In Episode 60 unseres Bayern2-Podcasts Die Neue Norm haben wir gleich zwei Gäst*innen: Hannah Hübecker und Dr. Leopold Rupp, beide Mediziner*innen mit Behinderung, die uns in der ersten Folge einer zweiteiligen Reihe aus ihrem Alltag in der Klinik erzählen. Wir sprechen unter anderem darüber, wie schwierig es ist, mit Behinderung Medizin zu studieren und dann als Ärzt*in zu arbeiten, ob man Behinderung eigentlich heilen muss und was das alles mit dem medizinischen Modell von Behinderung zu tun hat.
Hannah ist Medizinstudentin in Essen, Klimaaktivistin und lebt mit Friedreich’s Ataxie. Ihr könnt ihr auf Instagram folgen. Leopold Arzt in Weiterbildung zum Allgemeinarzt an der Berliner Charité, 3x Deutscher Meister im Schießen und Rollstuhlfahrer. Auch Leopold könnt ihr auf Instagram folgen.
In dieser Folge sprechen wir unter anderem über Modelle von Behinderung, vor allem über das medizinische und das soziale Modell. Das medizinische Modell sieht Behinderung als individuelles Problem an, das durch eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung verursacht wird. Hauptziel ist die Heilung oder Linderung der Behinderung durch medizinische Interventionen oder Rehabilitation. Menschen mit Behinderungen werden oft als “Patient*innen“ betrachtet und auf die Diagnose reduziert. Dieses Modell wird häufig im medizinischen Bereich angewandt und ist veraltet und ableistisch. Das soziale Modell sieht Behinderung als ein gesellschaftlich erzeugtes Problem an. Die Behinderung resultiert nicht nur aus individuellen Beeinträchtigungen, sondern aus den Barrieren, die die Gesellschaft errichtet. Man wird behindert; nicht man ist behindert. Es geht darum, die Barrieren in der Gesellschaft abzubauen, sei es in Form von physischen Hindernissen, diskriminierenden Einstellungen oder fehlenden Unterstützungsstrukturen. Das medizinische Modell von Behinderung ist tief verankert in der Gesellschaft. Jonas erwähnt in dem Zusammenhang z. B. eine besonders ableistische Kampagne “Helft uns wach zu küssen!”, die darauf ausgelegt ist, Menschen mit Lernschwierigkeiten zu “heilen”.

„Helft uns wach zu küssen“ und das Heilen von Behinderung
Bastian Pastewka, Nikeata Thompson, Max Giermann, Jeannine Michaelsen, Jürgen Vogel, Cristina do Rego, Tom Beck und viele andere prominente Personen aus Film und Fernsehen sind Teil der Kampagne „Helft uns wach zu küssen!“, in der es um die Behandlung und „Heilung“ des Angelman-Syndroms geht. Aber: Ist das der richtige Ansatz?

„Mir war es wichtig, den Betroffenen des Jule-Stinkesocke-Catfishs eine Stimme zu geben“. 5 Fragen an Loreleï Holtmann
Jule, angeblich eine querschnittsgelähmte junge Frau im Medizinstudium, hatte zeitweise eine Reichweite von mehr als 70.000 Follower*innen, wurde für ihre erfolgreichen Blogs und Tweets ausgezeichnet und war ein Vorbild für viele Menschen mit Behinderung. Einige standen im engen Austausch mit ihr über eigene Diagnosen, körperliche Beschwerden und intime Details. Doch Ende 2023 stellte sich heraus: Alles war eine Lüge. Die ZDF-Dokuserie „WTF is Jule?!“ arbeitet die Fake-Identität der Bloggerin „Jule Stinkesocke“ auf und erzählt von den tiefen Spuren, die die Täuschung hinterlassen hat. Wir haben mit Loreleï Holtmann, einer der Autor*innen der Serie, gesprochen.
Auch gab es vor Kurzem einen großen Skandal über “Jule Stinkesocke”, ein Fake Account auf Social Media, der lange Zeit aus dem Leben einer angeblich jungen Ärztin mit Behinderung berichtet hat – bis herauskam, dass die Person hinter dem Account gar keine junge Frau war… Im ZDF lief dazu eine Dokumentarfilmreihe “WTF is Jule?!“. Die Neue Norm hat mit einer der Autor*innen der Serie ein Interview geführt.
Außerdem sprechen wir in dieser Folge auch darüber, wie Ärzt*innen Behinderung oft nicht wirklich begreifen. Jonas erwähnt ein Beispiel von Ninia LaGrande, die in Raúls Talkshow “Krauthausen Face To Face” zu Gast war und dort über einen Besuch bei einer Gynäkologin spricht. Das Thema Medizin haben wir auch in unserer Folge “Stadt oder Land” angeschnitten.
Wir sind LIVE!
Falls euch unser Podcast gefällt, dann kommt doch am Samstag, 29. März, auf die Leipziger Buchmesse. Ab 15.15 Uhr werden wir auf der Bühne des Forums offene Gesellschaft live über Behinderung und Literatur sprechen. Wir freuen uns auf euch!