Auf den Seite 40, 41 und 42 ist der Artikel “Allyship – Warum wir als behinderte Menschen Verbündete brauchen”
Allyship - Warum wir als behinderte Menschen Verbündete brauchen
„Nichts ohne uns über uns“ – das ist einer der zentralen Sätze der Behindertenrechtsbewegung. Er soll verdeutlichen, dass Menschen mit Behinderung als Selbstvertreter*innen mit an die Entscheider*innen-Tische gehören – und zwar zu allen Themen, die gesellschaftlich verhandelt werden und nicht nur zu solchen, die behinderte Menschen direkt betreffen.
So weit, so richtig und wichtig. Aber kommen wir als Menschen mit Behinderung mit unseren Forderungen auf Chancengleichheit, Teilhabe und der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention voran und weit genug, wenn wir uns nur auf uns selbst verlassen? Natürlich sind wir nicht diese kleine Randgruppe, als die wir immer gesehen werden. Denn mit knapp acht Millionen Menschen mit Behinderung in Deutschland, 39 Millionen in Europa und über einer Milliarde auf der Welt sind wir eine größere Gemeinschaft, als viele vielleicht denken. Und doch bleibt klar: Wir sind als Menschen mit Behinderungen eine marginalisierte Gruppe, wir sind eine Minderheit.
Verbündete finden – Wissen weitergeben
In der Minderheit sind wir insbesondere in den einflussreichen gesellschaftlichen Positionen. Dort, wo Entscheidungen getroffen werden. In der Politik, in den Führungsetagen oder Medien. Noch viel zu selten haben wir ein Mitspracherecht – und zwar ein Mitspracherecht auf Augenhöhe. Damit unsere Stimmen gehört werden, brauchen wir Allies, wir brauchen Verbündete. Das sind Personen, die nicht paternalistisch über uns sprechen, sondern unsere Forderungen mittragen und als eine Art Multiplikator*innen agieren. Menschen, die sich ebenso für Barrierefreiheit und gegen Diskriminierung einsetzen. Menschen, die mit uns für unsere Rechte demonstrieren gehen, weil ihnen Gleichberechtigung und eine vielfältige Gesellschaft wichtig sind.
Deshalb müssen wir als Menschen mit Behinderung offen dafür sein, unser Wissen und unserer Expertise weiterzugeben. Ein striktes Beharren auf „nicht ohne uns über uns“ und das damit einhergehende bunkern von Informationen bringt uns in unseren Forderungen nicht weiter. Natürlich dürfen wir das Heft nicht aus der Hand geben oder Strukturen fördern, in denen unter dem Deckmantel der Inklusion über uns gesprochen wird. Wir sollten aber aktiv Verbündete werben und sie mit unseren Wünschen und Ansichten aufladen.
Kritisch, aber konstruktiv
Dabei ist es wichtig, im Sinne des konstruktiven Aktivismus vorzugehen. Ja, wir erleben oft Ungerechtigkeiten, Barrieren und Diskriminierung jeglicher Art, die uns wütend werden lassen. Wüten vor allem deshalb, weil sich gefühlt wenig ändert und wenn, dann nur sehr sehr langsam. Viele Probleme bestehen aber nicht, weil die Menschen bewusst böswillig sind, sondern weil unsere gesellschaftlichen Systeme noch immer exkludierend sind. Sondereinrichtungen wie Förderschulen, Wohnheime oder Werkstätten für Menschen mit Behinderung sorgen dafür, dass gar nicht erst die Möglichkeit besteht, einander zu begegnen. Dieses Nicht-Wissen voneinander sorgt für eine große Unsicherheit und Vorbehalte. Deshalb ist es auch für unsere Perspektive wichtig zu verinnerlichen, dass es sein kann, dass wir die erste Person sind, auf die unser nicht-behindertes Gegenüber trifft. Das ist dann in der Tat eine große Bürde, aber auch gleichzeitig die Chance, konstruktiv auf Fehler hinzuweisen und Verbündete zu gewinnen. Freundlich und lösungsorientiert.
Auch untereinander Ally sein
Allies können wir übrigens auch untereinander sein. Oftmals werden wir Menschen mit Behinderung als eine Gruppe gesehen, aber auch Behinderung ist vielfältig. Die unterschiedlichen Bedürfnisse oder Ansprüche auf Barrierefreiheit sind mitunter riesig. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir auch untereinander zuhören und voneinander lernen. Damit es auch blinden Menschen eben nicht egal ist, ob ein Video Untertitel hat, weil sie die ja eh nicht sehen. Damit auch Taube Menschen den Finger heben und anmerken, wenn es keine Rampe für Rollstuhlfahrer*innen gibt. Wenn wir untereinander verbündet sind, macht uns das nur stärker und füllt das Wort Inklusion mit Leben.
Am Ende müssen wir uns gegenseitig unterstützen. Nicht über uns, sondern mit uns.