Längst sind sie selbstverständlich geworden im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV): Die Niederflurbusse. Von Deutschland aus haben sie in den vergangenen 30 Jahren einen unglaublichen Siegeszug rund um die Welt angetreten. Zu Verdanken ist die Einführung der Niederflurbusse und –bahnen und damit die gestiegene Barrierefreiheit im Nahverkehr allerdings einer kleinen Gruppe von kaum mehr als 40 Menschen mit Behinderungen, zu denen auch ich zählte, die 1986 als Erste die zukunftsweisende Bedeutung der Omnibusse für alle erkannt haben und auch gegen starken Widerstand durchsetzen konnten. Wichtig war für unseren Erfolg, dass Vertreter*innen verschiedener Organisationen aus mehreren Orten mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen sowie Expertinnen und Experten der Verkehrsbranche zusammenkamen. Alle haben in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich für die Niederflurbauweise geworben und das gemeinsame Anliegen so in ganz Deutschland verbreitet. Schon bald bewahrheitete sich die alte und logische Erkenntnis, dass das, was für Behinderte gut ist, oft auch für alle anderen von Vorteil ist. Niederflurbusse haben nicht nur allen Fahrgästen das Ein- und Aussteigen erleichtert, sondern den Verkehrsbetrieben eine Beschleunigung und mitunter Verkürzung der Fahrzeiten und damit letztlich Einsparmöglichkeiten an Personal- und Betriebskosten ermöglicht.
Auch du möchtest ein politisches Anliegen durchsetzen? Unter der Kolumne habe ich dafür Tipps zusammengestellt.
Was damals geschah:
Der Bushersteller Auwärter Neoplan wollte mit den Stadtwerken München ins Geschäft kommen. Bei einer Fahrt von Stadtverordneten zur Omnibusfabrik kam Firmenchef Konrad Auwärter mit einem behinderten Parlamentarier ins Gespräch. Auf die Frage, wie er denn die Münchener Stadtbusse so bewerte, überraschte der Rollstuhlfahrer den Buskonstrukteur mit einer unglaublichen Antwort: Wegen der hohen Stufen war er noch nie im Leben im Linienbus mitgefahren. Das brachte ihn zum Nachdenken und führte schließlich zu einer Innovation. Am Vorbild der Flughafen-Vorfeldbusse orientiert, in die Fahrgäste stufenlos einsteigen konnten, entwickelte er ein neues Konstruktionsprinzip für die Stadtwerke München: Den Niederflurgelenkbus. Für Rollstühle gab es in diesen vorne beim Fahrer einen elektrischen Hebelift, über den körperbehinderte Fahrgäste verladen wurden. Die luftgefederten Busse konnten sich zudem auf der rechten Fahrzeugseite absenken, um die Einstiegshöhe weiter zu verringern.
Auf Einladung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Clubs Behinderter und ihrer Freunde in Mainz trafen sich Ende der 80er Jahre Behinderte anschließend mehrmals zu Konferenzen über barrierefreie Busse und Bahnen und erwirkten schließlich Beschlüsse der Kommunalparlamente, testweise Niederflurbusse einzusetzen. Gleichzeitig wurden Fahrgastbefragungen durchgeführt, die Zustimmungswerte von mehr als 70 Prozent für die stufenlosen Verkehrsmittel zeigten. Der vereinfachte Einstieg von der Bordsteinkante geradewegs ins Fahrzeug war für viele Menschen angenehmer als Stufen. Eltern mit Kinderwagen benötigten keine hilfsbereiten Mitmenschen mehr, um den Kinderwagen hineinzutragen. Und Menschen im Rollstuhl konnten zum ersten Mal im Leben ganz normale Busse benutzen.
Dennoch wollten der damalige Verband der Öffentlichen Verkehrsbetriebe (VÖV) und der Bushersteller Mercedes-Benz von dieser Bauweise nichts wissen. Daimler hatte gerade erst ein neues Modell in der alten hochbeinigen Konstruktionsweise herausgebracht, das 15 Jahre lang die Entwicklungskosten amortisieren sollte.
