Wenn das Händchen für Repräsentation Handarbeit bleibt

Türkiser Hintergrund mit dem Logo Die Neue Kolumne von Matilda Jelitto.
Lesezeit ca. 5 Minuten

Was bedeutet es, sich selbst im Film zu sehen – wirklich zu sehen? Nicht als Tragödie, nicht als Schockeffekt, sondern als Hauptrolle mit Ecken, Kanten und Coolness? Unsere Kolumnistin Matilda Jelitto erzählt vom Frust über fehlende Repräsentation, der Kraft eigener Geschichten – und dem ziemlich wörtlichen „Handgriff“, den es braucht, um die Filmwelt inklusiver zu gestalten.

Scrollen, klicken, hoffen

Mitte März. Auf der Instagram-Seite der Deutschen Werbefilmakademie (DWA) weckt ein Posting mein Interesse. Eine Werbung für Hornbach mit dem Titel „Hör auf deine Hände“ hat es in die Nominierungslisten von gleich drei Kategorien für den Deutschen Werbefilmpreis geschafft. Sofort suche ich das Video auf YouTube – zu neugierig bin ich, um länger zu warten. Ich will wissen, welche Hände da zu sehen sind. Ob die Hände des Protagonist*innen vielleicht so aussehen wie meine? Ich bin mir nicht sicher, was in mir tatsächlich die kurze Hoffnung auslöst, dass es diesmal anders sein könnte. Vielleicht liegt es daran, dass ich vor zwei Jahren bei einem Ableger der Deutschen Werbefilmakademie, dem Christian-Köster-Förderpreis, ein eigenes Social-Spot-Konzept für mehr mediale Sichtbarkeit von Menschen mit Handfehlbildungen in Film und TV vorgestellt hatte.

Ein kurzer Moment der Hoffnung – und der Ernüchterung

Natürlich sehen die Hände in der Hornbach-Werbung nicht aus wie meine. Als der Abbinder „Hör auf deine Hände“ eingeblendet wird, schaue ich hinab auf meine linke Hand. Es ist fast zynisch. Nicht nur werde ich daran erinnert, dass meine Hand anders aussieht als die meisten – obwohl sie sich für mich ja gar nicht „anders“ anfühlt –, ich werde auch daran erinnert, dass ich kein Talent fürs Heimwerken habe.

Für einen kurzen Moment werde ich gemein und stilisiere den Hornbach-Werbefilm zum Gegenspieler meines Social Spots. Ich weiß, dass dieser Gedanke unfair ist, weil sicherlich keine Person bei der Werbeagentur absichtlich Menschen mit einer Handfehlbildung nicht mitgedacht hat. Aber genau das ist es, was mich müde macht, was mich frustriert, was einen „Ach klar, was hast du denn erwartet?“-Seufzer aus mir auslöst: dass die Repräsentation von Menschen mit Behinderung so beiläufig vergessen wird. Der einzige Spot, der 2024 Handfehlbildungen mitgedacht hat, war dann wohl mein eigener. Trotz eines weiteren Disability Visibility Monats, trotz der Ausstrahlung der Paralympics, trotz der bundesweiten Empörung über Luke Mockridges ableistischen „Witze“: Anscheinend bleibt das Händchen für Repräsentation noch immer Handarbeit von Betroffenen.

Ich will, dass sich die Schauspieler*innen sexy, cool, machtvoll, begehrt, charmant, lässig und handlungsfähig fühlen – statt klein, schwach und bedauernswert.

Low Budget, große Aufgabe

Letztes Jahr habe ich mit der Unterstützung einer Produktionsfirma meinen Social Spot (das ist so etwas wie ein Werbefilm für ein soziales Anliegen) „Ein Händchen für Repräsentation“ gedreht. Er steht aktuell kurz vor der Veröffentlichung (Release am 10.4.25). Im Vergleich zu den 100.000 Euro schweren Werbe- und den millionenschweren Filmbudgets durfte ich in der „abgespeckten“ Variante – Low-Budget-Herzensprojekt – erleben, was es bedeutet, einen inklusiven Kurzfilm zu drehen. Und habe somit aus eigener Hand (ja, das ist ein Wortwitz) erfahren, welche Herausforderungen mit dem Vorhaben, Repräsentation zu schaffen, einhergehen. An dieser Stelle möchte ich von der größten Herausforderung berichten.

Welche Geschichten wollen wir erzählen?

Ein Händchen für Repräsentation zu haben, bedeutet, die richtige Story zu schreiben.

Im Februar 2024 ist es in Hamburg kalt, windig und grau. Von dem düsteren Wetter bekommen wir aber nur wenig mit, denn wir haben uns im Büro verschanzt und feilen am Konzept für den Social Spot. Das Grundgerüst steht schon, das habe ich damals auch beim Christian-Köster-Förderpreis vorgestellt: Um darauf aufmerksam zu machen, dass sich Menschen mit einer Hand- oder Armfehlbildung noch nie positiv im Film oder TV repräsentiert gefühlt haben, soll die Filmgeschichte neu geschrieben werden – zumindest für sechzig Sekunden. Berühmte Szenen der Filmgeschichte, in denen Hände im Vordergrund stehen, sollen neu inszeniert werden, diesmal mit einer Person mit Handfehlbildung in der Hauptrolle.

