Urlaub – Transkript

Lesezeit ca. 31 Minuten

Die Neue Norm: Eine Sehbehinderung, zwei Rollstühle, drei mit Expertise: Jonas Karpa, Raúl Krauthausen und Judyta Smykowski sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.

Folge 18: „Urlaub“

Jonas:
Herzlich willkommen zu Die Neue Norm, dem Podcast. In der letzten Ausgabe haben wir eigentlich gesagt, dass wir keinen Urlaub machen. Das stimmt nicht so ganz. Denn in dieser Folge geht es wirklich um Urlaub. Wie machen Menschen mit Behinderung Urlaub? Ist es wirklich ein Unterschied? Ist der super weiße Strand für Rollstuhlfahrer*innen der größte Horror im Urlaub? Ist es für Menschen mit Sehbehinderung eigentlich egal, wo sie Urlaub machen, denn sie können sowieso nichts sehen? Darüber möchten wir heute sprechen mit Judyta Smykowski und Raúl Krauthausen.

Judyta & Raúl:
Hallo!

Jonas:
Mein Name ist Jonas Karpa. Ich wollte gerade eigentlich schon wieder sagen: mir zugeschaltet sind Judyta Smykowski und Raúl Krauthausen… das hat sich schon so eingebrannt. Dieses Mal sitzen wir aber mit sehr weitem Abstand, aber gemeinsam, in unserem Büro hier in Berlin. Was mich sehr freut. Ihr habt hoffentlich eure Handys im Flugmodus, denn es geht ja auch um Urlaub. Was ist euer Urlaub gewesen, wo ihr am weitesten weg ward? Weil Menschen mit Behinderung machen ja nicht nur Zuhause auf Balkonien oder im Garten Urlaub.

Judyta:
Ich habe gar keinen Garten. Der weiteste Urlaub war bei mir Rio de Janeiro. Tatsächlich ein Flug von elf Stunden, das war schon grenzwertig. Für mich wird das Sitzen im Flug sehr, sehr schwierig. Aber…

Jonas:
Wo ich mich jetzt wiederum frage: du sitzt doch tagtäglich im Rollstuhl…

Judyta:
Ja, Sitzen ist normalerweise kein Problem, genau.

Raúl:
Aber es gibt halt Sitzen und Sitzen.

Judyta:
Es gibt halt Sitzen und Sitzen. Im Flugzeug sitzen ist auch eine Sportart…
Genau. Rio war sehr, sehr spannend, sehr vielfältig. Nach den Paralympischen Spielen war ich da, also erst einmal beruflich und dann habe ich noch mal Urlaub drangehangen und bei dir, Raúl?

Raúl:
Also ich glaube, dass weiteste wo ich war, war Taiwan. Das war gefühlt sehr weit. Ich glaube, wir sind auch elf Stunden geflogen. Und ich bin von diesem Land, beziehungsweise von dieser Insel, sehr angetan gewesen, weil das unfassbar modern war. Unfassbar schrill auf eine Art und unfassbar organisiert. Also ich habe noch nie ein Land gesehen, in dem Menschen in U-Bahnhöfen auf einer Linie stehen, um den Einstieg und den Ausstieg optimal bei diesen U-Bahnen zu gewährleisten, sodass die U-Bahn wirklich nur anderthalb Minuten steht und das einfach super organisiert ist, so habe ich das noch nie in meinem Leben gesehen. Selbst Tokio, wo ich auch mal war, war nicht so organisiert.

Jonas:
Das ist, glaube ich, für Deutschland unvorstellbar. Ja, meine weiteste Reise liegt schon etwas länger zurück, also von der Distanz her. Das war 2002, da war ich an der Westküste der USA und habe dort eine Rundreise gemacht. Und ulkiger Weise fällt mir jetzt auf: Wir sind von Düsseldorf geflogen, aber von Düsseldorf dann nach Frankfurt am Main geflogen, um dort dann den Flug…

Judyta:
Shame on you, Jonas!

Jonas:
Es waren noch andere Zeiten damals in den Zweitausendern. Und was wirklich ein sehr komisches Gefühl auch war, dass du dann zurückkommst, bist vollkommen gerädert, landest in Frankfurt und musst dann wieder in irgendeinen Flieger einsteigen, der ja eigentlich nur einmal kurz abhebt und dann sofort wieder landet.

Raúl:
Wie lange fliegt man? 10 Minuten?

Jonas:
Ja, ich glaube 25-30, aber mehr sind es nicht. Es gab auch nichts zu essen. Skandal!

Raúl:
Lohnt sich nicht.

Jonas:
Aber das war wirklich das Weiteste. Zu der Zeit hatte ich noch keine Behinderung. Aber ich finde es interessant, dass es manchmal einfach auch den Anschein erweckt, dass es so ein fast schon besonderer Akt ist oder etwas sehr Besonderes, wenn Menschen mit Behinderung weit reisen. Tatsache ist aber, dass wir Menschen mit Behinderung manchmal etwas mehr Organisation vorher brauchen, um zu gucken, ob es vor Ort wirklich barrierefrei ist oder ob der Urlaubsort wirklich auch geeignet ist.

Judyta:
Ja, und ich finde, da gibt es so ein ganzes Netzwerk irgendwie an Wissen. Man sucht sich die Blogs heraus, von Reiseblogger*innen mit Behinderung. Also ich persönlich gehe da auch erst mal hin zu den Blogs und zu den Menschen, die wirklich so wie ich im Rollstuhl sitzen, die Erfahrung haben. Und wenn ich dann sehe, das ist sozusagen deren persönlicher Blogger-Siegel, dass sie da waren und da klarkamen, dann kommt es für mich in Frage. Also so die großen Buchungsplattformen bringen mir da erstmal gar nichts. Also, wir kennen vielleicht alle dieses Kreuzchen „behindertenfreundlich“, ja, was heißt das? Ist das rollstuhlgerecht? Ist das irgendwie für Menschen die blind sind oder Menschen mit Lernschwierigkeiten? Was soll behindertenfreundlich sein? Also diese ganzen Anbieter müssen noch viel, viel besser werden, viel, viel kleinteiliger, das alles auflisten, damit wir sozusagen nicht diesen Aufwand haben. Aber im Moment ist auf jeden Fall eher die „Blogosphäre“ – hieß es ja mal in den Zweitausendern irgendwie – die Adresse, wo ich mich informiere.

Jonas:
Fand ich jetzt gerade sehr spannend, weil wir heute im Büro das Erlebnis hatten, dass wir an den Fahrstühlen… da gibt es eine Taste, wo ein Rollstuhlsymbol drauf ist. Und wenn man auf dieses Symbol draufdrückt, gibt’s eine Sprachausgabe.

Judyta:
Ja, ich habe natürlich erstmal draufgedrückt, weil ich dachte: Rollstuhl, das ist irgendwie für mich…und dann war es die Sprachausgabe.

Jonas:
Das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun…

Raúl:
Rollstuhl = behindert.

Jonas:
Natürlich.

