Berlinale 2020: Behinderung im Film

Eine Frau mit dunkler Hautfarbe und braunen, zu einem Zopf gebundenen Haaren, steht vor einer Backsteinwand. Sie trägt ein pinkes ärmelloses shirt und macht eine Gebärde.
„Jogos Dirigidos“ von Jonathas de Andrade, © Jonathas de Andrade
Lesezeit ca. 6 Minuten

Vom 20. Februar bis 1. März 2020 finden die 70. Internationalen Filmfestspiele Berlin statt. In diesem Jahr laufen bei der Berlinale 400 Filme. Wir stellen Euch neun Produktionen vor, die sich mit dem Thema Behinderung auseinandersetzen und informieren Euch über die barrierefreien Angebote des Festivals.

Jogos Dirigidos

Die Gemeinde Várzea Queimada liegt im Hinterland des Staates Piauí im Nordosten Brasiliens. Unter den circa 900 Einwohner*innen gibt es eine vergleichsweise hohe Anzahl an gehörlosen Menschen. Für sie ist nicht nur der Zugang zu Wasser und öffentlichen Investitionen knapp, sondern auch der zum Erlernen der offiziellen brasilianischen Gebärdensprache Libras. Aus dieser Situation heraus haben die gehörlosen Menschen in Várzea Queimada eine eigene Sprache kreiert.

Der Film zeigt eine Gruppe von achtzehn lokalen Protagonist*innen bei Körper- und Sprachübungen, sowie spontanen Vorträgen auf einer improvisierten Außenbühne. Ein Großteil der Erzählungen werden nicht übersetzt und Satz für Satz gezeigt. Dabei werden – ähnlich wie in einem Lehrvideo – die einzelnen Gesten mit Wörtern verknüpft und so das Lexikon der Gebärden Várzea Queimadas systematisiert.

Dokumentarfilm, Brasilien 2019, Regie: Jonathas de Andrade

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Ein älterer Mann mit rotem Hemd und schwarzen Hosenträgern sitzt an einem Schreibtisch. Er ist von hinten zu sehen. An der Wand hängen mehrere Bilder.
Adolf Beutler in "Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist" © Sabine Herpich

Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist

In der Kunstwerkstatt Mosaik in Berlin arbeiten Künstler*innen mit Behinderung an ihren Werken. Sabine Herpich beobachtet sie bei der Arbeit und richtet den Blick auf die Institution selbst, auf die Abläufe, das Personal, die Räumlichkeiten. Dabei steht nicht die Behinderung der Menschen im Fokus, sondern die künstlerische Arbeit. So wird auch die Institution als Ort für Kunst gesehen und nicht als Institution für Menschen mit Behinderung. Sichtbar ist auch die Filmemacherin, die die die Künstler*innen zu ihren Gedanken, Ideen und Vorgehensweisen befragt. Dabei wird auch die Kunst als Arbeit, sowie Arbeitszeiten und Gehalt thematisiert.

Dokumentarfilm, Deutschland 2020, Regie: Sabine Herpich

Termine und Informationen

Eine abstrakte Zeichnung einer Frau im Profil in gelb-braunen und schwarzen Farben.
Genius Loci von Adrien Mérigeau © KAZAK PRODUCTIONS – FOLIMAGE

Genius Loci

Überall ist Chaos: im eigenen Kopf und draußen in der großen Stadt. Die Dinge verselbständigen sich, die Realität ist kaum greifbar. Die jugendliche Reine ist auf der Suche, aber sie weiß nicht wonach. In zarten Zeichnungen sehen wir die Welt durch ihre Augen, in den fließenden Animationen wird ihre Wahrnehmung für uns erfahrbar.

Der Animationsfilm versucht einen Zugang zur Wahrnehmung eines Teenagers zu schaffen und die Frage zu beantworten, was in dessen Kopf vor sich geht. Der Film unterstreicht, dass die Kunst ein Mittel sein kann, das Publikum in die Wahrnehmungswelt des Mädchens zu versetzen.