Auch der VÖV setzte auf die Solidarität anderer Mitreisender statt auf barrierefreie, neue Busse: Für die Fachzeitschrift “Omnibusspiegel” habe ich seinerzeit ein Interview mit dessen Hauptgeschäftsführer Dr. Adolf Müller-Hellmann geführt, indem er der Niederflurbauweise jegliche Zukunft absprach. Für die wenigen behinderten Fahrgäste lohne sich dieser Aufwand nicht.
Die Firma MAN sah das aber schon bald anders. 1988 brachte sie ihren ersten Niederflurbus auf den Markt und nutzte die für Berliner Doppeldecker ohnehin entwickelten sogenannten “Portalachsen”, bei denen die Einstiege sehr dicht am Niveau der Bordsteinkante liegen.
Ein für mich besonderes Erfolgserlebnis hatte ich schließlich auf der Nutzfahrzeugmesse 1992 in Hannover, als ich erfuhr, dass Daimler-Benz einen Niederflurbus entwickelt hatte, die dafür nötigen Portalachsen aber von seinem schärfsten und in Sachen Barrierefreiheit innovativeren Konkurrenten MAN hatte einkaufen müssen. Die Weltfirma Daimler-Benz war – im wahrsten Sinne des Wortes – eingeknickt. Das “Kneeling”, bei dem die Busse auf einer Seite ihre Federung absenken, um das Einsteigen von der Bordsteinkante her zu erleichtern, wurde zum internationalen Standard.
Letztlich haben alle von dieser Technologie profitiert. Verwirklicht wurde sie freilich durch das Bohren dicker Bretter in einer gemeinsamen Aktion von 40 Menschen mit Behinderungen. Für mich bleibt diese Erfahrung bis heute eine wichtige Motivation. Sie zeigt: Auch wenige können etwas bewirken, wenn sie die richtigen Argumente geschickt vortragen.
Für die Durchführung erfolgreicher Aktionen gibt es keine Checkliste, die man einfach abhaken könnte. Einige Anhaltspunkte lassen sich jedoch festhalten:
- Eine Gruppe von 20 bis 40 Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen ist hilfreich.
- Von Vorteil ist eine breite regionale sowie eine gute fachliche Verankerung dieser Gruppe.
- Gut ist, wenn Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen und Fähigkeiten auf Menschen mit besonderen Kenntnissen und spezifischer Expertise treffen.
- Sie alle sollten sich das gemeinsame Anliegen zur “Herzenssache” machen und an seiner Verwirklichung mitwirken. Dabei brauchen alle einen langen Atem. Zuversicht ist wichtig, weil immer wieder Rückschläge zu erwarten sind.
- Das gemeinsame Anliegen sollten alle dann in ihr jeweiliges Umfeld tragen und dort verbreitern. Kreativität und Überzeugungskraft der Einzelnen bringen das Anliegen am besten voran.
- Offenheit auch gegenüber skeptischen Personen ist wichtig, um wenigstens einige davon zu überzeugen.
- Zwei oder drei Menschen müssen “den Hut aufhaben” und “netzwerken”. Diese Netzwerke sollten dann alle weiter ausbauen.
- Öffentlichkeit sowohl zentral als auch vor Ort ist notwendige Grundlage.
- Eine Befragung der Betroffenen oder der Bevölkerung kann hilfreich sein, um die Argumente der Kampagne zu unterfüttern.
- Am Ende muss auch noch ein Quantum Glück dazukommen.
- Aber: Glück hat nur der oder die Tüchtige.
Eine Antwort
Ich wohnte damals in Bremen. Dort hat in der Zeit die Bremer-Straßenbahn AG unter dem Druck des Bremer-Fahrdienst-Forums sich entschlossen 25 neue Busse von Neoplan im Niederflursystem anzuschaffen. Wir haben für die Mobilität von Menschen mit Behinderung gekämpft. Norbert Breeger damals vom DPWV organisierte dieses Fahrdienst-Forum. So war auch Bremen im Jahr 1988/1989 ein Vorreiter des Niederflursystems mit Neoplan Bussen. Heute fahren dort auch die Straßenbahnen mit Niederflursystem.