Raúl:
Aber ich muss ja zugeben, ich bin totaler Schisser, was Urlaub machen angeht. Fremde Städte, fremde Länder…

Jonas:
Deshalb machst du so selten Urlaub.

Raúl:
Ja, auch…Aber ich habe wirklich Angst, dass das Hotel nicht barrierefrei ist, dass ich vom Flughafen nicht wegkomme. Dass ich irgendwie dann im Hotelzimmer eingesperrt bin, weil man nicht wegkommt. Und ich bewundere – also ich meine das wirklich – ich bewundere Aktivist*innen mit Behinderung, die mit ihren hochempfindlichen Elektrorollstühlen einfach mal nach Kenia fahren oder nach Äthiopien, wo du natürlich mit allen den ganzen Vorurteilen, mit denen ich wahrscheinlich beladen bin, erst mal davon ausgehst, dass diese Länder von der Infrastruktur eher nicht so gut ausgestattet sind, was Barrierefreiheit angeht. Aber die sind einfach so pragmatisch und haben immer genug Gaffa-Tape dabei und immer genug Kabelbinder, um mal schnell irgendetwas zu reparieren und die aber auch, so wie du sagst, super akribisch vorher recherchiert haben… was für Fahrzeuge könnten einen abholen vom Flughafen zum Hotel und dann auch einfach Spaß dabei zu haben. Aber ich habe keinen Spaß dabei. Ich habe keinen Spaß dabei, zu recherchieren: Komme ich da rein? Weil ich dann die ganze Zeit denke, andere müssen diesen Aufwand nicht machen. Und ich habe dann auch nicht so eine Vorfreude, die ich entwickle. Ich lese auch keine Reiseführer, bevor ich irgendwohin fahren, sondern…

Judyta:
Sondern was machst du dann?

Raúl:
Ja, ich mache das dann da, aber nicht vorher. Und das ist natürlich, wenn du aber Vorplanung brauchst, weil du im Rollstuhl sitzt, blöd. Also, da stelle ich mir selbst ein Bein.

Jonas:
Aber seid ihr beide gelassener, wenn ihr im Urlaub seid? Also Beispiel: ihr fahrt nach Rom und nutzt dort den öffentlichen Personennahverkehr und dort ist der Aufzug kaputt, sagt ihr dann: Ja, komm… aber ich bin im Urlaub, das ist ja auch irgendwie in Ordnung… Während dir hier in der BVG, hier in Berlin im öffentlicher Personennahverkehr, vielleicht die Wut hochkocht, dass schon wieder der Aufzug defekt ist. Aber hat man im Urlaub eher das chillige Urlaubsfeeling?

Judyta:
Nein, das ist ja gerade das Unbekannte. Du weißt es ja nicht, wie es vor Ort ist. Also das müsstest du dann auch noch recherchieren. Das mache ich zum Beispiel nicht. Bei mir ist die Hotelsuche schon die Recherche, die ich mache. Und bei den Öffis lasse ich mich überraschen, weil ich habe einfach den Luxus, dass ich ein normales Taxi nehmen kann. Ich kann mich umsetzen. Und in Tel Aviv zum Beispiel sind wir am Flughafen angekommen, haben ein Taxi genommen, weil es war Sabbat, es ist einfach kein Bus gefahren, und dann haben wir das Taxi genommen, und es war aber ein kleines Taxi. Und er hat einfach meinen Rollstuhl zusammengeklappt – er ist zum Glück faltbar – und hat ihn auf dem Dach transportiert, mit ein paar Schnüren festgebunden. Und dann ging es so durch Tel Aviv…

Jonas:
Pragmatisch…

Judyta:
Pragmatisch, genau. Und dann ging es weiter ins Hotel, und es war sogar ein barrierefreies Zimmer – ausgewiesen als barrierefrei. Aber wir haben echt dann die rollstuhlgerechte Dusche gesucht, also die Dusche im Sitzen und wir haben sie nicht gefunden. Und dann meinte die Rezeptionistin so: Nee, da ist wirklich eine in diesem Zimmer! Und wir haben wirklich – ihr müsst euch das vorstellen – wir haben wie so bei Harry Potter die Kacheln so an der Wand abgesucht, ob jetzt wirklich so ein magischer Duschstuhl irgendwie rauskommt.

Jonas:
Wo dreht sich die Wand um?

Judyta:
Ja, genau. Und wir haben gesagt: Hier ist nichts! Dann haben wir aber auch ein anderes Zimmer bekommen. Aber genau das ist es, also diese Ungewissheit, die stresst einen schon. Und deswegen gibt es ja diesen Zeitaufwand. Deswegen klicke ich mich durch Bilder und guck in jeder Ecke von dem Bild… von zum Beispiel der Lobby, ist da wirklich ein Fahrstuhl? Erkenne ich den noch im kleinsten Fitzel des Bildes, um die halt auch nicht anschreiben zu müssen. Sonst müssen wir die ja kontaktieren vorher und fragen.

Raúl:
Ich habe so eine ganz persönliche Marotte wenn ich im Urlaub bin. Zwei Marotten! Zum Glück wissen meine Assistent*innen das schon. Die eine Marotte ist: Ich bin erst dann in einer Stadt angekommen, wenn ich 24 Stunden dort verbracht habe und alles einmal durchgemacht habe. Also frühstücken, Mittagessen, Abendessen, schlafen, duschen, Toilettengang. Wenn ich alles einmal gemacht habe, dann denke ich: Okay, hier bin ich sicher. Aber wenn irgendeins noch offen ist, dann denke ich so: Oh Gott, wie wird es sein? Es ist superkrass. Ich weiß nicht, wo diese Angst herkommt. Aber nach 24 Stunden bin ich erst entspannt. Und der andere Tick: Das ist natürlich blöd, wenn man mit mir im Urlaub ist und dann das Frühstück liebt in Hotels. Ich esse immer ein Brot mit Marmelade. Und obwohl es – keine Ahnung – es gibt verschiedene Lachssorten, je nachdem, was du für einen Urlaub machst…aber ich esse immer ein Brot mit Marmelade und auch nur in Hotels. Zuhause nicht – da esse ich mal so, mal so. Aber in Hotels esse ich immer ein Brot mit Marmelade…also irgendwie glaube ich…

Jonas:
Das ist das Tomatensaft-Syndrom.

Raúl:
Genau so ist es. Und ich bin aber witzigerweise total gerne im Urlaub, obwohl mich das so stresst. Aber dieser Aufwand, den meide ich und deswegen bin ich wenig im Urlaub. Aber wenn ich da bin, dann bin ich es gerne.

Jonas:
Aber dann auch eher nicht so die Kurzreisen? Also dann muss es auch schon etwas länger sein, um, wie du ja schon gesagt hast, das sich Einzugewöhnen und das Ganze mal so durchzumachen.

Raúl:
Genau! Wochenendtrips sind eher nicht so meins. Wenn dann mindestens eine Woche.

Judyta:
Und, Jonas, wie ist das jetzt bei dir? Bringen dir die Gerüche was an den Orten?

