In diesen Tagen werden wir an nahezu jeder Ecke an die Bundestagswahl am 26. September erinnert. Jeden Abend laufen im Fernsehen verschiedene Formate, die den Wählerinnen und Wählern einen Eindruck von Personen und Parteien vermitteln und eine Informationsgrundlage für die Wahlentscheidung liefern sollen. Besonders in Sendungen, in denen sich die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten den Fragen der Bürgerinnen und Bürger stellen, kommen zwar nicht oft, aber regelmäßig auch Menschen mit Behinderung zu Wort, teilweise auch mit Fragen und Anliegen, die offensichtlich aus einer Perspektive gestellt sind, mit der sich nicht-behinderte Menschen in diesem Maße nicht identifizieren können.
Als jemand, der sich am liebsten das gesamte Jahr über nur mit Wahlen und deren Erforschung beschäftigen würde, habe ich mich immer wieder gefragt, ob Menschen mit Behinderungen eigentlich „anders“ wählen, ob es möglicherweise besondere Muster gibt. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, habe ich recherchiert, was ich über das Wahlverhalten von Menschen mit Behinderung bei Bundestagswahlen finden kann.
Die Antwort ist kurz, aber nicht schmerzlos: Nichts. Ich habe nichts gefunden, und das, obwohl die Möglichkeiten, solche Daten zu erheben, ohne Frage da wären. Wahlstudien gibt es schließlich gerade in einem „Superwahljahr“ wie diesem mehr als genug. Behinderung wird dabei aber nicht abgefragt, was eine differenzierte Aussage über das Wahlverhalten von Menschen mit Behinderung unmöglich macht. Nebenbei: Im europäischen Raum sieht es kaum besser aus.
Oft wird bemängelt, dass es zu wenige Menschen mit Behinderung im Bundestag gibt und Menschen mit Behinderung daher nicht ausreichend repräsentiert seien, was zu geringerer Beachtung derselben bei politischen Entscheidungen führe. Das setzt aber zwei Dinge voraus: Erstens, dass die Interessen von Menschen mit Behinderungen stark von den Interessen nicht-behinderter Menschen abweichen, und zweitens, dass mehr Abgeordnete mit Behinderung zu einer Veränderung der Politik führen würden. Aber stimmt das überhaupt?
Laut einer Studie aus Großbritannien gibt es in der Tat Unterschiede zwischen behinderten und nicht-behinderten Wählerinnen und Wählern. Menschen mit Behinderung sind demnach etwas weiter „links“ als Menschen ohne Behinderungen. Sie legen einen höheren Wert auf öffentliche Ausgaben, insbesondere auf Ausgaben im Gesundheitssektor, und sie sind für eine stärkere Umverteilung von Einkommen. Diese Unterschiede zeigen sich allerdings nicht nur bei der Betrachtung der gesamten Wählerschaft, sondern auch unter jenen, die dieselbe Partei favorisieren. Und selbst unter Kandidierenden derselben Partei zeigen sich diese Unterschiede zwischen Kandidierenden mit und ohne Behinderung.
Es macht also bei der Haltung zu bestimmten Sachthemen einen Unterschied, ob ein Politiker oder eine Politikerin eine Behinderung hat oder nicht. Eine höhere Präsenz in den Parlamenten ist daher auch sicherlich nicht unvorteilhaft. Einzelne Abgeordnete sind jedoch kaum in der Lage, eine Mehrheit für ihre berechtigten, aber dennoch spezifischen Interessen zu begeistern, wenn diese nicht ohnehin schon eine Affinität für diese Themen aufweisen.
Der erste Schritt zu einer besseren Repräsentation der Belange von Menschen mit Behinderungen ist deutlich simpler als eine Wahl zu gewinnen: Der einfachste Weg, seinen Belangen Gehör zu verschaffen, ist nach wie vor, sich in Parteien zu engagieren und die Parteikolleg*innen so gut es geht für diese Themen zu sensibilisieren. Dann kommen die Mandate irgendwann von ganz alleine.