Kein Platz für Opferrollen

Nun gilt es, diese Szenen für die Montage zu finden, um die inklusive Parallelwelt glaubhaft zu errichten. Und so werfen wir verschiedene bekannte Szenen der Filmgeschichte durch den Raum.

„Wenn die Hand langsam an der Duschwand herunterschleift. Als Marion vom Killer erstochen wird“, schlägt einer der Produzenten vor. Ich habe die Szene sofort im Kopf, obwohl ich den Film nie gesehen habe, so ikonisch ist „Psycho“.

„Auf gar keinen Fall!“, antworte ich. Denn im Social Spot sollen Klischees und Stereotypen über Behinderung aufgebrochen statt reproduziert werden. Eine Szene, in der die betroffene Hand dem Archetyp eines tragischen Opfers schlechthin gehört, funktioniert also nicht.

Es fühlt sich an, als würde ich in diesem Augenblick an einer Kreuzung stehen. Wie viele Autor*innen für Werbefilme, wie viele Produzent*innen von Blockbustern sind an dieser Stelle schon falsch abgebogen und haben trotz oder vielleicht auch mit der besten Intention doch wieder Geschichten über bedrückende Schicksale, Superkrüppel oder Inspiration Exploitation wiedererzählt? Ich bin sicher, einige dieser – selbst nicht betroffenen – Menschen im Writers’ Room haben wahrscheinlich gar nicht gemerkt, dass ihre eingeschlagene Route gar nicht zum „richtigen“ Ziel führt. Denn Repräsentation ist nicht gleich gute Repräsentation.

Nein, „Psycho“ funktioniert nicht. Die Schauspieler*innen in „Ein Händchen für Repräsentation“ sollen am gesellschaftlich vorherrschenden Verständnis von „mit Behinderung leben“ rütteln und reißen, wenn die Kamera langsam auf sie zurollt. Ich will, dass sie sich sexy, cool, machtvoll, begehrt, charmant, lässig und handlungsfähig fühlen – statt klein, schwach und bedauernswert. Sie sollen sich eben wie Hauptrollen in einem Hollywood-Kultstreifen fühlen.

Hollywood, aber inklusiv

„Ihr kennt doch die Sexszene in Titanic, oder? Wenn Roses Hand langsam an der beschlagenen Autoscheibe herunterrutscht“, werfe ich in den Raum. Damit ist die erste Szene besiegelt.

Eine beschlagene Autoscheibe ist zu sehen, von innen stützt sich eine Hand mit einer Fehlbildung ab.
Still aus „Ein Händchen für Repräsentation“. Foto: Matilda Jelitto

Ein Spot, viele Monate Handarbeit

Jetzt, wenn ich auf die Monate der Planung und Organisation sowie den Dreh zurückblicke und den Release freudig erwarte, wird mir erneut deutlich, wie viel Wahrheitsgehalt im Titel „Ein Händchen für Repräsentation“ eigentlich steckt. Denn Menschen mit Behinderung filmisch zu inszenieren – ihre Geschichten nicht für einen Schocker im Gesicht der Nicht-Behinderten über ein tragisches Schicksal zu erzählen, sondern um Betroffenen zu vermitteln: „Wir sehen dich, so wie du bist“ – ist und bleibt Handarbeit.

Handarbeit, die darüber hinausgeht, Repräsentation als To-Do auf einer Liste zum Abhaken zu betrachten. Die mehr ist als ein „2025 macht man das halt jetzt so“. Die darüber hinausgeht, noch schnell nach dem Hinweis der Gleichstellungsbeauftragten eine Szene, eine Storyline, eine Figur in das Drehbuch hinzuzufügen und „Action!“ zu rufen.

Handarbeit ist Zeitarbeit, und Handarbeit ist Feinarbeit. Handarbeit heißt, sich stundenlang hinzusetzen und Optionen wie bei einem Ping-Pong-Match hin- und herzuspielen, sie zu diskutieren, sie zu zerkauen, sie auch wieder zu verwerfen. Handarbeit heißt, eine geschriebene Szene nicht nur aus der geplanten Einstellungsgröße heraus zu betrachten, sondern auch aus allen anderen Perspektiven zu drehen, um sicherzugehen, nicht doch ein Klischee, ein Stereotyp, eine Floskel aus Versehen mitzuschneiden. Oder anders ausgedrückt: Repräsentation bedeutet, sie selbst in die Hand zu nehmen, statt sich für sein Vorhaben direkt auf die Schulter zu klopfen; sie zu wenden und zu wiegen und sich dabei zu fragen: „Machen wir das gerade richtig?“

„Ein Händchen für Repräsentation“ erscheint am Donnerstag den 10. April um 23:59 Uhr auf Matildas Instagram– und YouTube-Kanal.

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