Jonas:
Ich finde die Frage spannend, ob blinde oder sehbehinderte Menschen… ob das für sie egal ist, wo sie hinreisen. Ob sie jetzt an dem Strand sind, an dem Ort. Muss man jetzt so plakativ sagen: Ob ich jetzt auf Malle bin oder auf Ibiza – keine Ahnung! Wenn du im Sand liegst und aufs Meer guckst und vielleicht auch das Meer nicht richtig siehst, ob es dann wirklich egal ist. Aber ich finde, dass gerade im Urlaub, dass es da noch viel mehr Aspekte hat als das reine Sehen. Und ich finde, zum Urlaub gehört dazu, sich vorher – und das mache ich im Gegensatz zu dir, Raúl – sich vorher mit dem Ort zu beschäftigen, wo man hinfährt, das Tasche packen, der Transfer zum Flughafen, das dort Hinfliegen, der Jetlag, das Aussteigen oder das Herauskommen aus dem Flugzeug, in einer komplett anderen Zeit- und Klimazone vielleicht. Und eben die Stadt oder den Zielort mit all seinen Aspekten eben zu erleben. Also dazu gehören andere Gerüche, andere Geräusche, die andere Sprache, die man vielleicht hört. Und es ist eben viel mehr, als nur zu sagen: Ja, gut, ob du jetzt nach Rom oder nach Rio fährst, die Sehenswürdigkeit XY kannst du eh nicht sehen, also Sehenswürdigkeit oder Nichtsehenswürdigkeiten…in dem Sinne…

Raúl:
Das ist mir noch gar nicht so klar gewesen…Sehenswürdigkeit… es könnte auch eine Hörenswürdigkeit sein…

Jonas:
…oder eine Erlebenswürdigkeit. Es ist wert, das zu erleben.

Judyta:
Oder eine Barrierewürdigkeit…

Jonas:
Ja. Und das finde ich dann trotzdem wert, sage ich mal, in den Urlaub zu fahren und nicht, sage ich mal, zuhause rumzuhängen und zu sagen: Ja gut, das bringt ja eh alles nichts. Ich kann das ja alles eh nicht sehen. Deshalb lohnt sich das nicht. Aber gerade weil es um so viel mehr Aspekte geht und manchmal auch ohne jetzt diesen plakativen Spruch rauszuhauen „Aber der Weg ist das Ziel“. Manchmal ist die Reise dorthin ja auch das Spannende. Wenn dann alles so funktioniert wie es funktionieren soll.
Aber ist es denn bei euch, jetzt sage ich mal als Rollstuhlfahrer*innen… gibt es auch schon vorher in eurem Kopf so no-go‘s, dass ihr sagen würdet…

Raúl:
Alles ist ein no-go!

Judyta:
Zehn Cent ins Phrasenschwein, bitte!

Jonas:
Ja, sehr gut!
Aber was ich sagen will…wie, der Strandurlaub kommt für mich nicht infrage, beziehungsweise vielleicht würdet ihr das gerne machen, aber Strand und Rollstuhl, das verträgt sich nicht. Und da kommt im wahrsten Sinne des Wortes Sand ins Getriebe. Um jetzt hier das Schweinchen noch mehr zu füllen.

Judyta:
Also ich finde, Strand hat ja auch sehr viel Sand. Mich nervt es auch schon, dass überall Sand ist. Das ist das Erste und zweitens…

Jonas:
…alles zubetonieren.

Judyta:
Alles zubetonieren und bis zum Wasser einfach mal einen schönen Holzweg oder Betonweg machen, das wäre gut, aber das gibt es ja kaum. Der Holzweg hört irgendwann auf mitten im Strand. Und dann ist man so auf diesem Plateau und ist so mittendrin und aber doch nicht dabei. Ich kann auch nicht schwimmen, deswegen ist für mich das eigentlich nicht so von Bedeutung. Aber ich finde es schon schön, am See aufs Wasser zu gucken.

Jonas:
Hast du als Kind am Strand mit Förmchen gespielt? Oder war es dann auch schon…

Judyta:
Nee, wir haben auch nicht so Strandurlaube gemacht.

Raúl:
Ich hasse Sand! Ich habe als Kind auch nicht gerne in Sandkästen gespielt, wurde dann da immer reingesetzt, weil da die anderen Kinder auch waren. Ich fand es super eklig, Sand zwischen den Fingern, bäh…und Sand im Rollstuhl…bäh… Und ja, dann hatten wir jetzt vor kurzem einen Urlaub gemacht an der Ostsee und dabei genau, wie du gesagt hast, Judyta, dieser Strandaufgang, der plötzlich mitten im Strand endete und man 50 Meter zum Wasser noch vor sich hatte. Aber da war eben der Weg zu Ende, der für Rollstuhlfahrer zugänglich war. Und das nannte sich dann barrierefreier Strand. Und dann denke ich auch so: Ja, nee, dann kann ich ja auch an der Promenade bleiben. Da ist einfach nichts gewonnen, du stehst in der prallen Sonne, es gibt keine Möglichkeiten in den Strandkorb sich reinzusetzen, und da hält man es eh nicht länger als 10 Minuten aus, wenn du nicht zum Broiler werden möchtest. Dann wird auch immer an diesem Urlaubsort geworben mit diesen Strandrollstühlen.

Judyta:
Hab ich noch nie ausprobiert.

Raúl:
Ich saß in einem und es gab eben zwei verschiedenen Versionen. Es gibt eine Version, da ist der Strandrollstuhl so eine Art Boot, das heißt, die Räder haben so viel Luft drin, dass die dann eben so eine Boje sind. Und dann wirst du aber nicht nass. Das heißt, du bist im Boot. Oder es gibt einen, da sitzt du dann tiefer und du wirst dann auch nass, wenn man da reinfährt. Aber beide Rollstühle sind Fahrzeuge, die du nicht selber fahren kannst, das heißt, du brauchst immer jemanden, der dich schiebt, und du musst auch umgesetzt werden. Nicht jeder Mensch mit Behinderung, der im Rollstuhl sitzt, kann alleine sitzen. Das heißt, die sacken dann vielleicht so ein oder wie ich, ich bin zu klein, und dann sitze ich da super unbequem. Es ist irgendwie alles noch nicht so optimal. Und mir hätte einfach ein barrierefreier Strandaufgang gereicht, der bis zum Wasser geht oder zwei Meter vor dem Wasser aufhört. Und da hätte ich schon genug, zumindest für mich, Erlebnis gehabt. Und da finde ich, da ist es dann schon auch auffällig, wenn ich dann recherchiere zum Urlauben, dass dann die barrierefreien Urlaube tendenziell auch sehr teuer sind. Also viele Hotels, die barrierefrei sind, sind dann eher so in der Vier-Sterne Liga. Aber es ist sehr schwer herauszufinden zum Beispiel, welches Hostel barrierefrei ist oder welches Motel. Also von diesen Niedrigpreis-Segmenten – außer Jugendherbergen, die sind aber inzwischen auch relativ teuer, finde ich. Und da finde ich, gibt es schon irgendwie eine Informationslücke von günstigen Hotels, die barrierefrei sind, weil Menschen mit Behinderung in der Regel auch nicht so viel Geld haben. Also außer du bist irgendwie vielleicht älter und hast im Laufe deines Lebens eine Behinderung erworben und hast Geld zurücklegen können. Aber ich bin jetzt nicht so, dass ich mir permanent ein Vier-Sterne-Hotel leisten könnte, schon gar nicht für eine Woche.

