„Das behindert mich beim Halten meiner Vorlesung.“ Diese Worte wurden von meinem damaligen Dozenten in einer Veranstaltung ausgesprochen, die ich zum Studienabschluss besuchen musste. Mit „Das“ war meine FM-Anlage, ein tragbares Mikrofon mit direkter Funkübertragung in die Hörgeräte, gemeint. Es verbindet eine sprechende mit einer zuhörenden Person; so ist ein besseres Zuhören in lauter Umgebung auch auf Distanz möglich. Als Hörgeschädigter in einem Studienfach ohne begleitendes Vorlesungspaper und ohne Schriftdolmetschung bist du sonst ziemlich aufgeschmissen. Den Dolmetscher wollte mir die Universität nämlich nicht zahlen und die Krankenkasse erst recht nicht, dafür habe ich dann doch zu gut gehört.
Auf meinen Widerspruch, „dann behindern Sie mich an der Teilhabe dieser Vorlesung“, reagierte er mit: „Ihr Pech.“ Mir wurde bewusst, dass ich es hier mit einem Sturkopf zu tun hatte. Ich bemängelte sein Verhalten bei meinem Studienberater und zeitgleich bei der Beauftragten für Gleichberechtigung. Beide ermutigten mich, doch Kommilitonen zu fragen, ob diese für mich mitschreiben könnten. Das waren für mich natürlich kein Lösungsansätze, denn dann müsste ich mich ja an die Gegebenheiten anpassen und nicht die Gegebenheiten an mich. Inklusiv waren das Verhalten und die Vorschläge nicht.
Ich verwies bei allen dreien auf Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, doch dies stieß ironischerweise auf taube Ohren. Mein Anliegen wurde auch von der damaligen Beauftragten für chronisch kranke Studierende lapidar beiseitegeschoben. Ich hätte mir spätestens hier mehr Empathie für meine Lage gewünscht. Wofür gibt es denn solche Konventionen, die auch Deutschland unterschrieben hat? Damit Gesetze so geändert werden, dass sie konventionskonform sind. Und dann können diese wieder so hingebogen werden, dass Menschen mit körperlichen Einschränkungen sich am Ende doch wieder anpassen müssen? Das war nicht der Gedanke der UN-Behindertenrechtskonform: Inklusion fehlgeschlagen.
Mich persönlich hat es damals wahnsinnig frustriert, dass zwar irgendwie Verständnis für meine Lage aufgebracht wurde, doch etwas aktiv ändern wollte man nicht oder sah sich außerstande dies zu tun. Das ist das Frustrierende an einer Behinderung, welche in der Gesellschaft nicht so wahrgenommen wird. Sie ist ja auch nicht so offensichtlich wie beispielsweise ein Rollstuhl oder ein Blindenstock.
Für mich ist gelebte Inklusion, die (Arbeits-)Bedingungen so anzupassen, dass in dem Maße Vorkehrungen vorgenommen werden, bis körperliche Einschränkungen nahezu nicht hinderlich sind beim Ausführen von Aufgaben.
Als ich ein paar Jahre später mitbekam, dass besagte Abteilung für chronisch kranke Studierende eine Fortbildung für mehr Inklusion an der Universität anbot, fragte ich nach, wie diese denn aussehen würde. „Es werden Experten für Inklusion referieren.“ – „Wie wäre es denn, wenn aktuelle Studierende der Universität referieren würden über die Ausgangslage und wie man sie noch optimieren kann?“, schlug ich vor. „Ach, das wäre auch eine Idee“, war die Reaktion. Die Universität Heidelberg hat’s einfach in dem Moment auf mehreren Ebenen verkackt mit der Idee von Inklusion.
3 Antworten
Als ich vor mehr als 35 Jahren an der TU München als stark sehbehinderter studiert habe, hat mir die Fakultät für Informatik sehr geholfen. Ich bekam damals die Skripten der Professoren. Auch die Prüfungszeit wurde für mich verlängert als Nachteilsausgleich. Damals gab es noch keine Inklusion für Studierende mit Behinderung, aber der Pragmatismus war sehr Hoch! Inklusion ist vor allem eine Sache der Einstellung und der menschlichen Reife.
hey vielen Dank dafür, ich bin sowohl an der Uni Heidelberg als auch in Wien verzweifelt. Im StuRa saß ein Studierender der einer mehrfach marginalsierten Person hinsichtlich einem Arbeiter*Innenkind-Referat einfach gesagt hat brauchen wir nicht. Einfach irgendein Typ. Damit war es dann gegessen, wenn ein Mann das sagt, dann reicht das ja. In Heidelberg war es schrecklich zu studieren und ich war schockiert, weil ich dachte mit einer pädagogischen Hochschule, an der man Sonderpädagogik studieren kann, wäre evtl. die Hochschulpolitik ein bischen weiter und hätte mehr Bewusstsein, aber es ist eher das Gegenteil der Fall. Es gibt viele Stellen um sich selbst so darzustellen, dass was getan werden würde, eigentlich macht es das noch schrecklicher für mich, weil es für noch mehr Unsichtbarkeit sorgt, denn es wird nichts getan, schon garnicht wenn es nicht von den Betroffenen mal wieder selbst kommt und dann wird es natürlich mal wieder als individuelles Problem dargestellt. Die Uni Heidelberg ist ganz schrecklich diskriminerend gegenüber jeglichen Marginalisierten Person. Ich habe mitbekommen wie Studierende öffentlich von Dozenten geshamed und geblamed wurden.
Hallo Miep,
das tut mit außerordentlich leid, dass du diese Erfahrung machen musstest. Man muss aber differenzieren zwischen der Universität Heidelberg und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, die haben nur bedingt miteinander was zu tun – bspw. gemeinsame Veranstaltungen, aber an sich sind das zwei verschiedene Einrichtungen.
Bei mir war der Höhepunkt bei diesem “Querulanten”, dass es eine Rück-Kopplung seines Mikrofons mit den Boxen gab, er diesen Umstand aber mir und meiner FM-Anlage in die Schuhe schob, dabei muss man wissen, dass wenn es eine Rück-Kopplung durch meine FM-Anlage gegeben hätte, dann hätte ich das in meinen Hörgeräten gehört, weil diese ja adaptiv die Boxen/Verstärker sind und nicht die Raumboxen.
Er hat mich auch bloßgestellt und ich saß in Reihe 3 und es haben gut 80 Studierende mitbekommen, keiner hat Zivilcourage gezeigt; meine Emotion war Wut, die Tränen der Ohnmacht konnte ich zurückhalten, entschuldigt aber nicht sein Verhalten. Und als er gemerkt hat, dass es nicht an meiner Anlage lag, hat er sich auch nachträglich nicht entschuldigt dafür… er doziert übrigens immer noch, zwar nicht mehr in Heidelberg, dafür woanders.