Mit 22 Jahren bin ich Rollstuhlfahrerin geworden. Lesbisch und feministisch war ich da schon länger. Ich weiß, welche Scham mir immer wieder wegen meiner Behinderung vermittelt wurde. Wie erwartet wurde, dass ich meine Behinderung gefälligst weg therapieren sollte. Wie mir vermittelt wurde, ich wäre nicht gut, so wie ich bin.
Für die sexuelle Orientierung sollte man sich nicht schämen müssen, für eine Behinderung ebensowenig. Es ist kein Zufall, dass die Pride Parades für ein behindertes Selbstbewusstsein das Konzept der Gay Pride Parades aufgegriffen haben. Bei den Gay Prides bzw. Christopher-Street-Days gehen wir queere Menschen zusammen auf die Straße, um zu zeigen, dass wir stolz dazu stehen, wie wir sind. Wir sind nicht mehr bereit, uns zu verstecken und treten für unsere Rechte ein. Viel zu lange wurde uns vermittelt, dass wir uns für unsere Liebe schämen, uns althergebrachten, einengenden Geschlechterrollen unterordnen und versuchen sollten, heterosexuell zu werden.
Sogenannte „Konversionstherapien“, die Lesben und Schwule angeblich heterosexuell machen sollten, sind seit 2020 zumindest für Minderjährige nicht mehr erlaubt. Ein gewisser gesellschaftlicher Druck ist noch da, bei den Geschlechterrollen und der Art zu lieben „auf Spur zu bleiben“. Aber mit mehreren Jahrzehnten feministischen und schwul-lesbischen Bewegungen haben wir viel erreicht.
Bei den Therapien für uns behinderte Menschen sollte man stets die Frage stellen, welche von ihnen vor allem dafür sorgen sollen, dass wir möglichst „nichtbehindert“ aussehen, damit sich die vermeintlich „Normalen“ nicht unwohl mit uns fühlen. Und welche der Therapien uns selbst wirklich mehr Handlungsmöglichkeiten und Freiheit bringen. Nutzt die dunkle Brille einer blinden Freundin wirklich ihr? Oder nur denen, für die ihr Blick ungewohnt ist?
Sich gut um seine Gesundheit zu kümmern und für realistische Ziele zu trainieren, ist etwas anderes als sich zu verbiegen, um sich an gesellschaftliche Normen anzupassen. Ich mache fast täglich ein paar Übungen für meine Gesundheit. Aber nur die, die für mich selbst sinnvoll sind. Ich trainiere nicht mit dem Ziel zu laufen statt Rollstuhl zu fahren. „Normal“ aussehen ist nicht mein Ziel. Mein Ziel ist Mobilität und eine Gesellschaft mit Respekt für Menschen, unabhängig davon, ob sie dem Standard entsprechen oder nicht. Eine Gesellschaft mit Anerkennung dafür, dass man sich bemüht, ein guter Mensch zu sein. Ein Mensch, der auf Ausgrenzung oder anderes Leid von Menschen nicht gleichgültig reagiert. Das ist es, was für mich zählt.
Für behinderte Menschen und für sogenannte „sexuelle Minderheiten“ und für einige andere gilt gleichermaßen: Es geht viel Kraft und viel wertvolle Lebenszeit damit verloren, zu versuchen, so zu werden wie die Mehrheit. Die ewigen Misserfolge beim Versuch, anders zu sein, als man ist, verletzen. Manchmal verletzen sie den Körper, aber viel mehr verletzen sie die Seele, das Selbstwertgefühl, das eigene Gefühl, schön und gut so zu sein, so wie wir sind.
„Normalität“ verlangt einen hohen Preis. Ich verwende meine Kraft lieber für etwas anderes. Dann tanze ich halt aus der Reihe. Hauptsache ich tanze.
Zu diesem Text gibt es auch ein Video und eine längere Version als Essay (PDF).