Jonas:
Und wenn du in der Werkstatt arbeitest für 1,50, dann kommt auch nicht so viel zusammen. Aber ich finde interessant was du sagst, dieses typische vielleicht im Teenageralter oder auch danach, wenn man nach dem Abi oder während des Studiums mal eben kurz diese Tagestrips oder diese Wochenendausflüge macht, wo man dann in so einem abgeranzten Hostel, in so einem 16er-Schlafsaal mit Stockwerkbetten… das ist ja überhaupt nicht möglich dann.

Judyta:
Das ist der Horror – für mich persönlich.

Raúl:
Und wenn du dann deine Assistenz dabei hast, was ja bei mir der Fall ist, ich muss meine Assistenten mitnehmen, dann muss ich das Hotelzimmer von dem oder ihr mitbezahlen und das ist natürlich auch noch immer teurer. Und bei Vier-Sterne noch mal natürlich gerne extra. Ein anderes großes Problem, das ich in solchen Urläuben habe…Urläube…? Urlaube…? Was ist die Mehrzahl von Urlaub?

Judyta
Urlaube….

Raúl:
Urlaubs…wenn ich solche Urlaubs habe, dass die barrierefreien Hotels, die ich kenne, die damit auch werben, die sind dann so übertrieben ausgestattet, dass sie mich oft an ein Krankenhaus wiederum erinnern. Na und dann denke ich auch so: Ja, ich möchte aber auch nicht permanent mit meiner Behinderung konfrontiert werden.

Jona:
…mit Roomservice… so wie im Krankenhaus, dass man die Schwester rufen kann…?

Raúl:
… keine Ahnung… dann gibt es in den Gängen solche Laufgriffe und die Gänge sind extra breit, die Türen sind extra breit. Das ist alles sicherlich sinnvoll für bestimmte Menschen mit Behinderung. Aber ich finde, man muss nicht immer das Label „barrierefrei“ überall so groß draufschreiben, dass es dann das Hauptthema dieses Hotels ist. Versteht ihr, was ich meine? Ja, ich finde Barrierefreiheit wichtig. Aber dann bitte trotzdem noch Hotel sein und nicht Krankenhaus.

Judyta:
Da sind wir auch beim Disability Mainstreaming – der Vision unserer Arbeit, dass Menschen mit Behinderung ja überall mit dabei sein sollen. Also genauso bei so einer Bettenburg, wenn du das haben möchtest, wenn du auf Pauschaltourismus stehst oder halt auch der schönen Finca, die irgendwas Individuelles ist. Aber was du sagst hat dann so einen Anschein von einem Behindertenhotel. Na, da treffen sich sowieso nur Behinderte. Oder auch die ganzen Reiseveranstalter*innen, die damit werben, für Menschen mit Behinderung. Ja, das ist dann nur für Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung siehst du dann da nicht.

Raúl:
Also es gibt sicherlich Ausreißer oder Ausnahmen, die mir jetzt aber leider grad nicht so bekannt sind.

Judyta:
Naja, ich glaube, es ist eher so, wie wir beide ja auch erzählt haben, dass wir uns da irgendwie durchschlawinern und dann irgendwie so einen Mittelweg finden,

Raúl:
Aber als wir zum Beispiel vor ein paar Jahren in Kanada waren – war ja eine Dienstreise quasi nach Toronto – und da fand ich zum Beispiel sehr angenehm, muss ich ganz ehrlich sagen, dass ich nicht der einzige Mensch im Rollstuhl war, der damit gereist ist und wir dadurch natürlich von Anfang an barrierefrei geplant haben. Und zwar nicht wegen Raúl, sondern einfach, weil die Hälfte des Teams darauf angewiesen war und dann zu erleben, dass das auch irgendwie geht. Und dass du nachts um Vier, vier barrierefreie Uber bekommst, du, innerhalb von 10 Minuten, das ist auch so ein „WHAT?“. Ja, das habe ich zumindest in Deutschland noch nirgends gesehen.

Judyta:
Und das Hotel war ja auch ein „gewöhnliches“ und es war trotzdem barrierefrei…

Raúl:
…und ein bisschen weit weg vom Stadtzentrum…

Judyta:
Aber ich glaube das war eher, weil wir so spät gebucht haben, shame on us…

Jonas:
Also ist eher euer Gefühl auch, dass, wenn man nicht Urlaub innerhalb Deutschlands macht, sondern auch wirklich dann mal ins Ausland fährt, dass dort das Selbstverständnis viel, viel weiter ist?

Judyta:
Es gab so zwei Szenen in Toronto, die ich so super fand. Und zwar einmal sind wir durch die Stadt gelaufen, wir als Team, und da war eine Baustelle, und es wurde extra ausgeschildert für Rollstuhlfahrer*innen und Menschen mit Kinderwagen – hier ist eine andere Route für euch, also ihr werdet hier durch die Baustelle navigiert. Und das ist ja in Deutschland nicht so, da hast du Glück, wenn irgendwo mal so ein bisschen Beton an den Kantstein rangeklatscht wurde. Und dann kannst du da irgendwie so halbwegs rauffahren.

Jonas:
Ja, Stolperfallen.

Judyta:
Das war super so während einer Baustelle, die ja nur ganz kurz ist. Und trotzdem hast du halt diesen super ausgeschilderten Weg. Und das zweite war auch in der Stadt am Strand. Ne, war das ein Strand oder ein Fluss? Es war am Fluss, oder? Toronto liegt am Fluss? Ja, da war dann auch so ein Schild, wo der eine Holzsteg war und dann stand da so: Please respect Rollstuhlfahrer*innen. Also das heißt, es war einfach ein Spot für uns, wo wir uns abstellen oder hinstellen konnten – nicht abstellen – auf dem Holzsteg, und das fand ich ganz, ganz toll.

Jonas:
Das was ich noch interessant finde, was du, Raúl, eben gesagt hast mit Reisen, mit Assistenz – wie sieht es denn überhaupt arbeitsrechtlich aus? Wir erleben das hier ja auch durch unsere Kolleg*innen, die hier bei uns arbeiten und die Assistenz haben. Die wechseln ja – es ist ja teilweise so, dass dann vormittags eine andere Assistenz da ist als nachmittags. Aber wenn du jetzt, sage ich mal, in Urlaub fährst oder fliegst und es ist noch weiter weg, wo dann nicht jeden Tag die Assistenz wechseln kann, das ist ja dann zwar auch schön für die Person, weil es ja arbeiten an einem vielleicht schön entspannten Urlaubsort ist. Aber es ist ja trotzdem Arbeit. Geht es denn, dass die Personen dann trotzdem theoretisch für dich 24/7 da und verfügbar sind?

