieren wir vielleicht auch nicht die komplette Energie da rein, weil, ja, es wird ja eh nicht perfekt werden. Ich denke, barrierearm ist ein Ausdruck, den glaube ich alle in der Runde hier nicht so gerne, also im Baulichen, im Physischen ist uns das auch schon immer begegnet.

Michael: Das ist nicht schön, weil es gibt ja Normen, die das, im Digitalen sind die sehr genau und da kann man das sehr genau definieren. Und ich bin auch ein Freund davon, dass man gesetzlich das fordert oder das erst mal in den Ring schmeißt, was eben gesetzlich da ist. Und es gibt ja dann über angemessene Vorkehrungen, wenn es Belastungen gibt. Also, das Gesetz kennt ja auch immer Ausnahmen, zum Beispiel bei der Barrierefreiheit, wenn ich jetzt einen Kartendienst digital barrierefrei machen will, der nur aus Landingkarten besteht, dann ist der ausgenommen. Oder alte Archive, wo dann irgendwelche alten Fotos von 1700 irgendwann drinstehen, sind die auch ausgenommen. Also, das Gesetz ist schon so, dass Barrierefreiheit drinsteht und das soll es auch sein.

Jonas: Wie geht es euch, Raúl und Karina, wenn ihr hört, wir sind barrierearm? Interessanterweise höre ich diesen Satz immer nur von Nichtbehinderten.

Karina: Ich fühle mich gerade ein bisschen ertappt. Ich habe das letztens auf einen Flyer geschrieben, aber hauptsächlich, um keinen Shitstorm zu kriegen, weil ich nicht wusste, ob wir 100 Prozent barrierefrei für alle sind. Deswegen habe ich das Wort barrierearm benutzt, aber es stimmt, es ist zum Kotzen, weil eigentlich keiner weiß, was steckt da wirklich genau drinnen und welche Barrieren gibt es jetzt und welche halt nicht.

Jonas: Oder ging es bei dir um Barrierefreiheit und Armut?

Karina: Mich kotzt vor allem an, weil es immer so, es wird als Ausrede genutzt, dieses “Wir können es ja nicht allen recht machen”. Ich habe letztens erst in meiner Heimatstadt Neumarkt, da gab es so einen Spielbrunnen für Kinder. Der ist neu gebaut worden, nur für den Sommer. Und der ist auf so einen Podest gestellt worden, so irgendwie einen halben Meter über Boden. Und da gab es natürlich keine Rampe. Was ich cool fand war, dass da sofort Mütter von Kindern mit Behinderung gesagt haben, ist ja eine nette Idee, aber scheiße, mein Kind kann da halt nicht mitspielen. Und der allererste Kommentar wieder war, naja, wir können es ja nicht allen recht machen, es kann halt nicht immer jeder mitspielen. So, aber es kann ja jeder mitspielen, außer halt die Kinder mit Behinderung. Und wenn es neu gemacht wird, also das erschließt sich mir nicht. Das hätte man von vornherein einfach total leicht umsetzen können.

Jonas: Und es ist irgendwie auch so, wenn ich an Barrierefreiheit denke, dass auch viele Barrieren sich so gegenseitig oder quasi diese Ansprüche auf Barrierefreiheit sich so gegenseitig widersprechen. Also irgendwie dieses typische Beispiel von, ich glaube, Raúl, du bist sehr froh, wenn du quasi in der Stadt unterwegs bist und es abgesenkte Bordsteine gibt für dich. Wiederum, wenn man jetzt sagen würde, man macht quasi die Bürgersteige plan und wirklich auf der gleichen Ebene der Straße sind vielleicht Leute, die mit dem Langstock unterwegs sind, weil sie blind sind, freuen sich ja über diese tastbare Barriere, dass sie eben wissen, okay, hier fängt die Straße an und hier hört der Bürgersteig auf. Also auch da gibt es ja quasi auch sehr unterschiedliche individuelle Bedarfe, was Barrierefreiheit angeht.

Raúl: Ja, aber das ist so eine Erzählung, die machen immer die Bürgermeister*innen oder Stadtplaner*innen und spalten ja dann die Gesellschaft der behinderten Menschen. Dabei, soweit ich weiß, Michael, korrigiere mich bitte, hat man sich da inzwischen geeinigt auf eine bestimmte Bordsteinhöhe. Und das immer noch zu hören, wie so ein Argument gegen Barrierefreiheit, das macht mich wirklich inzwischen wütend.

Michael: Also ihr könnt euch die Zahl 7 merken, der Kompromiss sind nämlich 7 mm. Und wir sind ja das Land nicht nur der Dichter und Denker, sondern auch der gesetzestreuen Gesetzesmacher und der DIN-Norm-Ausschusse.Da haben sich ganz viele, übrigens auch Peers, also auch Menschen, die Rollstuhlnutzer sind oder mit dem Langstock unterwegs sind, hingesetzt und haben diesen Kompromiss ausgeknobelt. Also da kann man ganz locker auf die Norm verweisen und sagen, dann, also eigentlich muss ein Stadtplaner das wissen. Wenn er das sagt, hat er entweder seinen Job verfehlt oder hat keine Lust. Also da wäre ich auch relativ unromantisch, was das angeht.

Raúl: Ich auch, danke. Das ist einfach mal gelernt, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Falls diese Frage nochmal aufkommt bei euch, dann ist die Antwort 7. 

Jonas: Nicht 42, sondern 7. Aber kann man ja mal 6 nehmen.

Raúl: Lieber nicht, dann wird es hoch.

Jonas: Ich finde es auch irgendwie, also ein anderes Beispiel, was mir einfiel, ist so dieses, also diese Barrieren oder quasi einfach Sachen, die wahrnehmbar sind. Und dazu gehören ja Barrieren dann leider auch zu, die nehmen halt eben auch Menschen mit Behinderung eben wahr. Mir ist immer so eingefallen, so quasi auch als Mensch mit Sehbehinderung, der ich ja bin. Ich finde diese Entwicklung, dass wir jetzt quasi auch in der Stadt sehr, sehr viel auf Elektromobilität setzen, finde ich total gut. Aber auch dieses, dass du dann in der Umgebung unterwegs bist und dann diese, egal ob es Elektroroller sind oder Elektroautos, die ja kein großes Geräusch mehr von sich geben. Du hörst halt keinen Motor mehr in dem Sinne. Heißt also eigentlich dieses frühere, sich vielleicht so ein bisschen auf das Gehör verlassen können, ob da quasi ein Auto kommt, dass es irgendwie auch nicht mehr möglich ist. Also ich bin total froh, also in dem Sinne, dass wenn man den Stadtlärm irgendwie verringert, ist es total angenehm. Aber es gab ja auch quasi auch vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband auch nochmal irgendwie so die Initiative, dass man dann Elektroautos mit Geräuschen versieht, um es irgendwie dann erfahrbar zu machen. Also ich finde da irgendwie dieser Aspekt, dass es ganz viele unterschiedliche Bedürfnisse gibt, die sich teilweise auch widersprechen, beziehungsweise die sehr, sehr individuell sind. Finde ich total interessant, wenn man gerade über das Thema Barrierenfreiheit oder quasi Sachen spricht, um Sachen irgendwie erfahrbar zu machen. 

Raúl: Mir ist neulich eine neue Barriere begegnet, weil du gerade Elektromobilität sagst. Ich habe den Eindruck, dass die Leute schneller fahren, seitdem irgendwie alles einen Elektromotor hat. Also ob die Autos elektrisch sind oder die E-Scooter oder die Fahrräder. –

Jonas: Oder Elektrorollstühle. 

Rául: Ja, oder Elektrorollstühle, genau. Dass dann auch die Reaktionszeit tatsächlich, glaube ich, total unterschätzt wird. Und das, also wenn ich mir in Berlin anschaue, wie die Leute da mit ihren E-Scootern oder E-Bikes die Fahrradwege oder Straßen oder Bürgersteige lang brettern, ist schon ein bisschen gefährlich.

Jonas: Wenn wir jetzt aber quasi über das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz reden, mal erstmal vorneweg als Begriff, also BFSG, die Abkürzung, um es nicht mal so lang zu halten. Aber so aus aktivistischer Sicht, wenn man ja die Erfahrung, die wir häufig gemacht haben, dass es eben nicht immer barrierefrei ist und dass es ja auch dann in dem Sinne sehr diskriminierend ist, wenn man als Mensch mit Behinderung auf Barrieren stößt, die eben nicht abgebaut werden. Klingt zu dieser Name Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, als gäbe es Barrierefreiheit, die ja nochmal verstärkt wird. Ich habe drüber nachgedacht, soll es nicht eher das Barrierefreiheitsdurchsetzungsgesetz geben? Wäre das nicht vielleicht irgendwie der bessere Name?

