Um von einer passiven Rhetorik zum aktiven Handeln übergehen zu können und eine wirklich barrierefreie Gesellschaft zu schaffen, bedarf es Maßnahmen. Welche das sein können, beschreiben Anne Gersdorff und Raúl Krauthausen.
Wir haben das Jahr 2024 und aktuell fehlt immer noch eine solide rechtliche Basis, die die Durchsetzung von Inklusion und Barrierefreiheit verpflichtend macht. Nicht nur Entscheidungsträger*innen, sondern wir alle neigen oft dazu, sich auf nichtssagende Phrasen zu berufen, um Inklusionsbemühungen aufzuschieben. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Aussage „Wir müssen zuerst die Barrieren in den Köpfen senken“.
Diese Behauptung birgt mehrere problematische Aspekte:
Erzeugung einer problematischen Annahme
Die Behauptung, dass Barrieren gegenüber Menschen mit Behinderungen abgebaut werden müssen, erschafft ihre Existenz. Für manche Menschen, die vielleicht nur wenige Vorbehalte gegenüber Menschen mit Behinderungen hatten, könnte diese Aussage erst eine solche Annahme kreieren. Für diejenigen, die bereits Vorurteile hegen, kann die Phrase ihre Haltung legitimieren und verstärken.
Fehlende Handlungsvorschläge
Die Formulierung „Wir müssen die Barrieren in den Köpfen senken“ bietet keine konkreten Lösungsansätze. Es werden lediglich Probleme benannt, ohne Vorschläge zur Verbesserung der Situation. Was kann also jede Person, Organisationen und Unternehmen tun, um mehr Inklusion zu schaffen? Sich das zu überlegen, wäre doch noch ein guter Vorsatz für dieses Jahr, oder?
Der eigentliche Problempunkt: bauliche, organisatorische und rechtliche Barrieren
Die meisten Ausschlüsse von Menschen mit Behinderungen entstehen nicht durch die mentalen Barrieren in den Köpfen einzelner. Menschen mit Behinderung sind es zum Beispiel gewohnt, dass mit ihnen unsicher umgegangen wird und sie haben oftmals eigene Handlungsweisen dafür entwickelt. Vielmehr behindern existierende physische,organisatorische und rechtliche Hindernisse die Teilhabe und Partizipation. Wirkliches Umdenken entsteht durch persönliche Begegnungen und nicht durch Kampagnen. Daher ist es wichtig, barrierefreie Teilhabemöglichkeiten zu schaffen.
Dennoch muss uns bewusst sein: Diskriminierungen – egal welche – entstehen immer auf drei Ebenen. Auf der individuellen Ebene, also wie wir sprechen und handeln. Diese kann und sollte jede Person reflektieren und sich damit auseinandersetzen, eigene Vorurteile und Annahmen zu verlernen. Auf einer kulturellen Ebene, wie beispielsweise Medien und Kunst Menschen mit Behinderungen repräsentieren und damit ggf. Stereotype reproduzieren. Und zuletzt auf einer strukturellen Ebene, die Gesetze, Regeln und Strukturen umfasst, die behinderte Menschen ausschließen oder benachteiligten.
Deshalb hier ein paar Empfehlungen:
Informieren und Sensibilisieren:
Machen Sie sich mit problematischen Floskeln und deren Einfluss auf behinderte Menschen vertraut.
- Lesen Sie Stoppt Ableismus von Anne Gersdorff und Karina Sturm oder die vielen anderen tollen Bücher über Ableismus, die in der letzten Zeit entstanden sind.
- Abonnieren Sie den Newsletter von Die Neue Norm und hören Sie den gleichnamigen Podcast.
- Schauen Sie auf Leidmedien.de und Gesellschaftsbilder.de, wie Sie diskriminierungssensibel über Menschen mit Behinderungen kommunizieren können.
Erkennen und Hinterfragen:
Identifizieren Sie problematische Aussagen, wie „die Barrieren in den Köpfen” besonders wenn sie von einflussreichen Personen oder Institutionen kommen. Fragen Sie nach der Gültigkeit, den impliziten Annahmen, Verantwortung und konkreten Handlungsschritten.
Fordern und Nachhaken:
Wenn Sie auf solche Phrasen stoßen, fordern Sie spezifische Maßnahmen und bleiben Sie dran, um Passivität zu verhindern. Schlagen Sie präzisere, diskriminierungsfreie Begriffe vor.
Dieser Artikel ist zuerst auf tbd* (25.1.2024) erschienen.