Raúl:
Also, du musst auf jeden Fall gewährleisten, dass es Ruhezeiten gibt, ich kenne einige Menschen mit Behinderungen, die mit mehreren Assistent‘innen fahren, damit die sich auch abwechseln können oder ein Familienmitglied mitnehmen oder noch einen Freund oder Freundin. Und das ist immer so eine Mischung aus das rechtliche ausreizen, dann auf Goodwill setzen vom Assistenten oder Assistentin, die natürlich auch vielleicht dann mal ein Auge zudrücken, wenn es in der Ruhezeit doch noch mal um eine Handreichung geht. Es ist nicht einfach. Ich bekomme zum Beispiel manchmal Probleme, wenn ich länger als eine Woche im Urlaub bin. Also nicht von Amts wegen, sondern auch vom Dienstplan her. Dass es dann nicht so einfach ist und mir empfohlen wird, mit zwei Assistent*innen zu reisen. Aber das ist dann natürlich noch mal teurer. Weil da musst du ja auch den Rückflug oder die Rückfahrt und Hinfahrt von dieser einen Personen organisieren. Und das geht dann sehr schnell ins Geld.

Jonas:
Genau, weil Assistent*innen sind ja nicht zwangsläufig deine Freunde in dem Sinne, weil es ist ja immer noch trotzdem dieser Arbeitskontext.

Raúl:
Genau. Was ich noch spannend fand, da habe ich jetzt auch im Vorfeld einiges zu gelesen. Also es gibt ja, wie Judyta vorher gesagt hat, großartige Blogger*innen, da haben wir in den Shownotes auch welche verlinkt, die zu dieser oder jener Öffentlichkeit auch schon Erfahrungen gesammelt haben. Es gibt auch Portale, wo Reiseberichte hochgeladen werden können – extra zum Thema Behinderung und Reisen. Aber was ich zum Beispiel da total spannend finde, dass viele Blogger*innen gerade in den USA auch berichten. Und da gibt es auch gerade eine sogenannte Social Media Welle, einen Shitstorm, wo behinderte Menschen berichten, wie Airlines ihre Rollstühle kaputtmachen, wenn sie die in die Flugzeuge einladen. Und dann machen die teilweise Videos, wo man sehen kann, wie ruppig dann das Personal den Rollstuhl verlädt und so. Und ich muss zugeben… also angeblich geht jeder fünfte Rollstuhl kaputt beim Flug in den USA. Und ich muss zugeben, mir sind auch schon zwei kaputtgegangen. Und das ist natürlich richtig, richtig scheiße, wenn du dann irgendwo bist und dann ist ein Vorderrad abgebrochen und so ein Vorderrad kannst du ja auch nicht mal eben im Bauhaus kaufen. Weil es dann auch von einem Rollstuhl ist, der eigentlich in der Schweiz produziert wurde und den gibt’s halt zufällig in Ghana nicht oder in Bangladesch. Und dann fährst du zu irgendeinem Autoschlosser, so habe ich das dann gemacht, der mir dann so ein Skateboardrad da vorne drangelötet hat. Fährt halt scheiße. Und dann am Ende des Urlaubs hast du Muskelkater, weil der Rollstuhl die ganze Zeit scheiße gefahren ist. Und das ist irgendwie noch ein lösbares Problem gewesen. Aber wenn dir die Elektronik irgendwie kaputtgeht, die dir keiner mehr reparieren kann, und du brauchst deinen elektrischen Rollstuhl aber, das ist halt wirklich etwas, wo sich dringend etwas ändern muss, dass solche Hilfsmittel auch mit Respekt behandelt werden und nicht so rumgeworfen und herumgerissen werden.

Judyta:
Mir ist in New York mal mein Rollstuhlrad geplatzt. Also die Luft. Das war ein Luftreifen, und der ist geplatzt. Und wir sind dann auch zum Fahrradladen gegangen und haben einfach gesagt: So, habt ihr was? Und zum Glück hatten sie einen, aber die halten noch nicht so lange und ich war dann auch die ganze Zeit so…

Jonas:
Ist das jetzt auf der einen Seite ein Mountainbike-Reifen, oder…

Judyta:
Ja, das ist ein Fahrradreifen. Und ich wusste, dass die nicht so gut halten wie spezielle Sanitätshaus-Rollstuhlreifen, weil die haben natürlich auch ihren Preis… hat ja alles System. Und ich war dann auch wirklich sehr vorsichtig den Rest des Urlaubs. Aber ja, wie du sagst, das waren noch so lösbare Probleme. Also immerhin hatten wir da noch was unterm Hintern.

Jonas:
Wir sprachen ja eben schon von Blogger*innen mit Behinderung, die über ihre Reisen erzählen. Wir haben lustigerweise eine Kollegin hier im Team, nämlich Adina Hermann, die normalerweise bei uns für die Grafik aller Projekte hier zuständig ist. Und sie hat gemeinsam mit ihrem Mann Timo einen Reiseblog mobilista.eu, den wir euch auch in unseren Shownotes auf www.dieneuenorm.de verlinken. Und ich habe einfach mal, weil wir ja auch jetzt wieder hier im Büro sind, die Chance beim Schopfe gepackt und sie mal gefragt, was es denn aktuell für Reisetrends gibt – auch für Menschen mit Behinderung. Und sie hat mir das gesagt:

Adina:
Ich würde sagen, dass nicht zuletzt durch Corona, aber auch aus ökologischen Gründen wir generell eher ein bisschen Abstand nehmen von Flugreisen. Eher auch mal dazu gehen, das eigene Land zu entdecken, zu sehen, wie schön es auch vor der Haustür ist. Und das hat natürlich auch Vorteile für Menschen mit Behinderung. Die weite Anfahrt fällt weg, man hat gegebenenfalls die Nähe zu medizinischer Versorgung. Oder wenn man starke Mobilitätseinschränkung hat, ist es eben auch einfach eine angenehmere Art des Reisens, nicht so weit fahren zu müssen. Campingurlaub liegt auf jeden Fall im Trend, das würde ich so sagen, auch bei Menschen mit Behinderung. Es kann natürlich eine Chance sein, sein eigenes Reich zu schaffen für die eigenen Bedürfnisse. Timo und ich, wir haben uns ja letztes Jahr auch einen Wohnwagen zugelegt und dazu auch auf unserem Blog mobilista.de berichtet. Das war für uns auch ein richtig großes Ereignis, sich so etwas anzuschaffen. Generell würde ich also sagen, dass Naturerlebnisse auf jeden Fall so ein Reisethema gerade sind. Es gibt beispielsweise auch immer mehr barrierefreie Baumwipfelpfade oder barrierefreie Wanderwege. Und ich glaube, es liegt auch ein bisschen an öffentlichen Förderungen, die jetzt einfach da Geld reinpumpen.

Raúl:
Wow! Zum Thema Baumwipfelpfade: Ich habe keine Ahnung, was die Leute mit den Baumwipfelpfaden haben. Also ich finde das urstlangweilig!

Judyta:
Warst du schon auf einem?

Raúl:
Ich war schon auf einem – auf zweien sogar.

Judyta:
Barrierefreien?