Michael: Ja, also es ist ja ein Name, der deutsch ist. Also das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, vielleicht noch ein bisschen Geschichte, aber nicht so lange, kommt ja vom European Accessibility Act. Also das hat Deutschland jetzt nicht freiwillig initiiert, sondern das mussten wir als deutscher Mitgliedstaat der EU tun. Und warum das jetzt so heißt, ja, also kann ich in dem, ich kann es zum Teil nachvollziehen, weil es ja in der BIT V 2.0 schon Regeln gibt oder gab, die jetzt halt auch nochmal erweitert oder ausgedehnt wurden. Und die ja auch jetzt eben für noch etwa, da kommen wir ja gleich noch drauf, nicht nur für digitale Dienstleistung gelten, sondern auch für Produkte. Aber gerade bei den Produkten ist das “Stärkung” schon ein bisschen deplatziert, weil wir haben ja gleich nachher die Themen vielleicht den Bankautomat oder das Telekommunikationsverhalten oder auch smarte Fernseher und so weiter, Tablets. Da gab es vorher noch nichts. Da gab es den USA, den ADA und so weiter, aber da ist es keine Stärkung, sondern da fangen wir von vorne an.

Raúl: Das ist so ein bisschen wie, es gab doch mal dieses Gute-Kita-Gesetz. Und ich habe immer das Gefühl bei diesen Wörtern, die dann so erfunden werden, dass man die so formuliert, als würde man die Bürger*innen auch irgendwie so richtig an die Hand nehmen bei den Titeln von so Gesetzen. Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das Gute-Kita-Gesetz. Wobei ich denke, halten die uns für Dreijährige? Aber gut, das ist doch meine Meinung.

Jonas: Du hast eben angesprochen, Bankautomaten bzw. Digitales. Das war jetzt quasi, ja auch in der letzten Zeit, fand ich auch nochmal verstärkt in den Medien, dass jetzt quasi das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft tritt. Ende Juni war das in dem Sinne. Und ich hatte ein bisschen so das Gefühl, dass auch so in der Anfrage schließlich davor gewarnt wurde. Also so ein bisschen wie damals die Datenschutz-Grundverordnung in Kraft trat, nach dem Motto, Achtung, hier kommt was Neues und man muss sich darauf vorbereiten, als Unternehmen, dass man eben gewisse Sachen barrierefrei anbieten muss. Weil sonst kann man vielleicht auch verklagt werden in dem Sinne. Aber was regelt es denn wirklich? Also du hast eben Bankautomaten angesprochen. Was steht in dem Gesetz drin? Was muss jetzt quasi seit knapp einem Monat befolgt werden?

Michael: Grundsätzlich stehen da zwei Arten von, sag ich mal, Dingen drin, die jetzt barrierefrei sein müssen. Das eine sind die Dienstleistungen, das andere sind die Produkte. Und in den Dienstleistungen, also man kann da in das, Paragraph 2 ist es glaube ich, BFSG reinschauen und dann gibt es eine ewig lange Liste. Aber das, was am meisten Impact hat, im digitalen Bereich zumindest, ist halt der ganze E-Commerce-Bereich. Und da zählt wirklich alles rein. Also sobald ich eine Dienstleistung online anbiete und laut den ersten Rechtsprechungen oder den ersten vorsichtigen, ich bin ja kein Jurist, aber die Juristen nehmen das zu, die sagen ja, da gehört alles dazu. Also auch eine Terminvereinbarung. Ein Beispiel ist immer Doctolib. Das läuft ja gerade alles medizinisch. Man gefühlt ist ja irgendwie so der neue Marktplatz, wo ich dann meine digitalen Arzttermine machen kann. Auch eine reine Terminvereinbarung steht wohl schon in dem Umfeld eine digitale Dienstleistung im Sinne dieses Gesetzes zu sein. Ansonsten alles, was ich verkaufe online digital, also von Amazon oder was weiß ich, andere Shops, die es ja mittlerweile gibt: Lidl, Fressnapf, keine Ahnung, das sind so die großen, wir hatten ja mit Google einen Test gemacht. Die großen Portale, die müssen sich darauf einstellen. Aber auch, ich habe zum Beispiel gestern mit meinem Steuerberater telefoniert und da meinte der auch so, was ist denn das eigentlich hier mit diesem Stärkungsgesetz? Und da meinte ich so, verdienst du über zwei Millionen? Und er meinte, nö, hast du mehr als zehn Angestellte? Und er meinte, ja, dann bist du dabei. Also weil da gibt es dann halt die Ausnahme sozusagen bei den digitalen Dienstleistungen. Also wenn ich ein kleiner Friseurladen um die Ecke bin, der jetzt vielleicht drei Angestellte hat und nur eine Million verdient im Jahr, bin ich raus, dann muss ich nichts machen. Bin ich aber jetzt der Steuerberater, der schon ein bisschen größer ist wie in meinem Fall der Kollege, dann muss er die Webseite auch mit allen Informationen barrierefrei zur Verfügung stellen.

Raúl: Aber ist das und oder oder? Also musst du zehn Mitarbeiter*innen haben und mehr als zwei Millionen verdienen?

Michael: Nein, nein, nein. Eins davon. Das ist ein, also wenn du um einen davon quasi reinragst, dann bist du mit dabei. Und dann haben wir die Produkte. Die sind aus Sicht der physischen Barrierefreiheit natürlich etwas zu kurz gekommen. Also da haben wir die ganzen, ich sage mal alles, was so Automaten sind, also die Bankautomaten, die Fahrkartenterminals von der Bahn oder von Regionalverbünden, wobei da wieder der Regionalverkehr, glaube ich, jetzt muss ich nochmal nachdenken, ich glaube der Fernverkehr ist ausgenommen. Ich weiß es gerade nicht genau. Ich glaube der Regionalverkehr ist ausgenommen. Da müsste man jetzt die Juristen fragen. Aber grundsätzlich alles, was ein Automat ist, ist erstmal drin. Dann hatte ich ja schon erwähnt, alle Telekommunikationssachen, also sowohl Betriebssysteme wie auch Tablets und andere, Handys und so weiter, Smartphones, Kommunikationsdevices sind drin. Da witzigerweise, weil es ein, kommen wir vielleicht noch drauf, ein Verbraucherschutzgesetz ist, ist es, wenn ich meine Microsoft-Lizenz kaufe als privater Mensch, dann darf ich sie barrierefrei haben und ein Word benutzen oder mein PowerPoint oder Outlook. Wenn ich das als Arbeitgeber mache, dann muss es nicht barrierefrei sein. Also das ist auch, da sieht man ein bisschen, wo das Gesetz so ein bisschen herkommt. Ja, insofern, also es ist ein Verbraucherschutzgesetz, das heißt es geht immer darum, den Endkunden mit dem Händler oder dem Einführer oder auch dem Ersteller, jetzt wird es ein bisschen sehr technisch, in Kontakt zu bringen und da Barrierefreiheit zu garantieren. Und das Schöne an dem Gesetz ist aber, dass es als Verbraucher egal ist, ob jetzt das Handy in Taiwan produziert wird und wird dann über Kasachstan nach Deutschland eingeführt und dann kann nicht der deutsche Händler sagen, ja ruft doch bitte mal in Kasachstan an, das läuft nicht. Der ist dann verantwortlich. Also da hat die EU, finde ich, ganz gut Lücken geschlossen. Aber in den Produkten kann man sich vorstellen, da hätte man vielleicht auch noch ein bisschen mehr fordern können. Also die bauliche Barrierefreiheit ist schon mehr oder weniger, glaube ich, relativ früh dem Gesetzesprozess auf EU-Ebene herausgefallen, leider. Also da sind ganz große Lücken.

Raúl: Das heißt, einmal noch mal so zum Verständnis, ein Bankautomat muss für sehbehinderte Menschen barrierefrei sein, darf aber in einem Gebäude stehen mit einer Stufe am Eingang, sodass Rollstuhlfahrende da nicht reinkommen.

Michael: Genau, da ist das Ganze. Oder auch der Selbstkassenautomat bei Rewe, den muss ich auch nicht unterrollen können. Oder ich muss auch den Rewe nicht barrierefrei reinkommen, das ist im Zweifel auch wurscht, sondern Hauptsache das Ding ist, sage ich mal, im Zweisinneprinzip bedienbar für Menschen mit, wie auch immer, Beeinträchtigung. Also es ist einfach nicht zu Ende gedacht.

Karina: Gilt das denn theoretisch auch für zum Beispiel redaktionelle Inhalte? Also jetzt sagen wir mal, irgendwie ein kleines Magazin, das irgendwie Online-Inhalte zur Verfügung stellt, das kann ich nicht so ganz durchblicken, ob das quasi dann auch barrierefrei sein muss. Also vor allem auch die Inhalte, wenn ich denke, irgendwie leichte Sprache, also die Website vielleicht schon, aber müssen Inhalte redaktionell auch, fallen die da drunter unter das Gesetz?

