Hochzeit mit Behinderung – Transkript

Lesezeit ca. 27 Minuten

Die Neue Norm: „Drei Journalist*innen, zwei Rollstühle und eine Sehbehinderung: Die Journalist*innen Judyta Smykowski, Jonas Karpa und Raul Krauthausen sprechen über Behinderung, Inklusion und Gesellschaft.

Folge 20: „Hochzeit und Behinderung“

Jonas:

Liebe Podcast-Gemeinde und ich frage dich, Judyta: möchtest du mit dem hier anwesenden Raúl Krauthausen eine neue Folge „Die neue Norm“ aufnehmen?

Judyta:

Ja, ja, ich will! 

Raúl: 

Das heißt – „Ich möchte!“

Jonas: 

Herzlich willkommen zu „Die neue Norm“, dem Podcast! Zunächst vielen Dank für die viele Rückmeldungen, die wir bekommen haben zu unserem letzten Podcast, zur Bundestagswahl, über unsere Social-Media-Kanäle und auch über unsere E-Maildressen  [email protected]“ und [email protected].

In dieser Folge geht es auch um die Wahlen, nämlich um die Wahl der Lebenspartner*innen. Es geht um Hochzeit, und wir sind dort mehr oder weniger Expert*innen in eigener Sache. Judyta wird bei Ausstrahlung des Podcast verheiratet sein. Ich bin es seit ungefähr…knapp zwei Jahren. Und bei Raúl…

 

Raúl: Aber bloß kein Druck, aber bloß kein Druck!

 

Jonas: 

Was nicht ist, kann ja noch werden. Aber wir haben uns gedacht, wir brauchen noch eine echte Expertin, die uns unterstützt. Es führte einfach gar kein Weg daran vorbei, bei unserer Kollegin Adina Herrmann mal nachzufragen, die nämlich seit sage und schreibe sieben Jahren verheiratet ist und nicht nur das. Sie hat sogar auch zum Thema „Heiraten im Rollstuhl“ einen eigenen Blog damals veröffentlicht: „Adina traut sich“. Und wir freuen uns sehr, dass du heute mit uns dabei bis und “Ja“ gesagt hast zu unserem Podcast übers Heiraten. Hallo!

 Adina: 

 Ich freue mich auch, dabei zu sein. 

 

Jonas: 

Warum war es für dich überhaupt wichtig, so einen Blog zu veröffentlichen? Also was war der innere Antrieb, darüber zu schreiben, über die Hochzeitsvorbereitungen und die ganze Planung, die dahintersteckt?

 

 Adina: 

Also zunächst einmal – ich liebe Recherche. Ich gehe total darin auf, irgendetwas zu recherchieren. Ist bei Reisen so, wir reisen ja auch total gern und beim Heiraten war das genauso. Ich habe also recherchiert und hab irgendwie in Deutschland generell gar nicht so viele Blogs zum Thema „heiraten“ gefunden und zum Thema „heiraten mit Behinderungen“ gar nicht. Und dann habe ich ein bisschen in Amerika geguckt, da gab’s ein paar Sachen, die fand ich auch ganz gut. Und dann habe ich gedacht – vielleicht sollte mal jemand einfach über so unsere Situation hier in Deutschland auch mal was schreiben. Und dann halte ich einfach mal ein Blog angefangen, und das war dann echt ein richtig gutes Ventil auch für mich, um so ein bisschen das alles loszuwerden, die ganze Aufregung, die ganzen Erfahrung zu teilen. Und ja, es hat mir dann Spaß gemacht.

 

Judyta:

Hattest du denn irgendwie schon mal erlebt, dass eine Freundin im Rollstuhl geheiratet hat oder ein Freund? 

 

Adina: 

Nein, überhaupt nicht. Also ich habe wirklich zu dem Zeitpunkt, das war ja vor sieben Jahren, von so ziemlich niemandem gewusst, den ich persönlich irgendwie kannte. Also ich hatte einfach niemanden in meinem näheren Umfeld, der irgendwie mit Behinderungen geheiratet hat. Und wie gesagt, ich habe auch im deutschsprachigen Raum nicht viel dazu gefunden und all die Fragen, die einen zusätzlich zu den normalen Fragen beschäftigt haben, habe ich mir dann irgendwie mehr oder weniger selbst beantwortet.

Judyta:

Ja krass. Aber trotzdem – was war denn vielleicht die größte Sache oder die, vor der du Angst hattest? Stichwort Konventionen. Tanz im Rollstuhl?

 

Adina:

Ja, genau. Also man hat natürlich irgendwie im Kopf, dass es ganz, ganz viele Erwartungen gibt, die sind ja meist ein bisschen von außen, was alles zu einer Hochzeit gehört oder nicht. Und ich dachte dann irgendwann an einem bestimmten Punkt. Ja, scheiß drauf. Ich möchte das eigentlich so machen, wie ich das will. Und tatsächlich habe ich auch einige traditionelle Sachen übernommen. Aber halt nur das, was mir gefallen hat. Und dann habe ich auch gedacht – die Leute, die ich einlade, die werden verstehen, dass der Tag uns gehört und dass wir das so machen, wie wir wollen. Und wer das doof findet, den hätte ich dann lieber nicht einladen sollen. Gottseidank, glaube ich, waren auch alle echt happy damit, dass wir das so gemacht haben.

 

Raúl: 

Was genau waren die größten Herausforderungen als Du dich mit deiner eigenen Hochzeit beschäftigt hast. Also was unterscheidet eine Hochzeit mit Behinderungen von einer Hochzeit ohne Behinderung?

 

Adina: 

Zunächst einmal ist natürlich ganz viel gleich – die ganze Aufregung, all das, was man vorher noch nie gemacht hat. Partyorganisation und so weiter. Und was dann aber dazukommt, was so ein bisschen der extra Workload ist, ist glaube ich, dass man immer ein paar Sachen mehr beachten muss bei der Planung. Also wie im Alltag der Menschmit Behinderung oft auch. Man muss halt gucken, dass die -Location barrierefrei ist oder zumindest barrierefrei in Blick auf die eigenen Bedürfnisse. Man muss aber auch vielleicht überlegen, wie man die eigenen Kräfte gut einteilt. Also für mich persönlich war das einfach eine Challenge, den Tag vollzupacken, mit schönen Erinnerungen, also schönen Momenten und trotzdem irgendwo kleine Pausen zu haben und trotzdem sich nicht komplett zu verausgaben, sodass man es halt noch genießen kann. Und dieses „Einteilen der eigenen Kräfte“ – das war für mich so ein bisschen eine kleine Herausforderung.