Raúl:
Ja. Barrierefreie Baumwipfelpfade, das ist so das most-boring-sightseeing-Ding, das ich erlebt habe. Du bist in der prallen Sonne. Es gibt keinen Schatten, weil du bist ja über den Bäumen. Das Geländer ist meistens so auf der Höhe, dass du nichts siehst. Keine Ahnung. Aber es scheint das Ding zu sein. Macht was ihr wollt, aber ich bin raus.

Judyta:
Ich bin beim Campen auch raus. Also komplett. Oder beim Zelten bin ich komplett raus. Aber ich merke, dass ich wirklich mehr Natururlaube machen möchte. Also vor ein paar Jahren war das noch so: jetzt bin ich im Job gestartet. Jetzt habe ich Geld, jetzt kann ich Urlaub machen und ich kann Städtereisen machen. Das war so für mich so…ja, ich kann einfach nur Städtereisen machen, weil im Rollstuhl durch die Berge geht ja nicht. Aber ich habe jetzt die Gondeln für mich entdeckt, die Hochseilbahnen. Und ich habe wirklich eine komplette Tour durch British Columbia in Kanada geplant, jetzt für diesen Sommer, jede Gondel mitgenommen und dann, kurz vor dem Buchen, ist mir aufgefallen, dass Kanada noch keine Ausländer hereinlässt wegen Corona.

Raúl:
Aber Gondeln…da bist du doch auch nur 10 Minuten drin.

Judyta:
Aber dann fahre ich noch mal hin und zurück – die Aussicht kann man ja sonst als Rollstuhlfahrer*in… wie willst du die sonst irgendwie bekommen? Du kannst ja nicht hochklettern auf den Berg.

Jonas:
Ja, es gibt auch andere Möglichkeiten. Du kannst im Harz mit der Bahn hochfahren…

Raúl:
… oder Marzahn gibt es auch eine Gondel – über den Gärten der Welt.

Judyta:
Das möchte ich jetzt bitte nicht vergleichen…

Raúl:
Aber es gibt ja die Mischung aus Natururlaub und Camping. Das nennt sich irgendwie Glamping…Mit dem Wohnwagen hinfahren, so richtig mit Luxus, mit Glamour… Glamping…

Judyta:
Aber ich will doch nicht meine eigene Toilette ausleeren.

Raúl:
Das kann ja dann dein Mitreisender machen.

Judyta:
In dem Fall mein Freund, nicht mein Assistent.

Raúl:
Irgendwann macht er das freiwillig, weil er auch auf Toilette muss.

Jonas:
Spätestens wenn es überläuft…Aber ein anderer Trend ist natürlich auch, neben dem ganzen Naturerleben, es sich mal so richtig gut gehen zu lassen. Also ich meine, in einem Zelt liegt man bretthart, vielleicht ab und zu, je nachdem, was man da für eine Matratze mitnimmt. Aber es sich richtig gut gehen zu lassen, so Wellnesshotels. Also wenn, dann so richtig übertrieben, so Fünf-Sterne mit Obstkorb auf dem Zimmer und Whirlpool und so weiter.

Raúl:
Und Meerblick…

Judyta:
…und Gurkenwasser.

Raúl:
Aber ich will unbedingt – also das ist mein großer Traum, habe ich noch nie gemacht – aber ich will unbedingt einen Urlaub machen mit Meerblick, auch vom Bett aus – fünf Sterne. Ich möchte mich um nichts kümmern müssen und ich möchte, dass man mir die Wünsche von den Lippen abliest. Aber weil du gerade Wellness gesagt hast – ich war einmal in Istanbul, und da wollte ich unbedingt mal in so ein Dampfbad. Die sind ja dann geschlechtergetrennt. Das heißt, ich war mit meiner Freundin da im Urlaub – Klassenkameradin. Und dann ist sie in das weibliche Dampfbad gegangen, und ich bin mit meinem Assistenten in das für Männer. Und dann sitzt du da auf so einem heißen Stein, und wartest dann darauf, dass dann jemand kommt und dich massiert. Und ich saß auf einem Stein und mein Assistent auf einem anderen Stein. Plötzlich kommen zwei Männer rein, die die Masseure sind…

Jonas:
Ach, du hast etwas anderes erwartet…

Raúl:
Nein, nein, pass auf…und wir konnten natürlich kein Türkisch und der Masseur, der mich auserkoren hat, das war ein Bär von Mensch, der war zwei Meter groß und anderthalb Meter breit und zeigte so auf mich und lächelte nett. Und mein Assistent, der auf dem anderen Stein saß, bekam diesen Lauch. Und der hatte aber so eine Angst – also mein Assistent – dass dieser Bär mich zerbrechen könnte, weil der einfach auch so aussah wie ein Bär und wusste überhaupt nicht, was er machen soll, weil er irgendwie auch nicht falsch handeln wollte. Aber dann war es zu spät und dann kommt dieser Bär und fasst mich an und ich habe noch nie mich so zart berühren lassen von einem Menschen, den ich nicht kenne. Das war wirklich so unfassbar. Der hat mich so geil massiert und so sanft und so zart, dass ich ihn bis heute nicht vergessen habe und mein Assistent auch nicht. Aber ich bin tausend Tode gestorben. Er hatte mir alles mit einem kleinen Finger brechen können.

Jonas:
Ich dachte, das wäre dann auch so eine Massage… da gibt es ja teilweise so Thai-Massagen, wo die dann auf einem draufstehen und dann so über den Rücken laufen.

Raúl:
Ich glaube, dieser Typ war sich seiner Kräfte so klar, also wirklich sehr beeindruckend. Und dass der aber gleichzeitig auch eine Faszination für meinen Körper offensichtlich haben musste und dass er aber auch irgendwie sehr respektvoll mich behandelt hat. Also das war wirklich sehr, sehr schön!

Judyta:
Hast du ihm fünf Sterne gegeben?

Raúl:
Dem Dampfbad, ja. Das Hotel, in dem ich war, das war halt eher zwei Sterne.

Jonas:
Es gab kein Marmeladenbrot.

Raúl:
Es gab kein Marmeladenbrot. Es war super warm, gab keinen Lüfter, keine Klimaanlage. Es war anstrengend. Aber wichtig ist auf jeden Fall, Urlaub ist ja auch Verlassen von Komfortzone und auch mal etwas Neues ausprobieren, was Neues wagen, die eigenen Grenzen kennenlernen, auch Ängste kennenlernen, Vorurteile kennenlernen und dann auch wieder leben lernen. Das ist, glaube ich, das, was für mich Urlaub immer ausmacht.