Michael: Ja, also wenn dann, da ist die, bei Redaktion, oder das müssen wir vielleicht trennen, also bei Redaktion ist die Frage, verkaufe ich etwas? Sobald ich nichts verkaufe, nein. Weil, also wenn ich jetzt meinen eigenen Blog mache und ich bin nicht in einer öffentlichen Stelle, dann nicht. Wenn ich aber sage, ich habe hier meinen, also nennen wir mal, was weiß ich, die Zeit.de oder Spiegel oder keine Ahnung, das ist egal wen, und ich verkaufe das Ding, dann ja, kommt das mit rein. Also auch E-Books ist ein großes Thema, auch E-Book Reader, da haben wir so eine Mischform aus barrierefreier Dienstleistung und Produkt. Jetzt hast du noch leichte Sprache gefragt, ja grundsätzlich, das wird natürlich dann sehr wichtig für Banken und Versicherungen, also die müssen auch ihren ganzen AGB, Sachen, das ist noch nicht so ganz raus, aber so Versicherungsbedingungen natürlich, das ist ja vom Kauf relevant, also sie müssen ja wissen, was ich da kaufe. Banken auch, also jedes Mal, wenn ich da irgendwie jetzt ein neues Bankprodukt kaufe, muss ich eigentlich auch gucken, dass ich meinen klassischen Einleger auch in einer vereinfachten Sprachform darbiete. Und auch sowas wie Gebrauchsanweisungen, das vergessen viele, also auch Verpackungen mittlerweile müssen dann auch von Produkten, also auch da muss gewährleistet werden, dass ich sie lesen kann, auch digital, QR-Code oder irgendwie, da können die Hersteller sich was einfallen lassen. Und vom Verständnisniveau wird es so ein bisschen gerungen, es steht in der Durchführungsverordnung, hört sich an wie so ein Rechtslexikon, aber es ist einfach ein bisschen trocken, ich versuche es mal einfacher zu machen, also in einem entscheidenden Dokument steht drin, dass alles verständlich sein muss. Und jetzt fangen natürlich die Juristen an mit den Hufen zu scharren und sagen, was ist denn jetzt verständlich. Und dann ist natürlich die Frage, klar, das sagen natürlich dann die Leute aus der Leichten Spracheecke, klar, das ist Leichte Sprache, und andere, die vielleicht das nicht so weit umfassend sehen, die sagen dann, naja, das ist dann irgendwie Niveau C1, C2, B1, es gibt so vom Gefühl her immer, dann auf die sogenannte Einfache Sprache oder verständliche oder bürgernahe Sprache zu gehen, das ist so dieses B1-Niveau, darauf hat man sich so eingeschossen. Allerdings, sage ich immer noch, ich kenne noch keine Definition, keine trennscharfe Definition zwischen Einfacher und Leichter Sprache, da gibt es zwar zwei DIN-Normen, aber die definieren das auch nicht. Also da geht es immer so um Nutzungskontext und Zielgruppen, aber die Grenze zwischen Leichter und Einfacher Sprache ist schon fließend und im Gesetz steht verständlich, was heißt das jetzt? Also ich glaube nicht, dass es die Leichte Sprache werden wird, also das ist jetzt nur eine Vermutung. Ich denke, das ist dann wie so oft bei Gesetzen, wenn jemand dann klagt, ergeben wird durch Rechtsprechung. Aber es kann jetzt keiner hingehen, glaube ich, und sagen, das muss alles in Leichter Sprache sein, also das gibt das Gesetz aktuell nicht her.

Karina: Aber du sprichst ja jetzt gerade quasi nur von Verträgen und AGBs und sowas, ich meinte jetzt auch so die tatsächlichen Inhalte, also den Artikel zum Beispiel, den ich schreibe als Journalistin, also das wäre ja cool, wenn quasi die Inhalte selber auch zum Beispiel die Website barrierefrei zu lesen sein müssen, sondern zum Beispiel auch die Inhalte eben in Leichter Sprache, damit Informationen halt offen sind für alle. Das war glaube ich so ein bisschen mein Ding.

Michael: Genau, ja, da ist halt die Frage, wenn ich das, also das ist eine gute Frage, weil wenn ich das jetzt verkaufe, ist die Dienstleistung jetzt der Zugang oder das Produkt an sich? Und ich glaube, dass die Dienstleistung, also der Weg zum Artikel, also ich muss mich anmelden, ich muss da vielleicht ein Abo hinterlegen, ich muss da irgendwie bezahlen per PayPal oder was ich mit was, oder Google Pay oder Apple oder sonst was, das muss auf jeden Fall auch dann in verständlicher oder Leichter Sprache gemacht werden. Aber der Inhalt an sich, glaube ich nicht, ich glaube, da greift wahrscheinlich das Urheberrecht rein. Aber das ist jetzt echt eine Special-Frage.

Karina: Ja, aber das bringt ja den Leuten dann wieder nichts. Also wenn ich zwar zum Inhalt komme, aber den Inhalt selber nicht lesen kann, dann habe ich da nicht so viel von. Das ist auch nicht so ganz zu Ende gedacht.

Michael: Ja, natürlich. Aber du hast natürlich, wenn du jetzt sagst, du bist ja auch ein Autor vielleicht, der sagt, ich möchte mein Buch halt jetzt, das kann ja auch ein E-Book sein, ich schreibe da jetzt halt Belletristik und das hat keine Leichte Sprache, dann ist das ja erstmal so. Dann hast du ja auch da dein Urheberrecht und deine künstlerische Freiheit. Also ich glaube, so weit geht das Gesetz nicht. Das würde mich jetzt sehr wundern.

Raúl: Jetzt gehen wir ganz viele Einzelfälle durch. Aber eine Frage, die ich mir die ganze Zeit stelle, so ein Bankautomat oder ein Fahrkartenautomat ist ja gar nicht so weit weg von einer Ladesäule für Elektroautos.

Michael: Ja, klar.

Raúl: Müsste jetzt eine Ladesäule für Elektroautos für blinde Menschen barrierefrei sein?

Michael: Nein, die stehen nicht drin. Also bei den Produkten ist das wirklich, das Gesetz ist so aufgebaut, du hast halt diesen Paragraph, ich glaube zwei, oder Paragraph ist es im Deutschen, und da steht dann so eine Positivliste drin. Das heißt, das, was drinsteht, da kann auch jeder und jede reingucken, ist halt dabei. Für die Dienstleistung gilt das auch. Und dann muss man natürlich gucken, was ist denn jetzt eine digitale Dienstleistung? Was ist ein Selbstbedienungsterminal? Und da gibt es dann wieder schöne EU-Definitionen, da kann man sich dann verlinken lassen und guckt dann in eine EU-genormte, europaweit standardisierte Definition von was ist eigentlich ein Selbstbedienungsterminal.

Raúl: Und das ist eine Ladesäule nicht?

Michael: So weit ich weiß nicht. Also auch da ist es natürlich rückschrittig, weil man hätte ja auch mutig sein können, man hätte definieren können, alles, was ich als Kunde bediene, bei dem ich eine grafische Oberfläche habe, und bei dem ich eine Dienstleistung eingehe, muss barrierefrei sein. Das wäre mutig gewesen. 

Raúl: Das würde es auch einfacher machen als diese ganzen Listen, die man jetzt irgendwie…

Michael: Richtig, ja. Aber da war halt das Lobbying dann nicht stark genug, und wir hatten ja vorhin über die Rampe oder die Stufe zum Gebäude gesprochen, auch da hätte man ja, sag ich, sagen können, also ein Bankautomat ist zu nah an der Grundversorgung oder ein Fahrkartenautomat, da muss dann schon derjenige, der das aufstellt als Bank, wenn ich mir ein Gebäude miete oder kaufe oder einen Bahnhof baue, dann muss der halt einfach berollbar sein, fertig, aus. Wir haben ja auch ewig lange Übergangsfristen drin. Das ist ja nicht so, dass gerade der Bankautomat hat, glaube ich, 15 Jahre. Das ist ja nicht so, dass die das ab jetzt sofort machen müssen.

Jonas: Haben wir dann noch Bargeld?

Michael: Ja, das ist ein anderes Thema. Aber es gibt immer noch Leute, gerade wenn wir von älteren Menschen sprechen, die trauen halt dem Digitalen nicht so, die haben vielleicht auch keine Lust, von der Bankkarte und dem Kontoauszugautomat Abstand zu nehmen. Auch da muss man ein bisschen um die Demografie denken. Also ich brauche keine Bankautomaten, ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber die ältere Generation schon. Die haben überhaupt keinen Bock, Online-Banking zu machen, das stresst die.

