Karsten Isaack ist Vorsitzender des Beirats der Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung des Bundesverbands evangelische Behindertenhilfe e.V. (BeB) und Beschäftigter in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) in Halle. JOBinklusive hat ihm einige Fragen gestellt über seine Arbeit und über Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen.
Was sind die Aufgaben des Beirats und welche Themen beschäftigen Sie zur Zeit?
Die erste und auch wichtigste Tätigkeit des Beirates ist es, dass die Interessen und Rechte der Menschen mit Einschränkungen gewahrt werden und die UN-BRK umgesetzt wird! Wir gehen zu politischen Veranstaltungen, wie der Werkstatträtekonferenz, zu der Herr Oellers von der CDU im Bundestag im März eingeladen hat. Wir schreiben Briefe an Politiker, um diese höflich darauf hinzuweisen, auf welche Sachen man achten sollte und dass man die Menschen nicht vergessen darf, die sich nicht so gut zur Wehr setzen können. Wir bringen uns ein in die Arbeit im Verband der evangelischen Behindertenhilfe und machen die Tagungen für Selbstvertreter, die Rheinsberger Kongresse. Beim letzten Kongress wurden die Rheinsberger Forderungen zum BTHG erarbeitet. Wir machen auch mit bei Projekten vom BeB, zum Beispiel dem Index-Projekt, bei dem es um die Stärkung von Mitbestimmung in den Einrichtungen und in der Stadt geht. Und wir informieren regelmäßig die Beiräte in den Einrichtungen zu wichtigen Themen. Das Hauptthema im Moment ist und bleibt COVID 19 und wie es weitergeht mit den Menschen in den WfbM, aber auch mit den Leuten in den Wohnheimen, die nicht rauskommen. Was kann es da für schlüssige Konzepte geben? Was passiert, wenn Beschäftigte der Werkstatt, die in besonderen Wohnformen leben, lange nicht zur Arbeit kommen können, weil das vielleicht zu gefährlich ist für ihre Mitbewohner? Das hat die Regierung noch nicht richtig bedacht. Da muss ein Konzept her, das den Schutz in den besonderen Wohnformen und in der WfbM umfasst.
Welche besonderen Sorgen und Herausforderungen haben Werkstattbeschäftigte zur Zeit?
Viele lernen erst in dieser Zeit die WfbM richtig zu schätzen und nicht nur als Arbeit, sondern auch als Treffpunkt zu sehen. Die Sorgen der Kollegen sind zum Beispiel, dass man komplett von der Außenwelt isoliert ist, da man die Werkstätten nicht mehr besuchen darf und auch aus den Wohnformen nicht mehr rauskommt, wegen des Infektionsrisikos. Ein weiteres Sorgenthema vieler ist natürlich auch das Finanzielle: Wie geht es weiter? Darüber sind aber nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Eltern von Menschen mit Beeinträchtigungen besorgt. Die fragen: Wie lange macht mein Chef das noch mit, wenn ich nicht zur Arbeit gehen kann, weil ich meinen Angehörigen zuhause unterstütze? Wer kann/darf wieder in die Werkstatt kommen und wer nicht und warum nicht? Und warum ist das hier so und dort anders? In Sachsen-Anhalt zum Beispiel können 25% der WfbM Beschäftigten wieder freiwillig arbeiten gehen, in Thüringen sind die WfbM noch geschlossen. Das kostet Kraft, den Leuten zu erklären, wie das alles ist und warum der eine wieder arbeiten gehen kann und der andere eben nicht.
Wie sehen Sie die Rolle der Werkstatträte in Deutschland?