Kurzfilm, Frankreich 2019,  Regie: Adrien Mérigeau

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Eine schwarze Frau ist in einem Schwimmbad und liegt auf einer blauen Poolnudel.
Nancy Denis in "Girl and Body" von Charlotte Mars © Ella Millard and Charlotte Mars

Girl and Body

Juri probte für ihre Abschlussaufführung, doch dann stürzte sie plötzlich. Ein Moment, der alles verändern sollte. Sie lag auf dem Boden und konnte nicht mehr aufstehen. Im Krankenhaus, wo sie ihren Körper medizinischen Tests und der Rehabilitation überlässt, beginnt ihre Welt zusammen zu brechen. Doch dann baut sie vorsichtig eine Verbindung zu der rätselhaften jungen Frau auf, mit der sie sich das Zimmer teilt. Es folgt eine visuelle Erkundung der fragilen Beziehung der Frauen zu ihrem Körper und zueinander. Eine Meditation über das Verhältnis von Körper, Geist und Identität.

Australien 2019, Regie: Charlotte Mars

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Ein Mensch liegt nackt und leblos auf dem Rücken im Wasser. Nur sein Bauch schaut unter der Wasseroberfläche hervor.
Nina Schwabe in "Ein Fisch, der auf dem Rücken schwimmt" von Eliza Petkova © Constanze Schmitt/dffb

Ein Fisch der auf dem Rücken schwimmt

Ein Film, in dem Behinderung vorkommt, aber keine tragende Rolle spielt: Andrea, die mit Kindern mit Down-Syndrom arbeitet, ist gerade zu ihrem neuen Freund Philipp und dessen Sohn Martin gezogen. Beide haben nach dem Tod von Ehefrau und Mutter Hanna eine Lücke in ihrem Leben zu füllen. Während Philipp die Vergangenheit hinter sich lassen möchte und bereits die letzten Bilder der Verstorbenen abhängt, fällt es Martin schwerer, den Verlust zu verarbeiten. Er zeigt den beiden die kalte Schulter.

Doch Andrea bringt neue Leichtigkeit in das große, leere Einfamilienhaus und als sie sich auch Martin zuwendet, wird sie für beide Männer zur Projektionsfläche. Einen Sommer lang scheinen sich ihre Sehnsüchte in einer Dreiecksbeziehung an der Grenze konventioneller Moralvorstellungen zu erfüllen, in der unausgesprochen ist, wer was von wem weiß. Während sich Philipp in Passivität zurückzieht, entwickelt Martin Besitzansprüche. Die drei begeben sich im Laufe der Geschichte immer tiefer in eine zerstörerische Abhängigkeit voneinander – und werden schließlich zu Trägern einer gemeinsamen Schuld. 

Deutschland 2020, Regie: Eliza Petkova

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Sandra Hüller in "Schlaf" von Michael Venus © Marius von Felbert/Junafilm

Schlaf

Marlene (gespielt von Sandra Hüller) wird von einem immer wiederkehrenden Albtraum geplagt, dessen Spielort ein Waldhotel ist. Nachdem sie eben jenes Hotel in einer Zeitungsanzeige entdeckt, stellt sie sich ihrer Angst und fährt, gegen den Rat ihrer Tochter Mona, an den idyllisch gelegenen Ort. Dort muss sie feststellen, dass ihre Träume offenbar in Verbindung mit drei Selbstmorden stehen.

Marlene fällt in einen Stupor, eine extreme seelische und motorische Erstarrung. Mona will herausfinden, was passiert ist und trifft bei ihren Nachforschungen auf den freundlichen Hotelbesitzer Otto und dessen sonderbar abweisende Frau Lore. In der ersten Nacht im Hotel wird auch Mona von einem Albtraum aufgewühlt, in dem sich ihr eine Unbekannte offenbart. Es ist der Schlüssel zu einem dunklen Geheimnis, das sowohl mit dem Hotel, als auch mit ihrer eigenen Familiengeschichte zu tun hat.

Für Mona beginnt eine Achterbahnfahrt in den Abgrund, die mit märchenhaften Elementen spielt und bei der die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmen.