Jonas: Es gibt in Berlin immer mal wieder Läden, wo es dann quasi nur Cash-only ist, und dann ärgere ich mich immer, dass ich in dem Moment kein Bargeld dabei habe. Aber in der Tat, ich bin selten noch an Bankautomaten aktiv.

Raúl: Was?

Jonas: Es ist, wie du gesagt hast, auf der einen Seite ist es nicht weit gedacht genug, aber trotzdem hat sich ja jetzt etwas verändert. Hast du das Gefühl, dass Unternehmen, die es quasi betrifft, dass denen so ein bisschen, die sich vorher noch nicht mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, so ein bisschen der Arsch auf Grundeis gegangen ist, nach dem Motto, “Oh Gott, was müssen wir jetzt alles machen?” Also wenn ich jetzt, wie du es gerade eben gesagt hast, die AGBs einer Bank oder so, das kriegt man ja so zugeschickt auf 20 DIN-A4-Seiten in Schriftgröße 2, was sich entweder so niemand durchliest, beziehungsweise eben auch schwer zu verstehen ist, wenn ich mir dann überlege, dass die sich jetzt da hinsetzen müssen, das verständlich zu machen oder barrierefrei umzusetzen. Ich glaube, da sind einige erstmal ein bisschen so, uff, auch das noch.

Michael: Gerade die Banken muss man mal loben. Also ich weiß jetzt die Umsetzung nicht, aber wir sind zwar für die öffentlich-rechtlichen in erster Linie verantwortlich, aber uns fragen auch viele, einfach weil es zu wenig qualitativ gute Informationen oder gar keine gibt, landen die oft bei uns. Und der Bankenverband war schon vor einem Jahr dran. Und das ist halt, wie gesagt, da sitzen dann die ganzen Commerzbanks und deutsche Banks und was nicht auch alles gibt. Die sind auch besser als die Neo-Broker, muss man sagen, die ja eigentlich nur noch online funktionieren. Die müssen übrigens auch barrierefrei sein, aber von Trade Republic oder Scaleable hat sich noch keiner bei uns gemeldet. Sind ja auch Banken mittlerweile. Also da war eine gewisse Awareness da, aber die sind natürlich auch, das sind große Organisationen. Jetzt haben wir natürlich aber auch, ich war ja vorhin bei meinem Steuerberater, der hat davon auch schon gehört. Also scheint wohl auch die Kammer, sag ich mal, darauf hingewiesen zu haben. Aber natürlich steht er erst ein bisschen mal wie der Ochs vom Berg, weil der erstmal überhaupt nicht weiß, was ist denn digitale Barrierefreiheit? Was soll das überhaupt sein? Und dann, ja, man kann natürlich, also kann ich ein bisschen Werbung fürs BMAS machen. Die haben ja Richtlinien rausgegeben, die das Gesetz recht gut zusammenfassen. Da kommt man jetzt auch ohne Jurastudium und Verwaltungswissenschaft erstmal durch. Aber trotzdem stehe ich dann nachher vor der Frage, wie du sagst, was heißt denn jetzt verständliche Versicherungsbedingungen? Da ist noch ganz, ganz viel zu tun. Und dann gibt es eine kleine Anekdote. Es gibt so, auch Information zu Barrierefreiheit nennt sich das. Wir haben ja im öffentlich-rechtlichen Bereich die Erklärung zur Barrierefreiheit, also was alle Ministerien und auch die Kommunen und jedes Amt machen muss. Klammer auf, was noch viel zu wenig umgesetzt wird, Klammer dazu aber das ist ein anderes Thema. Dann gibt es Informationen zur Barrierefreiheit in diesem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, also für die Privatwirtschaft. Und da geht viel durcheinander. Also da, wie das oft so ist, irgendwo hat irgendeine Agentur, irgend so ein Muster bei uns oder anderen kopiert und dann wird das weiter kopiert. Mit dem Effekt, dass jetzt zum Beispiel Birkenstock, also die die Latschen vertreiben, in dem Onlineshop auf uns verlinkt und sagen, wenn er Fragen hat, ruft bei uns an. Was einfach falsch ist. Wir sind auch nicht das, dass wir quasi die Kontrolleure sind. Auch das stimmt nicht. Da gibt es eine Marktüberwachungsbehörde, die im Aufbau ist. Dazu kommen wir vielleicht noch zu Sanktionen. Und also da ist es halt wie immer dann doch wieder Weihnachten gewesen, am 28. Juni mit der Scharfstellung, obwohl es, also das Gesetz ist aus 2019 auf EU-Ebene. Und das kann man schon mal in sechs Jahren, kann man sich auch ein bisschen mehr damit beschäftigen. Und es wird auch Leute geben, zum Beispiel, nehmen wir die Hotellerie. Also da habe ich noch gar nichts gehört und die sind voll mit drin. Also gerade da, wenn ich, das ist total kompliziert, wenn ich heute meinen Stadtaufenthalt buche von mir aus oder eine Dienstreise und ich will vielleicht noch einen Wagen dazu haben, dann geht das über irgendein Preisportal. Dann landet das bei der Hotellerie. Dann muss die wieder sagen, wie bezahle ich das? Also da ist noch gar nichts passiert. Auch die ganzen Payment-Anbieter, da habe ich noch nichts von gehört. Also es wäre mal schön, wenn PayPal und Co. sich da auch bewegen. Gut, Apple ist barrierefrei, die haben jetzt Glück. Bei Google weiß ich es nicht. Aber ja, also ihr merkt, da sind ganz viele Schnittstellen und ganz viel. Wir könnten jetzt 100.000 Einzelfälle durchsprechen. Und grundsätzlich ist da noch nicht so viel passiert. Da kann man sich schon so trauen zu sagen.

Raúl: Dann noch mal kurz auf so einer Metaebene. Was macht ihr denn von der BFIT, wenn es jetzt noch eine Marktüberwachungsbehörde geben soll? Und warum hattest du gerade gesagt, dass der Neo Broker hat euch noch nicht angerufen? Muss er euch anrufen oder muss er nicht? Kann er einfach barrierefrei sein?

Michael: Genau, also wir haben so eine Unterteilung. Wir sind in Anführungsstrichen nur für die Öffentlich-Rechtlichen zuständig. Also wir kontrollieren die, monitoren die und schicken denen auch sehr lange Berichte, schlauen die auf. Wir haben einen Ausschuss, der ganz viel zu Standards macht. Also was Digitalisierung angeht, Arbeitsgruppen zu Leichter Sprache, zu Gebärdensprache etc. Aber da gibt es halt die Grenze, das ist nur der öffentlich-rechtliche Bereich. Wir beraten natürlich auch, sage ich mal, wenn jetzt der Neo Broker bei uns anruft, weil er einfach denkt, das macht Sinn, dann beraten wir die natürlich auch nach Kapazität. Also der steht in der Schlange halt weiter hinten sozusagen, weil wir sind jetzt auch nicht allzu groß. Weil im Endeffekt, das ist der Witz an der Geschichte, die digitale Barrierefreiheit, also was ist das eigentlich? Wie muss ich das umsetzen? Das ist für die Öffentlich-Rechtlichen und für die Privatwirtschaft gleich. Es geht nur über einen anderen Weg, weil die Privatwirtschaft, die sind halt im Verbraucherrecht. Und das ist halt zum einen blöd, weil es geteilt ist, zum anderen gut, weil, jetzt kommen wir zur Marktüberwachungsbehörde, es auch Sanktionen gibt, die wir nicht haben. Also das ist ein bisschen schräg, weil der Staat verklagt sich halt leider nicht selbst. Das heißt, wir haben keine Schwert, wir können mahnen, wir können sagen, macht es doch barrierefrei. Und die Behörde sagt dann, ja, machen wir. Und wenn sie es aber nicht tun, dann können wir keine Sanktionen verhängen. Und die Marktüberwachungsbehörde kann das. Sogar zum Teil recht massiv. Da gibt es dann zum Teil auch Produktrückrufe. Das täte natürlich einem Hersteller von E-Book-Readern oder Bankautomaten ziemlich weh, wenn er das Ding wieder ausbauen muss. Das wird hier nicht passieren, aber es ist möglich. Bis zu Bußgeldern oder auch die Aufforderung, das ganze Produkt oder Dienstleistung vom Markt zu nehmen. Das ist ja diese Scharfstellung, die jetzt passiert ist. Seit dem 28. Juni ist es möglich, dass die Marktüberwachung sich bei einem Neobroker, wenn wir den Beispiel jetzt nennen würden, meldet und sagt, hört mal, uns ist da was aufgefallen. Bei euch kann man nicht barrierefrei Aktien kaufen oder sein Bankkonto bedienen. Ändert da was. Das ist möglich. Wir haben nicht dieses Schwert. Wir dürfen nicht sanktionieren.

