Musiksessions im Rollstuhl

Das Logo von Die Neue Norm auf pinkem Grund. Rechts davon steht: die Neue Kolumne. Unten steht: von Leon Amelung.
Lesezeit ca. 3 Minuten

In meiner Freizeit spiele ich Gitarre und singe. Am liebsten mache ich das mit Freunden. Viele meiner Freunde, mit denen ich Musik mache, habe ich auf Musiksessions in meiner Heimatstadt kennengelernt. 

Auf einer Session läuft es so ab: Es gibt immer jemanden, der die Session leitet und das Equipment zur Verfügung stellt. Nachdem die Bühne freigegeben wird, betreten die Musiker*innen sie und fangen an, spontan miteinander zu spielen. Meistens wird Blues gespielt, weil diese Musik nach einem bestimmten Schema komponiert wird, das jede*r bei der Session kennt. Von so einer Session möchte ich hier berichten. 

Für mich war es zwar nicht die erste Session, aber sie war in einer Kneipe, in der ich vorher noch nie war. Vor einem Auftritt an einem neuen Ort bin ich immer etwas nervös. Doch das ist nicht nur die typische Nervosität vor einem Auftritt. Ich stelle mir noch ganz andere Fragen: Wie groß ist die Bühne? Wie hoch sind die Stufen zur Bühne? Werde ich es alleine schaffen, auf die Bühne zu kommen oder bin ich auf Hilfe angewiesen? Wie werden die anderen Musiker*innen und das Publikum auf mich reagieren? Wie werden sie damit umgehen, wenn ich länger brauche, um auf die Bühne zu kommen, mich auf den Stuhl zu setzen, das Mikrofon zu positionieren und meine Gitarre zu stimmen? Und dann brauche ich auch Hilfe beim Einstellen des Verstärkers. Der steht meistens leider ein paar Meter weit weg von meinem Stuhl und ich kann nicht aufstehen, um ihn selbst zu bedienen. Ich schaffe es nur, die Stufen zur Bühne hochzulaufen und muss dabei aufpassen, nicht über ein Kabel zu stolpern. Ich bin immer froh, wenn ich vor dem Mikrofon sitze und der Gitarrensound eingestellt ist. Ich war bisher bei jedem dieser Treffen der einzige Musiker mit körperlicher Behinderung und der einzige Rollstuhlfahrer. 

Bei der besagten Session hatte keine*r der Musiker*innen oder jemand aus dem Publikum Probleme damit, dass ich länger brauchte, bevor ich bereit war, mitzuspielen. Auch der Leiter der Session war sehr hilfsbereit. 

Sobald der Schlagzeuger den Beat vorgab, vergaß ich die Schwierigkeiten, die ich beim Betreten der Bühne hatte. Dann zählte vor allem das Zusammenspiel und der Spaß an der Musik und natürlich die Party auf und vor der Bühne. Jede*r, der wollte, steuerte ein Solo zum Song bei. 

Viele Leute sprachen mich nach dem Auftritt an, aber ich habe nie solche Sprüche gehört wie: „Das finde ich aber toll, dass du Musik machst, obwohl du im Rollstuhl sitzt.“ Eher wurde mir gesagt: „Ich mag dein Gitarrenspiel. Lass uns das nächste Mal wieder zusammen machen, wenn du wieder da bist.“ Oder ich wurde gefragt, ob sie mir die Gitarre abnehmen könnten, um sie zu dem Auto zu tragen, mit dem ich damals noch zu den Sessions gefahren bin. 

Wenn ich eins auf Musiksessions gelernt habe, dann das: Inklusion findet manchmal dort statt, wo man sie selbst nicht vermutet. Ich habe wirklich das Gefühl, dass es auf Sessions keine Rolle spielt, dass ich im Rollstuhl sitze und eine Behinderung habe.

(Die geschilderten Ereignisse fanden vor der Coronapandemie statt.)

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