7 Fragen um Inklusion am Arbeitsplatz zu leben

Zwei Personen im Rollstuhl sitzen in einem Büro vor einem Laptop.
Das erhoffte Ziel: ein inklusiver Arbeitsmarkt. Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
Lesezeit ca. 4 Minuten

Oftmals behaupten Unternehmen, dass sich keine Menschen mit Behinderungen bei ihnen bewerben. Aber ist das wirklich so? Anne Gersdorff stellt 7 Fragen in den Raum, die eine neue Perspektive auf den Arbeitsmarkt geben können.

Nur wer sich mit Ableismus, also der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen auf individueller, kultureller und systemischer Ebene auseinandersetzt, kann dagegen steuern und die vielfältigen Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen in Unternehmen nutzen. Denn Anpassungen im Recruiting-Prozess und ein offener Umgang mit Diversität sind nötig, unentdeckte Talente zu finden und die Vorteile einer inklusiven Belegschaft zu nutzen.

Oftmals behaupten Unternehmen, dass sich keine Menschen mit Behinderungen bei ihnen bewerben. Aber ist das wirklich so? Und wenn ja, warum ist das so? Folgende sieben Fragen können euch dabei helfen, dies genauer zu reflektieren:

1. Warum kommen nicht genügend Menschen mit Behinderungen in Unternehmen an?

Unreflektierte Vorurteile führen dazu, dass Menschen mit Behinderungen oft benachteiligt sind. Da sie in separaten Bildungssystemen aufwachsen, erhalten sie schlechtere Bildungschancen und haben dadurch schlechtere Möglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Nur 30% der Menschen mit Behinderungen sind in den allgemeinen Arbeitsmarkt tätig. Ausbildungen und Qualifizierungen in der realen Arbeitswelt sind notwendig, um Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhalten. Menschen mit Behinderungen haben vielfältige Gründe  sich nicht zu bewerben. Diese können sein, dass Formulierungen in Stellenanzeigen sie abschrecken oder die Unternehmenskultur sie nicht anspricht. Vielleicht führt auch internalisierter Ableismus dazu, dass sie sich nicht trauen oder die Prozesse nicht barrierefrei sind.

2. Sucht das Unternehmen aktiv und gezielt nach Menschen mit Behinderung?

Unternehmen müssen ihre Recruiting-Prozesse neu gestalten und Menschen mit Behinderungen gezielt suchen. Darum müssen Unternehmen Stellenausschreibungen so formulieren, dass sich Menschen mit Behinderungen angesprochen fühlen. Barrierefreiheit, sowohl im physischen Raum als auch im digitalen Bereich, ist entscheidend. Um Menschen mit Behinderungen zu erreichen, müssen sich Unternehmen mit Initiativen vernetzen, die Menschen mit Behinderungen bereits unterstützen, inklusiv zu arbeiten.

3. Gibt es im Auswahlprozess Ausschlusskriterien, die Menschen mit Behinderungen benachteiligen?

Recruiting-Prozesse müssen intern überprüft werden, um Barrieren und Ausschlussmechanismen für Menschen mit Behinderungen zu erkennen und zu beseitigen. Wie geht das Unternehmen z.B. mit Lücken im Lebenslauf um, die vielleicht wegen eines Krankenhausaufenthaltes oder einer Reha entstanden sind? Wird bei Praktikumserfahrungen berücksichtigt, dass Menschen mit Behinderungen dazu einen schlechteren Zugang haben und deshalb wenig Praktikum machen können? Sind Rechtschreibfehler auch für eine Person ein Ausschlusskriterium, die offen mit ihrer Legasthenie umgeht? Es ist wichtig, sich mit Behinderungen, Barrieren und Unterstützungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen und flexibel mit Menschen mit Behinderungen und ihren Bedürfnissen umzugehen. Ein gegenseitiger offener Umgang, bei dem Stärken und Schwächen und mögliche Unterstützungsbedarfe kommuniziert werden, ermöglichen Menschen mit Behinderungen die volle und gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt. Dazu gehört auch Menschen mit Behinderungen, die persönliche Unterstützung und wie Assistenz oder Gebärdensprachdolmetschung und alle zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmittel  zu gewähren.

4. Lädt das Unternehmen qualifizierte Bewerber*innen aus unterrepräsentierten Minderheiten zu Gesprächen ein, bevor nicht diverse Kandidat*innen eingeladen werden?

