Band Fheels: Musiker, Aktivisten, Role Models

Vier Männer sitzen nebeneinander und reden miteinander. Einer von ihnen sitzt im Rollstuhl. Ein weißer Schritzug FHEELS ist auf dem Bild zu sehen.
Die vier Musiker der Band FHEELS, mit Sänger Felix Brückner (2.v.l.) | Foto: FHEELS
Lesezeit ca. 6 Minuten

Wie schafft man es heutzutage sich als Band zu etablieren? Mit Crowdfunding. FHEELS aus Hamburg setzen dabei voll auf ihr inklusives Alleinstellungsmerkmal und engagieren sich für mehr Diversität in der deutschen Musiklandschaft. Jonas Karpa sprach mit Sänger Felix Brückner.

Irgendwo in Deutschland könnte er nun sitzen. In einem Bürogebäude und etwas mit Informatik machen. Aber Felix Brückner (32) hörte in den entscheidenden Momenten auf sein Herz und widmet sich nun voll und ganz seiner Leidenschaft: der Musik. Die, sagt er, habe er immer geliebt und er sei regelmäßig auf Konzerte gegangen. 

2005 aber sollte einiges in seinem noch jungen Leben durcheinander bringen: Nach einem Unfall ist der damals 17-jährige querschnittsgelähmt und seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen. Für ihn sei es – nachdem er die Schule, ein technischen Gymnasium, wieder besuchen und sein Abitur machen konnte – der „naheliegendste Weg“ gewesen, in die Informatik zu gehen. Ein Weg der ihm aber schnell zeigte, dass „Informatik auf die Dauer gar nicht mein Ding ist“, so Brückner. Er fing dann parallel mit einem Studium der Psychologie an, ehe er schließlich Sozialpädagogik wählte. 

Die Initialzündung für die Musik kam ihm dann im Alter von 23 Jahren während eines Praktikums in Hamburg, verrät Brückner: „Ich habe mir gedacht: neue Stadt, machst’ etwas Neues, machst‘ etwas, worauf du schon länger Lust hast. Und so habe ich dann angefangen Gesangsunterricht zu nehmen.“ 

Schon früher habe er mal im Chor gesungen, was auch schon viel Spaß gemacht habe, aber dies sei nun „ein ganz anderes Level gewesen“, was er „auf jeden Fall intensivieren” wollte. Gesagt, getan: Nach seinem Studium der Sozialpädagogik ging Felix Brückner ein halbes Jahr nach New York, eine Stadt, die er während eines Roadtrips mit seinen besten Freunden durch die USA schätzen gelernt hat. New York sei für ihn im Rollstuhl, trotz der Defizite im sozialen Spektrum in den USA, gut barrierefrei zugänglich gewesen. „Nur wenn Schnee fiel herrschte der absolute Ausnahmezustand“, erinnert er sich zurück. 

Seinen Aufenthalt, sowie den Klavier- und Gesangsunterricht den er dort nahm, finanzierte er mit privaten Rücklagen und seiner Verletzten-Rente. Das Ziel war nun klar: aktiv Musik machen. „Als ich wieder zurück in Deutschland war, habe ich mich an der Hamburg School of Music beworben. Wurde angenommen und bin dann grandios durch die erste Aufnahmeprüfung gefallen“, schmunzelt Brückner. Er habe dann aber das Studien-Vorbereitungsjahr absolviert und die Aufnahmeprüfung im nächsten Jahr bestanden.

Singen im Sitzen – eine Herausforderung

Seine Behinderung spielte laut Brückner keine große Rolle, war aber natürlich auch nicht weg zu diskutieren. „Es gab auf jeden Fall Barrieren bei der Bauart der Schule, aber die konnten relativ einfach genommen werden“, erzählt er. Kleine Schwellen habe er alleine oder durch das beherzte Zugreifen seiner Kommilitonen überwunden. Anders sah es da bei der Einschätzung seiner Leistungsfähigkeit aus: „Man wurde natürlich gefragt, wie man als Sänger im Rollstuhl, der von der Brust abwärts gelähmt ist, die Energie entwickelt um auf Dauer laut und intensiv zu singen.“ Dies sei für ihn die erste „psychische Barriere“ gewesen. Seitdem trainiere er aber intensiv sein Zwerchfell, um auch aus der sitzenden Position ein Konzert über 90 Minuten oder Aufnahmen im Studio zu bestehen.