 

Jonas:

Aber so die grundlegenden Sachen, ob man jetzt einen Hochzeitstanz möchte oder eine Hochzeitstorte möchte und weiter…. Das sind ja alles Gedanken, die machen sich Menschen ohne Behinderung ja auch. Also diese Frage, wie traditionell möchte ich es?

 

Judyta:

Ich glaube, bei mir war das auch eine ganz, ganz große Sache mit dem Tanz. Also diese Erwartungen, die reinspielen von anderen Gästen: „So und so hat eine Hochzeit auszusehen, das und das ist der Ablauf“. Der Tanz ist natürlich da, und das bedeutet dann, es geht in den Party-Teil, und ich habe sonst auch noch nie im Rollstuhl getanzt. Ich weiß, es gibt Tanzkurse im Rollstuhl, aber das ist nichts für mich. Und deswegen habe ich da auch lange überlegt, wie man diesen Punkt irgendwie hinbekommt oder wie man ihn überspielt. Oder sollen es andere Leute machen? Wie hast du das gemacht, Adina? 

 

 Adina:

Ja, das ging mir genauso. Ich weiß, dass es ist, supergute Tanzpaare mit Rollstuhl gibt. Aber das ist genauso wie mit Sport letztendlich. Nur, weil ich weiß, dass es Leute gibt, die das können, muss es nicht heißen, dass ich das kann. Und dass ich das will. Und ich wollte auch nicht diesen typischen Hochzeitstanz. Gottseidank ist mein Mann auch ein Tanzmuffel.

 

Jonas: Grüße!

Adina:

Deshalb hat das tatsächlich dann einfach meine Schwester Marie mehr oder weniger den Tanz eröffnet, mit ihrem Freund und sie haben uns dann dazu geholt, das war nicht abgesprochen, aber es war lustig. Wir haben dann einfach nur so locker zu viert quasi im Kreis getanzt, und das war witzig, und es war überhaupt nicht steif. Und dann haben halt alle angefangen zu tanzen, und das war eine total schöne Lösung. Diesen klassischen Hochzeitstanz wie aus Hollywood, den hatten wir nicht, wollten wir nicht und haben wir auch nicht vermisst.

Jonas:

Es ist aber auch kein großer Unterschied, ob man sich jetzt schlechttanzend gegenseitig auf die Füße tritt, oder auf die Füße fährt. Ich glaube, es ist noch mal, wenn es eine Person ist, die im Rollstuhl sitzt und eine Person ist, die nicht im Rollstuhl sitzt, das ist, glaube ich, auch noch einmal ein ganz anderes Level. Was dort irgendwie zusammenpassen muss. Kann ich gut verstehen, wenn man da vielleicht sagt,okay, das ist jetzt irgendwie nicht das Präferierte, was man irgendwie auf der Hochzeit machen möchte.

 

Judyta:

Ich glaube, die nichtbehinderten Leute können einfach da diesen Tanz, der mittelgut ist, meistens abliefern. Und ja, sie lassen es vielleicht über sich ergehen. Und wir haben da vielleicht noch mehr Gedanken, wie das ankommen könnte. Vielleicht liegt es daran. Bevor ich hier gleich Jonas nach seiner Story frage, wollte ich auch noch mal eine Sache besprechen mit unserem Gast. Das Rollstuhlfahren an den Altar beziehungsweise du hast ja nicht kirchlich geheiratet. Aber du hast ja eine freie Trauung gehabt, oder? 

Adina:

Wir hatten eine standesamtliche Trauung, aber im Freien, also draußen. 

Judyta: 

Und da diesen Weg mit dem Vater oder auch nicht zum Bräutigam. Da ging es mir so als kleines Kind, dass ich mich da immer gehend vorgestellt habe. Und mittlerweile denke ich mir so – warum? Also ich kann auch einfach mit einem Rollstuhl fahren. Und dann ist es einfach die bequemere Variante fühle mich so. Hattest du das auch?

 

Adina:

Da habe ich tatsächlich auch lange darüber nachgedacht. Das war für mich auch so ein interner Struggle. Eigentlich dachte ich, ich laufe die letzten Meter mit Stützen, weil ich das ja sonst im Alltag auch manchmal tue. Dann wieder habe ich gedacht – oh Gott, das kostet mich vielleicht zu viel Kraft, wenn ich so aufgeregt bin. Und ich hatte Schuhe, mit denen ich nicht so gut laufen kann (lacht).

 

Raúl: 

Aber warum tut man sich das an, Dinge zu tragen, die total unpraktisch sind in der ganzen Zeremonie? 

 

Adina: 

Aber die Schuhe waren total schön! Und das ist der einzige Vorteil, oder einer der Vorteile, die man hat, wenn man im Rollstuhl sitzt, dass man auch Schuhe tragen kann, mit denen man nicht laufen muss. Und jetzt hatte ich also diese Schule, und ich wollte auch meine Kräfte ein bisschen sparen. Also bin ich nicht lange gelaufen. Aber ich wollte gern in diesen superschicken Sesseln sitzen, die die da hatten. Wir haben ja in so einem Herrenhaus gefeiert.

Jonas: 

Und die hatten das barrierefrei?

Adina: 

Sie haben es relativ barrierefrei gemacht, also, sie hatten eine Rollstuhltoilette. Sie hatten eine Stufe am Eingang, die wir mit einer Rampe überwinden konnten, und hinten im Garten gab es ein paar Hindernisse, aber insgesamt war es relativ barrierefrei.