Klingt gewagt, aber ja, Unternehmen sollten über eine bevorzugte Einladung von benachteiligten Personen nachdenken, um Diversität und Inklusion zu fördern. Dies gibt ihnen die Chance, qualifizierte Mitarbeiter*innen zu finden, die nicht dem typischen Schema entsprechen. Die Hürden für Menschen mit Behinderungen können durch alternative Bewerbungswege gesenkt werden. Dadurch kann die Barrierefreiheit im Bewerbungsprozess gewährleistet werden. Wenn ein Unternehmen eine Person einstellt, die eine andere Perspektive ins Team reinbringt, sagt ihr nicht, ihr hättet sie wegen ihrem Diversitätsmerkmal angestellt. Wenn das die Entscheidung mit beeinflusst hat, dann habt ihr sie angenommen, weil sie mit ihrer Perspektive anderes kann oder weiß als andere Bewerber*innen und daher die*der beste Kandidat*in für den Job ist. 

5. Setzt sich das Unternehmen aktiv mit unbewussten Vorurteilen und Berührungsängsten der HRler*innen auseinander?

Personalverantwortliche sollten sich mit ihren Vorurteilen auseinandersetzen, um Menschen mit Behinderung gleichberechtigte Chancen zu bieten. Schulungen und Workshops können helfen, unbewusste Vorurteile zu erkennen und diesen entgegenzuwirken. Teste dich zum Beispiel hier

6. Schafft das Unternehmen ein inklusives Klima? 

Nach der Einstellung einer behinderten Person sind die Bemühungen um Inklusion nicht vorbei und müssen fortgesetzt werden. Der Umgang der Führungsebene und der Kolleg*innen ist entscheidend für den beruflichen Erfolg von Menschen mit Behinderungen. Wichtig ist, offene Kommunikation zu fördern und den Arbeitsplatz barrierefrei zu gestalten. Das passiert nicht von alleine. Auch hier ist es wichtig, die Unternehmenskultur unter die Lupe zu nehmen und mit Coaching, Trainings und Fortbildungen für mehr Inklusion zu sorgen. Bei der Organisation von Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern oder Teambuilding-Aktivitäten sollte darauf geachtet werden, dass alle teilhaben können.

7. Gibt es im Unternehmen die Möglichkeit, Diskriminierungen zu melden – ohne Angst vor negativen Folgen?

Unternehmen benötigen Prozesse, um Diskriminierungen zu melden und Lösungen zu finden. Sensibilität, Schweigepflicht und Datenschutz sind dabei essenziell. Schulungen und transparente Vereinbarungen können helfen, Diskriminierung vorzubeugen und zu bekämpfen. Gerade in Bezug auf Behinderung werden Diskriminierungen oft als vermeintliche und unüberwindbare Barrieren abgetan. Nur wenn wir Diskriminierungen auch als solche erkennen und benennen, kann aktiv dagegen vorgegangen werden. 

Wenn ihr euch mit diesen sieben Fragen beschäftigt und Inklusion als ein Menschenrecht  anseht und nicht als ein nettes Extra für Menschen mit Behinderungen, dann kommen wir einer intensiven Arbeitswelt ein Stück näher.

Dieser Artikel ist zuerst auf tbd* (26.04.2023) erschienen.

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2 Antworten

  1. Der Beitrag gefällt mir. Ich habe bei meinem Arbeitgeber eine Idee eingereicht auf Menschen mit einer Schwerbehinderung zuzugehen und zu schauen wie können wir die interessierte Person bei uns in Arbeit bringen.
    Leider ist mein Arbeitgeber noch nicht soweit.

  2. Ich habe im separaten Bildungssystem mein zentralgestelltes Abitur gemacht (gleiche Bildungschance), dann normal studiert und mich normal beworben. Weshalb hätte ein Arbeitgeber auf mich zukommen sollen??? Es wäre schön gewesen, wenn nach der Bewerbung die Behinderung für die potentiellen Arbeitgeber keine Rolle gespielt hätte und es dann keine über 100 Bewerbungen bis zum Vertrag gebraucht hätte. Aber wenn ich einen Arbeitsplatz will, muß ich mich eben bewerben, so ätzend die Erlebnisse teilweise auch sind. Je nach Beruf kann man mit Mitarbeitern, die über kein Mindestselbsvertrauen verfügen, nichts anfangen. Was soll jemand, der sich noch nicht mal traut sich zu bewerben, einem Konflikt auf der Arbeit (Kollegen oder Kunden) entgegensetzen? Wäre ich Arbeitgeber, würde ich bestimmt jede Bewerbung eines anderen Behinderten wohlwollend prüfen, aber speziell anfüttern bestimmt nicht. Wenn wir normal behandelt werden wollen, müssen wir uns auch normal benehmen.

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