Aus der Werkstatt an die Hochschule

Ein Mann im Rollstuhl sitzt mit zwei Männern ohne Behinderung an einem runden Tisch, auf dem Kaffeetassen stehen.
Foto: Andi Weiland | Boehringer Ingelheim, Gesellschaftsbilder.de
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“300-500 Wiederholungen am Tag – und ich habe mir noch Zeit gelassen. Die Leute, die Spaß daran haben, schaffen teilweise das Vierfache – täglich”, berichtet P., der zehn Jahre in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) gearbeitet hat. Mit den Worten “Die ständigen Wiederholungen führen zu einer geistigen Unterforderung”,  lässt er seinem Frust freien Lauf. 

Zehn Jahre verbrachte P. in einem Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. In der 7. Klasse hatte er einen Notendurchschnitt von 2,0 und arbeitete auf seinen Hauptschulabschluss hin. Dann wurde bei ihm eine große Operation durchgeführt, durch die er lange Zeit im Krankenhaus verbringen musste. Dadurch verpasste er so viel Stoff, dass ein Abschluss laut der Schule nicht mehr möglich war. Nach seiner Schulzeit kam er in eine Werkstatt für behinderte Menschen eines großen Wohlfahrtsverbandes, wo er tagein, tagaus Einzelteile in Fließbandarbeit für einen bekannten Werkzeughersteller zusammengesetzt hat. “Als ich die Werkstatt am ersten Tag betreten habe, wusste ich schon, dass ich das auf keinen Fall mein Leben lang machen will und kann”, erzählt P. Von da an war eigentlich jeder Tag eine Bestätigung dessen: Er wollte raus aus der Werkstatt, rein in den allgemeinen Arbeitsmarkt. 

P. kennt keine einzige Person, die es bereits geschafft hat, aus der WfbM in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln. Er selbst bekam keinerlei Unterstützung oder Informationen von den Angestellten der WfbM über seine Möglichkeiten außerhalb der WfbM. Nach gut zehn Jahren hat er es aus eigener Kraft heraus geschafft: er befindet sich derzeit in einer Vollzeitqualifizierung zum Bildungs- und Inklusionsreferenten. Nach Abschluss der Qualifizierung kann er als “Wissensvermittler zur Gestaltung von Lehre” an Hochschulen arbeiten, also Seminare an Universitäten gestalten, Forschungsprojekte begleiten und Beratungen durchführen. Er bringt aktiv seine Erfahrungen als Experte in den Hochschulalltag ein und ist damit schließlich innerhalb des allgemeinen Arbeitsmarktes beschäftigt. Eine entsprechende Stelle zu finden, darum muss er sich dann selbst kümmern. Aber deswegen macht er sich noch keine Sorgen. P. steht bereits in Kontakt mit einer Hochschule in Berlin. 

Beschäftigt ist er während der Qualifizierung offiziell noch in der WfbM. Dort weiß noch niemand von seinem Plan, dass er nach seinem Abschluss definitiv nicht zurückkommen wird. “Der Tag, an dem ich meine Kündigung auf den Tisch lege, wird ein Feiertag.” Dass er diesem Tag schon jetzt entgegen fiebert, ist nicht zu überhören. Ob er Sorgen oder Ängste habe, was seine zukünftige Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeht? “Ich freue mich darauf und bin bereit für diese Herausforderung”, antwortet er entschieden und mit Nachdruck fügt er hinzu: “Es kann nur besser werden!”

Dieser Artikel ist zuerst bei JOBinklusive erschienen.

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