 

Jonas 

Das ist immer das große Thema, das wenn man sagt: okay, man möchte jetzt nicht, vielleicht irgendwie im Bürgeramt nebenan heiraten. Also gerade die Paare, die sagen: Okay, wir heiraten nur standesamtlich und möchten es dann noch mal besonders schön, und nochmal ein besonderes Fest und eine besondere Location. Dann sind es ja meistens irgendwelche Schlösser, Burgen. Judyta, das ist…

Judyta: 

Das ist genau mein Thema. Nein, ich werde nicht in einer Burg heiraten. Natürlich aufgrund dieser blöden Barrierefreiheit.

 

Jonas:

Ja, und weil du nicht irgendwie das Burgfräulein…

Judyta: 

Ja, ich heirate auch nicht einen „von“. Deswegen nimmt er auch meinen Namen(lacht). 

 

Jonas: 

Aber ich kann die Sache gut nachvollziehen, mit dem Altar oder dem Standesbeamt*Innen Tisch, weil ich finde, diese Tradition, dass die die Braut von ihrem Vater nach vorne geführt wird und sozusagen dem Ehemann übergeben wird, finde ich seltsam. Und ich weiß nicht, wenn man vielleicht irgendwie als Braut im Rollstuhl vom Vater nach vorne geschoben wird. „Hier, da!“

Judyta: 

Es ist ja so, dass gehende Bräute sich einhaken bei ihrem Vater, das können Adina und ich nicht. Deswegen eigentlich ist es besser – ich habe das voll überlegt,- mit dem Rollstuhl hinzufahren, weil dann kann man mit seinem Papa an der Hand halten. Und das übergeben, das ist auch völliger Bullshit, das wird mein Vater nicht machen. Er wird einfach meine Hand loslassen. Und dann gehe ich noch einen Schritt oder rolle noch ein Stückchen. Und dann gehe ich zu meinem Verlobten. Also da wird nichts übergeben.

Adina: 

Ich finde das sowieso total strange, ich meine, wir sind doch nicht mehr im Mittelalter. Du hast dich doch selbst für diesen Partner entschieden und nicht dein Papa den für dich ausgesucht.

 

Jonas: 

Nicht mehr im Mittelalter sein, aber in einer Burg heiraten wollen. Also…

 

Adina 

Ja, aber das ist Rosinen picken, das ist okay.

 

Raúl: 

Aber Jonas mich würde interessieren was hast du denn, oder was habt ihr denn an eurer Hochzeit angepasst, wo ja keine Rollstuhlfahrer wahrscheinlich anwesend waren, sondern Menschen mit einer Sehbehinderung?

 

Jonas: 

Wir hatten es bis jetzt bislang auch nur standesamtlich und hatten jetzt gar nicht so große Anpassungssachen. Bei mir war es nur so, dass ich auch schon vor meiner Hochzeit schon mal Trauzeuge bei einem Freund war. Und die größte Sorge oder das, was mich am meisten beschäftigt hat, war einfach die die Sache mit der Unterschrift. Du kriegst dann irgendwie so ein Dokument vorgelegt, wo Du dann unterschreiben musst, als Trauzeuge, als Bräutigam und solche Dokumente findest Du auch jetzt nicht in der Recherche, irgendwie vorher im Internet. 

 

Judyta 

Das gibt’s nicht als barrierefreies PDF?

 

Jonas 

Nee, irgendwie nicht und meine größte Sorge war dann wirklich, dass es dann irgendwie, das ich nicht weiß, sind da quasi Zeilen abgedruckt? Gibt es da gewisse Felder, wo man unterschreiben muss? Wo muss man unterschreiben, wie muss man unterschreiben? Also muss man seinen Namen leserlich schreiben oder einfach so Krickelkrackel, wie wenn man ein Paket annimmt? 

 Judyta: 

 Drei Kreuze machen…

Jonas: 

Ja, irgendwie so und das waren so Fragen und meine größte Sorge war, dass ich irgendwie in der Zeile verrutsche und dann irgendwie der Trauzeuge auf meiner eigenen Hochzeit bin und sich dann irgendwann, irgendwann später, nach 30 Jahren. Wenn ich in einem Cottage in England lebe, dass sich das auflöst und dann…

Judyta:

Kommt der Trauzeuge…

Jonas :

Genau, wird das dann irgendwie „wir waren gar nicht verheiratet! Ach was?!“ Und dann ja irgendwie. Es klingt etwas nach Rosamunde Pilcher. Aber – nein. Das war so quasi mein größter Gedanke. Und es war so, dass man natürlich gewisse Sachen auch an ansprechen muss oder absprechen muss und organisieren muss. Als ich Trauzeuge war, war die Standesbeamtin gebrieft, dass ich eine Sehbehinderung habe. Aber es war gar nicht so nötig, weil es irgendwie nur so ein Blatt Papier war, wo alle untereinander unterschrieben haben. Und ich war die letzte Person da auch in der Reihe. Und bei meiner eigenen Hochzeit war es auch gar nicht so… In dem Moment hat es irgendwie auch funktioniert, und es war da irgendwie gar nicht das großartige Thema. In dem Moment hat man so viele… es gehen einem so viele Sachen durch. Man ist so aufgeregt, dass man auch irgendwie dann gar nicht sich so gut jetzt in der Retrospektive daran erinnern kann und das einfach ja funktioniert hat.

 

Raúl: 

Ich finde, ja fast bei Hochzeiten und wo ich dann meistens nur Gast oder Trauzeuge war, die Reden von Hochzeitsbeamtinnen unfassbar. Ich höre da so krasse Horrorgeschichten, obwohl sie gebrieft waren, dass sie also komplett in die Klischeekiste gegriffen haben, was heiraten mit Behinderungen angeht und so weiter, habt ihr so etwas auch erlebt?

 

Jonas: 

Also ich jetzt gar nicht. Unser Standesbeamte war nicht eingeweiht in dem Sinne. Es ist dann auch immer so die Frage: wie positiv odernegativ ist es, wenn man eine unsichtbare Behinderung hat. Und das war überhaupt gar kein Thema und war dann dementsprechend auch in den Worten, die er gewählt hat, auch kein Thema. Wie war es bei Dir?