Jonas:
Das Erleben von Orten, die in der Nähe sind, kann natürlich auch eben die Chance sein, mal zu gucken, wie schön es vor der Haustür ist. Aber da sind wir wieder bei dem Punkt, wie barrierefrei und zugänglich ist Deutschland? Also wieviel Möglichkeiten gibt es? Und es ist schön zu sehen, dass es immer mehr Möglichkeiten gibt und auch immer mehr für Barrierefreiheit gesorgt wird. Aber es ist natürlich das Thema, was uns umtreibt. Und das fand ich auch in der Vorbereitung zu dem Podcast auch irgendwie ulkig, weil wir dieses Thema immer haben. Egal, ob wir jetzt über die Filmbranche reden, wie barrierefrei und zugänglich ist sie, wenn wir über Mobilität reden. Wenn wir über das Reisen jetzt reden, weil das Hinkommen und das Nutzen von den ganzen Sachen, die jeder Mensch machen möchte, kann man eigentlich immer da auch wieder runterbrechen. Und das ist eigentlich irgendwie auch, sage ich mal…

Judyta:
Auch den Aufwand…

Jonas:
Genau! Das ist auf Dauer auch irgendwie so ein bisschen schade, weil, wie du, Raúl, auch einmal gesagt hast in einer vorherigen Folge, dass jeder das Recht hat auf Urlaub und das eben auch zu nutzen und das so individuell zu nutzen, wie man es möchte. Und wenn man halt keinen Strand mag, dann macht man halt eine Städtereise und ärgert sich über den Sand in den ganzen Baustellenkuhlen, die irgendwie rumliegen.

Raúl:
Du hattest ja vorhin noch die Geschichte erzählt mit dem …müssen blinde Menschen eigentlich irgendwohin fahren… wegen der Sehenswürdigkeiten. Ihr könnt ja auch einen Podcast hören. Es gibt ja so Audio-Podcasts, alle Podcasts sind Audio, aber es gibt ja Reise-Podcasts von Blinden für Blinde, die dann eher so die akustischen Eindrücke eines Ortes erzählen. Ich glaube, Heiko Kunert hat sogar einen auf Soundcloud, wo er ab und zu mal so akustische Eindrücke von da, wo er gerade ist, hochlädt. Fand ich superschön, aber das ist natürlich kein Urlaub. Und mir wird mindestens einmal im Monat irgendwo ein Projekt gezeigt – per E-Mail schickt mir jemand einen Link oder so ein YouTube-Video -, wo irgendeine Universitätsforschungsgruppe eine VR-Anwendung entwickelt hat, damit behinderte Menschen im Rollstuhl auch mal in ein nicht barrierefreies Museum gehen können oder auch mal barrierefrei Urlaub machen können an Orten, die eigentlich nicht barrierefrei sind. Wo ich denke, Alter, wollte ihr mich verarschen? Ich will doch keine VR-Brille als Urlaubsersatz haben. Was die Leute sich dann vorstellen, was Urlaub ist.

Jonas:
Natürlich gibt es, sage ich mal, Orte oder Gegebenheiten, wo man sagt, okay, da ist es jetzt schwer, für eine Barrierefreiheit zu sorgen. Aber um mal wieder die Stadt Rom zu nennen: Natürlich gibt es keinen Aufzug im Colosseum, also, weil damals anscheinend schon Menschen mit Behinderungen exkludiert wurden und sie bei den lustigen Schlachtereien, die dort stattgefunden haben, eben nicht teilnehmen durften. Aber es ist halt die Frage, wie kann man Orte auch anders erfahrbar machen, also auch zu gucken, wie ist das Interesse der betroffenen Personen? Wie ist es für Menschen, die blind sind? Haben Sie grundsätzlich das Interesse, in ein Museum zu gehen und ein Bild sich anzugucken?

Judyta:
Anzuhören…

Jonas:
Genau! Oder gibt es die Möglichkeit, genau dieses irgendwie audiodeskriptiv erfahrbar zu machen? Oder wenn es irgendwie um Skulpturen geht? Gibt es Tastmodelle, geht man eher auf die Schiene? Und eben auch die Möglichkeit, Audio-Stadtführer zu haben, die anders erklären, aber eben auch vor Ort. Ich gehe ja gerne, nicht regelmäßig aber ab und zu, auch mal ins Fußballstadion und nutze dort sehr gerne, die Audiodeskriptionsmöglichkeiten, die es halt eben dort gibt. Dann sitzt du halt dort im Stadion, leider aktuell ist dann da meistens immer noch ein gesonderter Block, wo du dann sitzen kannst, weil dort, an dem Gate, wo man reingeht, dann die Kopfhörer verteilt werden. Also das ist der einzige logistische Punkt, sonst könnte man sich natürlich überall hinsetzen. Aber man ist im Stadion und bekommt das, was dort auf dem Spielfeld passiert und was auf den Zuschauerrängen passiert, was auf der Anzeigetafel angezeigt wird, bekommt man erklärt. Aber man hat dieses Stadionerlebnis. Man hat das Bier in der Hand, die Stadionwurst, hat die grölenden Fans, hat die Gesänge. Und es wäre von dem Erlebnis gesehen natürlich kein Ersatz zu sagen: Ja gut, es ist doch so ähnlich wie Radio, dann hör doch Radio. Natürlich mache ich das total gerne, aber ich will ja vor Ort sein und das miterleben.

Raúl:
Und vor allem, du bist ja in der Regel, wenn du Urlaub machst, nicht alleine unterwegs. Das heißt, es macht doch auch gar keinen Sinn. Du bleibst im Hotelzimmer, setzt dir deine VR-Brille auf und deine Reisebegleitung kann sich dann das Colosseum angucken.

Jonas:
„Schatz, wie war es bei dir?“. „Joa….“

Raúl:
Und beim Colosseum würde ich jetzt auch mal die Challenge aufmachen und sagen: Okay, dann versuch doch mal mit Rampen, soweit es geht. Dass du zumindest dabei bist. Aber von vornherein davon auszugehen, dass bestimmte Orte nicht barrierefrei gemacht werden können, ist schwierig. Selbst der Machupicchu – da war ich auch einmal – selbst der Machupicchu ist mit dem Rollstuhl erreichbar.

Jonas:
Lohnt sich es?

Raúl:
Ist schon ganz geil. Damals hab ich allerdings nicht den barrierefreien Track gemacht, weil wir nicht wussten, dass es den gibt. Da sind wir mit dem klassischen Zug nach oben gefahren, soweit es geht, mit dem auch die Menschen, die dort wohnen, regelmäßig fahren. Und dann die letzten drei Stunden, glaube ich, Fußmarsch nach oben, und ich bin ja klein, und ich saß dann in so einer Kraxn, also so einem Rucksack…. ich glaube, es heißt Kraxn, also so im Rucksack, wo man draufsitzt wie Kleinkinder – und so einen hatte ich, weil ich bin ja klein, und dann saß ich bei meinem Zivi hinten drauf und mein Zivi ist halt so ein zwei Meter Typ, gut trainiert. Und der hat mich dann damit nach oben getragen und auch wieder nach unten. Das verbindet ja auch. Wir hatten dann gemeinsam dieses Erlebnis, und es war schon sehr, sehr beeindruckend.

