“Du sprichst so langsam. Denkst du auch langsam?”
“Du bekommst mehr Zeit für die Klausur, wie unfair. Ich möchte auch behindert sein.”
“Bist du behindert, oder was?”
All das sind Zitate, die ich bereits hören “durfte”. Meine Antworten hätten lauten sollen:
“Du hast gerade jedenfalls zu schnell gesprochen und viel zu langsam gedacht.”
“Dann benötigst du eben nicht nur in der Klausur mehr Zeit, sondern auch bei allem anderen. Der Deal wäre eher so mitti. Und mit ‘mitti’ meine ich ‘richtig dumm’, was ist denn los mit dir?”
Und: “Ja. Super erkannt, Sherlock.”
All das habe ich nicht gesagt. Schade! Worauf ich hingegen stolz bin, ist die Reaktion auf folgende Aussage einer ehemaligen Mitschülerin: “Es ist unfair, dass du keine Note im 100-Meter-Sprint bekommst. Ich würde mir gerne ein Bein brechen, damit ich auch keine Note bekomme. Das versaut meinen Schnitt.” Ich antwortete: “Weißt du, was deinen Schnitt versaut? Deine Leistung. Und dein Frisör.”
Aber ja, das wird in Bezug auf meine Behinderung gesehen: Langsamkeit und ein vermeintlicher Vorteil. Was hingegen niemand sieht, ist: Andere fahren in den Urlaub, ich fahre ins Krankenhaus. Das Geld, das andere für Genussmittel ausgeben, begleicht meinen Eigenanteil der Arztrechnungen. Dabei ist der Eigenanteil zu meinem großen Glück sehr gering. Meine Krankenkasse hat schon soviel Geld in mich investiert, ja, ich sag’s so klar: Dieser Text steht auf Beinen der AOK.
Folgendes betone ich an dieser Stelle ganz klar: Ich kann hier nur für mich sprechen. Schließlich habe ich nur einen Mund, und einen Kopf. Hätte ich sieben Köpfe, mit sieben großen Schnauzen, hätte ich ein deutlich größeres Problem, als mit zwei Beinen, die meinen Gang staksig wirken lassen. Wobei, hätte ich sieben riesige Köpfe, könnte ich verstehen, weshalb mir die Menschen auf der Straße irritiert hinterher starren. Aber ich glaube, ich habe die Antwort auf diese Frage gefunden: Ich schaue ja auch ab und zu besonders schönen Menschen nach. Jedenfalls ist das hier lediglich ein persönlicher Erfahrungsbericht. Natürlich ist mir bewusst, dass es viele unterschiedliche sichtbare und unsichtbare Behinderungen und zahlreiche unterschiedliche Bedarfe gibt. Dies kann Außenstehende verunsichern, klar. Aber einfach nichts zu machen, war noch nie der ideale Ansatz. Wenn ich sage, dass der Aufwand, den ich habe, nicht gesehen wird, kann ich eigentlich ganz leise sein. Denn ich bin hier der Kurzsichtige. Aber auch große Teile der Gesellschaft beweisen eben keine Weitsicht.
Viele Menschen denken, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, wäre ich abhängig von anderen. Ja, ich bin abhängig, denn ich hänge ab. Am liebsten mit anderen. Und außerdem möchte ich nicht nur am Leben teilnehmen. Das Leben ist kein Abbild der Bundesjugendspiele. Es gibt keine Trosturkunde, für die, die nicht als Sieger oder – in den Augen der Gesellschaft – ehrenvoll abgeschnitten haben. Ich möchte teilhaben, denn wenn ich habe, muss ich nicht mehr nehmen.
Die nächste Person, die mir sagt, sie wolle auch behindert sein, wird von mir eingeladen. Eingeladen, mich nicht in die offene, da offensichtliche Schublade einzuladen. Eingeladen, wie meine Topfpflanze in mein Zimmer. Genau wie bei dieser Pflanze keimt in mir die leise Hoffnung auf ein harmonisches, respektvolles Miteinander. Miteinander haben wir es geschafft, diesem Appell Sinn zu verleihen: Er wurde verfasst, er wird gesehen, gehört, gelesen. Vielleicht wird er geteilt. Vor allem aber wird er verstanden.
Eine Antwort
Richtig und weiter so!