 

Adina: 

Also, ich muss sagen, ich fand unsere Standesbeamtin sehr, sehr aufmerksam und sehr nett. Sie hat sich eine Stunde Zeit für uns genommen und hat echt verstanden, wie unsere Beziehung entstanden ist und wie wir zueinanderstehen, wie wir unser Leben zusammen gestalten. 

Judyta: 

Also es gab ein Vorgespräch? 

Adina: 

Ja genau. Sie hat eine Stunde lang mit uns Vorgespräch geführt. Also das ist so ein bisschen auf einem Dorf, das Standesamt, die haben Zeit. (alle lachen) Ich glaube, in Berlin funktioniert das so nicht. Aber die war mega nett und es kann sein, dass sie irgendwann mal gesagt hat – so, ihr rollt zusammen durchs Leben. Ist möglich. Ich weiß es nicht mehr genau, aber insgesamt hat sie es sehr cool gemacht. Und ich glaube, wenn man sich die Fotos anguckt und sieht, wie viele Gäste auch geweint haben, dann hat sie es gut gemacht.

Judyta

Die haben doch wegen Euch geweint! 

Jonas: 

Da wurden so die Zwiebeltöpfe verteilt im Raum…

 

Judyta:

Ja, also, ich habe jetzt meinen Standesbeamten nicht gebrieft. Mal gucken, was kommt, ich weiß es nicht.

Jonas

 Können wir vielleicht in der nächsten Podcast-Folge erzählen…

Judyta 

Wir sollen dann noch mal eine Nachbesprechung machen, ein Ranking der Standesbeamt*innen.

 

Raúl:

Ein anderes großes Thema ist das Kleid oder der Anzug… war es für Euch ein großes Thema, Judyta und Adina? 

Adina: 

Also für mich war das Kleid schon ein großes Thema. Ich habe da lange vorher überlegt. Das war auch so ein Punkt, wo glaube ich ja fast jede Braut lang überlegt, also welches Kleid passt zu mir? Wie will ich an dem Tag aussehen, dass es auch irgendwie noch möglichst bequem oder praktisch ist? Es gibt ja so Kleider, da brauchst du irgendwie gefühlte zwei Stunden, um auf Toilette zu gehen. Das wäre dann vielleicht nicht so cool. Gerade als Rollstuhlfahrerin.

 

Jonas 

Gibt es nicht so Kleider, wie bei einer Jalousie, wo man so hochschieben kann? 

 

Adina:

Das das wäre total cool, wenn es so was gäbe. Ich weiß es nicht, aber ich war mal bei einer Hochzeit, da hatte die Braut sehr große, schwere Reifröcke, und sie brauchte halt mindestens zwei Helferinnen, um auf Toilette zu gehen, die ihr die Reifröcke hoch halten. Das ist schon hart.

 

Jonas: 

Es hat jetzt nichts mit der Hochzeit zu tun, es erinnert mich daran, wenn bei uns in der Kirche Erstkommunion stattgefunden hat und dann Eltern den Mädchen so tolle weiße Kleider ausgesucht haben, auch mit Reifrock und so weiter. Und die dann totale Probleme immer hatten, in die Kirchenbänke reinzukommen. Und das war immer ein wunderschönes Schauspiel, was dort stattgefunden hat.

Raúl: 

Muss man Kleider anpassen? 

 

Adina: 

Ja, also erstmal noch mal kurz zum Thema ein Kleid. Die erste Challenge finde ich, ist, wenn man sitzt. Es ist ja der Rock aus einem Stoff, der irgendwie auch fließt oder so gut liegt. Es gibt ja sonst auch Kleider, die sind unten sehr, sehr steif und stehen irgendwie komisch ab. Das ist ja auch nicht so schön. Dann willst du vielleicht auch was, was nicht im Sitzen ungünstig fällt. Also, es gibt ja auch Stoffe, die haben so eingebügelte Falten zum Beispiel, die liegen dann im Sitzen irgendwie komisch. Und dann finde ich es auch noch eine persönliche Sache, natürlich, wie das Oberteil geschnitten ist. Sollte ja im Sitzen auch irgendwie bequem sein, also zum Beispiel jetzt an der Taille nicht zu sehr drücken oder so. Es gibt ja Kleider, die sind im Stehen einfach bequemer. Das funktioniert dann halt nicht. Und tatsächlich ich finde was ein bisschen unfair ist, dass viele Rollstuhlfahrerinnen nicht so gut Kleider mit Rückenausschnitt tragen können. Beziehungsweise können sie natürlich schon, aber man sieht es dann nicht so gut. Das ist auch vielleicht so eine Sache, wo man dann ein bisschen eingeschränkt ist.

 

Jonas 

Aber das Brautkleid aussuchen. Also das ist ja inzwischen ein Riesen-Happening. Es gibt ja mehrere TV-Sendungen zu diesem Thema… 

Judyta 

Die ich auch regelmäßig gucke…

 

Adina 

Aber das kommt auch total aus Amerika. Das das so richtig aufgebläht wird, nochmals zu einer eigenen Veranstaltung, das Hochzeitskleid aussuchen. 

 

Jonas 

Natürlich! Plus Babyparty, Genderparty und so weiter. Aber dieses Event an sich, dass Du dann quasi in den Laden kommst und mit allem Möglichen empfangen wirst. Wie ist das, wenn man als Frau im Rollstuhl ins – das sind sehr exklusive Geschäfte – reinkommt und wie reagieren die Verkäufer*innen? Sind die darauf eingestellt, weil ich kenne es immer nur so auch von Erzählungen her, dass du hast dann so eine Art Podest wurde ich dann halt draufstellen muss, um zu gucken, wie das Kleid fällt. Im Stehen…

Judyta: 

Also da sagst du was. Das war ein totaler Horror für mich. Wenn du schon die Schaufensterpuppen siehst, du weißt, du kannst diese Kleider nicht tragen, die sind alle viel zu lang. Sie sind für Maße, die du vielleicht nicht hast, aufgrund der Behinderung oder aufgrund von Gewicht. Bei mir war es so eine totale Horrorvorstellung, da wirklich reinzugehen und auch mit dem Rollstuhl reinzukommen. Und dann würde vielleicht irgendjemand sagen, wie so im Museum „Ja, aber da machen Sie ja jetzt hier was dreckig. Also bitte hier nicht lang fahren“! Das war alles in meinem Kopf. Zum Glück war es da nicht so. Ich habe mir ein Berliner Label dann ausgesucht, was auch die Kleider als Schablone sozusagen im Laden hat. Und es wird dir aber auf den Leib geschneidert so zu sagen. Das heißt – man kann sich dann ein Modell aussuchen und weiß ungefähr, wie es aussehen wird. Aber es wird dann noch mal maßangefertigt, und das war eine totale Erleichterung. Und ja, liebe Grüße an meine Trauzeugin Lisa an dieser Stelle, die das auch sehr, sehr cool mit mir gemacht hat.