Raúl: Und öffentlich-rechtlich, damit meinst du jetzt Websites von Behörden, Rathäusern, Städten?

 

Michael: Ja, Webseiten, Apps.

Raúl: Und da meinst du auch ARD und ZDF?

Michael: Auch die sind leider ausgenommen. Das ist wieder eine Sondersache. Es ist schade, weil das eigentlich sehr wichtig ist. Die Mediatheken auch noch sehr ausbaufähig sind zum Beispiel. Oder das TV-Programm ist ja längst noch nicht komplett untertitelt oder mit Gebärdensprache oder auch eine Deskription versehen. Es gibt einen Rundfunkstaatsvertrag, der wird euch oder dem anderen auch schon etwas bekannt sein. Das heißt, das wird in Deutschland schon zwischen den Ländern und dem Bund hergeschoben und auf europäischer Ebene auch. Auch da gibt es eine eigene Richtlinie, die noch in Arbeit ist, die irgendwann dann auch mal die digitale Barrierefreiheit umsetzt. Aber wir dürfen da nicht dran. Also fand ich auch sehr frustrierend. Jetzt gar nicht nur, weil ich irgendwelchen Leuten in die Suppe spucken will, sondern weil die Medien total wichtig wären. Wie schön wäre es, wenn wir uns regelmäßig mit den, was weiß ich, entscheidenden Schwerbehindertenvertretungen, also die von WDR kenne ich noch persönlich, aber von ARD und ZDF zusammensitzen können und sagen können, macht doch mal euer Programm richtig barrierefrei. Macht eure Deskription mal nicht nur für Fußball und für zwei Tatorte, sondern auch für, keine Ahnung, für Wiso oder für Verbrauchermagazine. Weil da fehlt das komplett. Das ist einfach nicht da. Da haben wir überhaupt keine Einwirkungsmöglichkeit.

Jonas: Du hast eben von Sanktionen gesprochen. Ich hatte vorhin ja auch schon mal quasi so ein bisschen diese Überraschung über dieses Gesetz erwähnt, so ein bisschen mit dem Vergleich zur Datenschutzgrundverordnung, wo ich so das Gefühl hatte, dass damals irgendwie so ein großer Hype entstanden ist von Anwaltskanzleien, die irgendwie sich so die Finger gerieben haben, gesagt haben, okay, jetzt gucken wir mal quasi durch, ob vielleicht auch der gemeine Konkurrent die Datenschutzrichtlinien einhält und dann wird quasi in Grund und Boden geklagt. Wäre ja theoretisch gesehen, wenn man jetzt so sagt, okay, wir sind ein freier Markt und das muss quasi umgesetzt werden, dann kann ja auch mal drauf geschaut werden. Also hast du das Gefühl, dass beim Barrierefreiheitsstärkungsgesetz Ähnliches passieren könnte, dass hier vielleicht sich einfach gewisse, so ein gewisses Spiel damit irgendwie entwickelt, dass sich die Unternehmen gegenseitig anschwärzen, schon mal irgendwie drauf gucken, beziehungsweise dass dann jetzt so eine Klagewelle passieren kann? Oder ist das ausgeschlossen?

Michael: Also ausgeschlossen ist es nicht. Ich glaube, rechtstechnisch ist das möglich. Das geht, weil es genau wie du sagst, Verbraucherschutzrechtler sind wir beim freien Markt. Und da kann dann A sagen, ich habe einen Wettbewerbsnachteil, weil B hier gar nichts umsetzt. Dann könnte Webshop A Webshop B verklagen oder PC-Hersteller A, PC-Hersteller B. Die Frage ist halt, ob es wirklich passiert. Ich habe keine Glaskugel, wie man so schön sagt. Ich glaube nicht, dass das in dem Maße passieren wird, wie es bei der DGSVO zumindest in der Panikwelle so war. Ganz einfach, weil leider Gottes die Lobby, die wir haben über die Barrierefreiheitsstärkungsgesetze, über behinderte Menschen, wird nicht weit genug gedacht. Und die ist leider noch nicht stark genug. Also ich sage auch immer, das betrifft ja auch Menschen, die, also ob du jetzt schlecht siehst, deine Hände nicht mehr nutzen kannst oder schlecht hörst oder was auch immer, oder gar nicht mehr hörst und gar nicht mehr siehst, und hast einen schwerbehinderten Ausweis oder nicht, das ist uns digital Leuten total egal. Also wir wollen es dem Kunden in der Usability und der Barrierefreiheit recht machen. Wir wollen, dass alle Zugang haben. Und das wird aber in der Gesellschaft noch nicht gesehen. Also auch wenn ich mit älteren Menschen mal zusammentreffe, die sagen immer, ja, digitale Barrierefreiheit brauche ich nicht. Dann denke ich mir so, ja gut, aber du hockst mit der Nase im Bildschirm schon. Du kannst auch mit zwei Tasten das Ding einfach vergrößern. Das ist überhaupt kein Problem. Also auch da wieder Awareness. Und ich glaube, wenn wir diese Babyboomer und Demografiebooster sozusagen hätten, hätte das noch mehr Gewicht. Bei der DSGVO, glaube ich, war es so, Datenschutz ist in Deutschland ein Riesenthema. Ist sowieso Weltmeister drin. Das war so auch in den Medien und hat dann so eine Spirale nach oben ergeben, irgendwie nach dem Motto, oh Gott, da kommt was und da müssen wir. Und da wurde auch sehr, sehr viel gemacht. Wahrscheinlich auch geklagt. Und beim BFSG, jetzt gerade in der Zeit, in der sowieso ja Bürokratie überall abgebaut werden soll, also theoretisch ist es möglich. Ich glaube aber, es wird wahrscheinlich nicht so groß passieren, weil wir gerade die Lobby nicht so ganz haben. Leider Gottes, da müssen wir dran arbeiten. Und B, weil die Zeit so ein bisschen gerade auf, der Fokus ist, glaube ich, gerade woanders. Die Wirtschaft muss wieder wachsen und wir müssen gucken, was ja prinzipiell richtig ist. Die Wirtschaft würde auch wachsen, letzter Satz, weil das ganze Zukunftsthema ist. Also natürlich kostet das jetzt ein bisschen, der Schmerz ist jetzt am Anfang, wenn ich sage, okay, ich muss da mal einen Designer einstellen und ich muss mich mal durch diese ganzen Gesetze und Normierungen durchwühlen und ich brauche Agenturen, die das seriös machen. Das kostet am Anfang Geld und Nerven, aber im Endeffekt habe ich nachher, und das ist auch durch große Institutionen und Studien auch nachgewiesen, dass natürlich dann für die Unternehmen selbst der Profit einfach steigt. Meine Kunden sind zufriedener, die Absprungrate ist weniger, die Konversionsrate, also die Leute kaufen auch wirklich was. Das lohnt sich schon. SEO will jeder und jeder sagt auch, der Kunde ist wichtig und ist König. Und dann denke ich mir so, wenn der Kunde halt langsam immer 60 plus mehr wird, kann man sich um den auch mal kümmern. Aber diesen Weitblick, den haben wir noch nicht.

Jonas: Ja, auch so diese Tatsache, dass quasi Menschen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind und insbesondere dann quasi auch Menschen mit Behinderung, selten als Kund*innen wahrgenommen werden. Also das ist in der Gesellschaft immer so dieses Thema von, Raul, du erzählst es häufig, quasi wenn du deine Bahngeschichten erzählst. Also das ist dann, ja, du wirst quasi, wenn du als Mensch mit Behinderung oder als ein Mensch, der im Rollstuhl unterwegs ist und mit der Deutschen Bahn fährst, selten irgendwie als Kunde gesehen, sondern immer quasi als Belastung oder als Person für die irgendwas getan werden muss. Also klar, dass man irgendwie bedenken sollte als Unternehmen, dass wenn man Barrierefreiheit umsetzt, dann erweitert man einfach die Kund*innenschaft und hat dadurch irgendwie auch mehr Umsatz. Aber du hast die Lobby angesprochen. Also glaubst du, dass es generell auch an der Lobbyarbeit liegt, dass dann zum Beispiel, ich meine, die UN-Behindertenrechtskonvention haben wir auch, da hat man auch keinen richtigen guten Hebel, irgendwie die umzusetzen oder einzuklagen. Also liegt es rein an der Lobby? Kann es sein, dass sich das irgendwann noch mal ändern wird? Oder wie sieht das so deine Zukunftsprognose aus?