Für seine Musikerkollegen – die er allesamt während seines Studiums kennenlernte und mit denen er die Alternativ-Rockband FHEELS gründete – war die Tatsache, dass er im Rollstuhl sitzt, ebenso wenig Thema. Aber auch sie bekommen im Bandalltag natürlich die immer wieder auftretenden Barrieren mit. „Man muss sich da nichts vormachen, es gibt in der Clublandschaft eigentlich nie barrierefreie Läden, in denen du spielst. Ich bin noch nie barrierefrei auf eine Bühne gekommen. Entweder wurde ich geschoben oder in den meisten Fällen hoch getragen“, meint Brückner im Hinblick auf ihre erste Deutschland-Tour im vergangenen Jahr. 

„Als Newcomer-Band kann man es sich einfach nicht erlauben,  Ansprüche zu stellen. Das würde nicht funktionieren. Dann würden wir einfach keine Konzerte spielen“, gibt er ernüchternd zu. Deshalb engagiert er sich zusätzlich in der „Initiative Barrierefrei Feiern“, in der Menschen mit und ohne Behinderung sich für mehr Barrierefreiheit im kulturellen Bereich engagieren und Veranstalter*innen beraten und schulen. 

Auch FHEELS möchte die Bedingungen in der Clublandschaft verbessern, indem sie aktiv die Themen Inklusion und Vielfalt ansprechen. „Der Gedanke, dass wir durch mich noch in eine andere Richtung aktiv werden wollen, hat sich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Es war nicht der Anlass für die Gründung der Band“, erklärt Brückner. Vielmehr sei es ein Prozess gewesen, den sie auch erst aktiv formuliert hätten als es darum ging, das erste Album zu machen.

Um sich auf dem hart umkämpften Musikmarkt zu etablieren und gleichzeitig professionell ihre Musik zu produzieren, haben sich FHEELS dazu entschlossen, über Crowdfunding eine Anschubfinanzierung zu generieren. Fast 6.000 Euro sind dabei zusammengekommen, die die Band nun in Musik- und Videoproduktion, sowie Promotion und Fotoshootings für das neue Album investieren möchte. „Natürlich hätten wir auch in irgendeine Talent- oder Castingshow gehen können um bekannter zu werden“, meint Brückner. „Aber das ist eher unattraktiv, weil zu sehr die Behinderung und das Ausschlachten der Background-Story im Fokus steht und nicht das eigentliche Musiker-Sein.“ 

Durch das Crowdfunding hätten sie die Möglichkeit gehabt, sich auf ihre Art und Weise dem Thema Inklusion und Behinderung zu nähern und trotzdem den Fokus auf die Musik zu legen. „Perspektivisch gesehen möchten wir durch das Crowdfunding in der Lage sein, die ganze Produktion selbst stemmen zu können und weitere Unterstützer, fernab von Familie und Freunden zu gewinnen“, erklärt Brückner.

FHEELS + Vielfalt = FHEELFALTt 

Auch wenn sie immer betonen, dass das Hauptaugenmerk der Musik gewidmet ist – so gibt es eben doch noch die weitere Perspektive ihrer Band: die gesellschaftliche Vielfalt, für die sie sich einsetzen. Passend dazu haben sie ihr Album FHEEELFALT genannt, um auf ein Thema aufmerksam zu machen, was ihrer Meinung nach in der Clubszene kaum vorkommt. „Es gibt da draußen Menschen mit allen möglichen Formen von Einschränkungen, die in der Szene irgendwie nicht gesehen werden, die nicht eingeladen werden. Die nicht interessant sind für Bookingagenturen, weil sie nicht profitabel genug sind“, meint Brückner zu diesem Teufelskreis und erklärt weiter: „Durch unsere Sichtbarkeit hoffen wir, dass es Booker interessiert und wir durch diese örtliche Präsenz auch Menschen mit Einschränkungen erreichen, die sich inspiriert fühlen, Mut bekommen, selbst in der Richtung aktiv zu werden und somit die Szene zu vergrößern.“ 