 

Adina:

Das klingt total gut. Ich wünschte, das wäre bei mir auch so gewesen! Bei mir war es eigentlich andersrum. Ich hatte vorher keine Horrorvorstellung. Ich war total neutral. Ich hatte echt keine Ahnung. Ich habe mich auch nicht in Bezug auf das Hochzeitskleid kaufen, habe ich mich nicht gut vorbereitet. Ich bin einfach mit meiner Mama los. Und so standen wir dann plötzlich in so einem riesigen Brautmodengeschäft mitten in Berlin. Und wurden richtig komisch angekommen. Also, die wollten mich da nicht haben. Sie haben mich das auch spüren lassen. Und die Kleider, die waren alle hinter so einer rot-goldenen Kordel. Und dann hieß es – nee, da kann es jetzt nicht rein, und da war niemand. Es war komplett leer. Nein, das ist nur mit einer Reservierung. Klar, es ist mein eigener Fehler, dass ich nicht angemeldet war. Aber es war schon ein bisschen komisch, dass ich da nicht reindurfte. 

Judyta: 

Du willst ja auch viel Geld dalassen. 

Adina: 

Genau, das ist ja ein riesiger Posten bei den Ausgaben für viele Leute. Und dass man dann so behandelt wird, das ist echt hart. 

Jonas: 

Also auch wieder so ein Moment, wo man als Mensch mit Behinderung nicht als Kund*innen wahrgenommen wird.

Adina:

Ja, ich habe mich gefühlt wie ein richtiger Störenfried. Aber ich habe da auch nicht gekauft. Ich bin auch wieder raus, das war mir echt zu unangenehm. Und es hat keinen Spaß gemacht. Es hat mir tatsächlich für den Moment erst mal den Spaß komplett genommen.

Raúl: 

Und wo warst du dann? 

Adina 

Fazit ist – ich habe am Ende tatsächlich laut Label oder laut Modellbezeichnung kein Brautkleid gekauft, sondern ein weißes Partykleid. Es war de facto eigentlich kein Brautkleid, und dann komme ich zu einem Thema, das mich total beschäftigt hat zu der Zeit. Warum muss man jeden Scheiß kaufen, nur weil da irgendwas mit „Braut“ draufsteht? Es gibt ja auch Brautschuhe, aber wieso kann ich nicht einfach andere weiße oder andersfarbige Schuhe kaufen? Es ist ja völlig egal. Also so, warum brauche ich Brautschuhe? Warum brauche ich eine Brautstrumpfhose, und was es alles Verrücktes gibt?

 

Jonas: 

Warum brauche ich einen Brautstrauß, ich kann ja einen normalen Strauß kaufen? 

Adina: 

Das ist total witzig. Und ich habe halt einfach nur ein weißes Kleid gehabt. Und niemand hat gesagt – „Ach, du hast doch kein Brautkleid an!“

Jonas: 

Ein weißes Partykleid. Aber damit kannst du nicht auf eine andere Hochzeit gehen. Was es da für einen Aufschrei gibt, wenn du auf einer Hochzeit auch noch weiß trägst oder etwas anderes…

Raúl: 

Ich wette, dass keiner der Partygäste das erkannt hat!

Adina: 

Ich glaube auch nicht. Also ich wurde auch ein paar Mal gefragt, wo ich das herhabe. Ich war total happy, und das war viel günstiger als normales Brautkleid

Judyta 

Das ist natürlich sehr gut. Also noch einen letzten Satz zum Brautkleid. Ich habe mir natürlich auch eins ausgesucht, ohne Reifrock natürlich, aber schon eins mit viel Tüll – für die Herren in der Runde:  das ist so ein Stoff…

Jonas:

Wie ist es generell, denn Adina, du hast ja eben gesagt auch, dass das Kleid gut im Sitzen aussieht. Inwieweit muss das Kleid auch passen und eins werden mit dem Rollstuhl? Gibt es Brautrollstühle? Oder kann man seinen Rollstuhl zu einem Braut- Rollstuhl umwandeln? 

Adina:

Ich bin ja mit Judyta hier total Tüllschwester, ich liebe Tüll auch, aber ich würde nicht mein Rollstuhl in Tüll hüllen wollen. Also generell mit dem Thema Rollstuhl schmücken, bin ich ein bisschen hin und hergerissen gewesen am Anfang. Ich habe schon überlegt so: ja, vielleicht paar Blümchen oder eine Schleife oder so kleine Deko. Und dann dachte ich: Nein, es fühlt sich irgendwie falsch an. Er heiratet doch mich und nicht den Rollstuhl. Was soll das?

Jonas 

Ein paar Dosen noch hinten dranhängen?

Adina:

Genau. Ich habe mich einfach entschieden, den Rollstuhl so zu lassen, wie er ist, und mich zu schmücken, so wie ich halt Bock draufhatte. Den Rollstuhl zu verstecken, würde für mich sowieso nicht in Frage kommen. Also ich fände es auch irgendwie lustig. Vor wem sollte ich ihn verstecken? Alle die eingeladen waren, wissen, dass ich im Rollstuhl … Aber es gibt tatsächlich – habe das damals im Internet gefunden. Es gibt tatsächlich Leute, die kaufen sich sogenannte wheelchair cover, was dann irgendwie aussieht, als würde man so ein riesiger Sahnehaufen sein, so ein Baiser, weil das so halb über den Rollstuhl hängt. Und halt alles in Weiß…

Judyta: 

Aber wie geht das? Das wird doch dreckig. Das landet in den Rädern also hä? 