Michael: Also ich glaube, dass es nicht an den Gesetzen liegt, weil die Gesetze wirklich zum Teil, also wir haben über Lücken gesprochen, über die physische Barrierefreiheit im BFSG, gut, die soll noch nachverhandelt werden, irgendwann mal auf der EU-Ebene. Ich habe auch das Gefühl, dass die EU dieses Thema treibt, also zumindest die digitale Barrierefreiheit. Gesetzlich ist es nicht schlecht. Also es könnte besser sein, klar, aber da ist schon was da. Das sieht man auch daran, dass diese ganzen Standards übernommen werden in China und in Indien und sonst wo, also in ganz, ganz massiven, großen, also da sind einfach viele Menschen. Also zur Lobby oder zur Situation, ich kann nur hoffen, dass es besser wird. Ich habe gerade das Gefühl, dass es nicht besser wird. Wir sehen das ja auch in den Ergebnissen zur digitalen Barrierefreiheit, wenn wir da zurückkommen wollen. Bei uns müssen ja diese Berichte an die EU schreiben. Das ist in den letzten drei Jahren auch nicht besser geworden. Und ich glaube, ja, wir haben einfach zu, also wir haben ja jetzt in der Runde hier Fürsprecher, die auch Aktivisten sind und die sich da wirklich darum kümmern. Also auch schon über Jahrzehnte zum Teil. Aber es wird, wie du schon sagst, noch nicht so verknüpft, dass es nicht nur, also es geht um Teilhabe, es geht auch um knallharte Bürgerrechte, wenn wir bei Wahlen sind, Raúl, haben wir ja eine gemeinsame Geschichte auch zusammen.

Raúl: Ist schon eine Weile her.

Michael: Ist eine Weile her, genau.

Raúl: Vielleicht aber jetzt kurz erzählen, was wir gemacht haben. Wir waren vor einigen Jahren, sind wir durch Deutschland gefahren, und haben Wahllokale auf Barrierefreiheit getestet. Damals noch mit Guildo Horn als Busfahrer.

Michael: Genau.

Raúl: Das war ganz witzig.

Michael: War ganz schön, ja.

Michael: Also um auf deine Frage zu antworten, ich glaube, dass die Lobby noch sehr ausbaufähig ist, und dass wir vielleicht so ein bisschen, also ohne jetzt diese Teilhaberechte, die in der UN-BRK ja auch vertieft sind, mit diesen ganzen rechtlichen, bürgerlich-rechtlichen Sachen, die total wichtig sind, ohne die klein zu machen, aber das wischen die Leute weg. Das ist leider so. Das ist immer ganz hochgehängt und staatstragend, aber du brauchst in der Umsetzung was. Du musst den Leuten sagen, wie Jonas schon sagte, das sind Kunden, das sind Leute, oder auch junge Leute haben Eltern, die älter werden, die sie lieben und für die sie was Gutes tun wollen. Das sind Leute, die fahren in Urlaub, das sind Leute, die auch in der Pflege, wie soll die Pflegekasse weiter, also jetzt kommt der Gesundheitsökonom, wie soll das weiter funktionieren, wenn ich nicht irgendwie da mehr Effizienz reinkriege? Also wäre ja mal cool, wenn irgendjemand, der trotz seiner massiven Einschränkungen seine Tabletten trotzdem selbst nehmen kann, weil er einfach die Informationen dazu hat oder adressatengerecht erinnert wird. Also es gibt Länder, die arbeiten da dran, und in Deutschland sind wir noch ein bisschen sehr in dieser alten Rolle, wie sage ich das jetzt, also Menschen mit Behinderung haben einen Sonderstatus, wohnen auch viel in Sonderwelten, das dürfen wir nicht vergessen, das ist ein sehr deutsches Ding, und ich glaube, das macht es uns unglaublich schwer, Menschen mit Behinderung so wahrzunehmen, dass die eben in der digitalen Welt und auch mit KI jetzt, einfach, dass es eine Riesenschance ist, dass es für uns Menschen mit Behinderung vielleicht sogar noch wichtiger ist als für die ohne Behinderung. Und von der Awareness sind wir nicht da, und deswegen wird das so etwas, also ich sehe da leider nicht so das Licht am Ende des Tunnels gerade.

Raúl: Das heißt, und das finde ich irgendwie gerade ganz interessant, weil da zu wenig diskutiert wird, finde ich auch, dass die Lobby, also die Behindertenbewegung, auch als solche ein bisschen mehr aktiv werden muss, wenn die Gesetze jetzt schon da sind, dann müsste man jetzt quasi das auch einfordern, also auch so ein bisschen Appell an die Bewegung selbst, was auch so ein bisschen mein Bauchgefühl in den letzten Jahren widerspiegelt. 

Michael: Ja, also ich glaube, das Inklusions-Tage waren ja letztens wieder, da sind wir ja regelmäßiger Gast, und die Veranstaltung wird kleiner, also man hat so das Gefühl, da gibt es die alten Haudegen und Deginnen, die sich auch echt den Hintern aufgerissen haben seit Jahrzehnten.

Raúl: Und Degeners.

Michael: Und Degeners, genau. Und die sagen, die können ja auch eigentlich mehr. Und so ein bisschen, also es kommen jetzt gerade auch so über YouTube, TikTok gucke ich nicht, und den Dingsda habe ich auch nicht, Instagram, das sind nur Bilder, kann ich nichts mit anfangen. Aber es kommt von den Influencerinnen, also vor allen Dingen junge Frauen, die jetzt schon auch sagen, ich bin behindert, und ich will verdammt nochmal, dass die Gesellschaft das anerkennt und das auch barrierefrei wird. Aber ja, vielleicht könnte man das irgendwie zusammenbinden. Also geht mehr wahrscheinlich noch.

Jonas: Eine Frage, die mir noch in den Sinn kommt, du hast gerade Instagram, TikTok und so weiter gesagt, diese Plattformen müssen barrierefrei sein, in dem Sinne, dass sie Möglichkeiten anbieten müssen, Untertitel oder Beschreibung zu hinterlassen, aber sie können das ja nicht gewährleisten, was die User*innen damit machen.

Michael: Ja, das zweite auf jeden Fall. Beim ersten, das ist wie der Informationsdienst. Also du zahlst ja erst mal, wenn du pro zahlst. Gibt es pro bei TikTok? Weiß ich nicht. Also ja, ich denke, dass die das schon müssten. Und natürlich ist es aber so, das ist ja wie bei allem, bei der Plattformökonomie, die ziehen sich natürlich darauf zu und sagen, naja, wieso, also mein Anmeldevorgang ist barrierefrei, du kannst dich auch abmelden, du kannst auch meine AGBs lesen, aber wenn natürlich Influencer XY keinen Bock auf Untertitel hat, dann kann ich auch nichts dafür. Also die werden sich darauf zurückziehen. Und das ist genau das Problem bei diesen Plattformökonomien. Das wird auch bei Amazon das Problem sein. Also wenn die natürlich dann, Amazon hat ja mittlerweile zwei Drittel Marktplatz, bei dem irgendwer das anbietet, die werden auch sagen, ja tut mir leid, wenn der Luftmatratzenanbieter aus Chile halt nicht barrierefrei ist, kann ich auch nichts dafür.

Raúl: Das heißt aber, so Doctolib und Amazon und Co., die sind jetzt weitestgehend so, wie sie es müssen, barrierefrei?

Michael: Glaube ich nicht. Wir dürfen sie ja nicht testen. Das würde ich unglaublich gerne machen.

Raúl: Aber was sagst du jetzt als Privatmensch?

Michael: Doctolib nutze ich nicht, weil es nicht barrierefrei ist. Geht auch zum Glück noch anders, weil man kann Ärzte auch noch anrufen zum Glück. Bei Amazon kann ich mit der App, also musst du mal gucken, welches Device du nimmst, und wenn du deine eigene App nimmst, auf dem geneigten Telefon deiner Wahl, dann geht das schon relativ gut. Wenn du es im Browser machst, glaube ich auch. Also das sind auch, da mache ich mir jetzt weniger Sorgen drum. Das wird nicht perfekt barrierefrei sein. Da werden auch hier und da Kontraste nicht stimmen. Da werden auch überall, jetzt wenn wir über das Thema natürlich wieder, die Sprache ist so schwierig, dann haben wir die Bilder sind nicht alle bealtextet. Da fehlt schon noch was. Das ist nicht wirklich barrierefrei im Sinne der Norm. Aber es ist für mich, da es halt über Sprache kommuniziert werden kann, mit Wischgesten schon bedienbar. Ich bestelle regelmäßig bei Amazon, kann mich ja outen, und das funktioniert auch.

Karina: Und was können denn Hörer*innen oder einfach halt die Menschen, die irgendwas tun wollen, um Barrierefreiheit zu beschleunigen? Oder da mitzuhelfen? Was könnte ich da denn jetzt tun?

