Mein Rollstuhl blinkt knallig wie eine Leuchtreklame.
Zumindest reagieren immer wieder Menschen, als ob es so wäre. Neben dieser Leuchtreklame sieht alles andere blass aus.
In den letzten Jahren habe ich eine Reihe von 53 Postern entwickelt, die sich für Respekt vor Menschen mit verschiedenen Lebenshintergründen einsetzen und für den Abbau von Vorurteilen. Ganz gezielt habe ich eben keine Reihe über behinderte Menschen fotografiert, sondern eine über Homophobie, Ableismus, Rassismus, enge Geschlechterrollen und ähnliche Strukturen gemeinsam. Weil ich selber mehreren gesellschaftlich benachteiligten Gruppen gleichzeitig angehöre: Ich bin lesbisch, Feministin und Rollstuhlfahrerin. Und weil ich finde, dass wir viel gemeinsam haben.
Die Vorurteile und Ausgrenzungsstrukturen gegenüber Menschen der verschiedenen Gruppen ähneln sich: „Schwul“ und „behindert“ sind beliebte Schimpfworte. Anscheinend sollen wir etwas Schlechtes oder Abstoßendes sein, sonst würden „Spasti “und „schwul“ nicht als Schimpfwort funktionieren. Frauen sollen schlank und jung sein, um als attraktiv angesehen zu werden. Ganz ähnlich werden die Körper behinderter Menschen häufig abgewertet, weil sie Normalitätsvorstellungen nicht entsprechen. Enge Körpernormen bringen vielen unterschiedlichen Menschen Leid. Von einem Kopftuch werden manchmal eine Reihe von Eigenschaften und Einstellungen der Trägerin abgeleitet. Ohne vorher mit ihr zu reden und zu erfahren, wie sie tatsächlich denkt. Mein Rollstuhl überstrahlt für einige Menschen meine anderen Eigenschaften.
Um genau diese gemeinsamen Strukturen geht es in meinen Ausstellungen.
Mittlerweile touren meine Poster analog oder digital durch die verschiedensten Städte. Bei einigen meiner Ausstellungen konnte ich nach der Eröffnung allerdings in der Presse lesen, dass es Ausstellungen über behinderte Menschen wären. Obwohl nur ca. ein Drittel der Bilder der jeweiligen Ausstellung behinderte Menschen zeigten und genauso viele von Rassismus oder von Queerness und Geschlechterrollen handelten. Meine Qualifikation, lesbisch zu sein und in dieser Hinsicht als Expertin in eigener Sache zu handeln, haben die entsprechenden Veranstalter*innen in den Presseinformationen weggelassen. Obwohl ich es in meiner Selbstbeschreibung immer ausdrücklich angegeben habe. Meine Behinderung hingegen wurde jedes Mal ausführlich besprochen.
Meine Ausstellungen sind automatisch Ausstellungen über behinderte Menschen, weil ich Rollstuhlfahrerin bin? Warum sind sie nicht queere Ausstellungen, weil ich lesbisch und feministisch bin? Oder antirassistische Ausstellungen, weil mir dies Thema besonders wichtig ist?
Ich will meine Behinderung nicht verstecken. Im Gegenteil. Ich will schöne, starke und stolze Bilder von behinderten Menschen in die ganze Welt schicken. In leuchtenden Farben. Aber ich bin mindestens genauso lesbisch, wie ich behindert bin. Das ist meine Form zu lieben, die mich in jeder Faser meines Körpers durchzieht. Feminismus, die Kritik an einengenden Geschlechterrollen, und der Wunsch nach fairen Chancen für alle sind die Grundlage meiner Überzeugungen und meines Engagements.
Glücklicherweise gibt es ein paar Orte, an denen ich so gesehen werde, wie ich bin und mich sehr wohl fühle. Aber gerade in lesbischen, feministischen oder queeren Kreisen werde ich meistens außen vor stehen gelassen. Ich werde offensichtlich als “nicht dazugehörig“ angesehen. Ich bin in erster Linie behindert, nicht lesbisch. Zum Fremdheitsgefühl kommen noch falsche Wertigkeitsvorstellungen über behinderte Menschen dazu. An wenigen Orten habe ich so viel Berührungsängste und Distanz mir gegenüber erlebt, wie genau an diesen Orten, die eigentlich meine „Homebase“ hätten sein sollen. Wie seltsam. Das altbekannte Problem der gesellschaftlichen (Un-)Sichtbarkeit von Lesben wiederholt sich hier auf perfide Weise.
Intersektionalität bedeutet für mich unter anderem, dass ich als Lesbe nicht nur in der allgemeinen Gesellschaft wenig sichtbar bin, auch innerhalb lesbischer Subkulturen wird mein Lesbisch-Sein unsichtbar, weil mein Rollstuhl alles andere überstrahlt. Neben der blinkenden Leuchtreklame „behindert“ nehmen viele Menschen meine anderen Eigenschaften nicht mehr richtig wahr.
Dabei blinkt mein Rollstuhl in Wirklichkeit gar nicht, sondern ist von Farbe und Design her ausgesprochen dezent. Ich selbst hingegen blinke manchmal wie eine knallige Leuchtreklame. Ich versuche damit, die Aufmerksamkeit auf mich mit all meinen verschiedenen Facetten zu lenken. Nicht nur auf meinen Rollstuhl.
Mal gucken, wie lange es noch dauert, bis alle Menschen auch meine anderen Eigenschaften problemlos wahrnehmen können.