Jonas: 

Man heiratet ja auch nicht in einer Burg…

Adina: 

Deshalb war es auch total praktisch, dass mein Kleid etwas kürzer war. Also ich glaube, so ein richtig langes Kleid wäre richtig schwierig gewesen. 

Judyta: 

Ja, da kommen wir wieder zum Tüll zurück. Meins wird einen Tüllrock haben, und ich habe es nicht probegesessen im Rollstuhl. Das war, glaube ich, ein Fehler. Muss ich an dieser Stelle zugeben.

 

Jonas:

Auch das kannst du uns in der nächsten Folge noch mal eben kurz erzählen. 

 

Adina: 

Ich empfehle kleine Klammern, dann kannst du hinten noch irgendetwas ein bisschen zusammenstecken. 

Judyta: 

Oh, das ist gut.

 

Raúl: 

Gibt es Dienstleister*innen, die sich spezialisiert haben auf barrierefreie Hochzeiten also barrierefreie Locations etc.? 

 

Adina: 

Also ich glaube, es gibt auf jeden Fall Locations, die auch barrierefrei sind, weil die auch andere Feiern vielleicht ausrichten und da auch so ein bisschen vielleicht einen Fokus haben. So Allround-Dienstleister, die Fokus auf Rollstuhl haben, kenne ich jetzt in Deutschland nicht. Hab ich noch nicht gehört.

 

Judyta 

Ich habe es jetzt bei der Zimmersuche so ein bisschen erlebt, dass man gesagt hat, die Pensionen oder die Location ist barrierefrei, weil man, glaube ich, auch so an Großeltern denkt so oder vielleicht an die Eltern mit Kinderwägen, das ist, glaube ich, etwas, wo wir einfach die Barrierefreiheit dann so mitnehmen, als Rollstuhlfahrerinnen.

 

Jonas: 

 Sucht ihr euch ein Hochzeitszimmer? 

 

Judyta: 

Jonas, was sind das hier für Fragen? 

Adina: 

Es ist übrigens lustig. Obwohl unsere Location ja halbwegs gut rollstuhlgerecht war. Und ich habe sie wirklich geliebt, ich finde sie toll. Aber wir konnten nicht in der Hochzeitssuite schlafen, weil die eben oben ist, in diesem Herrenhaus, und wir haben das dann tatsächlich meiner Mutter und ihrem Lebensgefährten überlassen. Die Schwiegermama hat die Hochzeitsuite bekommen, und wir haben in einem Häuschen auf dem Grundstück geschlafen.

 

Raúl: 

Ich muss sagen als Gast war das natürlich unglaublich praktisch, wenn jemand vom Brautpaar im Rollstuhl sitzt, weil dann die ganze Location automatisch auch für mich zugänglich war. Und sie hatten ja noch andere Partygäste, die mobilitätseingeschränkt waren. Und ihre Hochzeit fühlte sich überhaupt nicht so an wie eine Hochzeit von Menschen mit Behinderung, sondern einfach eine wunderschöne Hochzeit in einem wunderschönen Haus beziehungsweise Herrenhaus. Und es war ein wunderschönes Wetter, und es war wunderschön dekoriert, weil man muss dazu wissen, dass Adina bei uns, bei den „Sozialhelden“ Grafikerin ist und sie offensichtlich jedes einzelne Schild selbst designt hat. Es war unfassbar. So etwas habe ich noch nicht gesehen, so eine Detailverliebtheit, da habe ich ganz großen Respekt vor! Ich glaube, es war die schönste Hochzeit, auf der ich je in meinem Leben war! 

Adina: 

Danke! 

Jonas: 

Also das heißt du kannst dir von Adinas Hochzeit eine Scheibe von abschneiden oder Sachen übernehmen für Deine eigene Hochzeit?

 

Raúl: 

Ja! Wobei ich bin mit heiraten.. das sind alles so bürgerliche Kategorien. Ich weiß nicht, ob heiraten für mich jetzt das Ziel in meinem Leben ist. 

Jonas: 

Nur weil du in Berlin-Kreuzberg lebst. 

Raúl:

Nee, aber wenn man damit verbindet „die Liebe fürs Leben“, dafür brauche ich nicht heiraten. Und ich glaube, ich würde es nicht ausschließen. Aber es ist jetzt nicht mein oberstes Ziel. Es gibt noch eine Dimension, die wir, glaube ich, zumindest Thema heiraten, mit Behinderung bedenken sollen – dass es oft auch für nichtbehinderten Teilnehmer der Ehe manchmal auch Herausforderungen geben kann, die bürokratischer oder gesetzlicher Natur sind. Zwei Menschen heiraten und davon einer Behinderung und ist auf Assistenz angewiesen, so wie ich es wäre. Dann kann es sein, dass meine Partnerin oder mein Partner mit dem Einkommen und mit dem Vermögen für die Assistenz mit aufkommen muss. Und zwar dann vor allem, wenn der behinderte Teil der Partnerschaft arbeitslos ist. 

Jonas: 

Was ja nicht gerade selten ist.

Raúl:

Genau. Wenn der behinderte Teil der Partnerschaft aber arbeitet, also Steuern zahlt und Sozialabgaben, dann ist der oder die Ehepartnerin davon befreit. Und das ist eine gewisse Ungerechtigkeit, die hier existiert, weil das wäre quasi bei Menschen, die keine Behinderung haben, nicht so ohne Weiteres. Natürlich würde dann auch, wenn einer von beiden auf Grundsicherung angewiesen ist, er oder sie darauf angewiesen sein. Aber man könnte das irgendwie regeln. Und nur wenn man eine Behinderung hat, ist es sofort ersichtlich, dass die Personen Sozialhilfe bekommt beziehungsweise Unterstützung vom Staat und dann der Partner/ die Partnerin sofort mit herangezogen wird. Das heißt, man wird so ein bisschen unattraktiv für die nichtbehinderten Ehepartner, wenn es ums Heiraten geht. Und das ist eigentlich ein Diskriminierungsverbot von Menschen mit Behinderungen beziehungsweise Paaren. Ist kompliziert. Aber das sollte man auf jeden Fall mitbedenken und auch mitwissen. Es geht dann auch weiterhin in Bezug auf Erbe – wer darf was erben? Da sollte man sich irgendwann juristischen Beistand holen.

