Sagt man jetzt Autist*in oder Person mit Autismus? Wie lebt es sich als Autist*in in einer neurotypischen Gesellschaft? Und wie sieht denn der stereotype Autist aus? Über all diese Dinge, und warum die Zahl Drei bei Raul rot ist und Jonas’ Verkehrsschilder Gesichter haben, sprechen wir in unserem Bayern 2 Podcast die Neue Norm mit dem Journalisten Manuel Stark.
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Manuel Stark ist Erzähljournalist – was das ist, auch darüber sprechen wir in dieser Folge – und außerdem Host des SWR-Podcasts “Nicht Witzig”, in dem er mit Comedians über Humor spricht. Manuel ist außerdem Autist. In einem Zeit-Artikel beschreibt Manuel, wie er seine Identität als Autist gefunden hat und spricht offen darüber: “Was heißt hier autistisch”.
In dieser Folge sprechen wir unter anderem über Manuels Selbstfindungsreise nach der Diagnose, mit welchen Barrieren er im Alltag zu tun hat und welches Halbwissen rund um Autismus im Netz kursiert, z. B. zu schädlichen Therapieformen wie ABA.
Wir sprechen darüber, was bunte Zahlen und Verkehrsschilder mit Gesichtern mit Synästhesie zu tun haben und welche schwerwiegenden Konsequenzen das ständige “Masking”, also das Unterdrücken von autistischen Verhaltensweisen, um sich einer neurotypischen Gesellschaft anzupassen, für Autist*innen hat.
Außerdem klärt Manuel uns darüber auf, warum die ganzen “Savants” (Menschen mit Savant-Syndrom haben ein besonders herausragendes Talent, das häufig als “Inselbegabung” bezeichnet wird) in Hollywoodstreifen eigentlich so gar nichts mit Autismus zu tun haben. Beispielsweise sind Filme wie “Rain Man” oder die Serie “The Good Doctor” besonders schlechte Darstellungen von Autismus. Gute Repräsentation findet sich z. B. in “Imitation Game”, “Wochenendrebellen” oder den Pixar-Filmen “Float” und “Loop”. Übrigens, wir haben kürzlich mit der Politikerin Sabine Grützmacher ebenfalls über Stereotypen gesprochen.
Bücher, die Manuel zum Thema Autismus empfiehlt, sind folgende: “Der Junge, der zu viel fühlte“, “Autistisch, kann ich fließend”, und „Schattenspringer“
Eine Antwort
Eigentlich höre ich keine Podcasts, weil es mir aus gesundheitlichen Gründen zu anstrengend ist. Doch nun bin ich wirklich froh, für dieses Thema eine Ausnahme gemacht zu haben.
Dabei ist es überhaupt kein neues Thema für mich, denn ich selbst sowie mein erwachsener Sohn sind Autisten. Doch während ich jahrelang ununterbrochen kämpfen musste, um mein Kind vor Schaden zu bewahren – und dabei auch selbst erst einmal Informationen sammeln musste – hatte ich niemals Zeit, auch einmal an mich zu denken. Ich versuchte, das so gut wie möglich nachzuholen, als ich vor einigen Jahren erst arbeits-, dann erwerbsunfähig wurde, trotzdem fand ich dieses Gespräch äußerst interessant. Es hat mir eine Menge Stoff zum Nachdenken geliefert – vielen Dank dafür!
Da ich zudem selbst Synästhetin bin, fand ich diesen Teil besonders spannend. Leider war ich bereits Ende Vierzig, bevor ich mich über dieses Phänomen informieren konnte, denn als Kind habe ich sehr darunter gelitten. Dabei fand ich es zunächst völlig normal, dass sich die Sieben rot, die Fünf grün, die Vier blau und die Zwei gelb anfühlt, und dass entsprechend Blau und Gelb gerade, Grün und Rot ungerade Farben sind. Doch bald verstärkte es nur noch mein sowieso schon äußerst belastendes Gefühl der Andersartigkeit. So viel Unsicherheit und Angst, so viele Sorgen, und das nur, weil ich, wie es ein mit Autismus befasster Arzt einmal lapidar ausdrückte, “das Pech habe, vor 1980 geboren zu sein.” (Wobei ich in der Schulzeit meines 2001 geborenen Sohnes nicht auf weniger Probleme gestoßen bin, sondern auf deutlich mehr.) Damals hätte wohl niemand etwas mit dem Begriff Autismus anfangen können, doch auch noch heute gibt es Menschen, die ihn für ein rein männliches Problem halten, und nicht einmal wissen, dass es auch Autistinnen gibt! Insofern muss man unbedingt auch auf diesem Gebiet mit der Aufklärung weitermachen. Letztlich ist der Autismus ja auch nur ein Bereich auf der riesigen Intoleranz-Baustelle.
Übrigens sehe ich keinen Fortschritt in der Ablösung von Bezeichnungen wie “Asperger” oder “Atypischer Autismus” durch ASS – also Autismus-Spektrum-Störung. Es mag ja sinnvoll sein, nicht mehr so stark zu trennen, weil sich die bisher gültigen Kategorien in Wahrheit gar nicht so sehr voneinander unterscheiden, und die Erscheinungsform wohl immer auch etwas vom Hintergrund der/des einzelnen Betroffenen abhängt. Wie bei jedem Kind wird etwa auch die Ausdrucksfähigkeit von verbal kommunizierenden Autisten durch Familie und Erziehung mitgeprägt. Atypischer Autist zu sein, hochbegabt im Sprachbereich, wie es mein Sohn ist, könnte so dazu verleiten, Menschen wie ihn als so eine Art “Behelfs-Autisten” zu betrachten, als jemanden, der “halt auch irgendein Label braucht”. Nun aber die vermeintliche “Gestörtheit” erst richtig in den Vordergrund zu rücken, dürfte wohl keiner/m Betroffenen besonders zusagen. Ich selbst bezeichne Autist*innen daher auch ausnahmslos genau so.