So könnte FHEELS als potentielles Role-Model für andere Menschen mit Behinderung fungieren und das, obwohl Brückner selbst nie ein musikalisches Vorbild mit Behinderung gehabt hat. „Ich habe mir nie gesagt ‚oh, der Stevie Wonder ist blind und kann so gut singen.‘ Für mich war immer die Musik im Vordergrund“, gibt er zu. 

Das bei ihrer Band irgendwann nur noch seine Behinderung im Fokus steht, glaubt Felix Brückner nicht: „Die Gefahr ist bestimmt da – das kann man nicht von der Hand weisen. Ich hoffe aber, dass unsere Musik in der Form so stark ist und die Menschen auf musikalischer und nicht nur auf emotionaler Rollstuhl-Behinderungsebene erreicht.“ 

Dazu ist ihnen auch die Themensetzung in den Songs nicht ganz unwichtig. „Ich habe nie das Thema Behinderung bewusst rausgelassen, aber es hat sich einfach auch nicht ergeben.“ Ihn würden die gleichen Dinge in seinem Alltag beschäftigen wie jeden anderen auch – und so handeln seine englischsprachigen Songtexte von Liebe, vom Reisen und Begegnungen im Alltag. Seine Behinderung sei nur ein kleiner Teilaspekt seines Lebens, so Brückner. 

Die Veröffentlichung des ersten Albums war eigentlich für August geplant, jedoch macht auch hier die Corona-Krise den Zeitplan zunichte. Der neue Termin soll nun im Januar 2021 sein. „Im Herbst bzw. Winter würden wir unter den vielen Veröffentlichungen der großen Labels untergehen“, erklärt Brückner. Die ausgefallenen Konzerte werden unter anderem durch ein Festival ersetzt, das online stattfindet.

eine frau tanzt vor altem gemäuer.

“Kunst, die systemrelevante”

Wenn das Publikum nicht zur Kunst kommt, kommt die Kunst zum Publikum. In Zeiten von Corona werden Künstler*innen notgedrungen noch kreativer, um die Menschen auf dem Sofa zu erreichen. Auch Künstler*innen mit Behinderungen erfinden neue Formate, um im Gespräch zu bleiben.

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Aktuell sind alle vier Bandmitglieder noch parallel als Musiklehrer für ihr jeweiliges Instrument aktiv, da sie von den Bandeinnahmen „nichtmals ansatzweise“ leben können, sagt Brückner. Alle Einnahmen flossen bislang auch hauptsächlich in die Bandkasse für die musikalische Weiterentwicklung und bisherige Produktion von Songs. Das soll sich aber so schnell wie möglich ändern.

Natürlich hätte Felix Brückner jetzt auch Informatiker sein können, stattdessen ist er aber vielleicht schon bald auf Deutschlands Bühnen unterwegs und arbeitet mit FHEELS neben dem künstlerischen Dasein an inklusiven Strukturen der Musikbranche.

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Eine Antwort

  1. Ich finde, Role-Models für andere Musiker mit Behinderung gibt es lange unendlich viele. Schon seit über 30 Jahren spielt zum Beispiel die inklusive Band “Station 17” aus Hamburg überaus tolle Musik. Sie hat auf sehr vielen Festivals und Musik-Clubs in Deutschland und in anderen europäischen Ländern Auftritte gehabt und etliche Alben produziert. Es gibt und gab sehr viele großartige Musiker mit Behinderung, die von der Öffentlichkeit wegen ihrer fantastischen Musik gefeiert werden und wurden, beispielsweise den unvergleichlichen Jazzpianisten Michel Petrucciani oder Ray Charles.

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