 

Adina:

Ja, das ist echt ein wichtiges Thema. Das hat tatsächlich auch im Vorfeld unserer Hochzeit so einen kleinen Schatten geworfen, weil irgendwann in den Vorbereitungen, also alles war voller Euphorie und so hey, Party, Planungen. Und dann kam der Moment, wo meine Mama sagte – Ja, sagt mal, habt ihr eigentlich mal darüber nachgedacht, wie das ist finanziell dann, wenn du jetzt zum Beispiel irgendwann doch Assistenz bräuchtest? Und ich so – uff! Das war wirklich so, dass man kurz überlegt hat…

Jonas: 

Ein schöner Downer, nicht? 

Adina:

Ja, genau, was würde das dann für uns bedeuten? Und das war ja gut, dass wir darüber nachdenken mussten. Aber das ist wirklich so ätzend irgendwie, dass man sich mit solchen Zukunftssorgen plagen muss, das halt andere Menschen nicht müssen. Und auch dieser Gedanke – muss ich jetzt vielleicht auf die Hochzeit verzichten, weil es sein könnte, dass ich irgendwann Assistenz bräuchte. Also wäre ja komisch, ne. Aber ja, das hat uns auf jeden Fall beschäftigt.

 

Jonas:

Ich kann mich an die Aussage von Raúl erinnern. Es gab ein Interview, was du damals gegeben hats, im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes. Das war ein Interview mit Tilo Jung von „Jung und naiv“, wo du noch einmal ihm das auch erklärt hast, dass du gesagt hast, dass die Menschen mit Behinderungen sind einfach eine extrem schlechte Partie zum Heiraten. Und dass das einfach nicht sein kann, dass man dort ja so diskriminiert wird, wenn es eigentlich um diesen Akt geht. Zu sagen okay, man möchte bis ans Lebensende irgendwie miteinander das Leben bestreiten und es dann hier aufgrund dieser finanziellen Abhängigkeit auf einmal dann die Situation gibt, dass man davon irgendwie einen Rückzieher macht. Und dass das sehr bedrückend ist. Beziehungsweise dass man dann vielleicht sogar von der Entscheidung absieht.

 

Judyta: 

Aber Raúl, ich frage mich gerade, ist es nicht bei nichtbehinderten Eheleuten auch so, dass man die Schulden übernimmt oder wenn jemand arbeitslos wird, dann ist man in dieser Gemeinschaft. Ich weiß nicht den Begriff, dass man auf jeden Fall finanziell auch füreinander einstehen muss.

 

Raúl: 

Ja, das ist ein Punkt, da hast du Recht. Allerdings ist es schon so, dass Menschen mit Behinderung überproportional arbeitslos sind – im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung. Und dann ist es auch so, dass im Idealfall Arbeitslosigkeit ein temporärer Zustand sein sollte. Also etwas, was man vielleicht ändern kann, genauso wie Schulden man auch ändern kann. Aber eine Behinderung kann man, wenn man auf Assistenz angewiesen ist, wahrscheinlich eher nicht mehr ändern. Das heißt, diese Person bleibt dauerhaft in dieser Abhängigkeit. Und das ist die Ungerechtigkeit, die darin steckt. 

 

Jonas: 

Das, was ich noch einmal spannend finde, ist das, wenn man heiratet und auch die Familie, die Verwandtschaft sich dadurch vergrößert, man ja auch noch mal Leute genauer kennenlernt. Heißt also, wenn man als Person mit Behinderung in eine Familie einheiratet, in Anführungsstrichen, wo es noch nie eine Person mit Behinderungen gab, und man dann eigentlich auch mal Vorbehalte spürt. Und dann wird gefeiert. Es wird Alkohol getrunken, Sprüche gemacht, und auf einmal merkt man vielleicht – oh! Meine potenziellen Familienmitglieder sind irgendwie ein bisschen ableistisch. 

 

Judyta: 

Und zwar durch die Frage unter anderem: „ist das dein erster Freund ohne Behinderung“? 

Jonas: 

Zum Beispiel. Wurde Dir das gestellt?

Judyta:

Ja, also da kamen ein paar Fragen. Oder es kamen auch bestimmt ein paar Gedanken warum haben wir uns uns ausgewählt? Das kann man sich ja auch bei nichtbehinderten Menschen fragen. Warum hängt er jetzt mit der ab – die passen doch auch gar nicht zusammen? Aber bei uns ist es dann natürlich eher auf Behinderung bezogen. Solche Blicke, solche Fragen, solche Reaktionen gab es auch im Freundeskreis. Aber da muss man drüberstehen. Oder, Adina? 

 

Adina: 

Ich muss sagen, dass ich selbst glücklicherweise sowas nicht erlebt habe, im Zusammenhang mit der Hochzeit. Also Timos Familie hat mich sehr nett aufgenommen. Im Gegenteil, die haben sich alle gefreut, dass es dann auch ernst zwischen uns wurde. Timos Papa sagt auch ganz oft zu mir, dass er findet, dass ich Timo sehr guttue, was irgendwie schön ist (lacht).

 

Jonas: 

In welcher Hinsicht?

 

Adina: 

Das musst du ihn fragen. Nee, das fühlte sich für mich alles gut und richtig an.

 

Jonas: 

Aber nach der Hochzeit kommt natürlich dann meistens die nächste Frage: „Und was ist jetzt mit Kindern?“

 

Judyta: 

Ja, Jonas! Zwei Jahre? 

 Jonas: 

Es stimmt genau. Danke, dass Du mich daran erinnerst! Aber es ist dann vielleicht auch gerade beim Thema Behinderung, so, dass ja dann vielleicht auch irgendwie mitschwingt: „Ok, kann die Frau mit Behinderung Kinder kriegen? Kann der Mann Kinder zeugen?“ Das schwingt ja auch irgendwie so manchmal mit. Habt ihr da so Erfahrung oder so ein Gefühl, dass es dann vielleicht so eine potenzielle Enttäuschung in der Verwandtschaft, in der Familie sein könnte? So ähnlich wie man ja auch lange Zeit das hatte, wenn ein Mann sich als homosexuell geoutet hat, das dann vielleicht die eigene Mutter irgendwie sagt – „Ach, ich wollte doch so gern Enkelkinder!“. Also, dass das so irgendwie ein Thema ist? 

