Inklusion, ja! Studieren mit Behinderung, nein!

Das schwarz-wei0e Logo von Die Neue Norm. Daneben steht "Die Neue Kolumne". Unten steht: von Karina Sturm.
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In jungen Jahren chronisch krank zu sein und mit einer Behinderung zu leben, führt zu vielen schwierigen Situationen. Für mich war der Verlust meines Jobs und der Weg zur Frührente ein harter Schlag. Plötzlich ist man als 24-jährige abhängig von einem System, das nicht besonders viel Verständnis für Menschen mit Behinderungen hat – vor allem wenn diese auf den ersten Blick völlig gesund aussehen.

Lange fühlte ich mich verloren und wusste nicht, was ich mit meinem Leben noch anfangen sollte. Ich wollte Teil der Gesellschaft sein, aber passte nirgends mehr hinein, denn bei all den Gesprächen rund um Job, Familie und Kinder konnte ich nicht mehr mitreden. Irgendwann entschied ich mich  dazu, mich über Studiengänge zu informieren. Ich dachte, eine höhere Qualifikation könnte mir in der Zukunft ermöglichen wieder unabhängiger zu leben. Außerdem wollte ich das klein wenig tägliche Energie für etwas nutzen, das mir sinnvoll erschien.

Über sechs Monate lang suchte ich nach Studiengängen im Bereich Journalismus, die ich mit meinen Einschränkungen bewältigen konnte. Die Voraussetzungen des Studienganges: Teilzeit, Fernstudium und finanziell erschwinglich muss es sein. Täglich kontaktierte ich Universitäten in den deutschsprachigen Ländern, die solche Kurse anboten – ohne Erfolg.

Eine Universität setzte zum Beispiel trotz Fernstudiengang wochenlange Präsenzzeiten voraus. Aufgrund meiner Erkrankung schaffe ich es kaum drei Stunden aufrecht zu sitzen, geschweige denn mehrere Wochen, weshalb ich fragte, ob es irgendeine Ausnahme von diesen Zeiten gäbe. Ich wollte ja keine Vorteile gegenüber anderen Studenten, nur eine gleiche Chance. Ich würde jede Art von Lernstoff zuhause nachholen, argumentierte ich.

Ich bettelte um alternative Lösungen, die mit meinen Einschränkungen vereinbar wären, zum Beispiel zusätzliche Prüfungen, die beweisen könnten, dass ich genauso geeignet war oder Skype-Konferenzen, die mir ermöglichen würden aus der Ferne am Unterricht teilzunehmen. Die Antwort fiel immer gleich aus: Nein, eine Ausnahme könne man für niemanden machen, sonst müsste man ja die Ansprüche eines jeden Studenten erfüllen. Nur mit dem Unterschied, dass meine ”Ansprüche” für mich keine Wahl sind, sondern eine Notwendigkeit. Ich würde gerne am Campus oder gar in Vollzeit studieren, schaffe es aber nicht. Ich kann diese Dinge nicht, weil ich ganz ungeplant und plötzlich chronisch krank wurde, was übrigens wirklich jedem passieren kann.

Meine krankheitsbedingte Behinderung ist für mich vor allem deshalb oft schwierig zu akzeptieren, weil mir so viele Chancen dadurch entgehen. Was dabei hauptsächlich behindert, sind nicht meine Einschränkungen, sondern die fehlende Flexibilität im deutschen System. In vielen Bereichen ist Inklusion nur dann gegeben, wenn das nicht bedeutet, dass man sich zu sehr verbiegen muss, zu viele Umstände hat oder gar Einzellösungen finden soll.

Ich hatte Glück. Als ich nach unzähligen weiteren Absagen die Suche fast schon aufgeben wollte, stieß ich auf die Universität, die mein Leben grundlegend verändern würde. Im Januar 2018 wurde ich in einen zeitlich flexiblen Fernstudiengang in Schottland aufgenommen und werde nächstes Jahr meinen Master verliehen bekommen.

Es gibt so viele Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten, die immenses Potential haben, es aber nie ausschöpfen können, weil ihnen der Weg versperrt wird. Selbst wenn Menschen mit Behinderungen nicht aktiv ausgeschlossen werden, stellt man sie doch vor so viele Hürden, dass Studieren für viele ein nicht zu erreichender Traum bleibt. Und das obwohl wir alle genauso ein Recht auf Ausbildung haben, wie unsere nicht behinderten Mitmenschen.

Für mich war mein Studium viel mehr als nur eine höhere Qualifikation. Nach Jahren der Isolation bin ich heute wieder ein aktives Mitglied der Gesellschaft. Meine Arbeit als Journalistin lässt mich Teil einer Welt sein, die nicht ausschließlich mit dem zu tun hat, was ich nicht kann. Ganz im Gegenteil, heute schätzen meine Kollegen meine Perspektive, die ich nur habe, weil ich krank und behindert bin. Und diesen Respekt von unterschiedlichen Erfahrungen, die alle gleichermaßen wertvoll sind; dieses Gefühl dazuzugehören und nicht als Randgruppe nur zusehen zu müssen, das haben doch alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, verdient!

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