Judyta:
Ich liebe ja Schlösser und Burgen, habe ich, glaube ich, auch hier an dieser Stelle schon mal erwähnt. Und das sind natürlich auch komplett nicht barrierefreie Orte. Und ich habe gerade überlegt, als du so die Forderungen in den Raum gestellt hast, dass man es einfach mal versuchen sollte und so barrierefrei wie möglich. Und ich denke da aber auf der anderen Seite auch so ein bisschen dran, was kann ich verlangen? Ist es mein internalisierter ableismus, dass ich denke, ich verlange nicht, dass die wirklich in dieses 500 Jahre alte Gebäude so einen Fahrstuhl reinkloppen. Und damit irgendetwas kaputtmachen, weil irgendwo muss er ja rein…

Raúl:
Ich würde sagen: Ja. Beim Denkmalschutz würde ich sagen, macht es barrierefrei – Scheiß auf den Denkmalschutz. Beim Thema Natur, wenn es um Naturschutzgebiete geht und so, da würde ich sagen: Okay, vielleicht lassen wir die Natur dann doch Natur sein und müssen jetzt nicht alles zupflastern mit Asphalt…

Jonas:
Also den Strand doch nicht zubetonieren?

Raúl:
Ja oder zumindest einen Teil. Aber ich würde jetzt keinen Baum roden in einem Naturschutzgebiet und irgendwelche Affen, exotische Affenarten, vertreiben, nur damit man da mit dem Rollstuhl lang fahren kann. Ich glaube, da würde ich einen Unterschied macht.

Judyta:
Oh ja, aber eigentlich ist es ein Traum von mir, so mal im Regenwald zu sein, obwohl eigentlich wegen den Viechern eher vielleicht nicht, aber so ein bisschen in dieser Artenvielfalt auch der Pflanzen. Ich bin ja an riesen Pflanzenfan, und die Pflanzen, die ich in meinem Berliner Wohnzimmer habe, sind ja alle aus dem Regenwald und die mal live zu sehen, das wäre eigentlich mal richtig cool.

Raúl:
Live und in Farbe…

Judyta:
Ja, sie sind ja bei mir live auch im Wohnzimmer. Nee, aber da vielleicht mal mit dem Helikopter drüber zu fliegen. Aber das ist auch nicht das gleiche Feeling.

Raúl:
Ich bin einmal in meinem Leben Helikopter geflogen, und es ist kein Not-Helikopter gewesen, kein Rettungshubschrauber.

Judyta:
Das ist gut!

Raúl:
Aber das ist so ungeil. Total laut, relativ unbequem – also, macht es nicht!

Jonas:
Ich bin auch einmal mit dem Heli geflogen. Über den Grand Canyon war das und du musst dich vorher wiegen, damit das im Helikopter verteilt wird, das Gewicht. Und meine Mutter, die zu dem Zeitpunkt die Ängstliche war, saß dann vorne neben dem Piloten in dieser Glaskuppel und wir dann immer „Hier, mach mal ein Foto, du hast den besten Blick…“. Ja, das stimmt mit der Lautstärke und man hatte Kopfhörer auf, wo dann aber natürlich bombastische Musik lief zu dem, was du dann gesehen hast. Es ist die USA, das ist Inszenierung – muss dort sein. Eine Frage, die mich noch umtreibt ist, können wir, die sich ja aktivistisch für Barrierefreiheit und Inklusion einsetzen, können wir im Urlaub davon abschalten?

Judyta:
Nein.

Jonas:
Heißt also, wie können es….oder generell auch Menschen mit Behinderung – müssen nicht unbedingt Aktivisten sein und ständig die Fahne hochhalten – aber es treibt uns immer um.

Judyta:
Ja, ich meine, du willst ja vorankommen. Also egal, ob es in der Arbeit, in deiner Arbeitszeit, auf dem Weg zur Arbeit oder halt auf dem Machupicchu – du bist halt damit beschäftigt.

Raúl:
Ich war ja vor kurzem mit ein paar Aktivist*innen im Urlaub und da sind wir zu der Erkenntnis gekommen: wenn Aktivist*innen Urlaub machen, dann sind Urlauber*innen Aktivist*innen, weil du permanent irgendwie feststellst: Oh Mann, jetzt Leute, ernsthaft? Ihr habt jetzt irgendwie den Strandaufgang nicht barrierefrei gemacht. Keines der Restaurants hier in der Gegend ist barrierefrei, aber ihr schreibt auf der Website „Urlaub für alle“. Und dann denkst du so: Leute, denkt doch das mal zu Ende. Und dann waren wir so wütend, dass wir dann die Kurverwaltung mit sieben Rollifahrer*innen besetzt haben und Gespräche mit dem Bürgermeister geführt haben. Und dann habe ich schon irgendwann gedacht, okay, um wirklich Urlaub zu machen, müsste man jetzt noch mal…also nach dem Urlaub Urlaub machen.

Jonas:
Aber vielleicht habt ihr auch einfach nur falsch gelesen „Urlaub an der Ostsee“ – und es war „Urlaub für Aale“.
Ich habe auch noch mal unsere Kollegin Adina Hermann gefragt, die einen Reiseblog hat, was denn so die Tipps sind, die man beachten sollte als Mensch mit Behinderung wenn man auf Reisen geht.

Adina:
Unsere eigene Erfahrung hat uns auf jeden Fall gelehrt, flexibel zu bleiben, sich nicht durch kleine Pannen irgendwie den Urlaub verderben zu lassen. Ganz oft gibt es spontan auch Lösungen. Menschen sind hilfsbereit, und Reisen ist halt auch ein kleines Abenteuer. Und da muss man sich ein bisschen darauf einlassen, damit man auch Spaß dran haben kann. Wahnsinnig wichtig finde ich nur, dass man vorab sich gut informiert, gut plant, damit man sich dann eben auf den Reisen auch so ein bisschen fallen lassen kann und alles genießen kann. Ich würde immer sagen, es ist besser, sich zu trauen, auch wenn es vielleicht teilweise ein kleines Wagnis ist, weil sich das Reisen einfach lohnt. In diesem Sinne: Gute Reise.

Jonas:
Diesen Wünschen möchten wir uns natürlich anschließen. Wenn ihr in den Urlaub fahrt, wenn ihr noch die Chance habt, in den Urlaub zu fahren, sei es auch hier in Deutschland. Also wie gesagt, Campingurlaub ist der heiße Scheiß, kann man aktuell sagen. Gut, wir sind da vielleicht hier auch ein bisschen anderer Meinung. Wenn ihr aktuelle Urlaubsziele habt, wo Judyta vielleicht statt Kanada noch spontan schnell hinfahren könnte, schreibt uns gerne an [email protected] oder [email protected]. Wenn ihr Hotels habt mit Meerblick, wo alle Wünsche von den Lippen abgelesen werden können und das Hotel ein Marmeladenbrot am Buffet hat, schreibt uns auch hier…

Raúl:
…gleich direkt an mich…

Jonas:
Also soll man sie direkt…willst du deine E-Mailadresse nennen? Können wir auch direkt…nein, wir leiten es weiter…
Die Tipps zu den Blogger*innen findet ihr in unseren Shownotes auf www.dieneuenorm.de und… Ja, wir wünschen euch einen schönen Urlaub und freuen uns, wenn ihr dann nach eurem Urlaub vielleicht auch wieder mit dabei. Gute Zeit bis dahin.

Judyta & Raúl & Jonas: Tschüß!

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