 

Raúl:

Also für mich wäre das wirklich Stresspunkt. Vielleicht ist es jetzt auch so unbewusst der Grund, warum ich noch nicht geheiratet habe, aber unbewusst, weil ich genau wüsste, dass das die Fragen danach wären. Die Fragen, die ich mir selber stellen würde, meine Partner*in stellen würde oder Freunde oder Bekannte oder Familie stellen würden. Und ich da irgendwie noch keine Antwort darauf habe, ob ich Kinder will, ob ich das überhaupt könnte, nicht nur durch meine Behinderung bedingt, sondern auch so vom Mindset. Die Frage werde ich mir wahrscheinlich vorher stellen müssen, beantworten müssen, um zu einer Erkenntnis zu kommen. Ob ich heiraten will oder nicht.

 

Adina: 

Aber findet ihr, dass heutzutage heiraten und Kinder kriegen, so eng verwoben ist? Wir haben auch viele Freunde, die Kinder haben und nicht verheiratet sind. Ist es für euch ein „must have“?

 

Raúl: 

Nein, eigentlich nicht, aber hängt trotzdem immer noch zusammen.

 

Jonas: 

Es ist nicht unbedingt irgendwie miteinander verbunden. Aber ich glaube, dass wenn man beides vom eigenen Grundsetting her irgendwie möchte, dass es irgendwie schon trotzdem häufiger so ist, dass man diese Reihenfolge also quasi: „heiraten – Kinder kriegen“, dass man das eher so im Kopf noch drin hat, dass man diese Reihenfolge einhält. Aber inzwischen – nein, das ist nicht mehr so, dass das jetzt so die die Konvention ist, dass man genau das machen muss. Oder dass das als festgelegte Regel irgendwie ist. 

Adina: 

Ja, das ist so der traditionelle Ablauf noch: heiraten und dann Kinder kriegen.

 

Jonas: 

Aber generell. Und das finde ich auch, als wie jetzt, – wir haben schon darüber gesprochen über: wie traditionell möchte man eigentlich so die eigene Hochzeit machen?, – es mir in der Vorbereitung auch immer aufgefallen ist – okay, man möchte es wahnsinnig unkonventionell machen und wahnsinnig eigenständige Ideen reinbringen und informiert sich im Internet darüber. Und sobald man sich im Internet darüber informiert, sind es ja meistens schon Sachen, die irgendwie mal Trends, waren oder Trends sind und tausend andere Leute machen. Und im Endeffekt ist es so, dass, wenn man dann auch auf Hochzeiten eingeladen ist, wo es dann darum geht: „Wir sind total kreativ. Wir haben eine Candy-Bar“, ja, schön, es haben alle inzwischen. Es ist dann wieder der Trend zu sagen – Nein, wir machen es nicht. Und ja, dass man einfach irgendwie auch gucken muss, dass man sich einfach selbst wohlfühlt, auf seiner eigenen Feier. 

 

Adina: 

Ja, das finde ich auch total wichtig. Ich glaube, dass ich meine Hochzeit wieder ganz anders planen würde, als ich sie vor sieben Jahren geplant habe. Einfach weil man sich ja weiterentwickelt und jedes Mal wieder irgendwie neue Ideen aufschnappt oder neue Vorstellungen hat, wie das irgendwie cool wäre. Und ich finde, die besten Hochzeiten sind halt immer, die, die wirklich individuell sind und nicht so von der Stange. Also, wo man wirklich einfach sich selbst treu bleibt und irgendwie das macht, worauf man Bock hat oder was man gernhat. Und natürlich auch, womit man sich wohlfühlt. Also für mich war zum Beispiel ein wichtiger Aspekt auch, dass ich nicht wollte, dass man irgendwie lange Fahrtwege hat oder dass es verschiedene Locations gibt, zu denen man hin und herfahren muss, einfach weil ich in dem Moment dachte das wird mir vielleicht zu stressig. Und deshalb haben wir das halt alles an einem Ort gemacht. Das war für mich ein Punkt, der mir einfach so ein bisschen Ruhe und Sicherheit gegeben hat. 

 

Jonas:

Sogar an einem Ort geschlafen, wenn es auch nicht die Hochzeitsuite war.

Adina: 

Genau, mit Blick aufs Schloss, war auch schön! 

Jonas: 

mit Blick auf die Hochzeitsuite! 

Adina: 

Und nicht Wand an Wand mit den eigenen Eltern – ist vielleicht auch ganz gut! 

 

Jonas: 

Wie waren eure Hochzeiten oder eure Hochzeitserlebnisse? Vielleicht habt ihr auch schonmal mehrfach geheiratet? Oder wie Adina gesagt hat – nein, inzwischen. möchte ich es irgendwie ganz anders! Schreibt uns das gerne auf unseren Social-Media-Kanälen. Oder schreibt uns eine Mail an [email protected] oder [email protected]. Wir freuen uns auf jeden Fall sehr, dass du heute dabei warst, Adina und uns mit deiner Expertise weitergeholfen hast, wie es gut ist, mit Behinderungen zu heiraten, im Rollstuhl zu heiraten. Wenn ihr Interesse habt an dem Blog von Adina beziehungsweise noch weitere Informationen haben möchtet zum Thema Heiraten mit Behinderung. Dann schaut gerne in unseren Shownotes vorbei auf www.dieneuenorm.de Da haben wir einiges für euch bereitgestellt. Schön, dass ihr heute ja zu diesem Podcast gesagt habt. Und schreibt uns oder schweigt für immer. Nee, wie sagt man das? 

Raúl: Schreibe uns oder möge für immer schweigen 

Jonas: 

So können wir es sagen. Und dann freuen uns, wenn ihr auch beim nächsten Mal wieder mit dabei seid! Bis dahin! Tschüs! 

 

Das waren starke Zeilen? Dann gerne teilen!

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