Deutschland 2020, Regie: Michael Venus

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Ein schwarz-weiß Foto von zwei Frauen mit langen Haaren. Sie stehen nebeneinander und halten eine Gitarre und eine Zither in der Hand.
"Walchensee Forever" von Janna Ji Wonders © Flare Film

Walchensee Forever

Regisseurin Janna Ji Wonders erzählt die Geschichte der Frauen ihrer Familie über ein Jahrhundert. Verbindendes Element und stiller Chronist ist der bayerische Walchensee, an dem die Familie 1920 ein Ausflugscafé eröffnet, das bis heute existiert.

Die imposante Gründerin Apa vermacht ihrer Erstgeborenen Norma das Unternehmen, das diese ohne zu klagen bis ins hohe Alter führt. Normas Töchter Anna und Frauke verlassen den See, da sie als Musikerinnen die Welt bereisen wollen. Doch sie kehren zurück und leben in einer Kommune um Rainer Langhans.

Frauke, die sich nach der großen Liebe sehnt und Schizophrenie und Depressionen hat, kommt auf mysteriöse Weise ums Leben und wird für die Hinterbliebenen zum Irrlicht. Die rastlose Anna zieht in die USA, wo sie ungeplant eine Tochter bekommt. Von den Schatten der Vergangenheit gerufen, kehrt sie mit Tochter Janna zurück an den Walchensee, wo Großmutter Norma für die Enkeltochter zur wichtigen Bezugsperson wird. Als Regisseurin sucht Janna Antworten auf die Fragen nach Heimat, Herkunft und dem, was am Ende wirklich zählt. Sie findet Anhaltspunkte in der Verbundenheit von vier Generationen von Frauen mit unterschiedlichen Lebenskonzepten.

Dokumentarfilm, Deutschland 2020, Regie: Janna Ji Wonders

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Chams Chakiri in "El sghayra" von Amira Géhanne Khalfallah © Eva Sehet/Prolégomènes-Paraiso Production Diffusion

El sghayra

Bis zum Horizont erstreckt sich die algerische Wüste. In der vergehenden Oase leben, Jahre nach den französischen Kernwaffentests, nur noch wenige Menschen. Mitten in den Dünen spielt ein Mädchen fröhlich mit Schrottteilen, schaut Chaplins Stummfilme und treibt ihre Späße mit den erblindeten Bewohner*innen. Sie ist das einzige Kind der Gemeinschaft. Es ist ihre Fantasie, die das Leben bewahrt – an einem Ort, der auf den ersten Blick den Sinnen nur wenig zu bieten hat.

Algerien / Frankreich 2019, Regie: Amira Géhanne Khalfallah

Termine und Informationen

Ein schwarz-weiß bild von einer jungen Frau mit lockigen Haaren. Sie hat die Augen geschlossen. Das bild ist durch Rauch unscharf.
Lana Rockwell, Jabari Watkins in "Sweet Thing" von Alexandre Rockwell © Lasse Tolbøll

Sweet Thing

Für die Geschwister Billie und Nico ist das Zusammenleben mit ihrem Vater ein unstetes Taumeln zwischen Spielerei und Unbehagen. Wenn der Alkohol von ihm Besitz ergriffen hat, fließen Tränen und das vermeintliche Familienidyll zerfällt in Trümmer. Auch ihre Mutter – meist abwesend und unverantwortlich – bietet keine Hilfe.

Erst die Freundschaft zu Malik, einem Jungen in Billies Alter, befreit sie von allen Fesseln. Gemeinsam begeben sie sich auf eine Reise voller intensiver Momente der Freiheit. Schwarz-weiße Bilder spiegeln kaleidoskopartig die bunten Innenwelten der drei jungen Menschen und geben Raum für ihre selbst gewählten Vorstellungen von Kindheit.

USA 2020, Regie: Alexandre Rockwell

Termine und Informationen

Barrierefreiheit auf der Berlinale

Informationen zu Filmen mit Audiodeskription und Untertiteln, sowie Ticketbestellungen für Menschen mit Behinderung gibt es hier.

Weitere Infos zu rollstuhlgerechten Kinos der Berlinale sind auf Wheelmap.org zu finden.

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