Ich sehe die Werkstatträte in Deutschland als sehr wichtig an, da diese den direkten Bezug zu den Beschäftigten haben und sich um deren Sorgen, Nöte und Ängste kümmern und den Leuten auch Ratschläge geben können. Seitens des Landes finden Versammlungen statt, zu denen man als Werkstattrat fahren kann. Da sind dann Politiker, wie der Behindertenbeauftragte des Landes oder die Sozialminister/in anwesend. Die Werkstatträte können gezielt Fragen stellen und auch Forderungen, auf die die Politiker oder auch die Mitarbeiter vom Sozialamt dann antworten müssen. Wenn es zu den Problemen noch keine Lösungen gibt, müssen sie sich eben kümmern. Wichtig ist, dass die Werkstatträte genug Selbstbewusstsein haben, um die Themen auch gezielt vorzutragen. Das gleiche gilt auch für die Frauenbeauftragte. Leider haben viele der Räte nicht so ein starkes Selbstbewusstsein oder sind auch wegen ihrer Situation nicht in der Lage, die Interessen der Menschen so zu vertreten. Das schafft nur ein kleiner Teil, aber eben der Teil bewirkt oft schon recht viel.
Wie sehen sie die Rolle der Gewerkschaften in Bezug auf die Werkstätten?
Dazu kann ich kaum was sagen. Aber bisher, was ich so feststellen muss, halten sich die Gewerkschaften immer sehr zurück, wenn es um das Thema WfbM geht.
Was muss sich am allgemeinen Arbeitsmarkt ändern, damit er inklusiver wird?
Als erstes müsste ein komplettes Umdenken stattfinden, denn viele der Arbeitgeber sehen Menschen mit Einschränkungen als Leute an, die nichts mehr hinkriegen. Das ist aber nicht so. Das Bild muss raus aus den Köpfen aller Menschen. Dann wäre es wichtig, dass die Ausgleichsabgabe auch wehtut und der Arbeitgeber nicht darüber schmunzelt. Jetzt zahlt er einen Betrag x und sagt sich, das ist nicht mal ein Monatsgehalt, wenn ich so einen Menschen wieder einstellen würde. Warum soll ich den Menschen einstellen? Ist doch so besser für mich. Der Betrag müsste so sein, dass er mindestens ein Jahresgehalt oder noch mehr beträgt, pro Person! Außerdem müssten die Informationen für die Arbeitgeber leicht verständlich sein, also nicht nur §x ABS X. Es muss klar verständlich in kurzer Textform zu lesen sein, was dem Unternehmen zusteht an Umbauten, Büroausstattung und Arbeitshilfen, wenn es zum Beispiel einen Rollifahrer einstellt. Eben das, was der Mensch benötigt, um wieder sein eigenes Geld zu verdienen und nicht abhängig vom Staat zu sein.
Was muss sich verändern, damit mehr Menschen den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt bewältigen können?
Ich denke, dass viele Beschäftigte in den Werkstätten eine gute Grundlage auch für den ersten Arbeitsmarkt bekommen. Bei uns in der Werkstatt jedenfalls werden Bilder, Dokumente, Verpackungen und auch andere Dinge bearbeitet. In jedem der Arbeitsbereiche ist ein Mitarbeiter, der sich mit dem, was da gemacht wird, auskennt und die Arbeitsschritte so erklären kann, dass es der Kollege auch versteht. Getan wird viel. Aber draußen auf dem offenen Arbeitsmarkt haben die Arbeitgeber, so wie ich das sehe, kaum Interesse oder auch Angst oder Hemmungen, den Menschen mit Einschränkungen eine Chance zu geben oder sich auf solch eine Herausforderung einzulassen.
Man muss nicht den Menschen mit der Einschränkung sehen, sondern sich sagen, okay, trotz der Einschränkung, die er hat, kann er immer noch sehr gut viele Dinge machen. Da sehe ich mich als gutes Beispiel. Sehe ich den Menschen, über dem steht: der hatte 30 OPs und hat einen Grad von 80 mit B und G? Oder sehe ich den Menschen, der trotz all dieser Defizite den Willen und die Kraft hat, sich so aufzurappeln, um wieder Sport zu treiben, sich Herausforderungen zu stellen und anderen Menschen zu helfen versucht? Leider haben viele Menschen das erste Bild im Kopf. Das ist ein Fehler, denn viele Menschen mit Einschränkungen können wesentlich mehr als man denkt. Und die Menschen da draußen sollten sich selber sagen, von hier auf jetzt kann es mir passieren, dass ich in der gleichen Situation bin. Und möchte ich dann so abgeschoben werden?
Dieser Artikel ist zuerst bei JOBinklusive erschienen.