Michael: Das ist eine super Frage, die hätte ich mir sonst selbst noch gestellt. Mann kann nämlich was tun. Also es gibt, jetzt ist wieder die Frage, jetzt bist du im öffentlich-rechtlichen Bereich. Ich mache jetzt mal ein Beispiel bei deiner Zulassungsstelle für deinen Führerschein. Oder du kriegst ein Kind und willst Kindergeld beantragen oder deinen Kita-Platz oder was auch immer. Du merkst so, das sieht vom Design aber echt nicht gut aus. Also das ist irgendwie grau auf mittelweiß. Und das sieht ja, das kann ich schon nicht erkennen. Oder der Schrifttyp ist Mist. Oder das Cookie-Banner lässt sich nicht per Tastatur wegklicken. Also da kann man ja auch mit der Tab-Taste mal ein bisschen versuchen. Da ist kein Tastatur-Fokus. Es ist dieser Rahmen, der dann immer durch den Browser springt. Und du brauchst keine Behinderung, um dann die Erklärung zur Barrierefreiheit zu finden. Und da den Feedback-Mechanismus, der, das muss man leider auch sagen, noch nicht überall vorhanden ist. Und dann einfach dich zu melden bei der öffentlichen Stelle und zu sagen, das muss doch auch kein Name hinterlassen. Also du sollst natürlich schon eine E-Mail-Adresse hinterlassen, dass die dich kontaktieren können. Aber zu sagen, passt auf, das PDF, das ist nicht barrierefrei, der Kontrast da stimmt nicht, bitte ändert das. Und dann müssen die reagieren. Das passiert leider noch viel, viel zu wenig. Und da passiert natürlich, sagen wir mal, jetzt auch noch nicht so viel, weil der Druck da noch nicht da ist, weil kaum jemand sich da meldet. Das ist der öffentlich-rechtliche Bereich. Und im BFSG, was ja eigentlich unser Thema ist, gibt es ja die sogenannte Marktüberwachungsbehörde. Und da gibt es dann auch die Möglichkeit, sich als Endverbraucher, da hast du natürlich etwas mehr in der Hand, dich zu beschweren. Also wenn du jetzt deinen E-Book-Reader bestellst oder dein Smartphone, das soll dann digital barrierefrei sein oder barrierefrei sein. Du merkst aber dann, das tut es halt nicht. Dann kannst du natürlich erst mal den Händler ansprechen, wo du es gekauft hast. Der wird dir erst mal sagen, ja, mach dein Produktupdate. Oder wo in China das Ding hergestellt wird, da kannst du auch sagen, nö, dann gehe ich zur Marktüberwachung. Und sage, ich habe hier einen Hinweis für Sie. Da führt jemand oder vertreibt jemand ein Produkt, was laut BFSG eben gerade mal durchfällt. Dann sind die gehalten, das dann zu prüfen.

Raúl: Aber Schmerzensgeldanspruch habe ich nicht?

Michael: Schmerzensgeld nicht, ne. Die werden nur sanktioniert. Also du kannst natürlich dann wahrscheinlich vom Kauf zurücktreten und kriegst dann Geld wieder und was weiß ich. Aber es ist nicht so, dass du dann sagst, was ja auch mal interessant wäre. Wenn du jetzt dein Tablet bestellst, und du hast ein ganz wichtiges Vorstellungsgespräch oder kannst dein Aktien-Trade nicht ausführen oder was auch immer. Durch die digitale Komponente wird dir was versaut quasi. In Amerika geht das bestimmt. Hier nicht, weil wir haben halt keinen Einzelfall. Wir haben kein Case Law. Wir haben immer nur unser allgemeines Recht. Und da wirst du dann halt wieder natural restituiert. Also dir wird dann quasi als Raúl dein Geld für das nicht barrierefreie Tablet zurückerstattet. Aber du kannst nicht sagen, mein Urlaub war scheiße, ich konnte keinen Fernsehgucken und mein Zug nicht buchen und jetzt müsst ihr mich, also mir irgendwie Schaden ersetzen. Das läuft dann nicht.

Raúl: Ich bekomme sehr viele E-Mails in den letzten Monaten von irgendwelchen halb automatisch generierten, KI-generierten Agenturen, die jetzt mit einfachen Plug-ins werben, die man einfach nur auf seinen WordPress oder was auch immer Websites hochladen muss und dann ist alles barrierefrei. Ich lese in den USA, dass es da sehr viel Ärger gibt, weil da quasi Leute versuchen, viel Geld zu verdienen mit schlechtem Angebot, weil das nicht barrierefrei wäre, wenn man nur das macht. Gibt es das auch in Deutschland als Problem?

Michael: Es gibt das Problem und es gibt leider noch nicht so eine schöne Legislatur wie in den USA, weil da ist der erste Anbieter, ist glaube ich, weiß nicht, ob es ein oder mehrere Millionen US-Dollar verklagt wurden, also auch da wieder Case-Law. Bei uns gibt es das, ja. Also es wird einfach ein Codeschnipsel, also ein bisschen JavaScript wird in die Webseite gehauen und dann hast du halt so eine Bedienoberfläche und dann kannst du die Schrift größer stellen und kannst einen Dunkelmodus anmachen und einen Kontrastmodus und so weiter. Was aber, es wird versprochen, dass das Ding komplett barrierefrei ist. Jetzt will ich es mal so zusammenfassen, dass das die Hörerinnen und Hörer auch gut verstehen. Also vorweg, als Überwachungsstelle haben wir uns getraut und da sind auch alle Überwachungsstellen der Länder mit aufgesprungen und auch unser Ausschuss ein Statement dazu zu schreiben, warum diese Dinge nicht barrierefrei sind nach aktuellem technischen Stand und es auch nicht sein können aktuell. Für die Zukunft können wir keine Gewähr übernehmen, aber ich sage mal, das werden sie auch nicht schaffen, weil die funktionieren ja nur automatisch und du kannst nicht alle 50 WCAG-AA-Kriterien, also sozusagen den normalen Standard der digitalen Barrierefreiheit auf Webseiten und Apps, die kannst du einfach ohne menschliche Kontrolle nicht barrierefrei machen. Das geht nicht wirklich. Kurzes Beispiel, das ist immer ganz griffig. Wenn ich Alternativtexte habe –  kurz zwei Sätze dazu, also immer wenn ich ein Bild habe oder ein Video oder ein rein visuelles Format, muss ich die entweder haptisch oder hörbar, also sprich mit Text, barrierefrei machen. Also ich muss zu meinem Bild auf der Webseite, wenn es keine Grafik ist, also keine Design-Grafik ist, sondern da ist jetzt der Politiker A, der dem Politiker B auf die Hand, auf die Schulter klopft, dann muss ich das veralttexten. Das kriegt halt, auch KI kriegt das noch nicht sicher hin. Das heißt, das Tool prüft dann quasi, ist da ein Alttext? In dem Tag A steht da jetzt drin Alttext vorhanden, aber ob da Herr sowieso grüßt Herr sowieso drinsteht oder “XYZ” prüft das nicht, das ist ja auch nicht so einfach. Vielleicht war das so ein bisschen griffig. Und da gibt es ganz andere Beispiele noch, die jetzt ein bisschen zu weit führen würden. Aber diese Dinger sind nicht in der Lage, automatisch digital Barrierefreiheit zu generieren. Darüber hinaus sind sie zum Teil auch selbst nicht barrierefrei bedienbar. Das heißt, das Ding selbst entspricht nicht der Barrierefreiheit. Manchmal schaffen sie auch neue Barrieren. Und ich finde, das schlagendste Argument ist eigentlich, wieso sollte man sich denn mit einer Barrierefreiheit bemühen, die auf einer Webseite durch irgendein Zusatztool gemacht worden ist? Spätestens wenn ich auf der nächsten Webseite bin, ist es ja wieder weg. Das macht quasi nur die Leute, die das Zeug vertreiben, macht denen einen schönen Sonntag, einen schönen Urlaub und ein bisschen Geld. Aber den Nutzer nicht. Wir haben von vornherein versucht, das sind zum Teil auch junge Startups, wir als Überwachungsstelle in Deutschland haben viel mit denen geredet. Haben gesagt, es ist ein guter Ansatz, aber schreibt doch bitte nichts auf die Verpackung drauf, was ihr nicht einlösen könnt. Da wurde immer wieder gesagt, das machen wir, das machen wir. Und dann kriegt man halt trotzdem diese Mails, die Raúl auch kriegt, wo drin steht, für einen niedrigen zweistelligen Betrag pro Monat, dann mache ich deine Webseite barrierefrei und BFSG-konform. Das stimmt einfach nicht. Ich würde jedem davon raten, das nicht zu tun. Das muss ich aber differenzieren, das ist nur meine Meinung. Als öffentlich-rechtliche Stelle darf ich das nicht sagen. Da darf ich nur sagen, nach aktuellem Stand sind die nicht in der Lage, Barrierefreiheit zu generieren. Das ist einfach technisch gerade nicht möglich.

Raúl: Aber nur, dass wir uns da richtig verstehen. Künstliche Intelligenz und Co. ist ja auch ein Segen in vielerlei Hinsicht.

Michael: Richtig.

Raúl: Wenn man die 90 Prozent, die man machen kann, mit Automatisierung, dann auch zu machen. Aber die letzte Meile, die muss man dann händisch machen. 

Michael: Ja, also Künstliche Intelligenz ist ja noch mal ein anderes Thema. Es gibt ganz tolle Sachen, die ich mit KI machen kann. Ich persönlich mache sehr viel damit. Ich komme jetzt an PDFs ran, an die ich nie rangekommen wäre, weil sie nicht barrierefrei sind. Ich habe meine KI mittlerweile gut trainiert. Aber ich kann mich jetzt nicht hinstellen und der KI sagen, die Webseite XY, mach sie jetzt bitte barrierefrei, dann fluppt das. Das funktioniert einfach nicht. Und da ist es auch nicht nur die letzte Meile, sondern das sind schon 50 Prozent, die da noch fehlen. Ich sehe auch nicht, wie das gehen sollte mit KI. Mal gucken, was noch kommt, aber aktuell nein.

Jonas: Und deshalb auch noch umso besser, dass auch in diesen Überwachungsstellen Leute arbeiten bzw. dort tätig sind, die selber darauf angewiesen sind, die eben auch ihre eigene Perspektive mit einbringen können. Weil das Beispiel von diesem Plug-in, das du eben gegeben hast, da werden bestimmt Leute, die eben nicht darauf angewiesen sind oder Nicht-Betroffene, von außen darauf sagen und sagen, ja, ist doch ein super Angebot. Aber eben dann quasi Menschen, die es eigentlich benötigen, sagen dann, nee, halt, stopp, das funktioniert so nicht.

Michael: Es gibt sogar leider einen, also das ist ja öffentlich, deswegen traue ich mich das zu sagen, es gibt einen großen Verband, der dieses Plug-in selbst auf seiner Seite hat, der blinde Menschen repräsentiert. Das ist dann schon traurig. Da muss der VdK noch mal ein bisschen nachdenken, ob sie das nicht mal runternehmen. Das wundert mich auch ehrlich gesagt, dass da so wenig Awareness ist. Ich meine, man geht ja immer von sich selbst aus, was man so sendet und wer das denn empfängt, weiß man nicht. Aber wenn ich in der Szene der Menschen mit Behinderung unterwegs bin und für Blinde und Sehbehinderte oder es ist egal für wen, mit Beeinträchtigungen spreche, dann nutze ich einfach keine Overlay-Tools. Das ist einfach, da brauche ich auch kein Studium für. Da lese ich mich eine Stunde ein und denke mir so, okay, das mache ich nicht. Und das wäre schön, wenn diese großen Stakeholder, die ja auch eine gewisse Schaufenstereffekt haben, das mal abräumen würden.

Jonas: Und das ist auch ein bisschen das, was mit Inklusion und Barrierefreiheit geht. Nicht dieses “Wir haben uns auf den Weg gemacht”. Ich finde das ganz schlimm. Aber könnte man diese Aussage trotzdem zum Abschluss sozusagen auf das BFSG und den Status Quo drauflegen? Dass wir sagen, es ist ein guter erster Schritt, aber es ist noch was zu gehen.

Michael: Also die Frage ist, mit dem Weg, wo führt der Weg hin? Sich auf den Weg machen ist schön. Es liegt, glaube ich, sehr viel Chance da drin. Ihr habt es ja gerade auch schon angesprochen, auch jeder und jede einzelne, egal, mit oder ohne Behinderung, kann was machen, kann sich da engagieren mit einer Mail. Oder sprecht darüber, geht raus an die Leute und sagt, ihr könnt euch auch darüber beschweren, wenn das scheiße aussieht aus eurer Sicht und das Produkt nicht gut ist. Und das Entscheidende wird, glaube ich, aber sein, wie sehr das eben jetzt in der heutigen Zeit auch Wellen schlägt. Ein Gesetz, so gut wie es ist, bringt halt nichts, wenn es nicht umgesetzt wird. Und es werden sehr viele Anbieter das nicht umsetzen, weil das einfach, also die müssten es jetzt schon gemacht haben. Und das ist einfach sehr schwierig. Dazu haben auch viele lange geschlafen. Und dann kommt es eben auch darauf an, wie viel sich beschwert wird und was dann auch die Marktüberwachung, die ja im Aufbau ist, dann eben auch, wie die sich dann positioniert und wie dann auch in den Dialog gegangen wird. Also wirklich, und das wäre mein Appell vielleicht zuletzt oder mein Wunsch, ist nicht nur von Unternehmensseite so zu sehen, nach dem Motto, ja gut, okay, was kostet mich das im Risikomanagement? Na gut, dann lasse doch klagen und dann bezahle ich irgendwann 50.000 Euro. Sondern das eher als Chance zu sehen und zu sagen, ich erreiche damit neue Kunden. Das kostet mich jetzt 10.000 Euro, indem ich da eine Agentur dranlasse oder keine Ahnung. Und dann ist das barrierefrei. Dann kriege ich sogar noch einen Werbeeffekt nach außen. Ja, ich habe neue Kunden, etc. Und das wäre toll. Und so ist es ja auch gedacht. Also die EU macht die Sanktion nicht, um die Unternehmen jetzt zu quälen, sondern um diesen Binnenmarkt zu stärken. Damit ich im Endeffekt, auch wenn ich in Schottland sitze oder in Irland oder in Spanien, in Deutschland mein Hotel buchen kann. Das wäre schön. Da sollte es hingehen. Also sofern, hoffentlich geht der Weg in die richtige Richtung.

Jonas: Ja, das auf jeden Fall. Es ist auf jeden Fall ein sehr komplexes Thema. Und so wie du es ja auch schon häufig anklingen lassen hast, Barrierefreiheit betrifft alle Menschen. Und es hat auch keine negativen Konsequenzen, sondern eigentlich nur Vorteile für alle. Wenn ihr generell Lust habt, euch noch mal mehr diesem Thema zu widmen, Michael, du gibst bald einen Podcast raus, wo man sich dann auch noch mal genauer informieren kann zu diesem Thema.

Michael: Ja, also wir von der Überwachungsstelle haben den Podcast “Unlimited”. Also wir sind dabei, ihn ins Leben zu rufen. Da geht es um digitale Barrierefreiheit in einem sehr gesellschaftlichen Sinne. Also wir gucken da, das soll auch Spaß machen zum Hören. Das ist jetzt kein reiner Technik-Podcast, sondern zum Beispiel haben wir die erste Folge zum Thema Gaming produziert. Also die Frage, wie kann ich barrierefrei, was auch immer, spielen. Wir haben das Thema Sprache, da geht es ganz viel um ja nicht nur die Sprache, wie ich sie einsetze, sondern auch, gibt es noch einen Mehrwert an natürlicher Sprache gegenüber KI-Sprache? KI haben wir als Thema schon gehabt. Wir haben den Curb-Cut-Effekt gehabt. Der Curb-Cut-Effekt ist das, was wir vorhin mit dem Bordstein beschrieben hatten. Also dass quasi behinderte Menschen und deren Innovationen später genutzt werden. Beispiel ist die SMS, also das Gehörlosen-Ding, hat seit lang jeder genutzt. Und solche Sachen, also das ist ein relativ aufwendiger Podcast, er wird nur ein bisschen dauern und wir hoffen, dass wir ganz viele Zuhörer kriegen. Hört ihn euch an, wenn er da ist, vielleicht gebt ihr ihm auch mal ein Zeichen, damit die Leute nicht ins Leere laufen, aber da kommt was im Herbst.

Jonas: Genau, macht euch einen Knoten in eure Kopfhörer, erinnert euch dran, beziehungsweise schreibt uns auch gerne in die Shownotes auf www.dieneunorm.de zu diesem Podcast und dort findet ihr dann alle weiteren Informationen. Vielen Dank, dass du da warst und uns etwas aufgeklärt hast zum Thema Barrierefreiheit. Und also, liebe Zuhörer*innen, setzt es um, es hat nur Vorteile und meldet Barrieren fleißig, damit wir die Welt ein bisschen mehr von diesen Barrieren befreien können. Vielen Dank, dass ihr zugehört habt und wir freuen uns, wenn ihr auch beim nächsten Mal wieder mit dabei seid. Bis dahin, tschüss!

Raúl, Karina, Michael: Tschüss! Tschüss! Tschüss!

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